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OLG Schleswig (Urteil vom 14.11.2012 - 7 U 42/12 - Zu den Indizien für einen fingierten Unfall

OLG Schleswig v. 14.11.2012: Zu den Indizien für einen fingierten Unfall


Das OLG Schleswig (Urteil vom 14.11.2012 - 7 U 42/12) hat entschieden:
Eine unplausible Fahrstrecke und ein für einen vermeintlichen Abbiegeunfall ganz ungewöhnlicher Kollisionswinkel als maßgebliche Indizien für ein verabredetes Geschehen.


Siehe auch Unfallmanipulationen - Unfallbetrug - Berliner Modell und Indizienbeweisführung und Unfallbetrug


Gründe:

I.

Der Kläger hat die Beklagten gesamtschuldnerisch auf materiellen und immateriellen Schadensersatz aus einem vermeintlichen Verkehrsunfall, der sich am 21.09.2010 gegen 20.30 Uhr in P. an der Einmündung A-Straße/B-Weg ereignet haben soll, in Anspruch genommen.

Beteiligt an dem Geschehen waren der Kläger mit seinem am 28.05.2010 erworbenen Pkw BMW 540 i sowie der Beklagte zu 2) mit seinem bei dem Beklagten zu 1) gegen Haftpflichtschäden versicherten Mercedes Benz E 270 CDI Elegance; der Beklagte zu 1) war auch (Voll-)Kaskoversicherer dieses Fahrzeuges.

Der BMW des Klägers war zu dem Zeitpunkt rund acht Jahre alt, hatte eine Laufleistung von gut 182.000 km und war im Oktober 2010 TÜV-fällig; das Fahrzeug des Beklagten zu 2) war rund 7 ½ Jahre alt mit einer Laufleistung von knapp 98.000 km. Es hatte einen beseitigten Heckschaden aus Oktober 2009.

Zweitinstanzlich ist unstreitig geworden, dass es im Einmündungsbereich des B-Weges mit der A-Straße zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist; der Beklagte zu 2) befuhr den B-Weg, der aus Sicht des Beklagten zu 2) von rechts aus der A-Straße kommende Kläger war ihm gegenüber vorfahrtsberechtigt. Bei dieser Kollision wurde das Fahrzeug des Klägers im hinteren linken Bereich beschädigt (Lichtbilder Bl. 20 ff. d. A.).

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, aufgrund der Vorfahrtsverletzung durch den Beklagten zu 2) seien ihm beide Beklagte zum vollen Ersatz seines Schadens, den er mit insgesamt 14.468,29 € beziffert hat, verpflichtet. Er hat weiterhin behauptet, durch die Kollision eine HWS-Distorsion erlitten zu haben; dafür hat er ein von ihm mit mindestens 500,00 € beziffertes Schmerzensgeld geltend gemacht.

Der Beklagte zu 1) hat behauptet, dass es sich bei dem vermeintlichen Unfall um ein verabredetes Geschehen gehandelt habe.

Darüber hinaus haben die Beklagten die Schadensersatzforderung des Klägers der Höhe nach bestritten und behauptet, eine HWS-Distorsion habe er sich ohnehin nicht zuziehen können.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf das angefochtene Urteil verwiesen.

Das Landgericht hat der Klage nach persönlicher Anhörung des Klägers und des Beklagten zu 2), Vernehmung von Zeugen sowie Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens zum Unfallhergang, das der Sachverständige W mündlich erläutert hat, im Wesentlichen stattgegeben. Die Beklagten sind als Gesamtschuldner verurteilt worden, an den Kläger 13.454,30 € nebst gestaffelter gesetzlicher Zinsen zu zahlen sowie ihn von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 899,40 € freizuhalten.

Zur Begründung hat das Landgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass es zum einen davon überzeugt sei, dass es zum behaupteten Zeitpunkt am behaupteten Ort zu einer Kollision der Fahrzeuge des Klägers und des Beklagten zu 2) gekommen sei. Zum anderen habe der Beklagte zu 1) nicht bewiesen, dass es sich um ein manipuliertes Geschehen gehandelt habe; es sprächen zwar gewisse Indizien dafür, in der Gesamtschau käme diesen aber kein größeres Gewicht zu, so dass von einem „normalen“ Unfall auszugehen sei.

Gegen dieses Urteil haben beide Beklagte Berufung eingelegt, der Beklagte zu 2) hat sein Rechtsmittel vor dem Senatstermin zurückgenommen.

Zweitinstanzlich wiederholen und vertiefen die Parteien ihr erstinstanzliches Vorbringen, wobei der Beklagte zu 1) auf vollständige Klagabweisung anträgt, während der Kläger die Berufung zurückgewiesen sehen will.

Der Senat hat ergänzend den Kläger persönlich angehört.


II.

Die Berufung des Beklagten zu 1. ist begründet. Das landgerichtliche Urteil leidet unter Rechtsfehlern, die zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

Es steht fest, dass es sich bei dem Geschehen vom 21.09.2010 nicht um einen „Unfall“ im Rechtssinne - nämlich um ein plötzliches, von außen kommendes, unfreiwilliges Ereignis - gehandelt hat, sondern um ein verabredetes Geschehen, aus dem dem Kläger Schadensersatzansprüche nicht zustehen. Allerdings ist das landgerichtliche Urteil hinsichtlich des Beklagten zu 2) rechtskräftig, nachdem dieser seine Berufung zurückgenommen hat; entsprechend ist ihm gegenüber zu tenorieren.

Hinsichtlich des Beklagten zu 1) hingegen ist die Klage unbegründet und abzuweisen.

Unter Beachtung der im angefochtenen Urteil (Seite 6) richtig dargestellten beweismäßigen Kriterien hat der Beklagte zu 1) den ihm obliegenden Beweis eines fingierten Geschehens geführt. Die Gesamtschau aller (Indiz-)Tatsachen rechtfertigt die dahin gehende Überzeugungsbildung des Senats.

Ausgehend davon, dass es zu der behaupteten Zeit und an der behaupteten Stelle zu einer Kollision der Fahrzeuge des Klägers und des Beklagten zu 2) gekommen ist, sind die Erklärungen, warum die Beteiligten überhaupt dort waren, schon nicht plausibel. Der Kollisionsort liegt in einem auf der einen Seite von der P-Straße, auf der anderen Seite („Unfallstelle“) von einer Bahnlinie abgegrenzten Gewerbegebiet, mithin einer Gegend, in der abends gegen 20.30 Uhr kaum mit unbeteiligten Zeugen gerechnet werden muss.

Der Kläger hat angegeben, er sei von seiner damaligen Arbeitsstelle (P- Straße…) auf dem Weg zur Tankstelle … gewesen, dort habe er nach dem Joggen noch etwas zu Trinken holen wollen. Der Beklagte zu 2) will von seiner Wohnung in der D-Straße auf dem Weg zu „…“ gewesen sein, um seinen Sohn abzuholen. Sowohl zu der Tankstelle … als auch zu „…“ führt der „normale“ Weg über die P-Straße. Beide - sowohl Kläger als auch der Beklagte zu 2) - haben zur Erklärung, warum sie den B-Weg befahren wollten bzw befuhren, angegeben, dass „vor einer Ampel“ (so der Kläger) bzw. „auf der P-Straße“ (so der Beklagte zu 2)) ein Stau gewesen sei. Beampelt in diesem Bereich ist allein die Kreuzung P-Straße/Y-Straße; es ist schon nicht glaubhaft, dass an einem Dienstagabend gegen 20.30 Uhr in beiden Richtungen auf der P-Straße ein „Stau“ gewesen sein soll. Hinzu kommt, dass der B-Weg keine direkte Anbindung zur P-Straße hat, sondern der Beklagte zu 2) - um in den B-Weg zu gelangen - gerade an der vermeintlichen Staustelle (Ampelkreuzung) in die Y-Straße nach links einbiegen musste, um von dort in den B-Weg zu gelangen. Der Beklagte zu 2) konnte den Stau mithin gar nicht umfahren. Es liegt auf der Hand, dass schon in diesem Punkt - warum waren die an der Kollision beteiligten Fahrzeuge überhaupt an der "menschenleeren" Kollisionsstelle? - sich Kläger und Beklagter zu 2) eine Erklärung zusammengesucht haben; diese hält aber einer näheren Überprüfung nicht stand.

Bei dem Kollisionsort selbst handelt es sich (vgl. die Lichtbilder zum Gutachten Dipl.-Ing. W) um einen weithin einsichtigen Kreuzungsbereich; beide Fahrer haben angegeben, das Licht eingeschaltet zu haben, wobei der Beklagte zu 2) das Fahrzeug des Klägers erst im letzten Moment gesehen haben will. Der Kläger will an die Kreuzung „so herangerollt“ sein und geschaut haben, ob etwas kommt. Gleichwohl will keiner der Beteiligten den anderen gesehen haben. Auch dies ist unglaubhaft; auch die nachgeschobene Erklärung des Klägers, möglicherweise seien im Kreuzungsbereich am Straßenrand Lkws abgestellt gewesen, überzeugt nicht. Abgesehen einmal davon, dass die Beweisaufnahme in erster Instanz nichts dazu ergeben hat, würde es sich - wollte man am Rand parkende Lkws unterstellen - immer noch um einen übersichtlichen Kreuzungsbereich handeln, der sich aber von der Lage her für einen gestellten Unfall anbietet. Ein ganz maßgebliches Indiz dafür ist der von dem Sachverständigen W rekonstruierte Hergang der Kollision, insbesondere der Kollisionswinkel. Zwar hat der Sachverständige W nicht feststellen können, dass das Fahrzeug des Klägers zum Kollisionszeitpunkt stand, die gefahrene Geschwindigkeit betrug aber maximal 5 km/h (Kriechgeschwindigkeit). Auch die Geschwindigkeit des Fahrzeuges des Beklagten zu 2) muss zum Kollisionszeitpunkt deutlich herabgesetzt gewesen sein. Zwar betrugen die Reparaturkosten an seinem Fahrzeug netto rund 9.500,00 €. Es wurde bei der Kollision aber noch nicht einmal der Airbag ausgelöst und auch nach den eigenen Angaben des Beklagten zu 2) war das Fahrzeug nach der Kollision noch fahrfähig. Es kommt ein gewichtiger und tragender Gesichtspunkt für ein verabredetes Geschehen hinzu: der BMW des Klägers befand sich nach den Feststellungen des Sachverständigen bereits in voller Länge auf dem B-Weg, dennoch war der vom Sachverständigen ermittelte Anstoßwinkel nahezu rechtwinklig (ca 75°), der BMW befand sich mithin gerade nicht in einem normalen Linksabbiegebogen (ein Umstand, den der Sachverständige als ungewöhnlich bezeichnet). Das ist eine Konstellation, die für einen vermeintlichen Abbiegeunfall unter den gegebenen Örtlichkeiten und Umständen gänzlich unwahrscheinlich ist, bei einer verabredeten Kollision aber durchaus Sinn macht. Denn so kann gezielt ein bestimmter Bereich eines Fahrzeuges getroffen werden, ohne dass die Fahrzeuginsassen in Gefahr geraten. Damit ist zugleich dem Argument, die Kollision könne kein gestellter Unfall sein, weil eine derartige Kollision jedenfalls für die Insassen des klägerischen Fahrzeuges viel zu gefährlich gewesen sei, der Boden entzogen. Die Kollision erfolgte nämlich nicht im Türbereich, sondern im Bereich des linken Hinterrades des klägerischen Fahrzeuges. Eine solche Kollision führt bestenfalls zu einer leichten Drehbewegung; das Verletzungsrisiko für die Insassen ist deshalb zu vernachlässigen, zumal wenn die Kollision erwartet, weil verabredet, wurde.

Bei dem Fahrzeug des Klägers handelt es sich um ein fast schon typisches Fahrzeug für einen gestellten Unfall, nämlich ein älteres, gleichwohl durchaus noch werthaltiges Fahrzeug der gehobenen Klasse; dasjenige des Beklagten zu 2) ist zwar eher untypisch für einen fingierten Unfall, dennoch für eine Unfallverabredung geeignet, da die vorhandene Vollkaskoversicherung in Anspruch genommen werden soll/sollte, so dass auf Seiten des Beklagten zu 2) ein finanzieller Schaden nicht zu erwarten stand.

Ein Motiv des Klägers, nämlich die Beschaffung finanzieller Mittel im Wege eines Haftpflichtschadens des Fahrtzeugs, das allein schon wegen seiner Motorgröße und seines Benzinverbrauches nur schwer veräußerbar ist, liegt auf der Hand. Der Umstand, dass der Kläger in Verbindung mit dem Kauf im Mai 2010 noch eine Abgasanlage für 1.200 € in das Fahrzeug eingebaut hatte, spricht nicht dagegen, sondern eher dafür.

Im Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob sich Kläger und Beklagten zu 2) vor dem „Unfall“ gekannt haben, wovon der Senat allerdings ausgeht. Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Senats, dass es auch für Unfallverabredungen nicht zwingend der Bekanntschaft bedarf; derartiges kann ohne Weiteres über Dritte „organisiert“ werden.

Unabhängig davon, ob sich der Kläger tatsächlich eine „HWS-Distorsion“ zugezogen hat, was bei dieser Kollisionskonstellation ohnehin sehr unwahrscheinlich ist, steht ihm jedenfalls wegen einer Einwilligung in eine etwaige leichte Verletzung kein Schmerzensgeld zu.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 92 Abs. 1, 100 und 516 Abs. 3, 708 Nr.10 und 713 ZPO.

Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.