Das Verkehrslexikon

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OLG Brandenburg Beschluss vom 17.06.2014 - (2 B) 53 Ss-OWi 230/14 (111/14) - Vorsatz bei Geschwindigkeitsverstoß

OLG Brandenburg v. 17.06.2014: Zur Annahme von Vorsatz bei einem Geschwindigkeitsverstoß




Das OLG Brandenburg (Beschluss vom 17.06.2014 - (2 B) 53 Ss-OWi 230/14 (111/14)) hat entschieden:

   Ein vorsätzlicher Verstoß liegt umso näher, je höher die Geschwindigkeitsüberschreitung ist. Dabei wird regelmäßig von Vorsatz auszugehen sein, wenn die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 40 km/h überschritten wird, bzw. wenn sonst die zulässige Höchstgeschwindigkeit um annähernd 50 % überschritten wird.

Siehe auch
Zur Annahme von Vorsatz bei Geschwindigkeitsüberschreitungen
und
Die Beweiswürdigung in Straf- und Bußgeldsachen


Gründe:


I.

Das Amtsgericht Senftenberg hat gegen den Betroffenen mit Urteil vom 17. Februar 2014 wegen vorsätzlicher Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit eine Geldbuße von 300,00 Euro sowie ein Fahrverbot für die Dauer von einem Monat verhängt.

Nach den Feststellungen des Amtsgerichts befuhr der Betroffene am 21. Juni 2013 mit dem PKW, amtliches Kennzeichen …, die Bundesstraße … zwischen den Ortschaften Sch… und S… in Richtung S…. Um 16:02 Uhr überschritt er im Abschnitt 165, Höhe Kilometer 2,9, die nach § 3 Abs. 3 StVO für Pkw bis zu 3,5 t außerhalb geschlossener Ortschaften geltende zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 34 km/h. Die Bundesstraße … sei zwischen S… und Sch…. auf drei Fahrspuren ausgebaut. Im Bereich der Messstelle befänden sich in Richtung S… zwei Fahrspuren, in der Gegenrichtung eine Fahrspur. Die Fahrspuren seien nicht baulich voneinander getrennt und die Bundesstraße auch nicht autobahnähnlich ausgebaut (UA S. 3).




Dagegen hat der Betroffene Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 8. April 2014 rechtzeitig begründet. Er rügt die Verletzung formellen und sachlichen Rechts.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragt,

   die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Der Einzelrichter hat die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen, weil es geboten ist, die angefochtene Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nachzuprüfen.

Die Rechtsbeschwerde führt zur Herabsetzung der verhängten Geldbuße.




II.

Die Rechtsbeschwerde ist mit der Sachrüge zulässig und teilweise begründet.

1. Die Urteilsgründe tragen nicht die Annahme eines vorsätzlichen Geschwindigkeitsverstoßes des Betroffenen.

Das Amtsgericht hat die vorsätzliche Begehungsweise darauf gestützt, dass das Überschreiten der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf einer Bundesstraße, auf welcher gemäß § 3 Abs. 3 StVO eine zulässige Höchstgeschwindigkeit gilt, „immer“ eine vorsätzliche Geschwindigkeitsüberschreitung indiziere (UA S. 7). Damit beruft sich das Amtsgericht auf einen Erfahrungssatz, den es in dieser Allgemeinheit nicht gibt.

Auf der Hand liegt, dass nicht bereits jeder Geschwindigkeitsverstoß auf einer derartigen Bundesstraße vorsätzlich begangen sein muss. Richtig ist, dass im Grundsatz ein vorsätzlicher Verstoß umso näher liegt, je höher die Geschwindigkeitsüberschreitung ist. Dabei wird regelmäßig von Vorsatz auszugehen sein, wenn in solchen Fällen die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 40 km/h überschritten wird (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 11. Februar 1999, Az.: 2 Ss 4/99, zitiert nach juris), bzw. wenn sonst die zulässige Höchstgeschwindigkeit um annähernd 50 % überschritten wird (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 28. April 2006, Az.: 1 Ss 25/06; OLG Celle, Beschluss vom 9. August 2011, Az.: 322 SsBs 245/11, beide zitiert nach juris).




Hier hat der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h um 34 km/h überschritten. Bei diesem Ausmaß der Überschreitung kann nicht allein aus diesem auf vorsätzliche Begehungsweise geschlossen werden. Es hätte dazu vielmehr weiterer Indizien bedurft (vgl. Senat, Beschluss vom 18. September 2007, Az.: 2 Ss (OWi) 153 B/07; OLG Celle, Beschluss vom 28. Oktober 2013, Az.: 322 SsRs 280/13, zitiert nach juris). Dazu enthält die angefochtene Entscheidung indes keinerlei Feststellungen.

2. Die weitergehende Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

Die Rüge der Verletzung des § 265 StPO ist nicht zulässig ausgeführt. Insoweit nimmt der Senat auf die diesbezüglichen zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 8. Mai 2014 Bezug.

Die weitere Beanstandung, das Amtsgericht habe einen Beweisantrag des Betroffenen zu Unrecht abgelehnt, ist jedenfalls unbegründet. Denn der Betroffene behauptet schon keine konkreten Messfehler, sondern äußert nur eine nicht durch hinreichende Tatsachen belegte Vermutung.


3. Der Senat schließt aus, dass bei einer erneuten Verhandlung weitere Tatsachen festgestellt werden könnten, aus denen sich eine vorsätzliche Begehungsweise ableiten ließe. Der Senat macht daher von der Möglichkeit Gebrauch, in der Sache selbst zu entscheiden (§ 79 Abs. 6 OWiG).

Der Betroffene war aufgrund der von dem Amtsgericht getroffenen Feststellungen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu verurteilen. Dafür sieht die BKatV in ihrer Anlage Ziffer 11.3.6 eine Geldbuße von 120,- EUR vor. Diese war in Anbetracht der von dem Amtsgericht festgestellten Vorbelastungen des Betroffenen um 60,- EUR zu erhöhen.

Schließlich war gegen den Betroffenen ein Fahrverbot von einem Monat zu verhängen. Denn er hat innerhalb eines Jahres nach Rechtskraft einer früheren Geschwindigkeitsüberschreitung von mindestens 26 km/h hier eine weitere in mindestens dieser Höhe begangen. Dabei ist ein Fahrverbot in der Regel anzuordnen (§ 4 Abs. 2 Satz 2 BKatV). Anhaltspunkte, von dieser Regel abzuweichen, sind nicht ersichtlich.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.



Zwar hat das Rechtsmittel des Betroffenen zu einem Teil Erfolg. Für solche Fälle bestimmt § 473 Abs. 4 StPO im Falle des Teilerfolges eines unbeschränkten Rechtsmittels des Betroffenen im Grundsatz, dass die gerichtliche Gebühr für das Rechtsmittelverfahren zu ermäßigen ist und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Betroffenen zum Teil der Staatskasse auferlegt werden, wenn es unbillig wäre, den Betroffenen damit zu belasten. Das setzt voraus, dass nach den Umständen anzunehmen ist, der Betroffene hätte sein Rechtsmittel nicht eingelegt, wenn bereits die erstinstanzliche Entscheidung in der Sache so gelautet hätte wie diejenige des Rechtsmittelgerichts (vgl. Senatsbeschluss vom 28. April 2009, Az. 2 Ws (Reha) 21/08; KG a.a.O.; Meyer-​Goßner, StPO, 57. Aufl., § 473, Rn. 26).

Übertragen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die Ermäßigung der Gerichtsgebühr und die Überbürdung der notwendigen Auslagen des Betroffenen für das Rechtsbeschwerdeverfahren nur in Betracht kommen kann, wenn anzunehmen wäre, er hätte kein Rechtsmittel eingelegt, wenn ihn bereits das Amtsgericht wegen Fahrlässigkeit zu einer geringeren Geldbuße verurteilt hätte. Der Senat ist jedoch der Überzeugung, dass dies nicht der Fall gewesen wäre. Denn der Betroffene hat das Urteil des Amtsgerichts in vollem Umfang angefochten und sich auch gegen das verhängte Fahrverbot gewehrt, wie die Rechtsbeschwerdebegründung ergibt. Der Teilerfolg des Betroffenen ist hier auch nicht so groß, dass allein deswegen die vorstehenden Erwägungen zurückzutreten hätten (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 21. September 1988, Az.: 3 StR 349/88, zitiert nach juris).

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