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Landgericht Oldenburg Urteil vom 09.07.2008 - 1 O 879/08 - Zum Mitverschulden an Gesichtsverletzungen bei Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes

LG Oldenburg v. 09.07.2008: Zum Mitverschulden an Gesichtsverletzungen bei Nichtanlegen des Sicherheitsgurtes


Das Landgericht Oldenburg (Urteil vom 09.07.2008 - 1 O 879/08) hat entschieden:
Wären Gesichtsverletzungen unterblieben, wenn der durch einen Unfall Geschädigte angeschnallt gewesen wäre, so ist von einem erheblichen für seine gesamten Verletzungen ursächlichen Mitverschulden von 40 % auszugehen.


Siehe auch Sicherheitsgurt und Anschnallpflicht und Pflichten des Fahrzeugführers und Zustand des Fahrzeugs


Tatbestand:

Der Kläger mach Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 24.11.2006 gegen 23.00 Uhr in W im Kreuzungsbereich der Bstraße – B Weg – F-Straße ereignete. Der Kläger wurde als nicht angeschnallter Beifahrer bei diesem Verkehrsunfall verletzt, als die Beklagte zu 1) mit dem PKW des Beklagten zu 2) haftpflichtversichert bei der Beklagten zu 3) mit dem PKW des Klägers, gefahren von dessen Ehefrau, kollidierte. Der Haftungsgrund sowie die Haftungsquote wurden rechtskräftig vor dem AG Wilhelmshaven zum Az. 6 C 96/07 festgestellt. Hiernach wurde der Unfall allein durch das Verhalten der Beklagten zu 1) verursacht, die Beklagten haften mithin zu 100 %.

Zu den Verletzungen wird im einzelnen auf die ärztlichen Befunderhebungen und Atteste vom 29.01.2007 (vgl. Klageschrift Bl. 4 d.A.), 02.02.2007 (vgl. Bl. 9 d.A.), 06.01.2007 (Bl. 11 d.A.), 26.01.2007 (Bl. 13. d.A.) 07.11.2007 (Bl. 16 d.A.), die im Termin vorgelegten Lichtbilder und die Lichtbilder Bl. 23 bis 25 d. A. verweisen. Hiernach war der Kläger ca. 4 stunden bewußtlos, wurde vom 24.11.2006 bis zum 27.11.2006 stationär behandelt und trug eine Gehirnerschütterung, eine Schnittwunde am linken Oberlid und im linken Stirnbereich davon. Als bisher bleibender Schaden verblieb ein leicht herabgesunkenes Oberlid links, welches ggf. noch im Rahmen einer später durchzuführenden kosmetischen Operation korrigiert werden kann.

Dem Kläger ist ein weiterer materieller Schaden zur Höhe von 534,80 Euro gemäß Aufstellung in der Klageschrift entstanden, der sich ergänzt durch eine weitere "Aufwandspauschale" zur Höhe von 30,00 Euro (über die bereits gezahlte Pauschale von 25,00 Euro hinaus) für Unannehmlichkeiten aus Anlaß von Arztbesuchen und Rechtsanwaltsbesuchen.

Der Kläger behauptet, für die erlittenen Schmerzen stünde ihm ein Schmerzensgeld zur Höhe von mindestens 8.000,00 Euro, mithin noch zur Höhe von 5.000,00 Euro (abzüglich der bereits gezahlten 3.000,00 Euro) zu, dies selbst unter Berücksichtigung seiner Mithaftung, weil er nicht angeschnallt war.

Der Kläger beantragt,
  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe ausdrücklich in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 8.000,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.09.2007, abzüglich vorprozessual gezahlter 3.000,00 Euro und

  2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 564,80 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.09.2007 zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, die Verletzungen des Kläger rechtfertigen kein Schmerzensgeld, dass über den bereits vorgerichtlich gezahlten Betrag zur Höhe von 3.000,00 Euro hinausgeht. Die weiter geltend gemachte Kostenpauschale sei nicht erstattungsfähig.

Ergänzend wird verwiesen auf die gegenseitig gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nur teilweise begründet.

Die bereits rechtskräftig festgestellt Haftung der Beklagten ergibt sich für die Beklagte zu 1) aus den §§ 18 i.V.m. 7 StVG, 823 BGB, für den Beklagten zu 2) aus § 7 StVG und für die Beklagte zu 3) aus den §§ 7, 17, 18 StVG i.V.m. 3 PflVG.

Der unstreitige weitere materielle Schaden beläuft sich auf 534,80 Euro und ist dem Kläger in voller Höhe zu erstatten, vgl. AG Wilhelmshaven, Az. 6 C 96/07.

Für eine weitere Kostenpauschale zur Höhe von 30,00 Euro aus Anlass der durch den Unfall aufgetretenen Unannehmlichkeiten, insbesondere für etwaige Anwaltsbesuche, ist kein Raum. Die Unfallregulierung ist persönliche Sache des Geschädigten, gehört zu seinem Pflichtenkreis, weshalb grundsätzlich – es sei denn der übliche Rahmen wird überschritten – Zeitaufwand und ggf. insoweit auftretende Unannehmlichkeiten nicht ersetzt werden.

Für die erlittenen Schmerzen steht dem Kläger unter Berücksichtigung seines Mitverschuldens, § 254 BGB, weil er nicht angeschnallt war, ein weiteres Schmerzensgeld zur Höhe von 1.000,00 Euro zu.

Legt ein Beifahrer im Auto entgegen § 21 a Abs. 1 StVO nicht den Sicherheitsgurt an, so fällt ihm ein Mitverschulden an seinen infolge der Nichtanlegung des Gurtes erlittenen Unfallverletzungen zur Last. Dabei kommt es darauf an, welche Verletzungen konkret Folge der Nichtanlegung des Gurtes sind und wie diese im Verhältnis zu Verletzungen stehen, die nicht auf der Missachtung der Gurtanlegepflicht beruhen. Die Frage der Ursächlichkeit des Nichtanschnallens für die verschiedenen Verletzungen ist dann Grundlage einer Einzelwürdigung, die in eine Mithaftungsquote mündet, in die jede als kausal festgestellte Verletzung mit ihrem sich bei den daraus folgenden Schäden zeigenden Gewicht eingeht (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 07.12.2006, 12 U 109/06 (juris)). Orientierungspunkte bieten die generell angenommenen Mithaftungsquoten (von 25 % sogar bis zu Höhe von pauschal 50 %) für Unfallverletzungen bei und infolge nicht angelegter Sicherheitsgurte (vgl. OLG Braunschweig, Urteil vom 27.03.2006, 7 U 96/05 (juris); OLG München, Urteil vom 14.12.1978, 24 U 433/78 (juris)).

Beim Kläger sind die Gesichtsverletzungen nahezu ausnahmslos dadurch hervorgerufen worden, weil dieser infolge Nichtanlegens des vorgeschriebenen Sicherheitsgurtes beim Zusammenstoß in die Windschutzscheibe geschleudert wurde. Diese Verletzungen wären unterblieben, wenn er angeschnallt gewesen wäre, so dass hier von einem erheblichen für die gesamten Verletzungen des Klägers ursächlichen Mitverschulden auszugehen ist. Dies Mitverschuldensquote bemißt das Gericht mit zusammen 40 %.

Da sich die Schnittverletzungen unfallchirurgisch gut behandeln ließen, sich außer Prellungen und der Gehirnerschütterung weder neurologische Ausfallerscheinungen noch Knochenbrüche ergaben, alles gut und nahezu vollständig ausheilte und im Ergebnis dann nur eine leichtgradige Lidhebeschwäche links verblieb, ist von einer allenfalls mittelschweren Verletzung ohne Dauerfolgen auszugehen, für die ein Schmerzensgeld zur Höhe von 4.000,00 Euro unter Berücksichtigung der beschriebenen Mithaftungsquote angemessen ist (vgl. ergänzend Hacks/Ring/Böhm, Schmerzensgeldbeträge 2007, 25. Aufl., Bonn 2007, Nr. 1040, 3000 Euro und immaterieller Vorbehalt bei Augenverletzung links mit Verlust des halben Sehvermögens ohne Mithaftung bei einem achtjährigen Jungen = LG Bückeburg, 12.06.2003, 1 S 200/01). Auf das angemessenen Schmerzensgeld zur Höhe von 4.000,00 Euro wurden bereits 3.000,00 Euro gezahlt, so dass nunmehr nur noch der Differenzbetrag zuzusprechen war.

Die Zinsentscheidung folgt aus den §§ 286, 288 ZPO.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92, 709 ZPO.