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OLG Hamm Beschluss vom 29.10.2007 - 2 Ss OWi 695/07 - Zum "Anlegen" des Sicherheitsgurts
OLG Hamm v. 29.10.2007: Zum "Anlegen" des Sicherheitsgurts
Das OLG Hamm (Beschluss vom 29.10.2007 - 2 Ss OWi 695/07) hat entschieden:
Der Sicherheitsgurt ist nicht angelegt im Sinne des § 21a Abs. 1 Satz 1 StVO, wenn der Betroffene das Gurtschloss zwar verriegelt, den Schultergurt jedoch nicht über die Schulter, sondern unter dem linken Arm geführt hat.
Siehe auch Sicherheitsgurt und Anschnallpflicht und Pflichten des Fahrzeugführers und Zustand des Fahrzeugs
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Hagen hat gegen den Betroffenen durch Urteil vom 18. Juli 2007 wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit (nicht ordnungsgemäßes Anlegen des Sicherheitsgurtes) gemäß den §§ 21 Abs. 1, 49 StVO, 24 StVG eine Geldbuße in Höhe von 30,00 EURO verhängt.
Es hat folgende Feststellungen getroffen:
"Am 17.04.2007 befuhr der Betroffene um 07.25 Uhr in I mit dem Pkw Audi, amtliches Kennzeichen: ... u.a. die X-Straße. Auf dieser Fahrt hatte er den Sicherheitsgurt in der Gestalt angelegt, dass er ihn vom Holm des Fahrzeugs unter der Achsel durch über die Brust bis zum Schloß des Gurtes geführt und dort eingeklinkt hatte. Er tat dieses wissentlich und willentlich, wobei mit letzter Sicherheit nicht auszuschließen ist, dass er gedacht hatte, eine derartige Gurtführung würde den Straßenverkehrsvorschriften entsprechen."
Der Betroffene hat gegen dieses Urteil die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt mit der Begründung, die Art des Anlegens eines Sicherheitsgurtes sei gesetzlich nicht geregelt, vielmehr liege insoweit eine Regelungslücke vor.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, den Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zulässig, da er frist- und formgerecht angebracht worden ist.
Da die festgesetzte Geldbuße nicht mehr als 100,00 Euro beträgt, richten sich die Voraussetzungen für die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 2 OWiG. Danach ist die Rechtsbeschwerde in den Verfahren mit den sogenannten weniger bedeutsamen Fällen nur zulässig zur Fortbildung des materiellen Rechts (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 OWiG) oder wenn das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben ist (§ 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG). Bei einer Verurteilung bis 100,00 Euro kann die Rechtsbeschwerde nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen werden; die Zulassung ist insoweit bei Verstößen bis 100,00 Euro noch weiter eingeschränkt.
Ebensowenig kann die Rechtsbeschwerde wegen der Verletzung formellen Rechts zugelassen werden.
1. Die materiell-rechtliche Überprüfung des Urteils führt vorliegend nicht zur Aufdeckung einer Rechtsfrage, die noch offen, zweifelhaft oder bestritten ist (Göhler, OWiG, 13. Aufl., § 80 Rd. 3 mit weiteren Nachweisen). Das Vorbringen in dem Zulassungsantrag lässt eine solche Rechtsfrage nicht erkennen. Insbesondere ist der Wortlaut des § 21 a Abs. 1 Satz 1 StVO nicht klärungsbedürftig. Danach müssen vorgeschriebene Sicherheitsgurte während der Fahrt "angelegt" sein.
Das Amtsgericht hat zutreffend angenommen, dass der Betroffene der Gurtanlegepflicht nicht nachgekommen ist, weil er - wie das Amtsgericht festgestellt hat - das Gurtschloss zwar verriegelt, den Schultergurt jedoch nicht über die Schulter, sondern unter dem linken Arm geführt hatte. Damit hatte er den vorgeschriebenen Sicherheitsgurt nicht angelegt im Sinne des § 21 a Abs. 1 Satz 1 StVO. Es ist hinreichend geklärt, dass das Anlegen des Sicherheitsgurtes nicht die beliebige Verwendung des Gurtes in irgendeiner Art und Weise bedeutet, sondern dass der Gurt nur dann "angelegt" ist, wenn er entsprechend seinem bestimmungsgemäßen Gebrauch ordnungsgemäß benutzt wird. Dies ist nur dann der Fall, wenn er so verwendet wird, dass er die ihm zugewiesene Schutzfunktion im Schulter- und Beckenbereich des Fahrzeuginsassen erfüllen kann, was nur dann zu bejahen ist, wenn der Schultergurt auch tatsächlich über die Schulter geführt wird (vgl. hierzu OLG Hamm VRS 69, 460; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage, § 21 a StVO Rdnr. 4 m. w. Nachweisen).
Von dieser Gurtanlegepflicht war der Betroffene auch nicht etwa nach § 21 a Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 - 6 StVO befreit.
Diese Auslegung der Vorschrift über die Anschnallpflicht entspricht dem Sinn und Zweck der Vorschrift. Es ist erwiesen, dass durch die Benutzung von Sicherheitsgurten die Zahl der Unfalltoten und Schwerverletzten erheblich gesenkt werden kann. Körperverletzungen bei Verkehrsunfällen können durch ordnungsgemäßes Anlegen eines Sicherheitsgurtes vermieden oder zumindest abgeschwächt werden. (vgl. Hentschel, a.a.O., § 21 a StVO Rdnr. 1). Ein derartiger Erfolg kann jedoch nur dann in vollem Umfang eintreten, wenn die vorgeschriebenen Sicherheitsgurte von den Fahrzeuginsassen so benutzt werden, wie es aufgrund der Konstruktion der Gurte vorgesehen ist. Nur der angepasste Gurt sichert optimal. Er muss der Körperbeschaffenheit des Trägers entsprechen, richtig angepasst und so angelegt sein, dass er die durch § 35 a StVZO erstrebte Rückhaltewirkung vollständig erfüllt (vgl. OLG Hamm a.a.O.). Das ist u.a. nicht der Fall, wenn der Schultergurt wie im vorliegenden Fall - unter der Achsel hindurchgeführt wird.
Nach den vorstehenden Ausführungen ist den genannten Vorschriften mit hinreichender Bestimmtheit zu entnehmen, welche Handlung mit Geldbuße bedroht ist (§ 1 OWiG). Der Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) ist bei der hier vorgenommen Auslegung der genannten Vorschrift der StVO nicht verletzt.
2. Da kein Grund besteht, die Rechtsbeschwerde zuzulassen, war dem Senat auch die an sich gebotene Abänderung des Schuldspruchs nicht eröffnet. Der Betroffene hätte lediglich wegen fahrlässiger Begehungsweise verurteilt werden dürfen, nicht aber wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen die Anschnallpflicht. Davon ist offensichtlich auch das Amtsgericht ausgegangen, wenn es dort in den Urteilsgründen heißt:
"Er tat dieses wissentlich und willentlich, wobei mit letzter Sicherheit nicht auszuschließen ist, dass er gedacht hatte, eine derartige Gurtführung würde den Straßenverkehrsvorschriften entsprechen."
Dieser Umstand, nämlich die Wahl der falschen Schuldform, begründet jedoch nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde. Die Zulassungsbeschwerde dient nicht der Einzelfallgerechtigkeit.
3. Die Zulassung der Rechtsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Verletzung rechtlichen Gehörs kommt ebenfalls nicht in Betracht; dies macht der Betroffene selbst nicht geltend.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 46 Abs. 1 OWiG).