Das Verkehrslexikon

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OLG Köln Beschluss vom 04.05.2015 - I-7 W 19/15 - Bahnbetreiberhaftung für zu früh abgesenkten Innenboden der Bahn

OLG Köln v. 04.05.2015: Bahnbetreiberhaftung für zu früh abgesenkten Innenboden der Bahn an einer Haltestelle


Das OLG Köln (Beschluss vom 04.05.2015 - I-7 W 19/15) hat entschieden:
  1. Die Straßenbahnunternehmerin haftet als Betreiberin nach § 1 Abs. 1 HaftpflG für beim Betrieb der Bahn verursachte Körperverletzungen. Eine Mitverursachung bzw. ein nach § 254 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 4 HaftPflG maßgebliches Mitverschulden des Geschädigten hat die Betreiberin als Schädigerin darzulegen und zu beweisen. Unter besonderen Umständen kann der Geschädigte verpflichtet sein, an der Beweisführung mitzuwirken. Die Betreiberin kann sich deshalb nicht darauf zurückziehen, den Sachvortrag der Antragstellerin zum genauen Unfallhergang mit Nichtwissen zu bestreiten. Denn sie hat als Schienenbahnbetreiberin unmittelbaren Einblick in die technischen Abläufe im Trittstufenbereich ihrer Straßenbahn.

  2. Beim Übergang von der Bahnsteig- bzw. Haltestellenkante ist regelmäßig mit gewissen Lücke von wenigen Zentimetern und/oder mit einem gewissen Höhenversatz zu rechnen. Deshalb ist ein einstiegswilliger Fahrgast verpflichtet, sich durch einen zumindest flüchtigen Blick über die äußere Beschaffenheit des Eintrittsbereichs der Bahn vergewissern. Das Übersehen einer deutlichen Vertiefung durch eine zu frühe Absenkung des Innenbodens der Bahn kann zur Anrechnung eines Mithaftungsanteils des Fahrgastes führen.

Siehe auch Haltestellen im öffentlichen Nahverkehr und im Schulbusverkehr und Straßenbahn - Tram - Stadtbahn


Gründe:

Die gemäß § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige sofortige Beschwerde führt in der Sache insoweit zum Erfolg, als fehlende Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht entgegen stehen.

1. An der Zulässigkeit der Feststellungsklage bestehen keine Bedenken.

Die Feststellungsklage ist nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 2006, 2548 mit zahlreichen weiteren Nachweisen) dann zulässig, wenn ihre Durchführung unter dem Gesichtspunkt der Prozesswirtschaftlichkeit eine sinnvolle und sachgemäße Erledigung der aufgetretenen Streitpunkte erwarten lässt. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die beklagte Partei – unabhängig von einem im Einzelfall gegebenenfalls konkret erfolgenden Regulierungsverhalten – die Erwartung rechtfertigt, sie werde auf ein rechtskräftiges Feststellungsurteil hin ihren rechtlichen Verpflichtungen nachkommen, ohne dass es eines weiteren, auf Zahlung gerichteten Vollstreckungstitels bedarf, wie etwa bei Banken, Behörden und großen Versicherungsunternehmen (BGH a.a.O. m.w.N.). Es bestehen keine Bedenken, einen öffentlichen Verkehrsbetrieb wie die Antragsgegnerin, deren Anteile ganz überwiegend von der Stadt L gehalten werden, zu in Anspruch genommenen Parteien in diesem Sinne zu zählen.

2. Die Antragsgegnerin haftet als Betreiberin der Straßenbahnlinie 16 nach § 1 Abs. 1 HaftpflG für beim Betrieb der Bahn verursachte Körperverletzungen. Entgegen der in dem angefochtenen Beschluss vertretenen Auffassung ist die Antragstellerin nicht beweisfällig für den ihr obliegenden Beweis einer in diesem Sinne beim Betrieb der Bahn am 26.05.2012 erlittenen Verletzung. Soweit sie zum Randgeschehen den Umstand, dass ihr Ehemann sie unmittelbar nach dem vorgetragenen Vorfall direkt an der Ausstiegshaltestelle abholte, unter Beweis stellt durch Vernehmung des Ehemanns, des Zeugen Dr. C, lässt sich in Verbindung mit der Möglichkeit einer informatorischen Anhörung der Antragstellerin, § 141 ZPO, grundsätzlich die notwendige Überzeugung von dem Zusammenhang zwischen Bahnbetrieb und behaupteten Verletzungen gewinnen.

3. Auf der Grundlage des vorgetragenen Unfallhergangs muss sich die Antragstellerin, wenn überhaupt, ein unterhalb von 50 % liegendes Mitverschulden anrechnen lassen.

Eine Mitverursachung bzw. ein nach § 254 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 4 HaftPflG maßgebliches Mitverschulden des Geschädigten hat die Antragsgegnerin als Schädigerin darzulegen und zu beweisen (OLG Köln, VersR 1999, 896, Rn. 50 nach juris; Geigel/Kaufmann, Haftpflichtprozess, 26. Aufl., 26. Kap., Rn. 45). Unter besonderen Umständen kann der Geschädigte verpflichtet sein, an der Beweisführung mitzuwirken (BGH, NJW 1984, 2216, Rn. 63 nach juris). Die Antragsgegnerin kann sich deshalb im Ausgangspunkt nicht darauf zurückziehen, den Sachvortrag der Antragstellerin zum genauen Unfallhergang mit Nichtwissen zu bestreiten. Denn sie hat als Schienenbahnbetreiberin unmittelbaren Einblick in die technischen Abläufe im Trittstufenbereich ihrer Straßenbahn. Dies gilt insbesondere in Ansehung des Umstands, dass ein Unfall der Antragstellerin am fraglichen Tag nach ihrem unwidersprochenen Vortrag von einem Mitarbeiter der Antragsgegnerin aufgenommen worden sein soll.

Von einem Mitverschulden der Antragstellerin wäre überhaupt nur dann auszugehen, wenn der Innenboden der Bahn gegenüber der Bahnsteigkante bereits abgesenkt war, d.h. die Trittstufen (versehentlich, nämlich z.B. infolge einer Fehlbedienung, aber erkennbar) heruntergefahren waren, bevor die Antragstellerin in die solcherart entstandene Vertiefung geriet. Denn da beim Übergang von der Bahnsteigkante zum Bahninnenboden regelmäßig mit einer gewissen Lücke von wenigen Zentimetern und/oder mit einem gewissen Höhenversatz zu rechnen ist, musste die Antragstellerin zur Wahrung der Eigensorgfalt sich durch einen zumindest flüchtigen Blick über die äußere Beschaffenheit des Eintrittsbereichs der Bahn vergewissern (vgl. etwa OLG Celle, NJW-RR 1994, 989; OLG Düsseldorf, NJW-RR 2007, 460, Rn. 14 nach juris). Bei einem entsprechenden flüchtigen Blick hätte ihr eine größere Vertiefung im Eintrittsbereich – nach ihrer Behauptung der einen Meter unter Gleishöhe abgesenkte Innenboden der Bahn - auffallen müssen und sie hätte den Unfall vermeiden können. 8 Allerdings führte ein mögliches Mitverschulden der Antragstellerin nicht zum vollständigen Ausschluss einer Haftung der Antragsgegnerin. Nach ständiger Rechtsprechung des erkennenden Senats, bei welchem eine Spezialzuständigkeit für Ansprüche – wie hier – aus dem Haftpflichtgesetz besteht, begründet selbst grob fahrlässiges Eigenverschulden des Geschädigten nicht zwangsläufig seine Alleinhaftung im Verhältnis zum Bahnunternehmer (vgl. auch Geigel/Kaufmann, Haftpflichtprozess, 26. Aufl., 26. Kap., Rn. 49). Im Streitfall tritt hinzu, dass der Antragstellerin allenfalls einfache und keine grobe Fahrlässigkeit vorzuwerfen wäre, da das Unterlassen des beim Einsteigen erforderlichen flüchtigen Blicks auf den Eintrittsbereich nur ein vergleichsweise leichtes Augenblicksversagen darstellt und keinen besonders vorwerfbaren Verstoß gegen grundlegende Vorsichtsregeln bei der Benutzung einer Straßenbahn. Demgegenüber steht auf Seiten der Antragsgegnerin ein ihr zuzurechnendes Verschulden des Fahrers bei der Trittstufenansteuerung im Raum. Der mögliche Bedienungsfehlers unterscheidet den Sachverhalt von anderen in der Rechtsprechung entschiedenen "Einsteigefällen" (vgl. OLG Düsseldorf, NJW-RR 2007, 460, Rn. 15 nach juris; OLG Hamm, NJW-RR 2000, 104, Rn. 9 nach juris), was in der von der Antragsgegnerin vorgelegten Gerichtsentscheidung des 15. Senats des OLG Köln keine Berücksichtigung gefunden hat.

3. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst, § 127 Abs. 4 ZPO.