Das Verkehrslexikon

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OLG Jena Beschluss vom 01.02.2013 - 1 Ss Bs 61/12 - Verwertbarkeit der durch einen Polizeibeamten vorgenommenen Verwiegung eines Lkw mit Anhänger

OLG Jena v. 01.02.2013: Zur Verwertbarkeit der durch einen Polizeibeamten vorgenommenen Verwiegung eines Lkw mit Anhänger


Das OLG Jena (Beschluss vom 01.02.2013 - 1 Ss Bs 61/12) hat entschieden:
Es ist nicht generell unzulässig und führt zu keinem Beweisverwertungsverbot, wenn ein Polizeibeamter - insbesondere dann, wenn kein sonstiges Bedienungspersonal zur Verfügung steht - Fahrzeuge auf einer Fahrzeugwaage selbst verwiegt und das Wiegeergebnis in einer von § 70 Abs. 2 EichO abweichenden Weise dokumentiert. Dies gilt jedenfalls dann, wenn keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Bedienung gegeben sind und die vorgenommene Dokumentation hinreichend zuverlässig erscheint.


Siehe auch Überladung - Ladegewicht - Zuladung und Fuhrparküberwachung


Gründe:

I.

Dem Betroffenen wird vorgeworfen, als Führer einer mit Holzstämmen beladenen Fahrzeugkombination, bestehend aus einem LKW mit dem amtlichen Kennzeichen H und einem mit dem amtlichen Kennzeichen H versehenen Anhänger, am 26.05.2011 gegen 20.25 Uhr in F auf der Bundesstraße 90 in Richtung S unter Verstoß gegen § 34 Abs. 3 Satz 3 StVZO das für die Fahrzeugkombination zulässige Gesamtgewicht von 40.000 kg um - nach Abzug eines Toleranzgewichts von 80 kg - 31,35 % überschritten und es entgegen § 22 Abs. 4 Satz 3 und 4 StVO unterlassen zu haben, an der über 1 m hinausragenden Ladung in der vorgeschriebenen Höhe Sicherungsmittel anzubringen. Wegen dieser Verkehrsordnungswidrigkeit wurde gegen den Betroffenen mit Bußgeldbescheid der Zentralen Bußgeldstelle der Thüringer Polizei vom 07.07.2011 eine Geldbuße von 392,50 € verhängt. Der Bußgeldbescheid wurde dem Betroffenen am 12.07.2011 zugestellt, der hiergegen am 21.07.2011 mit Schriftsatz seines Verteidigers Einspruch erhob.

Mit Urteil vom 08.06.2012 hat das Amtsgericht Pößneck - Zweigstelle Bad Lobenstein - den Betroffenen wegen fahrlässigen Führens einer Fahrzeugkombination, deren zulässiges Gesamtgewicht - unter Berücksichtigung eines höheren Toleranzabzugs von insgesamt 200 kg - um 31,05 % überschritten war, in Tateinheit mit einer unzureichenden Ladungssicherung zu einer Geldbuße von 392,50 € verurteilt. Hiergegen hat der Betroffene am 13.06.2012 Rechtsbeschwerde eingelegt. Nach Zustellung des mit Gründen versehenen Urteils an den Verteidiger des Betroffenen am 28.06.2012 hat dieser die Rechtsbeschwerde am 27.07.2012 mit der Verletzung materiellen Rechts begründet. Er hat insbesondere die Fehlerhaftigkeit der vorgenommenen Verwiegung der Fahrzeugkombination auf einer angeblich nicht ordnungsgemäß funktionierenden Waage und unter Missachtung von Bestimmungen der Eichordnung beanstandet.

Die Thüringer Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 05.11.2012 beantragt, die Rechtsbeschwerde als offensichtlich unbegründet zu verwerfen.


II.

1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 OWiG statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und - jedenfalls mit der erhobenen Sachrüge - auch form- und fristgerecht begründet worden.

Soweit sich der Betroffene in seiner Rechtsbeschwerdebegründung (auch) auf die Unverwertbarkeit der von der Tatrichterin seiner Verurteilung zugrunde gelegten Wiegeergebnisse mit der Begründung beruft, diese seien unter Verletzung von Vorschriften der Eichordnung ermittelt worden, macht er einen Verfahrensfehler geltend, der an sich mittels einer förmlichen Verfahrensrüge zu beanstanden wäre. Obgleich der Betroffene ausdrücklich nur die Verletzung sachlichen Rechts rügt, ergibt sich aber doch aus seinem Rechtsbeschwerdevorbringen in Verbindung mit dem dem Senat aufgrund der Sachrüge zugänglichen Urteilsinhalt, unter welchen Umständen und auf welche Weise die Wägung der Fahrzeugkombination konkret durchgeführt und welche Eichvorschriften dabei im Einzelnen verletzt worden sein sollen. Insoweit enthält das Rechtsbeschwerdevorbringen des Betroffenen (auch) eine auf das geltend gemachte Beweisverwertungsverbot bezogene konkludente Verfahrensrüge, die (in Verbindung mit dem Urteilsinhalt) den Anforderungen nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügt.

2. Die Rechtsbeschwerde hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Sie führt nicht zur Aufdeckung von Rechtsfehlern zum Nachteil des Betroffenen.

a) Insbesondere ist der Schuldspruch wegen einer fahrlässigen Überschreitung des für die Fahrzeugkombination zulässigen Gesamtgewichts nach § 34 Abs. 3 Satz 3 StVZO weder aus verfahrens- noch aus materiellrechtlichen Gründen als fehlerhaft zu beanstanden.

aa) Den Gründen des angefochtenen Urteils ist zu entnehmen, dass die Fahrzeugkombination am Tatabend von einem Polizeibeamten der PI Zentrale Dienste in S, dem Zeugen K, auf der Fahrzeugwaage der Agrargenossenschaft in F, einer gemäß Eichschein vom 03.06.2008 bis Ende 2011 geeichten und bis 50 t ausgelegten Waage des Herstellers AST Dresden vom Typ RAG 90.41 der Genauigkeitsklasse III verwogen wurde. Dabei wurden Zugmaschine und Anhänger getrennt, in abgekoppeltem Zustand und ungebremst verwogen. Das durch die Verwiegung ermittelte Gewicht der Zugmaschine und des Anhängers wurde von dem Zeugen K durch Lichtbilder der digitalen Anzeige der Wiegeergebnisse auf der Waage dokumentiert.

bb) Das auf diese Weise vom Zeugen K ermittelte Wiegeergebnis durfte die Tatrichterin entgegen der mit der Rechtsbeschwerde vorgetragenen Auffassung der Verurteilung des Betroffenen zugrunde legen.

- Soweit sich der Betroffene pauschal darauf beruft, dass nach einer in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung ein unter Verstoß gegen die Eichordnung zustande gekommenes Wiegeergebnis nicht Grundlage einer Bußgeldahndung sein könne, verkennt er, dass damit lediglich ein unter Verstoß gegen § 7b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EichO gewonnenes Wiegeergebnis gemeint ist (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 19.01.2005, 1 Ss 349/04, bei juris). Nach dieser Vorschrift dürfen nichtselbsttätige Waagen, also nach Anlage 9, Ziffer 1 zur EichO solche, die beim Wägen das Eingreifen einer Bedienungsperson erfordern, zur Bestimmung des Gewichts zur Berechnung eines Bußgeldes nur in Betrieb genommen, verwendet oder bereitgehalten werden, wenn sie geeicht sind. § 7b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EichO normiert damit für das Bußgeldverfahren ein ausdrückliches Verbot der Verwendung ungeeichter Waagen zur Ermittlung und zum Nachweis einer auf ein Gewicht bezogenen Ordnungswidrigkeit, wobei dieses Verbot nach § 74 Nr. 17a EichO i.V.m. § 19 Abs. 1 Nr. 4 EichG sogar bußgeldbewehrt ist. Das Eingreifen eines solchen ausdrücklichen Beweiserhebungs- und -verwertungsverbots ist im vorliegenden Fall schon deshalb nicht ersichtlich, weil die verwendete Waage ausweislich der Urteilsfeststellungen zum Zeitpunkt der Wägung gültig geeicht war.

Ein zu einem Beweisverwertungsverbot führender Verstoß gegen § 7b Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 EichO liegt auch nicht deshalb vor, weil die Art und Weise, in der die Wägung ausweislich der Urteilsgründe konkret vorgenommen wurde, nicht im Einklang mit eichrechtlichen Bestimmungen gestanden hätte und deshalb nicht mehr von der vorgenommenen Eichung der Waage gedeckt gewesen wäre (vgl. OLG Koblenz, a.a.O.). Denn die Art und Weise, in der der Zeuge K die Wägung durchgeführt hat, entsprach § 71 Abs. 1 Satz 1 EichO. Danach muss beim Wägen von Lastzügen der Teil des Lastzugs, der auf der Waagenbrücke steht, von dem anderen Teil abgekuppelt und getrennt sein (vgl. OLG Karlsruhe, VRS 98, 447).

- Die vom Zeugen K durchgeführte Wägung ist entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde auch nicht wegen vermeintlicher Verstöße gegen die nur für öffentliche Waagen geltenden Vorschriften der §§ 64 ff. EichO unverwertbar.

Öffentliche Waagen sind nach § 10 Abs. 1 EichG Waagen, mit denen Wägegut für jedermann gewogen wird. Nach § 10 Abs. 2 EichG hat der Betreiber öffentlicher Waagen sicherzustellen, dass die Ergebnisse der Wägung schriftlich bescheinigt werden. § 10 Abs. 3 EichG ermächtigt das zuständige Bundesministerium, im Rahmen einer Rechtsverordnung Vorschriften zu erlassen, die der Gewährleistung richtiger Wägungen und dem Nachweis dieser Wägungen auf öffentlichen Waagen dienen; von dieser Ermächtigung ist durch Erlass der §§ 64 ff. EichO Gebrauch gemacht worden. Danach darf unter anderem eine öffentliche Waage regelmäßig nur durch Personen bedient werden, deren Sachkunde nachgewiesen ist (§ 64 Nr. 3 EichO). Auch hat der Wiegende die Wägeergebnisse unter Angabe von Ort, Datum, Auftraggeber und Art des Wägegutes etc. mittels Unterschrift zu bescheinigen (§ 70 Abs. 1 und 2 EichO). Diese Vorschriften normieren auf Bedienungspersonal und Dokumentation bezogene Mindeststandards, die die Zuverlässigkeit und Beweiskraft von Wägungen, die auf Waagen vorgenommen werden, die von privaten Betreibern betrieben und von jedermann genutzt werden können, im allgemeinen Rechtsverkehr sichern sollen.

Es kann offen bleiben, ob - was sich dem angefochtenen Urteil nicht entnehmen lässt - die vom Zeugen K benutzte Fahrzeugwaage der Agrargenossenschaft in F auch als öffentliche Waage eines privaten Betreibers, auf der jedermann Fahrzeuge verwiegen lassen kann, Verwendung findet. Jedenfalls ist sie bei der vom Zeugen K vorgenommenen Wägung, die gegen 20.25 Uhr - und damit ohnehin erst nach Arbeitsende des zur Bedienung der Waage zur Verfügung stehenden Personals der Agrargenossenschaft - erfolgt ist, nicht als solche verwendet worden. Denn die Wägung ist nicht durch Private zur Nutzung im privaten Rechtsverkehr beauftragt und vorgenommen worden, sondern zu Ermittlungszwecken im Rahmen eines Bußgeldverfahrens im Straßenverkehr durch in einem hoheitsrechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehende und zur Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse nach Art. 33 Abs. 4 GG befähigte Beamte der Polizei- bzw. Ordnungsbehörden und damit durch staatliche Organe erfolgt, deren Zuverlässigkeit, Unparteilichkeit und Sachkunde nicht von vorneherein Zweifeln unterliegen und die deshalb - anders als ein privater Betreiber - ihre Eignung und Befähigung zur Vornahme objektiv zutreffender Wägungen auch nicht zwingend nach den Vorschriften der §§ 64 ff. EichO belegen und sichern müssen.

Es ist daher nicht generell unzulässig und führt zu keinem Beweisverwertungsverbot, wenn ein Polizeibeamter, insbesondere dann, wenn kein Bedienungspersonal zur Verfügung steht, Fahrzeuge auf einer Fahrzeugwaage, die im Übrigen erheblich einfacher zu bedienen ist als etwa eine Geschwindigkeitsmessanlage, selbst verwiegt und das Wiegeergebnis in einer von § 70 Abs. 2 EichO abweichenden Weise dokumentiert. Dies gilt jedenfalls dann, wenn keine Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Bedienung gegeben sind und die vorgenommene Dokumentation hinreichend zuverlässig erscheint. Beides ist hier der Fall. Der Zeuge K hat die Fahrzeugkombination nach den Urteilsfeststellungen unter Beachtung der Vorgaben nach § 71 Abs. 1 Satz 1 EichO, d.h. in abgekoppeltem Zustand und getrennt, verwogen, was gerade für seine Sachkunde spricht. Die von ihm gefertigte, unterschriebene und zur Akte gelangte Lichtbildtafel ermöglicht die Ablesung und Zuordnung der ermittelten Wiegeergebnisse.

cc) Dementsprechend ist das angefochtene Urteil auch nicht deshalb in sachlicher Hinsicht fehlerhaft, weil es keine Auseinandersetzung der Tatrichterin mit den individuellen Fähigkeiten des die Wiegung vornehmenden Zeugen K, insbesondere keine Feststellungen zu Schulungsteilnahmen und bisherigen Erfahrungen des Beamten enthält, aus denen auf dessen Fähigkeit zur korrekten Bedienung einer Fahrzeugwaage geschlossen werden kann. Der Senat hat bereits für den Fall einer Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren ausgesprochen, dass bei einem Polizeibeamten im Streifendienst in Ermangelung abweichender Anhaltspunkte davon ausgegangen werden kann, dass er in der Lage ist, solche Geschwindigkeitsmessungen durchzuführen (vgl. Senatsbeschluss vom 10.04.2006, 1 Ss 77/06). Die Messung der Geschwindigkeit eines vorausfahrenden Fahrzeugs durch Nachfahren mit gleichbleibendem Abstand dürfte dabei als technisch anspruchsvoller zu bewerten sein, als das Einweisen eines LKW auf eine im Boden eingelassene Waagenbrücke und das anschließende Ablesen des Wiegeergebnisses von einer digitalen Anzeige.

dd) Soweit es den Schuldspruch wegen einer fahrlässigen Überladung betrifft, weist das Urteil auch im Übrigen keine sachlich-​rechtlichen Fehler auf. Die Urteilsausführungen genügen den Anforderungen, die bei Verwendung einer gültig geeichten Waage und bei Fehlen belastbarer Anhaltspunkte für einen nicht regelgerechten Wiegevorgang zu stellen sind (vgl. OLG Stuttgart, VRS 121, 248). Wegen der mit der Rechtsbeschwerde vorgebrachten Angriffe auf die Beweiswürdigung des angefochtenen Urteils, insbesondere die Bewertung der Angaben der Zeugen K und W zur ordnungsgemäßen Funktion der Waage, wird auf die zutreffenden Ausführungen in der dem Verteidiger des Betroffenen übermittelten Stellungnahme der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft vom 05.11.2012 verwiesen.

b) Der Schuldspruch des Betroffenen wegen einer tateinheitlichen unzureichenden Ladungssicherung ist ebenfalls nicht zu beanstanden. Auch sind Rechtsfehler bei der Bemessung der Geldbuße nicht erkennbar.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.