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Kammergericht Berlin Urteil vom 17.10.2014 - 5 U 63/14 - Aufhebung der Einstweiligen Verfügung des LG Berlin vom 11.04.2014

KG Berlin v. 17.10.2014: Aufhebung der Einstweiligen Verfügung des LG Berlin vom 11.04.2014 aus formellen Gründen


Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 17.10.2014 - 5 U 63/14) hat entschieden:
Die aus dem Rechtsgedanken des § 12 Abs. 2 UWG folgende Dringlichkeitsvermutung kann nicht nur durch zögerliche Verfahrenseinleitung, sondern auch dann widerlegt sein, wenn der Antragsteller (nach zunächst hinreichend zeitnaher) Verfahrenseinleitung durch sein Verhalten zu erkennen gibt, dass die Sache für ihn nicht (mehr) eilig ist.


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Gründe:

A.

Auf die tatbestandlichen Feststellungen der angefochtenen Entscheidung wird Bezug genommen.

Im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 2, § 313a ZPO von der Darstellung des Tatbestandes abgesehen.

Der Senat geht wie auch schon das Landgericht davon aus, dass die U... B.V. in der ersten Instanz nicht Partei des Verfahrens gewesen ist und am Berufungsverfahren lediglich als Berufungsklägerin beteiligt war.

Mit der Bezeichnung der U... B.V. als „Antragsgegnerin zu 1)“ folgt der Senat lediglich aus Gründen der Übersichtlichkeit dem Landgericht.


B.

Die Berufung der Antragsgegnerin zu 2) ist zulässig.

Dem steht nicht entgegen, dass der Antragsteller sich – wie er auf Nachfrage des Senats in der mündlichen Verhandlung erklärt hat – auf einen Rechtsmittelverzicht der Gegenseite berufen will.

Ein Verzicht auf die Berufung kann zwar durch einseitige Erklärung der Partei oder durch Vertrag mit dem Prozessgegner erklärt werden und führt auf Einrede des Gegners zur Verwerfung der Berufung als unzulässig (vgl. BGH NJW-RR 1997, 1288).

Auch auf der Grundlage des Vortrages des Antragstellers ist aber nicht davon auszugehen, dass die Antragsgegnerin zu 2) – wie es für einen Berufungsverzicht erforderlich gewesen wäre (vgl. BGH NJW 1985, 2335) – durch einseitige oder im Rahmen einer wechselseitigen Vereinbarung abgegebene Erklärung klar und eindeutig den Willen zum Ausdruck gebracht hätte, es ernsthaft und endgültig, zumindest aber bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens, bei dem Urteil des Landgerichts vom 11. April 2014 belassen und dieses nicht anfechten zu wollen.

In der Berufungserwiderung hat der Antragsteller den Inhalt der nach seiner Darstellung getroffenen Vereinbarung noch so geschildert, er habe auf die Vollziehung der einstweiligen Verfügung verzichtet, wenn die Antragsgegnerinnen keine Schadensersatzansprüche gemäß § 945 ZPO geltend machen. Weitergehende Absprachen waren dem nicht zu entnehmen.

Dem entsprach auch das Vorbringen des Antragstellers im Kostenfestsetzungsverfahren, die getroffene Vereinbarung habe einen Verzicht des Antragstellers auf die ihm zustehenden Kosten nicht erfasst (Schriftsatz vom 13, Juni 2014, Band II, Bl. 73 d.A.). Demgegenüber gibt es im gesamten Vortrag des Antragstellers keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Antragsgegnerinnen die ihnen nachteilige Entscheidung des Landgerichts, einschließlich der Kostenentscheidung, in diesem Verfahren hinnehmen wollten.

Das Gegenteil ist der Fall.

In der Berufungserwiderung führt der Antragsteller zu einen Telefonat der damaligen Bevollmächtigten der Parteien vom 14. April 2014 aus: „… verständigte man sich darauf, dass die Berufungsklägerinnen gegen das Urteil Berufung einlegen und der Berufungsbeklagte bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens keine Vollziehung anstrengen wird.“.

Bereits im Schriftsatz vom 12. August 2014 haben die Antragsgegnerinnen erwidert, diese Darstellung so zu verstehen, es sei vereinbart worden, gegen das Verfügungsurteil Berufung einzulegen (dort S. 3, oben, Band II, Bl. 155 d.A.). Zu einer Richtigstellung seines Vortrages sah sich der Antragsteller daraufhin nicht veranlasst.

Erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat im Rahmen der Erörterung eines Berufungsverzichts hat die Antragstellervertreterin erklärt, die Verständigung habe nur die Berufung gegen das zu erwartende Urteil in der Hauptsache betroffen.

Dies erscheint schon angesichts des Umstandes, dass der Antragsteller das Hauptsacheverfahren erst mit der Klageschrift vom 26. Juni 2014 (Anlage AG 39 zum Schriftsatz der Antragsgegnerinnen vom 12. August 2014) angestrengt hat, also mehr als zwei Monate nach der behaupteten Vereinbarung, wenig überzeugend.

Überdies hat der Antragsteller in der Berufungserwiderung den Inhalt einer E-Mail der vormaligen Bevollmächtigen der Antragsgegnerinnen vom 16. April 2014 vorgetragen, der sich mit der von ihm nun vertretenen Standpunkt schwerlich vereinbaren lässt: „Sie hatte(n) bereits mündlich auf meine Anfrage bestätigt, dass Ihr Mandant die einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin zunächst bis zu Rechtskraft des Verfügungsurteils nicht vollziehen wird.“

Die Befristung des Verzichts auf die Vollziehung „bis zur Rechtskraft des Verfügungsurteils“ hat der Antragsteller in seinem Schriftsatz vom 4. Juli 2014 noch herausgestellt und weiter vorgetragen, sowohl die Antragsgegnerinnen wie auch deren vormalige Verfahrensbevollmächtigte, Rechtsanwältin Dr. N... , hätten erklärt, den „ordentlichen Marsch durch die Instanzen antreten“ zu wollen.

Letztlich hat der Antragsteller seinen Tatsachenvortrag aber auch nicht glaubhaft gemacht, obwohl die Antragsgegnerinnen auch in diesem Verfahren schriftsätzlich ausdrücklich vorgetragen haben, sie hätten keinen Zweifel daran aufkommen lassen, sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Entscheidung des Landgerichts und das Unterlassungsbegehren des Antragstellers zur Wehr setzen zu wollen (Schriftsatz vom 12. August 2014, Seite 2, Band II, Bl. 154 d.A.).


C.

Die Berufung der Antragsgegnerin zu 2) ist auch begründet.

1. Die einstweilige Verfügung im Urteil des Landgerichts vom 11. April 2014 ist aufzuheben, weil der Antragsteller sie nicht innerhalb der Frist von § 936, § 929 Abs. 2 ZPO vollzogen hat.

Er hat innerhalb dieser seit der Verkündung des Urteils laufenden einmonatigen Frist (vgl. §§ 936, 929 Abs. 2 ZPO) insbesondere weder das Urteil vom 11. April 2014 der Gegenseite im Parteibetrieb zugestellt noch Ordnungsmittelverfahren wegen begangener Zuwiderhandlungen gegen die ausgesprochenen Verbote eingeleitet.

a) Das OLG Stuttgart hat seine vom Antragsteller angeführte, etwa in dem Urteil vom 28. April 1997, 2 U 215/96, vertretene Auffassung, ein Verfügungsurteil, das ein Unterlassungsgebot mit Ordnungsmittelandrohung enthalte, müsse nicht durch Zustellung im Parteibetrieb vollzogen werden, um die Frist des § 929 Abs. 2 ZPO zu wahren, seit langem aufgegeben (vgl. OLG Stuttgart GRUR-RR 2009, 194).

Im Übrigen hat das OLG Stuttgart aber auch in der vom Antragsteller zitierten Entscheidung die Parteizustellung nur deshalb als unnötig und bloße Förmelei angesehen, weil in der dort zu beurteilenden Situation an der Ernstlichkeit des Vollziehungswillens des Antragstellers kein Zweifel bestanden hat. Auf den vorliegenden Fall, in dem der Antragsteller nach Erlass des Verfügungsurteils, aber noch innerhalb der Vollziehungsfrist, ausdrücklich erklärt hat, nicht vollziehen zu wollen, lässt sich diese – aufgegebene – Rechtsprechung mithin nicht übertragen.

b) Der Antragsteller trägt in seinem Schriftsatz vom 30. September 2014 zwar nunmehr vor, den vormaligen Vertretern der Antragsgegnerinnen sei das Urteil des Landgerichts am 15. April 2014, also noch innerhalb der Vollziehungsfrist, per Fax übermittelt worden.

In dieser Faxsendung liegt jedoch keine ordnungsgemäße Vollziehung durch Zustellung im Parteibetrieb.

aa) Die Zustellung eines Dokuments von Anwalt zu Anwalt ist auch per Fax möglich (§ 195 Abs. 1, §§ 191, 174 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Sie setzt aber eine Beglaubigung des zuzustellenden Dokuments voraus (§ 195 Abs. 1, §§ 191, 169 Abs. 2 ZPO).

Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Antragstellervertreterin einen Beglaubigungsvermerk auf die per Fax an die Gegenseite übermittelte Urteilsabschrift gesetzt hätte. In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Antragsgegnerinnenvertreterin einen Ausdruck der empfangenen Sendung vorgelegt, der auf keiner Seite einen Beglaubigungsvermerk aufgewiesen hat. Dem ist die Antragstellervertreterin nicht entgegen getreten.

Überdies hat die Antragstellervertreterin nur eine einfache Urteilsabschrift an die Gegenseite gefaxt.

Der Vertreterin des Antragstellers ist das landgerichtliche Urteil in beglaubigter Ausfertigung auf dem Postweg erst am 24. April 2014 zugestellt worden (Bl. I/241 d.A.). Beglaubigte Urteilsausfertigungen hat die Geschäftsstelle des Landgerichts erst am 17. April 2014 erstellt (s. Bd. I, AH, sowie Anlagen zur Berufungsbegründung der Antragsgegnerinnen).

Die Antragstellervertreterin hatte vorab lediglich eine einfache Abschrift des Urteils erhalten. Dies belegt auch ein Vergleich des Seitenumfangs von Urschrift und Ausfertigungen des Urteils. Die Urschrift besteht aus 24 Seiten – 24 Seiten sind nach dem dem Schriftsatz des Antragstellers beigefügten Faxprotokoll am 15. April 2014 auch an die damaligen Antragsgegnerinnenvertreter gesandt worden – während die beglaubigte Ausfertigung nach Umformatierung 30 Seiten umfasst.

bb) Überdies ist in einer kommentarlosen Übermittlung einer einfachen Urteilsabschrift per Fax keine wirksame Vollziehung zu sehen, wenn nach eigenem Vortrag des Antragstellers schon vorher, am 14. April 2014, telefonisch und wenig später am 17. April 2014 auch per Fax (Anlage AG 28 zur Berufungsbegründung) der anderen Seite mitgeteilt wird, dass die einstweiligen Verfügung nicht vollzogen bzw. vollstreckt werden soll.

cc) Auf eine nach der Darstellung des Antragstellers mit den erstinstanzlichen Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin zu 2) getroffene Vereinbarung, nach der der Antragsteller auf die Vollziehung der einstweiligen Verfügung verzichtet, wenn die Antragsgegnerin zu 2) ihrerseits keine Schadensersatzansprüche aus § 945 ZPO geltend macht, kann der Antragsteller sich nicht berufen.

Die Frist des § 929 Abs. 2 ZPO ist eine gesetzliche Frist, die nicht zur Disposition der Parteien steht. Vereinbarungen oder einseitige Erklärungen über eine Verlängerung oder einen Verzicht sind unwirksam (vgl. BGH NJW 1993, 1079; Drescher in: Münchener Kommentar, ZPO,4. Aufl., § 929, Rn 8; Schuschke in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 5. Aufl., § 929, Rn 7; Thümmel in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 4. Aufl., § 929, Rn 20: Vollkommer in: Zöller, ZPO, 30. Aufl., § 929, Rn 3).

2. Es fehlt im Übrigen jetzt auch ein Verfügungsgrund im Sinne der §§ 935, 940 ZPO.

Der Antragsteller kann sich im vorliegenden Fall nicht mehr auf § 12 Abs. 2 UWG berufen.

§ 12 Abs. 2 UWG begründet nur eine widerlegliche tatsächliche Vermutung der Dringlichkeit. Die Vermutung der Dringlichkeit ist widerlegt, wenn der Antragsteller durch sein Verhalten selbst zu erkennen gegeben hat, dass es ihm nicht eilig ist. (BGH GRUR 2000, 151 – Späte Urteilsbegründung; Hess in: Ullmann, jurisPK-UWG, 3. Aufl., § 12, Rn 104, 106; Köhler in: Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl., § 12, Rn 3.13, 3.15).

Die aus dem Rechtsgedanken des § 12 Abs. 2 UWG folgende Dringlichkeitsvermutung kann nicht nur durch zögerliche Verfahrenseinleitung, sondern auch dann widerlegt sein, wenn der Antragsteller (nach zunächst hinreichend zeitnaher) Verfahrenseinleitung durch sein Verhalten zu erkennen gibt, dass die Sache für ihn nicht (mehr) eilig ist (vgl. KGR Berlin 1999, 327; OLG Düsseldorf GRUR-RR 2003, 21; KG MDR 2009, 888; Hess in: Ullmann, jurisPK-UWG, 3. Aufl., § 12, Rn 118; Köhler in: Köhler/Bornkamm, UWG, 32. Aufl., § 12, Rn 3.16) In seinem Urteil vom 8. April 2011, 5 U 140/10, hat der Senat ausgeführt:
„Nach obergerichtlicher Rechtsprechung steht es der Annahme einer Dringlichkeit entgegen, wenn der eine Untersagung begehrende Antragsteller nach Erlass der Beschlussverfügung und deren Vollziehung in Kenntnis der Fortsetzung des untersagten Verhaltens keinen Vollstreckungsantrag stellt, um das sich aus § 945 ZPO ergebende Kostenrisiko zu vermeiden (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 25.03.2010 - 6 U 219/09 - Whiskey-Cola). Ebenso beseitigt ein bald nach Erlass einer einstweiligen Verfügung von dem Gläubiger im Hinblick auf Vergleichsverhandlungen erklärtes Einverständnis, "bis zu einer Entscheidung des Verfügungsverfahrens" auf die Zwangsvollstreckung aus dem Titel zu verzichten, die (lauterkeitsrechtliche) Dringlichkeitsvermutung jedenfalls dann, wenn in den nachfolgenden Monaten konkrete und mit zeitlichen Limits zur Beantwortung versehene Vorschläge zur Beilegung des Rechtsstreits nicht unterbreitet werden (OLG Köln Magazindienst 2010, 532). Ebenso verhält sich dringlichkeitsschädlich, wer nach erstinstanzlich erfolgreichem Eilverfahren zu Beginn des Berufungsrechtszugs ohne besonderen Grund erklärt, dass er bis zum Verfahrensabschluss aus der einstweiligen Verfügung nicht vollstrecken werde, und einen schon gestellten Antrag auf Festsetzung eines Zwangsgeldes nach § 888 ZPO wegen titelwidrig nicht erteilter Auskunft zurücknimmt (vgl. Senat Magazindienst 2010, 951).“
und im dort zu entscheidenden Fall die Dringlichkeit verneint, weil dieser mit den zitierten Fällen vergleichbar sei.

Entsprechendes gilt auch im vorliegenden Fall.

3. Der Vorwurf der Arglist und des Rechtsmissbrauchs, den der Antragsteller erhebt, kann nicht dazu führen, einer unwirksamen Vereinbarung über einen Verzicht auf die Vollziehung der einstweiligen Verfügung „durch die Hintertür“ Wirksamkeit zu verleihen.

Es bleibt dem Antragsteller unbenommen, die hier streitigen Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren klären zu lassen.


D.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 516 Abs. 3 ZPO.