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VGH München Beschluss vom 26.05.2014 - 11 C 13.2462 - Benutzung eines im Ausland zugelassenen Kfz im Inland durch eine Studentin
VGH München v. 26.05.2014: Zur Benutzung eines im Ausland zugelassenen Kfz im Inland durch eine Studentin
Der VGH München (Beschluss vom 26.05.2014 - 11 C 13.2462) hat entschieden:
Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 FZV dürfen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassene Fahrzeuge vorübergehend am Verkehr im Inland teilnehmen, wenn für sie von einer zuständigen Stelle des anderen Mitgliedstaates eine gültige Zulassungsbescheinigung ausgestellt und im Inland kein regelmäßiger Standort begründet ist. Gemäß § 20 Abs. 6 FZV gilt als vorübergehend ein Zeitraum bis zu einem Jahr. Entscheidend ist hiernach zunächst nicht der Wohnsitz der Klägerin, sondern der regelmäßige Standort ihres Kraftfahrzeugs Der regelmäßige Standort eines Kraftfahrzeugs ist der Ort, von dem aus das Fahrzeug unmittelbar zum öffentlichen Straßenverkehr eingesetzt wird und an dem es nach Beendigung des Einsatzes ruht. Fraglich ist aber, ob sich im Lichte des Europarechts etwas anderes ergibt. Die damit zusammenhängenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen sind im Hauptsacheverfahren zu klären.
Siehe auch Kfz mit ausländischer Zulassung im Inland und Kraftfahrzeugsteuer - Kfz-Steuer
Gründe:
I.
Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Klägerin ihr Prozesskostenhilfebegehren für eine Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 11. Juni 2013 weiter, mit dem festgestellt wurde, dass sie ihr Kraftfahrzeug nicht ohne deutsche Zulassung im deutschen Straßenverkehr betreiben darf und ihr die weitere Nutzung mit der vorhandenen bulgarischen Zulassung im Bundesgebiet untersagt wurde.
Die 1984 geborene Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige und seit dem Wintersemester 2002/2003 als Studentin an der Universität W. immatrikuliert (Humanmedizin, Chemie, Biologie). Seit 29. Oktober 2002 ist sie mit Hauptwohnung in W. gemeldet. Seit 2007 nutzt sie ein Kraftfahrzeug Marke Fiat mit einer bulgarischen Zulassung. Dies fiel der PI W. anlässlich einer Verkehrskontrolle am 14. März 2013 auf.
Nachdem die Klägerin Aufforderungen, ihr Kraftfahrzeug umzumelden oder außer Betrieb zu setzen nicht nachgekommen war, erließ die Beklagte den in der Hauptsache angefochtenen Bescheid. Hiergegen erhob die Klägerin Klage und beantragte zugleich die Gewährung von Prozesskostenhilfe.
Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht W. mit dem angefochtenen Beschluss vom 29. Oktober 2013 ab. Die Rechtsverfolgung biete keine hinreichende Erfolgsaussicht. Es liege mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Verstoß gegen § 20 Abs. 1 FZV vor. Wegen ihres Studiums und der Tätigkeit als studentische Hilfskraft an der Universität W. könne von ihrer Anwesenheit während der Semester (1.10 bis 31.3. und 15.4. bis Mitte/Ende Juli) sowie teilweise auch in der vorlesungsfreien Zeit ausgegangen werden. Es sei deshalb nicht ernstlich zweifelhaft, dass der Standort ihres Fahrzeugs im Inland sei und zwar nicht nur vorübergehend i.S.d. § 20 Abs. 6 FZV. Der Zulassungspflicht stehe nicht entgegen, dass die Klägerin möglicherweise nach der Richtlinie 83/182/EWG als Studentin auch über den Zeitraum eines Jahres hinaus gemäß § 3 Nr. 13 Kraftfahrsteuergesetz 2002 (KraftStG) von der Kraftfahrzeugsteuer befreit sei. In Streit stehe nämlich nicht die Kraftfahrzeugsteuerpflicht, sondern der Vollzug der hiervon zu unterscheidenden Fahrzeugzulassungsverordnung, einer Vorschrift, die der öffentlichen Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs diene. Die Richtlinie 83/182/EWG regle ausschließlich die Steuerbefreiung und sei auf die Zulassungspflicht auch nicht entsprechend anzuwenden. Dass die Zulassungsbehörden bei der Erhebung der Kraftfahrzeugsteuer mitwirkten, ändere hieran nichts.
Mit Ihrer Beschwerde macht die Klägerin geltend, die im angefochtenen Beschluss zugrunde gelegten Tatsachen im Hinblick auf die Semesterdauer seien nicht korrekt. Die Immatrikulation begrenze sich nicht auf die Vorlesungszeit. In den Naturwissenschaften fänden zudem viele Praktika auch außerhalb der Vorlesungszeit bzw. in den Semesterferien statt. Die Stelle als studentische Hilfskraft habe sie nicht antreten können, weil sie sich am 24. Juli 2013 einer Operation habe unterziehen müssen und sich anschließend bis Anfang September 2013 bei ihren Eltern in Bulgarien aufgehalten habe. Sie bestreite, in W. einen gewöhnlichen Wohnsitz zu haben und berufe sich hierzu auf die Richtlinie 83/182/EWG, in deren Art. 7 allgemeine Bestimmungen über den Nachweis des Wohnsitzes enthalten seien. Sie erfülle die dortigen Voraussetzungen. Sie habe in Deutschland keine persönlichen Bindungen und könne nachweisen, sich regelmäßig bei ihrer Familie in Bulgarien aufzuhalten. Der Nachweis über ihren gewöhnlichen Wohnsitz in Bulgarien sei über Kopien ihres Personalausweises und Führerscheins erbracht. Sie habe nach wie vor ihre Wohnung im elterlichen Haushalt in Bulgarien und besuche ihre Eltern in den Semesterferien regelmäßig.
Die Beklagte tritt der Beschwerde entgegen und beantragt, sie zurückzuweisen.
II.
Die zulässige Beschwerde hat Erfolg, denn die Klägerin kann nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nur auf Raten aufbringen, die Erfolgsaussichten in der Hauptsache sind offen und die Rechtsverfolgung erscheint nicht mutwillig (§ 166 Abs. 1 VwGO, § 114 ZPO).
1. Gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 FZV dürfen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zugelassene Fahrzeuge vorübergehend am Verkehr im Inland teilnehmen, wenn für sie von einer zuständigen Stelle des anderen Mitgliedstaates eine gültige Zulassungsbescheinigung ausgestellt und im Inland kein regelmäßiger Standort begründet ist. Gemäß § 20 Abs. 6 FZV gilt als vorübergehend ein Zeitraum bis zu einem Jahr. Entscheidend ist hiernach zunächst nicht der Wohnsitz der Klägerin, sondern der regelmäßige Standort ihres Kraftfahrzeugs Der regelmäßige Standort eines Kraftfahrzeugs ist der Ort, von dem aus das Fahrzeug unmittelbar zum öffentlichen Straßenverkehr eingesetzt wird und an dem es nach Beendigung des Einsatzes ruht (vgl. zu § 23 StVZO a.F.: BVerwG, U.v. 9.12.1983 – 7 C 70.81 – DVBl 1984, 527). Die Klägerin hält sich nach ihren eigenen Einlassungen die überwiegende Zeit des Jahres, nämlich während der Semester, in W. auf und geht dort ihren Studien nach, wobei sie nach ihren eigenen Angaben teilweise auch in den Semesterferien durch Praktika hier beansprucht ist und ihre Eltern in den Semesterferien nur für einige Wochen besucht. Der regelmäßige Standort ihres Kraftfahrzeugs i.S.d. § 20 Abs. 1 FZV ist daher W.. Auf die Frage, ob der Studienaufenthalt der Klägerin ein „vorübergehender Aufenthalt“ im Sinn dieser Vorschrift ist und ob die Jahresfrist des § 20 Abs. 6 FZV durch die Ferienaufenthalte in Bulgarien unterbrochen wird, kommt es daher zunächst nicht an.
2. Fraglich ist aber, ob sich im Lichte des Europarechts etwas anderes ergibt. Die damit zusammenhängenden tatsächlichen und rechtlichen Fragen sind im Hauptsacheverfahren zu klären.
Im Gegensatz zu § 20 FZV enthält die Richtlinie 83/182/EWG des Rates vom 28. März 1983 über Steuerbefreiungen innerhalb der Gemeinschaft bei vorübergehender Einfuhr bestimmter Verkehrsmittel (ABl EG L 105 v. 23.4.1983 S. 59 ff.) spezielle Regelungen für Studenten. Die Richtlinie dient der Vermeidung einer Doppelbesteuerung bezüglich Zulassungs- und Kraftfahrzeugsteuer und soll damit die Freizügigkeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten erleichtern. Nach den vorangestellten Erwägungsgründen der Richtlinie 83/182/EWG wird die Freizügigkeit der gebietsansässigen Personen innerhalb der Gemeinschaft durch die steuerrechtlichen Regelungen, die bei der vorübergehenden Einfuhr bestimmter Verkehrsmittel für die private oder berufliche Nutzung gelten, behindert. Die Behinderungen aufgrund dieser steuerrechtlichen Regelungen zu beseitigen, ist für die Errichtung eines Wirtschaftsmarktes mit ähnlichen Merkmalen wie ein Binnenmarkt besonders notwendig. Der Universitäts- und Schulbesuch hat nach Art. 7 Abs. 1 Satz 4 der Richtlinie keine Verlegung des gewöhnlichen Wohnsitzes zur Folge. In der von der Klägerin übergebenen Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss vom 14. Dezember 2012 (Bl. 22 ff. der VG-Akte) heißt es dementsprechend, dass von einem Studenten, der zeitweilig in einem anderen Mitgliedstaat studiert, nach der Richtlinie 83/182/EWG keine Zulassungssteuern erhoben werden dürfen. Diese Mitteilung hat zwar keine Rechtsverbindlichkeit, sie gibt aber einen Hinweis darauf, welches Ziel mit der Richtlinie verfolgt wird.
Würde die Klägerin ihr Kraftfahrzeug in Bulgarien abmelden und in Deutschland zulassen, hätte dies gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG zur Folge, dass sie in Deutschland kraftfahrzeugsteuerpflichtig würde. Es ist offen, ob dieses Ergebnis im Hinblick auf die Richtlinie 83/182/EWG europarechtskonform ist oder ob § 20 Abs. 1 FZV europarechtskonform dahin auszulegen ist, dass für Studenten eine Verpflichtung zur Zulassung in der Bundesrepublik auch dann nicht gilt, wenn sie – wie die Klägerin – ihr Kraftfahrzeug während des Studiums überwiegend von Deutschland aus nutzen. Raum für eine solche Auslegung besteht möglicherweise, weil § 20 FZV nicht zwischen verschiedenen Zwecken des vorübergehenden Aufenthalts unterscheidet und für zeitweilig in Deutschland Studierende keine Regelungen enthält.
Zunächst wird zu erörtern sein, ob die Klägerin überhaupt noch als Studentin im Sinn der Richtlinie 83/182/EWG gelten kann oder ob ihr Aufenthalt hier aus tatsächlichen Gründen, insbesondere wegen seiner Gesamtdauer, nicht mehr als nur zeitweilig oder vorübergehend angesehen werden kann. Denn die Klägerin ist seit 29. Oktober 2002 in W. gemeldet und studiert dort. Zwar hat sie vorgetragen, sie sei in Deutschland nicht verheiratet und habe keine Kinder, ihre Familie und ihre engsten Freunde seien in Bulgarien. Insofern verfüge sie nicht über persönliche Bindungen an Deutschland. In ihrer Stellungnahme vom 8. Januar 2014 führt die Klägerin aus, sie besuche ihre Eltern regelmäßig in den Semesterferien und habe ihre Bindung an die Eltern nicht aufgegeben. Andererseits hat sie aber nicht vorgetragen, dauerhaft nach Bulgarien zurückkehren zu wollen und räumt ein, in Deutschland auch schon „gejobbt“ zu haben. Ferner weisen ihrer Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügte Schriftstücke darauf hin, dass sie auch in Deutschland persönliche Beziehungen unterhält. Dass sie die bulgarische Staatsangehörigkeit beibehalten hat und ihre Eltern in den Ferien besucht, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass manches für eine Aufenthaltsverfestigung spricht, derentwegen nicht mehr von einem zeitweiligen Studienaufenthalt auszugehen ist. Es könnte somit in Frage gestellt werden, ob die auf Studenten bezogenen Regelungen der Richtlinie 83/182/EWG auf die Klägerin überhaupt noch anwendbar sind.
Im Hinblick auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung, speziell die Sicherheit des Straßenverkehrs, der die Regelungen der Fahrzeug-Zulassungsverordnung dienen, führen die vorstehenden Erwägungen nicht zu untragbaren Ergebnissen, denn gemäß § 20 Abs. 3 FZV dürfen Kraftfahrzeuge jedenfalls auch vorübergehend nur am Verkehr im Inland teilnehmen, wenn sie betriebs- und verkehrssicher sind.
3. Einer Erörterung bedarf möglicherweise zudem die Frage, auf welche Rechtsgrundlage die im angegriffenen Bescheid vom 11. Juni 2013 verfügte Untersagung der Nutzung des klägerischen Kraftfahrzeugs gestützt werden kann. Weder § 3 FZV noch § 20 FZV, auf die die Beklagte ihren Bescheid gestützt hat, enthalten Ermächtigungen zum Erlass von Untersagungsverfügungen. Eine Rechtsgrundlage zur Beschränkung und Untersagung des Betriebs ausländischer Fahrzeuge enthält dagegen § 22 FZV, für den Fall dass sich ein ausländisches Fahrzeug als nicht vorschriftsmäßig erweist. Hierbei wird auf § 5 FZV verwiesen, dessen Wortlaut es nahelegt, dass die Untersagungsbefugnis sich auf das Vorliegen von Fahrzeugmängeln bezieht. Es ist somit fraglich, ob die Ermächtigung auch den Fall einer entgegen § 20 Abs. 1 FZV beibehaltenen ausländischen Zulassung erfasst. In Betracht kommen könnte auch eine entsprechende Heranziehung von § 13 Abs. 3 Satz 4 FZV.
4. Die von der Klägerin zu zahlenden Raten sind gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 ZPO auf 45 Euro festzusetzen. Für die Beurteilung ihrer Bedürftigkeit aufgrund ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse kommt es – anders als für die Beurteilung der Erfolgsaussichten – auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag bzw. über die Beschwerde an (BayVGH, B.v. 20.6.2012 – 8 C 12.653 – BayVBl 2013, 480 m.w.N.). Was den Teil der Einkünfte als studentische Hilfskraft angeht, wurde ein Mittelwert aus den vergangenen 16 Monaten gebildet, weil diese Einkünfte von Monat zu Monat deutlich schwanken.