Das Verkehrslexikon

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OLG München Urteil vom 25.04.2014 - 10 U 1886/13 - Überholen in unklarer Verkehrslage

OLG München v. 25.04.2014: Zur Haftung bei Überholunfall und unklarer Verkehrslage


Das OLG München (Urteil vom 25.04.2014 - 10 U 1886/13) hat entschieden:
Gegen den Linksabbieger spricht der Anscheinsbeweis für einen Verstoß gegen § 9 I StVO. Der Linksabbieger muss deshalb beweisen, dass er seiner zweiten Rückschaupflicht genügt hat. Verstößt der Linksabbieger gegen die zweite Rückschaupflicht, so haftet er zu 30% mit, wenn er sich links blinkend rechtzeitig zur Mitte hin eingeordnet hat, weil dann von einem Überholen in unklarer Verkehrslage mit einem Haftungsanteil von 70% zu Lasten des Überholenden auszugehen ist.


Siehe auch Unklare Verkehrslage und Unfälle zwischen Überholer und vorausfahrendem Linksabbieger


Gründe:

A.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313 a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).


B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache überwiegend Erfolg.

I.

Das Landgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass die Beklagten vollständig für die Folgen des Verkehrsunfalls vom ... 2012 gegen ... Uhr in N. auf der Bahnhofstraße stadteinwärts an der Kreuzung G...weg haften. Angesichts eines Verstoßes der Drittwiderbeklagten gegen die zweite Rückschaupflicht (§ 9 I 4 StVO) und des Überholens des Beklagten zu 1) in unklarer Verkehrslage (§ 5 III Nr. 1 StVO) kommt es zu einer Haftungsverteilung von 70 zu 30 zu Lasten der Beklagten (§ 17 I StVG).

Gegen den Linksabbieger - hier die Drittwiderbeklagte - spricht der Anscheinsbeweis für einen Verstoß gegen § 9 I StVO. Der Linksabbieger muss deshalb beweisen, dass er seiner zweiten Rückschaupflicht genügt hat (vgl. OLG Rostock, VRS 121, 20). Unter Bezugnahme auf die zutreffenden Ausführungen der Berufungsführer in der Berufungsbegründung ist bei Zugrundelegung der durchgeführten Beweisaufnahme bis auf die Behauptung der klägerischen Fahrerin in erster Instanz ein Nachweis hierzu nicht erbracht worden. Vor allem fällt auf, dass auch die Beifahrerin im Fahrzeug der Klagepartei nichts davon berichtet hat, dass die Drittwiderbeklagte vor dem Abbiegen zurückgeschaut hätte (vgl. Protokoll vom 07.11.2012, S. 2 = Bl. 33 d.A.). Ausweislich des vom Senat ergänzend erholten überzeugenden Gutachtens des Sachverständigen Dipl. Ing. (FH) R. vom 19.02.2014 (Bl. 120/137 d.A.), gegen das alle Parteien keine Einwände erhoben haben, steht nunmehr fest, dass die Drittwiderbeklagte gegen die zweite Rückschaupflicht verstoßen hat. Für die Drittwiderbeklagte wäre der Unfall vermeidbar gewesen, wenn sie vor dem finalen Abbiegen nach links das Sichtfeld des linken Außenspiegels überprüft bzw. alternativ einen Schulterblick nach links durchgeführt hätte (Gutachten a.a.O. S. 12).

Grundsätzlich haben die Berufungsführer auch Recht, wonach die dem Beklagten zu 1) unterstellte Geschwindigkeitsüberschreitung nicht nachgewiesen ist, sondern vom Landgericht, wie sich bereits aus der Formulierung im Urteil ergibt, nur auf Grund eines Verdachts unterstellt wurde. Das Sachverständigengutachten hat hierzu ergeben, dass eine nachweisbare Kollisions- und Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs bei ca. 35 bis 45 km/h vorgelegen hat, von einer Geschwindigkeitsüberschreitung im Bereich der Unfallstelle dementsprechend nicht die Rede ist.

Angesichts der Tatsache, dass entsprechend der insoweit zutreffenden Beweiswürdigung seitens des Landgerichts davon auszugehen ist, dass die klägerische Fahrerin rechtzeitig nach links geblinkt und sich zur Mitte hin eingeordnet hat, hat der Beklagte zu 1) in unklarer Verkehrslage (Verstoß gegen § 5 III Nr. 1 StVO) überholt. In einem derartigen Fall ist eine Haftungsverteilung von 70 zu 30 zu Lasten der Beklagten sachgerecht (vgl. hierzu OLG Rostock, a.a.O.).

Bei Berücksichtigung dieser Quote und der Tatsache, dass die Unkostenpauschale vom Landgericht nicht hätte gekürzt werden dürfen, da sie in der Klageerwiderung unstreitig gestellt wurde (vgl. S. 4 = Bl. 13 d.A.), ist von einem berechtigten Schaden des Klägers von 10.597,23 € auszugehen (Reparaturkosten 8.786,45 €, Wertminderung 500,00 €, Sachverständigenkosten 610,78 €, Unkostenpauschale 30,00 € und die vom Landgericht zugebilligten Mietwagenkosten von 670,00 €, die in der Berufung nicht angegriffen wurden). 70% hiervon beträgt 7.418,06 €, abzüglich der bezahlten 4.691,22 € ergibt sich ein offener Rest von 2726,84 €. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die Beklagte zu 2) als Fahrzeugvollversicherung des Beklagten zu 1) an diesen unstreitige Zahlungen von 9.569,21 € erbracht hat. Auf die Beklagte zu 2) sind daher die Schadensersatzansprüche des Beklagten zu 1) gegen den Kläger und die Drittwiderbeklagte übergegangen. Entsprechend der obigen Ausführungen stehen der Beklagten zu 2) deshalb Ansprüche in Höhe von 30% dieses Betrags, mithin also 2870,76 €, zu. Im Hinblick auf die bereits in erster Instanz und in der Berufung wiederholte Aufrechnungserklärung ist der Restanspruch des Klägers durch die Aufrechnung erloschen und die Klage unbegründet. Es verbleibt ein Rest zugunsten der Beklagten zu 2) in Höhe von 143,92 €; insoweit ist die Widerklage begründet, im Übrigen jedoch unbegründet. Soweit die Beklagte zu 2) in der Berufung im Gegensatz zum Antrag erster Instanz keine samtverbindliche Zahlung beantragt hat, handelt es sich ersichtlich nur um ein unbeachtliches Schreibversehen, der Kläger und die Drittwiderbeklagte sind daher nur samtverbindlich zur Zahlung zu verurteilen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 I ZPO.

III.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Ersturteils und dieses Urteils beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.



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