Das Verkehrslexikon
OLG Naumburg Urteil vom 28.06.2013 - 10 U 5/12 - Beweisantrag zur Erkennbarkeit eines Hindernisses
OLG Naumburg v. 28.06.2013: Beweisantrag zur Erkennbarkeit eines Hindernisses für einen Radfahrer
Das OLG Naumburg (Urteil vom 28.06.2013 - 10 U 5/12) hat entschieden:
Ist nicht auszuschließen, dass ein Hindernis - hier: Aufwölbung auf einem Radweg - zwar in der Annäherung erkennbar ist, aber so aussieht, als sei es für einen geübten Radfahrer problemlos zu überfahren, ohne dass dies so ist, so ist dem hierzu angebotenen Sachverständigenbeweis nachzugehen.
Siehe auch Radweg und Radwegbenutzungspflicht und Der Beweisantrag im Zivilprozess
Gründe:
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte unter dem Gesichtspunkt der Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflicht auf den Ersatz seines materiellen Schadens und Zahlung eines Schmerzensgelds in Anspruch.
Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird gem. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung des Klägers und Vernehmung seiner Ehefrau als Zeugin abgewiesen. Eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht liege nicht vor, da aus den vorgelegten Lichtbildern ersichtlich sei, dass die deutliche Aufwölbung für einen aufmerksamen Radfahrer schon in der Annäherung erkennbar sei und er - zumal mit einem Rennrad mit schmalen Reifen - schon aufgrund der Beschaffenheit der Straßenoberfläche im Bereich der Unfallstelle Anlass zu einer vorsichtigen Fahrweise gehabt habe. Den Angaben der Zeugin P., die Schwelle sei nicht erkennbar gewesen, könne nicht gefolgt werden, da sie erklärt habe, sie habe sich vor dem Sturz allein an ihrem vorausfahrenden Ehemann orientiert und die Bitumenstelle selbst gar nicht wahrgenommen. Aus ihren Angaben ergebe sich aber, in Einklang mit den Fotos, dass die Schwelle nicht an einer Stelle besonders hoch gewesen sei. Nach den Fotos steige diese zur Mitte der Fahrbahn hin leicht an und falle dann wieder ab. Der Kläger hätte unter Beachtung des Rechtsfahrgebots auch gar keinen Anlass gehabt, in der Fahrbahnmitte und damit im Bereich der höchsten Erhebung zu fahren.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger die erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche in vollem Umfang weiter. Er wendet sich gegen die Tatsachenfeststellungen des Landgerichts und rügt, das Landgericht habe die Angaben der Zeugin P. unzutreffend gewürdigt sowie die weiteren angebotenen Beweise nicht erhoben. Die Zeugin P. habe gerade bestätigt, dass es sich um eine ungewöhnliche und aufgrund der Farbe auch nicht erkennbare Aufwölbung gehandelt habe. Gerade weil andere Bitumenstellen zwischen den Betonplatten gefahrlos hätten überfahren werden können, habe er nicht mit einer wie eine Bodenschwelle herausragenden Erhebung rechnen müssen. Ein rechtsseitiges Umfahren der Schwelle sei wegen der parkenden PKW und des Sicherheitsabstandes nicht möglich gewesen. Für eine Abwehrreaktion sei dem Kläger keine Zeit geblieben, da er das Gefühl gehabt habe, wie gegen einen Bordstein gefahren zu sein. Das Landgericht habe nicht aus eigener Sachkunde zu der Einschätzung kommen dürfen, die Bodenschwelle hätte durch einen Radfahrer in der Annäherung bemerkt werden müssen, sondern das angebotene Sachverständigengutachten einholen müssen. Zudem hätte die Zeugin B vernommen werden müssen, denn ihre Aussage, es sei schon wieder jemand gestürzt, zeige, dass es sich um eine ungewöhnliche und nicht vorhersehbare Gefahr gehandelt habe.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des am 13.01.2012 verkündeten Urteils des Landgerichts Stendal, Az. 21 O 166/11, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen Schadensersatz in Höhe von 501,59 € sowie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.12.2010 sowie weitere Anwaltskosten in Höhe von 718,40 € ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Senat hat die Zeugin P. ergänzend vernommen und weiter Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin B.. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird insoweit auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 01.06.2012 (Bd. II Bl. 1 ff. d.A.) Bezug genommen. Der Senat hat zudem Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten des Sachverständigen S. vom 29.04.2013 (Bd. II Bl. 49 ff. d.A.) Bezug genommen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache keinen Erfolg.
Die Beklagte haftet nicht gem. § 839 BGB i.V.m. Art. 34 GG aufgrund einer Verletzung ihrer Verkehrssicherungspflichten für die dem Kläger aufgrund des Unfalls vom 04.08.2012 entstandenen materiellen und immateriellen Schäden. Wie zwischen den Parteien nicht im Streit steht, obliegt ihr zwar gem. § 40 Abs. 1, 42 Abs. 1 S. 2 StG LSA die Verkehrssicherungspflicht für die Straße, auf welcher der Kläger mit seinem Fahrrad gestürzt ist. Dies bedeutet nicht, dass die Beklagte verpflichtet gewesen wäre, für eine Straßenbeschaffenheit Sorge zu tragen, die jede nur denkbare Gefährdung von Verkehrsteilnehmern ausschließt. Dies ist mit zumutbaren Mitteln praktisch nicht zu erreichen. Wie bereits das Landgericht zutreffend herausgestellt hat, muss vielmehr der Benutzer einer Straße diese vielmehr grundsätzlich so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet und sein Verkehrsverhalten hierauf einstellen. Im Rahmen ihrer Verkehrssicherungspflicht war die Beklagte daher gehalten, diejenigen Gefahren auszuräumen, die für einen Verkehrsteilnehmer bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht erkennbar waren, oder, wo dies nicht kurzfristig möglich war, vor diesen Gefahren in geeigneter Weise zu warnen.
Die Beklagte würde daher nur dann für die Folgen des Sturzes des Klägers haften, wenn es sich um eine Unebenheit in der Fahrbahn gehandelt hätte, deren spezifische Gefährlichkeit für einen aufmerksamen Verkehrsteilnehmer nicht erkennbar gewesen wäre.
Insoweit ist jedoch zu unterscheiden: mit dem Landgericht ist auch der Senat der Überzeugung, dass sich schon aus den dort wie hier in Augenschein genommenen Lichtbildern von der Unfallstelle zweifelsfrei ergibt, dass die Aufwölbung als solche wegen des durchaus markant abweichenden Farbtonunterschieds zu der Betonplattenfläche, aber auch wegen ihrer nicht nur unbeträchtlichen Höhe für einen aufmerksamen Radfahrer in der Annäherung erkennbar gewesen wäre. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit auf die den Sachverhalt auch angesichts des Berufungsvorbringens erschöpfend und zutreffend würdigenden Ausführungen des Landgerichts in dem angefochtenen Urteil Bezug. Dies gilt auch, soweit die Ehefrau des Klägers hierzu als Zeugin vernommen worden ist. Soweit sie bekundet hat, die Aufwölbung in der eigenen Annäherung nicht erkannt zu haben, hat sie die Erklärung hierfür schon vor dem Landgericht selbst gegeben und in ihrer ergänzenden Einvernahme vor dem Senat nochmals wiederholt. Sie habe sich, so ihre in jeder Hinsicht plausible und nachvollziehbare Schilderung, an ihrem nur in geringem Abstand von einem bis anderthalb Meter vorausfahrenden Ehemann orientiert und auf diesen geschaut. Dessen Fahrverhalten wie auch die unmittelbare Reaktion auf das Hindernis, das Hochreißen seiner Hände, hat sie wahrgenommen und geschildert, hingegen nur in allgemeiner Form bekundet, man schaue ja auch auf die Straße. Ferner hat sie erklärt, als sie nach dem Unfall einige Meter zurückgegangen sei, sei die Aufwölbung für sie auch erkennbar gewesen. Die Aufwölbung habe sich auch farblich vom Grau der Betonplatten unterschieden. Schon damit steht zuverlässig fest, dass die Aufwölbung zu erkennen gewesen wäre. Ob die Zeugin sie aufgrund der Blickzuwendung auf ihren Ehemann oder aber wegen des nur geringen Abstands zu diesem tatsächlich bei der eigenen Annäherung nicht wahrgenommen hat, ist unerheblich. Entscheidend ist, dass sie auch nach ihren Bekundungen wahrnehmbar gewesen wäre.
Allerdings hielt es der Senat, auch im Ergebnis der ergänzenden Vernehmung der Zeugin B., für vorstellbar, dass zwar die Aufwölbung als solche in der Annäherung erkennbar war, damit aber nicht notwendigerweise auch zugleich eine mögliche spezifische Gefährlichkeit gerade für Radfahrer aufgrund ihrer besonderen Formgebung. Den zur Akte gereichten Lichtbildern vom 07.08.2010 lässt sich hierzu zum einen entnehmen, dass die Aufwölbung - wie sich aus dem Vergleich mit dem dort aufgestellten Taschenfeuerzeug ergibt - immerhin im mittleren Bereich eine Höhe von ca. 6 cm erreicht hat, was in etwa der Höhe einer Bordsteinkante entspricht. Zum anderen handelt es sich, wie dem aus der Draufsicht erstellten Foto zu entnehmen ist, nicht nur um ein ganz schmales, sondern etwa ca. 15 bis 20 cm breites Hindernis. Der von der Zeugin B. geschilderte Umstand, wonach in den Wochen zuvor an derselben Stelle schon zwei weitere erwachsene Radfahrer gestürzt waren, gibt einen weiteren Anhaltspunkt dafür, dass es sich möglicherweise um eine nicht zuverlässig in ihrer spezifischen Gefährlichkeit erkennbare Aufwölbung gehandelt hat. Es war daher nicht auszuschließen, dass es sich um ein Hindernis handelte, das zwar in der Annäherung erkennbar war, aber so aussah, als ob es für einen geübten Radfahrer problemlos zu überfahren war, dies aber tatsächlich nach seiner Formgebung nicht war. Da der Senat sich zu einer solchen Bewertung nicht hinreichend sachkundig sah, war dem Beweisangebot auf Einholung eines Sachverständigengutachtens nachzugehen.
Im Ergebnis der ergänzenden Beweisaufnahme hat der Senat allerdings keinen Zweifel mehr daran, dass die auf der R. Straße entstandene Bitumenaufwölbung bei der von dem Kläger behaupteten Geschwindigkeit von 15 km/h auch angesichts ihrer besonderen Formgebung bei Anwendung der gebotenen Sorgfalt gefahrlos hätte passiert werden können. Das Ergebnis der beiden Versuche des Sachverständigen S. war insoweit eindeutig, als es bei beiden Vergleichsfahrversuchen zu keiner relevanten Bewegung der Vordergabel des Fahrrades kam, welche einen Sturz hätte auslösen können. Damit steht fest, dass auch ein Hindernis wie jenes, an dem der Kläger gestürzt ist, mit der vom Kläger behaupteten Geschwindigkeit ohne Gefahr für die Stabilität des Fahrrades hätte überfahren werden können.
Der Sachverständige hat in seinem Gutachten die Ergebnisse von zwei Versuchen bei dem Überfahren von Hindernissen geschildert, welche er nach Art und Größe für vergleichbar hielt. Da die Aufwölbung am Unfallort selbst bereits beseitigt ist, blieb nur die Untersuchung an einem anderen, der Unfallstelle vergleichbaren Ort, so dass das methodische Vorgehen des Sachverständigen unbedenklich erscheint. Soweit der Kläger dies für das erste Vergleichsobjekt, die auf den Fotos 4, 7 und 8 dokumentierte Aufwölbung, in seiner Stellungnahme zu dem Sachverständigengutachten mit dem Vorbringen bezweifelt, es handele sich hierbei um eine zur Verkehrsberuhigung im Hofbereich bewusst angebrachte Schwelle, hält der Senat diesen Einwand nicht für überzeugend. Maßgeblich ist nicht, dass es sich im einen Fall um eine zufällig durch Hitzeeinwirkung entstandene Aufwölbung handelt und im anderen Fall um ein künstlich zur Verkehrsberuhigung geschaffenes Hindernis, sondern ob beide Aufwölbungen ihrer Form und Höhe nach vergleichbar sind. Dies ist der Fall, denn auch bei der von dem Sachverständigen ausgewählten Aufwölbung im Hofbereich handelt es sich um eine mit ca. 5, 5 cm vergleichbar hohe und ebenfalls - wie den Fotos zu entnehmen ist - nicht schroff aufragende, sondern über eine Breite von 15 bis 20 cm aufsteigende und wieder abfallende Aufwölbung. Aus dem Vergleich der von dem Kläger vorgelegten Fotos von der Unfallstelle und den Fotos im Gutachten des Sachverständigen wird zuverlässig deutlich, dass sich die Formgebung beider Aufwölbungen nach Höhe, Anstiegswinkel und Erstreckung in der Breite entsprechen. Richtig ist zwar, dass die Aufwölbung an der Unfallstelle keine einheitliche Höhe aufweist, sondern die der Beweisfrage zugrunde gelegte Höhe ausweislich der vorgelegten Fotos nur in deren mittleren Bereich vorhanden war. Wenn aber schon eine solche Höhe gefahrlos zu überfahren war, ist nicht erkennbar, weshalb dies im relativ niedrigeren Randbereich auf der linken oder rechten Seite der Aufwölbung nicht erst recht der Fall gewesen sein sollte.
Der weitere Einwand des Klägers, der durch die Fotos 5 und 6 des Gutachtens belegte zweite Untersuchungsort sei mit der Unfallstelle nicht vergleichbar, trifft für sich genommen zu, stellt aber das Ergebnis des Sachverständigengutachtens nicht in Frage. Wie sich dem Text des Gutachtens entnehmen lässt, war auch dem Sachverständigen bewusst, dass es sich nicht um eine der Unfallstelle in jeder Hinsicht vergleichbare Aufwölbung handelt. Die dort dokumentierte Kante zum Fahrradweg in der C. Straße in B. ist niedriger, dafür aber schroff aufsteigend, nicht über eine breitere Fläche wellenförmig ansteigend wie an der Unfallstelle. Der Sachständige stellt mit seiner Feststellung, dass selbst eine solche Aufwölbung ohne für die Stabilität des Fahrrades gefährliche Bewegungen in der Vorderradgabel überfahren werden konnte, erkennbar im Sinn eines argumentum a forteriori darauf ab, dass bei der vom Kläger behaupteten Geschwindigkeit sogar eine der äußeren Formgebung nach noch schroffere Kante als jene an der Unfallstelle ohne Risiko für die Stabilität des Fahrrads hätte überfahren werden können. Selbst wenn man dem wegen der niedrigeren Höhe dieser Kante nur eingeschränkt folgen wollte und lediglich auf das Ergebnis des Fahrversuchs an der ersten Vergleichsaufwölbung abstellt, bliebe jedoch die Feststellung des Sachverständigen unberührt, dass jedenfalls die erste, der Unfallstelle hinreichend vergleichbare Aufwölbung bei der behaupteten Geschwindigkeit gefahrlos zu überfahren gewesen wäre.
Soweit der Kläger schließlich zu bedenken gibt, er sei keinesfalls genau im rechten Winkel über die Aufwölbung gefahren, besteht kein Anlass, den Sachverständigen hierzu ergänzend zu befragen. Wie der erkennende Richter aus eigener Lebenserfahrung zu beurteilen vermag, kann es in der Tat die Stabilität eines Fahrrades beeinflussen, wenn ein Fahrradfahrer versuchen wollte, einen Höhenunterschied in der Fahrbahn in einem allzu spitzen Winkel zu überwinden. Ein Überfahren des Hindernisses an der Unfallstelle in einem derart spitzen Winkel wäre jedoch weder nach dessen Lage innerhalb der Fahrbahn für die Beklagte zu erwarten gewesen noch behauptet der Kläger derartiges. Kleinere Abweichungen von einer rechtwinkligen Annäherung bleiben demgegenüber nach der allgemeinen Lebenserfahrung als Radfahrer für die Stabilität des Fahrrads ohne Auswirkungen.
Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob die Einschätzung der Geschwindigkeit des klägerischen Fahrrads durch seine als Zeugin vernommene Ehefrau zutreffend erfolgt ist oder ob, falls dies so war, der Kläger es an der gebotenen Aufmerksamkeit hinsichtlich der Beschaffenheit des vor ihm liegenden Straßenabschnitts hat fehlen lassen. In beiden Fällen hat er für die Folgen seines Sturzes selbst einzustehen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Die Entscheidungen zur vorläufigen Vollstreckbarkeit dieses wie auch des angefochtenen Urteils ergehen gem. §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die in § 543 Abs. 2 ZPO genannten Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren war gem. §§ 47, 48 GKG i.V.m § 3 ZPO festzusetzen.