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OLG Stuttgart Urteil vom 27.11.2013 - 9 U 179/12 - Erwerbsschaden bei verkehrsunfallbedingtem Verlust des Arbeitslosengeld II

OLG Stuttgart v. 27.11.2013: Erwerbsschaden bei verkehrsunfallbedingtem Verlust des Arbeitslosengeld II und Forderungsübergang


Das OLG Stuttgart (Urteil vom 27.11.2013 - 9 U 179/12) hat entschieden:
Bei dem Arbeitslosengeld II handelt es sich um einen übergangsfähigen Erwerbsschaden (Anschluss an BGH, 25. Juni 2013, VI ZR 128/12).


Siehe auch Erwerbsschaden - Einkommensnachteile - Verdienstausfall - entgangener Gewinn und Unfallbedingter Verlust des Arbeitslostengeldes und Forderungsübergang des Anspruchs auf auf Sozialversicherungsträger


Gründe:

I.

Der klagende Rentenversicherungsträger verlangt von der beklagten Kfz-​Haftpflichtversicherung Schadensersatz im Zusammenhang mit dem behaupteten Wegfall des Anspruchs ihres Versicherten auf Arbeitslosengeld II.

Wegen des Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen des Urteils des Landgerichts Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen gemäß §§ 116, 119 SGB X übergegangenen Anspruch auf Schadensersatz. Bei dem Arbeitslosengeld II handele es sich nicht um einen übergangsfähigen Erwerbsschaden, weil diesem die Lohnersatzfunktion fehle. Über die Frage, ob es dem Versicherten möglich gewesen wäre, eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen, wenn der Unfall nicht geschehen wäre, brauche kein Beweis erhoben zu werden. Die Klägerin habe mit Schriftsatz vom 08.05.2012 erklärt, dass der Versicherte hierzu nicht mehr in der Lage gewesen wäre.

Gegen das ihr am 16.08.2012 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 14.09.2012 Berufung eingelegt und diese am 08.10.2012 mit einer Begründung versehen. Sie ist der Auffassung, bei einem unfallbedingten wegfallenden Anspruch auf Arbeitslosengeld II handele es sich um einen erstattungspflichtigen Erwerbsschaden. Es sei vollkommen unstreitig, dass infolge des Verkehrsunfalls Erwerbsunfähigkeit eingetreten sei und dieses Anspruchsmerkmal deshalb unfallbedingt entfallen sei.

Die Klägerin beantragt:
  1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 40.751,89 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

  2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, auf sämtliche weiteren gemäß § 116, 119 SGB X auf die Klägerin übergegangenen Schadensersatzansprüche Zahlung zu leisten.
Die Beklagte beantragt:
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und insbesondere die Behauptung, dass der Versicherte zum Zeitpunkt des Unfalles weder in der Lage gewesen sei, seine Arbeitskraft gegen Entgelt zu verwerten, noch dies vorgehabt habe.


II.

Die gem. § 511 ZPO statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und mit einer Begründung versehene Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Dies ergibt sich zwar nicht daraus, dass es sich bei dem Arbeitslosenentgelt II nicht um einen nicht übergangsfähigen Erwerbsschaden handele. Die gegenteilige Auffassung, der sich der Senat anschließt, hat der Bundesgerichtshof in seiner nach Erlass des landgerichtlichen Urteils ergangenen Entscheidung vertreten (BGH, Urt. v. 25.06.2013 – VI ZR 128/12). Auf die auch auf den vorliegenden Fall übertragbaren Erwägungsgründe wird Bezug genommen.

Die Klägerin hat jedoch nicht die tatsächlichen Voraussetzungen eines Schadens dargelegt. Voraussetzung für einen gem. § 116 SGB X übergegangenen Schadensersatzanspruch gemäß §§ 823 Abs. 1, 842 BGB, §§ 7 Abs. 1, 11, 18 StVG i. V. m. § 3 PflVersG ist, dass der Geschädigte zum Zeitpunkt des Unfalls einen – zukünftigen – Anspruch auf Arbeitslosengeld II hatte, der durch den Unfall weggefallen ist. Der Anspruch auf Arbeitslosengeld II setzt die Erwerbsfähigkeit des Zeugen H. voraus. Hierfür ist der Geschädigte bzw. aufgrund des Anspruchsübergangs die Klägerin als Anspruchstellerin darlegungs- und beweisbelastet. Die Klägerin hat jedoch in der 1. Instanz die fehlende Erwerbsfähigkeit des Zeugen unstreitig gestellt, so dass sie in der Berufungsinstanz gemäß §§ 529, 531 Abs. 2 ZPO nicht mehr vorbringen kann, der Geschädigte sei doch ohne Unfall erwerbsfähig gewesen. Der Senat ist an den erstinstanzlichen unstreitigen Parteivortrag gebunden. Dass die fehlende Erwerbsunfähigkeit des Zeugen auch ohne Unfall unstreitig war, ergibt sich aus Folgendem:

Zwar hat die Klägerin mit der Klage (S. 5) noch unter Beweisantritt (Zeuge H.) vorgetragen, dass der Geschädigte wieder ein Erwerbseinkommen hätte erzielen können. Trotz des Bestreitens der Beklagten in der Klageerwiderung (S. 2, GA 34) ist die Klägerin zunächst davon ausgegangen, der unfallbedingte Verlust der Arbeitsunfähigkeit sei unstreitig (GA 40). Im Schriftsatz vom 18.07.2011 (S. 3, GA 56) hat die Klägerin erneut die Arbeitsfähigkeit zum Unfallzeitpunkt behauptet. Das Landgericht hat daraufhin mit Verfügung vom 17.08.2011 (GA 66) die Ladung des Zeugen H. zum Beweisthema "Erwerbsfähigkeit des Zeugen H. vor dem Unfall vom 24.03.2006" angeordnet. Die Klägerin hat ergänzend für die Absicht des Zeugen H., ein weiteres Arbeitsverhältnis einzugehen, dessen Ehefrau benannt, die das Landgericht nachträglich als Zeugen zum Thema Erwerbsfähigkeit des Geschädigten geladen hat (GA 78). Mit Schriftsatz vom 08.05.2012 (GA 94) hat die Klägerin "nach Rücksprache mit der Ehefrau des Zeugen H." mitgeteilt, dass eine Integration in das Arbeitsleben und die Aufnahme eines Minijobs, auch wenn der Geschädigte dies gewünscht hätte, nicht mehr möglich gewesen sei. Aus diesem Grund hat die Klägerin von ihrem bisherigen Vortrag Abstand genommen und um die Abladung der beiden Zeugen gebeten. Dies hat das Landgericht die folgt und in seinem Urteil zur Frage der Erwerbsfähigkeit ausgeführt, dass hierüber kein Beweis mehr zu erheben gewesen sei, nach den Erklärungen der Klägerin im Schriftsatz vom 08.05.2012 (LGU 7). Vor diesem Hintergrund kann die Klägerin nicht mehr auf ihr früheres, ausdrücklich fallen gelassenes Vorbringen zurückkommen.

Die Auffassung der Klägerin, die Beklagte treffe die Darlegungs- und Beweislast für die fehlende Erwerbsfähigkeit des Geschädigten trifft nicht zu. Die Klägerin muss die anspruchsbegründenden Tatsachen beweisen. Die Frage ist vor dem Hintergrund des eigenen Vortrages aber auch unerheblich. Für eine Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO besteht ebenfalls kein Raum.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision war nicht gem. § 543 Abs. 2 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordern. Die Entscheidung weicht nicht von Entscheidungen anderer Obergerichte oder des Bundesgerichtshofs ab und beruht im Wesentlichen auf den Umständen des Einzelfalls.