Das Verkehrslexikon

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OLG Karlsruhe Beschluss vom 12.08.2010 - 1 (8) SsRs 366/09 - AK 92/09 - Verfahrenseinstellung bei Schweigen des Betroffenen

OLG Karlsruhe v. 12.08.2010: Zur Verfahrenseinstellung bei Schweigen des Betroffenen


Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 12.08.2010 - 1 (8) SsRs 366/09 - AK 92/09) hat entschieden:
  1. Hat der Betroffene seine Fahrereigenschaft zugestanden und erklärt, er werde in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache machen, ist seine persönliche Anwesenheit in der Hauptverhandlung im Sinne von § 73 OWiG im Regelfall entbehrlich.

  2. Die Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung kann auch dann noch zur weiteren Sachaufklärung dienen, wenn hierfür die bloße physische Präsenz des berechtigterweise schweigenden Betroffenen genügt.

  3. Eine Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 Satz 2 OWiG ist veranlasst, wenn eine etwaige Ahndung der Tat unter Berücksichtigung des mutmaßlichen weiteren Verfahrensverlaufs in keinem Verhältnis zur Bedeutung der Tat und den damit verbundenen zusätzlichen Belastungen für den Betroffenen steht.

Siehe auch Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung und Säumnis des Betroffenen und Einstellung des Verfahrens wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit


Gründe:

I.

Mit Urteil vom 16.06.2009 verwarf das Amtsgericht K. den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid der Stadt K. vom 06.02.2009, weil der Betroffene trotz ordnungsgemäßer Ladung zur Termin zur Hauptverhandlung nicht erschienen sei, obwohl er von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen nicht entbunden gewesen war. Gegenstand des Bußgeldbescheids der Stadt Karlsruhe vom 06.02.2009, durch welchen gegen den Betroffenen eine Geldbuße in Höhe von 40 Euro festgesetzt worden war, ist der Vorwurf, dieser habe am 02.02.2009 um 10:02 Uhr in 7 K. Öst. R. Straße als Führer des Pkw der Marke Volvo mit dem amtl. Kennzeichen C. verbotswidrig ein Mobil- oder Autotelefons benutzt. Gegen dieses Urteil hat der Betroffene Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt, mit welchem er unter dem Gesichtspunkt der Verletzung rechtlichen Gehörs vorträgt, das Amtsgericht habe den Betroffenen aufgrund seines Antrags vom 28.05.2009 zu Unrecht nicht vom Erscheinen in der Hauptverhandlung entbunden.

Der Senat hat dem Betroffenen und der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe Gelegenheit zu Stellungnahme zur Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 Satz 2 gegeben.


II.

Eine Ahndung des Verkehrsverstoßes ist nicht mehr geboten.

Eine Einstellung des Verfahrens nach § 47 Abs. 2 Satz 2 StPO war vorliegend veranlasst, weil eine etwaige Ahndung der Tat unter Berücksichtigung des mutmaßlichen weiteren Verfahrensverlaufs in keinem Verhältnis zur Bedeutung der Tat und den damit verbundenen zusätzlichen Belastungen für den Betroffenen stünde (vgl. hierzu Senat VersR 2010, 84 f., abgedruckt bei juris; Thüringer Oberlandesgericht VRS 113, 368 f.). Insoweit ist zunächst zu sehen, dass vorliegend die Rechtsbeschwerde aufgrund der formgerecht erhobenen Verfahrensrüge wegen Verletzung rechtlichen Gehörs deshalb zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung desselben zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Karlsruhe geführt hätte, weil dieses den Einspruch des Verurteilten nach § 74 Abs.2 OWiG verworfen hat, ohne sich in den Gründen des Urteils mit den Antrag des Betroffenen auf Entbindung von der Erscheinenspflicht und dessen gerichtlicher Behandlung auseinanderzusetzen (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22.10.2009, 1 SsRs 34/09, abgedruckt bei juris; OLG Bamberg ZfSch 2008, 413 ff.; vgl. auch OLG Celle VRS 116, 451 ff.). Nach § 73 Abs.2 OWiG hat das Gericht den Betroffenen auf seinen Antrag von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandlung zu entbinden, wenn er sich zur Sache geäußert oder wenn er erklärt hat, er werde sich in der Hauptverhandlung nicht (weiter) zur Sache äußern, und seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte des Sachverhalts nicht erforderlich ist. Dabei ist zu beachten, dass im Gegensatz zur früheren Rechtslage (vgl. BGHSt 38, 251 ff.) die Entscheidung über den Entbindungsantrag nicht mehr in das Ermessen des Gerichts gestellt ist. Vielmehr ist dieses nunmehr verpflichtet, dem Entbindungsantrag zu entsprechen, sofern die Voraussetzungen des § 73 Abs. 2 OWiG vorliegen (OLG Karlsruhe ZfS 2005, 154 f.; KK-OWiG/Senge, 3. Aufl. 2006, § 73 OWiG, Rn. 23 m. w. N.). Hat der Betroffene seine Fahrereigenschaft zugestanden und erklärt, er werde in der Hauptverhandlung keine Angaben zur Sache machen, ist seine persönliche Anwesenheit in der Hauptverhandlung im Sinne des § 73 OWiG im Regelfalle entbehrlich; seine Anwesenheit kann nach § 73 OWiG allerdings dann noch zur weiteren Sachaufklärung dienen, wenn hierfür die bloße physische Präsenz des – berechtigterweise – schweigenden Betroffenen genügt (OLG Bamberg ZfSch 2008, 413 ff. und Beschluss vom 17.08.2009, 3 SsOWi 780/09), etwa wenn dies zur Auffrischung des Erinnerungsvermögens des Zeugen ausnahmsweise erforderlich und geboten ist. Hingegen kann ein notwendig zu erwartender Aufklärungserwartung nicht darauf gestützt werden, dass ein berechtigterweise von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machender Betroffener seinen Entschluss zum Schweigen möglicherweise überdenkt oder ein Zeuge bei Anwesenheit des Betroffenen zuverlässigere Angaben machen könnte (OLG Bamberg, Beschluss vom 17.08.2009, 3 SsOWi 780/09; OLG Köln NZV 2009, 52; anders noch zur früheren Rechtslage BGHSt 38, 251 ff.).

Bei dieser Sachlage hätte sich das Amtsgericht daher in seinem Urteil zunächst näher zu der Frage verhalten müssen, inwieweit tatsächlich von der Anwesenheit des Betroffenen in der Hauptverhandlung eine weitere Sachaufklärung zu erwarten gewesen wäre. Sodann hätte es diese begründete Erwartung mit der Möglichkeit des Einsatzes milderer Mittel (Göhler, OWiG, 15. Aufl. 2009, § 73 Rn. 8), etwa der Erhebung eines Lichtbildes und der Vorlage desselben an den Zeugen, mit der Bedeutung der Sache und der Zumutbarkeit der Erscheinenspflicht für den Betroffenen abwägen müssen (Bay.ObLG DAR 2002, 133 f.; dass. NStZ-RR 1997, 246 f.; KG ZfSch 1999, 536; Göhler a.a.O.). Eine solche vom Senat im Zulassungsverfahren unter dem Gesichtspunkt der Verletzung rechtlichen Gehörs jedenfalls nur eingeschränkt überprüfbare Erörterung (vgl. OLG Frankfurt NZV 2009, 615 f.: Willkür; OLG Köln NZV 2009, 52: nachvollziehbare Gründe) hat das Amtsgericht jedoch nicht angestellt, weshalb das Urteil an sich der Aufhebung und der Zurückverweisung unterliegen würde.

Hiervon hat der Senat jedoch abgesehen und das Verfahren nach § 47 Abs.2 Satz 2 OWiG eingestellt. Insoweit war neben der geringen Bedeutung des Verfahrens und der erheblichen Belastung für den Betroffenen vor allem maßgeblich, dass ein die Anordnung der Erscheinenspflicht überhaupt rechtfertigender mutmaßlicher Aufklärungserfolg mehr als fraglich erscheint, nachdem der Zeuge S.in der Hauptverhandlung am 28.04.2009 erklärt hatte, sich an den Vorfall nach Aktenlage nicht mehr erinnern zu können, und bekundet hat, eine solche Erinnerung sei allenfalls "möglich", wenn er den Betroffenen sehe. Ob sich im Zusammenwirken mit anderen Beweismitteln eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte, vermag der Senat nicht zu beurteilen, da sich das Urteil hierzu nicht verhält.

Das Verfahren war daher einzustellen. Einer - hier vorliegenden - Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe (§ 47 Abs. 2 Satz 2 OWiG) oder einer vorherigen Zulassung der Rechtsbeschwerde (Senat NZV 2004, 654 f.; Göhler, a.a.O., Rn. 41) bedurfte es hierzu nicht.


III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1 OWiG, 467 Abs. 1 und 4 StPO. Nach den vorherigen Ausführungen besteht entsprechend des Antrags der Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe vom 10.08.2010 - anders als in Fällen der fehlenden Zulassungsvorrausetzungen nach § 80 OWiG - kein Anlass, die notwendigen Auslagen des Betroffenen nicht der Staatskasse aufzuerlegen, da eine Verurteilung des Betroffenen in einer neuen Verhandlung nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten steht (Göhler, a.a.O., Rn. 51), sondern eher mit einem Freispruch zu rechnen wäre. Bei dieser Sachlage kann - anders als bei höchstwahrscheinlicher Täterschaft - von einer Belastung der Staatskasse auch nicht deshalb abgesehen werden, weil der Verteidiger im Schreiben vom 11.08.2010 erklärt hat, sich eine "anteilige Kostenregelung im Hinblick auf die notwendigen Auslagen des Betroffenen vorstellen" zu können, da eine solche Bereitschaft nicht zur Umgehung der gesetzlichen Regelung des § 467 Abs. 4 StPO i.V.m. § 46 Abs.1 OWiG führen darf (so auch KK-OWiG/Schmehl, a.a.O., § 105 Rn. 114).