Das Verkehrslexikon
Kammergericht Berlin Beschluss vom 30.07.2001 - 2 Ss 140/01 - 3 Ws (B) 314/01 - Pflichten des Fahrzeugführers
KG Berlin v. 30.07.2001: Zur Verantwortlichkeit des Fahrzeugführers für Fahrzeugmängel
Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 30.07.2001 - 2 Ss 140/01 - 3 Ws (B) 314/01) hat entschieden:
Der Fahrzeugführer ist für alle Mängel am Fahrzeug verantwortlich, die er kannte oder bei zumutbarer Aufmerksamkeit kennen musste. Im Falle des Auftretens von Mängeln, die die Verkehrssicherheit beeinträchtigen, ist das Fahrzeug unverzüglich und auf kürzestem Wege aus dem Verkehr zu ziehen. Ob und wann einem Fahrzeugführer derartige Mängel auffallen müssen und welche Anforderungen an seine Aufmerksamkeit zu stellen sind, ist eine Frage des Einzelfalles, der die Zulassung der Rechtsbeschwerden grundsätzlich nicht veranlasst.
Siehe auch Pflichten des Fahrzeugführers und Zustand des Fahrzeugs und Haftung des Fahrzeugführers
Gründe:
Das Amtsgericht hat den Betroffenen "wegen einer fahrlässig begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß §§ 23 Abs. 1, 49 StVO, 30, 36, 36 a, 47, 49, 49 a, 53 a, 55, 69 a StVZO i.V.m. § 24 StVG" zu einer Geldbuße von 300,00 DM verurteilt. Der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat keinen Erfolg. Weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist es geboten, die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung zu ermöglichen (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG).
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel folgendermaßen Stellung genommen:
"1. Die Rüge der Verletzung formellen Rechts deckt keine klärungsbedürftige Rechtsfrage auf.
a) In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, welche Verstöße gegen §§ 71 Abs. 1 OWiG, 243 StPO unter welchen Voraussetzungen mit der Revision oder - wie hier - der Rechtsbeschwerde erfolgreich beanstandet werden können (vgl. Nachweise bei Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 44. Aufl., § 243 Rdnrn. 36 - 39). Dass die Einhaltung der wesentlichen Förmlichkeiten der Hauptverhandlung nur durch Sitzungsniederschrift bewiesen werden können, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz (vgl. § 274 Satz 1 StPO). Es ist auch anerkannt, dass eine Protokollfälschung i.S.d. § 274 Satz 2 StPO nicht dadurch bewiesen wird, dass die Protokollpersonen sich - wie hier (Bl. 42, 42 R d.A.) - an den Verlauf der Hauptverhandlung nicht mehr erinnern können (OLG Düsseldorf VRS 93, 112).
Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist die Zulassung der Rechtsbeschwerde schon deshalb nicht veranlasst, weil das Gegenteil der Behauptung der Rechtsbeschwerde durch das Protokoll bewiesen ist (§§ 71 Abs. 1 OWiG, 274 StPO). Danach ist die Sache aufgerufen worden (Bl. 25 d.A.), der Vorsitzende stellte die Personalien des Betroffenen fest (Bl. 25 d.A.), er verlas den Bußgeldbescheid (Bl. 25 R d.A.) und belehrte den Betroffenen über seine Rechte (Bl. 25 R d.A.). Den ihr obliegenden Nachweis der Fälschung (§ 271 Satz 2 StPO) hat die Rechtsbeschwerde nicht erbracht (vgl. OLG Düsseldorf aaO). Das Amtsgericht hat den Antrag des Betroffenen auf Protokollberichtigung (Bl. 41 d.A.) durch Beschluss vom 8. Januar 2001 (Bl. 48 d.A.) mit der Begründung zurückgewiesen, dass nach den dienstlichen Erklärungen des amtierenden Richters und der in der Hauptverhandlung anwesenden Protokollführerin kein Grund für die Annahme besteht, dass die Sitzungsniederschrift entsprechend den Beanstandungen des Betroffenen unrichtig ist. Diese Entscheidung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die gegenteilige anwaltliche Versicherung (Bl. 40 d.A.) ist allein nicht geeignet, die Beweiskraft des Protokolls aufzuheben. Damit sind die behaupteten Verfahrensverstöße jedoch nicht - wie erforderlich - bewiesen (vgl. BGHSt 16, 164, 167; KG Beschluss vom 7. Mai 2001 - 3 Ws (B) 153/01 -).
b) Die in die Sachrüge eingestreute Beanstandung der Verletzung der Aufklärungspflicht (§ 77 Abs. 1 StPO) ist schon nach §§ 80 Abs. 3 Satz 3 OWiG, 344 Abs. 2 Satz 2 StPO unzulässig. Die Rechtsbeschwerde teilt keine konkrete Beweistatsache mit, die der Zeuge T. hätte bekunden sollen.
2. Die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gebietet ebenfalls nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde.
a) Der Umfang der Sorgfaltspflichten eines Kraftfahrzeugführers ist im Grundsatz in der obergerichtlichen Rechtsprechung geklärt. Danach ist anerkannt, dass der Fahrzeugführer für alle Mängel verantwortlich ist, die er kannte oder bei zumutbarer Aufmerksamkeit kennen musste, weil er den Mangel bei zumutbarer Aufmerksamkeit bemerkt hätte (vgl. BGH VRS 8, 211, 213). Des weiteren ist obergerichtlich geklärt, dass ein Fahrzeug im Falle des Auftretens von Mängeln, die - wie hier - die Verkehrssicherheit beeinträchtigen (vgl. UA S. 2), unverzüglich und auf kürzestem Wege aus dem Verkehr zu ziehen ist (KG Beschluss vom 17. Juli 2000 - 3 Ws (B) 301/00 -). Ob und wann einem Fahrzeugführer derartige Mängel auffallen müssen und welche Anforderungen an seine Aufmerksamkeit zu stellen sind, ist eine Frage des Einzelfalles, der die Zulassung der Rechtsbeschwerde grundsätzlich - und auch hier - nicht veranlasst (vgl. BGHSt 24, 15, 22).
Das Amtsgericht hat festgestellt, dass der überwiegende, im Urteil bezeichnete Teil der festgestellten Mängel "für jedermann und ... damit auch für den Betroffenen durch einfache Sicht- bzw. Funktionsprüfung ohne besondere Fachkenntnisse klar erkennbar" war (UA S. 2). Dies steht im Einklang mit der obergerichtlichen Rechtsprechung zu den bezeichneten Mängeln (vgl. die Nachweise bei Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht 35. Aufl., StVO § 23 Rdn. 21). Die von der Rechtsbeschwerde vermisste "Norm", nach der der Betroffene "konkret dazu verpflichtet gewesen ist", das Fahrzeug zu überprüfen, ist - wie im Urteil nicht nur als Auffangtatbestand mitgeteilt - in § 23 Abs. 1 StVO festgelegt.
b) Auch die noch gebotene Nachprüfung des Urteils auf die allgemeine Sachrüge deckt keinen die Zulassung gebietenden Rechtsfehler auf.
Das Amtsgericht hat in den Urteilsgründen (UA S. 2) zur Feststellung der Fahrzeugmängel auf einen dem Urteil "in Kopie als Anlage beigefügte(n)" Prüfbericht Bezug genommen. Eine derartige Bezugnahme ist unzulässig. Sie verstößt gegen §§ 71 Abs. 1 OWiG, 267 Abs. 1 Satz 1 StPO und stellt einen sachlichrechtlichen Fehler des Urteils dar, weil grundsätzlich jedes Urteil - auch in Bußgeldsachen - aus sich selbst heraus verständlich sein muss und auf Aktenteile keinen Bezug nehmen darf (vgl. BGHSt 33, 59, 60; KG Beschluss vom 20. Juni 2000 - 3 Ws (B) 239/00 -). Dies muss selbst dann gelten, wenn in den Urteilsgründen - wie hier - zusätzlich zu der unzulässigen Bezugnahme einzelne Mängel aufgeführt werden, weil das Rechtsbeschwerdegericht von dem Inhalt der Anlage keine Kenntnis nehmen kann.
Dieser Rechtsfehler gebietet jedoch nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde, weil das Amtsgericht durch den Beschluss des Senats auf die Unzulässigkeit von Bezugnahmen ausreichend hingewiesen werden kann und keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass das Amtsgericht diesen Hinweis nicht in Zukunft beachten wird."
Der Senat macht sich diese zutreffenden Ausführungen zu eigen und verwirft den Zulassungsantrag als unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 46 Abs. 1, 80 Abs. 4 Satz 4 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.