Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

OLG Braunschweig Beschluss vom 21.12.2015 - 1 Ss (Owi) 165/15 - Verfallsanordnung bei inländischen und ausländischen Teilstrecken

OLG Braunschweig v. 21.12.2015: Verfallsanordnung bei inländischen und ausländischen Teilstrecken


Das OLG Braunschweig (Beschluss vom 21.12.2015 - 1 Ss (Owi) 165/15) hat entschieden:
  1. Bei internationalen Transporten darf nur der auf den inländischen Streckenanteil entfallende Frachtlohnanteil bei der Bestimmung des Verfallsbetrages im Rahmen von § 29a Abs. 1 und 2 OWiG herangezogen werden.

  2. Dieser Frachtlohnanteil lässt sich ermitteln, indem man die (geplante) Inlandsstrecke durch die (geplante) Gesamtfahrstrecke dividiert und das Ergebnis mit dem Gesamtfrachtlohn multipliziert.

Siehe auch Die Verfallsanordnung im Bußgeldverfahren und Stichwörter zum Thema Ordnungswidrigkeiten


Gründe:

I.

Der Verfallsbeteiligte (nachfolgend: der Betroffene) ist Transportunternehmer und führte am 11. März 2014 einen Transport von Betheny (Frankreich) nach Moskau (Russland) durch. Hierfür wurde eine in Polen zugelassene Fahrzeugkombination eingesetzt, die aufgrund der Beschaffenheit der Zugmaschine und des damit gekoppelten Sattelaufliegers zwangsläufig die gemäß § 32 Abs. 2 StVZO höchstzulässige Fahrzeughöhe von 4,00 m überschreiten musste. Mit dieser Fahrzeugkombination befuhr der von dem Betroffenen für den Transport eingesetzte Fahrer die Bundesautobahn 2 in Fahrtrichtung Berlin. Bei einer bei Kilometer 180,6 in der Gemarkung Wendeburg vom Bundesamt für Güterverkehr durchgeführten Höhenkontrolle wurde eine Überschreitung der höchstzulässigen Fahrzeughöhe um 4 cm festgestellt. Für den Transport hat der Betroffene ein Frachtentgelt in Höhe von insgesamt 3.100,00 Euro erhalten, wovon das Amtsgericht 1.800,00 Euro für verfallen erklärt hat.

Das Amtsgericht hat entschieden, dass auch der Vermögensvorteil abgeschöpft werden könne, der auf die Fahrt über Straßen im Ausland zurückgehe. Der Betroffene hält dies für rechtlich unzutreffend und verfolgt mit seiner Rechtsbeschwerde daher das Ziel, die Festsetzung eines geringeren Verfallsbetrags zu erreichen. Hierzu macht er geltend, dass es sich um einen internationalen Transport gehandelt habe, der nur zu etwas mehr als einem Drittel im Inland erfolgt sei. Überhaupt nur das auf diesen Streckenteil entfallende Transportentgelt - insoweit hat der Betroffene einen Betrag von 814,71 € errechnet - könne für verfallen erklärt werden.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich demgegenüber der Rechtsauffassung des Amtsgerichts angeschlossen und hat Verwerfung der Rechtsbeschwerde beantragt.

Um die aufgeworfene Rechtsfrage einer grundsätzlichen Klärung zuzuführen, hat der Einzelrichter die Sache mit Beschluss vom 30. Oktober 2015 dem Senat zur Entscheidung übertragen.

II.

Das Rechtsmittel hat auf die Sachrüge hin Erfolg. Das Amtsgericht ist bei seiner Entscheidung über die Höhe des für verfallen erklärten Betrages rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass - obwohl nur 713 km der 2707 km Gesamtlänge (nach google maps) des hier in Rede stehenden Transports von Betheny (Frankreich) nach Moskau (Russland) auf inländische Straßen entfielen - grundsätzlich das gesamte Frachtentgelt in Höhe von 3.100,00 Euro, welches der Betroffene für die Fahrt erhalten hat, gemäß § 29 a OWiG für verfallen erklärt werden könne.

§ 29 a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 OWiG stellt nach der Änderung des Wortlautes dieser Vorschrift durch das 5. AWStGBÄndG (BGBl. 1992 I, S. 372) auf das durch oder für mit Geldbuße bewehrten Handlung (Tat) erlangte „Etwas“ ab und legt damit für die Bestimmung der Höhe des Erlangten das sog. Bruttoprinzip zugrunde (vgl. OLG Celle wistra 2011, 476; BayObLG wistra 2000, 395, 397; BayObLG NStZ-​RR 1997, 339, 340; OLG Koblenz ZfSch 2007, 108 ff.; OLG Zweibrücken NStZ-​RR 2010, 256 f.; Gürtler in: Göhler, OWiG, 15. Aufl., 2009, § 29a Rn. 6). Unter die gesetzliche Formulierung „für eine mit Geldbuße bedrohte Handlung oder aus ihr etwas erlangt“ lassen sich sämtliche wirtschaftlichen Werte fassen, die in irgendeiner Phase des Tatablaufs durch den Täter oder den Drittbegünstigten erlangt wurden. All das, was der Täter oder der von ihm vertretene Dritter für die mit Geldbuße bedrohte Handlung oder aus ihr erlangt hat, soll ohne Abzug gewinnmindernder Kosten abgeschöpft werden können (vgl. OLG Celle a.a.O.).

Allerdings setzt die Verfallanordnung nach § 29 a OWiG - wie die strafrechtliche Verfallsanordnung nach § 73 Abs. 1 S. 1 StGB - als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal eine unmittelbare Kausalbeziehung zwischen der mit Geldbuße bewehrten Handlung und dem aus dieser oder für diese erlangten Etwas, dem Vorteil, voraus (vgl. Gürtner, in: Göhler, OWiG, § 29 a Rn. 10 m.w.N.). Das Abgeschöpfte muss spiegelbildlich dem erzielten Vermögensvorteil entsprechen (vgl. OLG Celle a.a.O.; OLG Koblenz ZfSch 2007, 108, 111; OLG Zweibrücken NStZ-​RR 2010, 256, 257). Um das Vorliegen einer solchen unmittelbaren Kausalbeziehung feststellen zu können, muss der Tatrichter zunächst das aus der Tat oder für die Tat Erlangte genau bestimmen (vgl. BGH NJW 2002, 2557). Erst in einem zweiten Schritt kann dann - ggf. unter Rückgriff auf die in § 29 a Abs. 3 OWiG gestattete Schätzung - der wertmäßige Umfang des Erlangten, und nur hierfür gilt das Bruttoprinzip (vgl. BGH a.a.O), bestimmt werden (vgl. OLG Celle a.a.O.).

Die mit einer Geldbuße bedrohte Handlung (§ 1 Abs. 2 OWiG) ist vorliegend die Inbetriebnahme einer Fahrzeugkombination unter Verstoß gegen die zulässigen Abmessungen des §§ 31 d Abs. 1, 32 Abs. 2 StVZO. Die räumliche Geltung dieser Ordnungswidrigkeit gemäß § 69a Abs. 3 Nr. 2 StVZO ist auf das Gebiet Deutschlands beschränkt (§ 5 OWiG). Die mit einem Bußgeld bedrohte Handlung als Anknüpfungspunkt für die Anordnung des Verfalls ist mithin nicht der Transport als solcher, sondern nur die verbotswidrige Inbetriebnahme der verwendeten Fahrzeugkombination auf deutschen Straßen. Diese konkrete Handlung ist vorliegend nur ein Teil der vom Verfallsbeteiligten gegenüber seinem Vertragspartner insgesamt zu erbringenden Transportleistung, deren vorgelagerte vertragliche Vereinbarung einen Anspruch des Verfallsbeteiligten auf Zahlung des ausgehandelten Frachtentgeltes begründet. Mit dem vorgelagerten Vertragsschluss hat der Verfallsbeteiligte einen schuldrechtlichen Anspruch erlangt, der grundsätzlich aber nur durchsetzbar ist, wenn auch der Gegenanspruch - Transport und Übergabe an den Empfänger - seinerseits erfüllt ist, was einen Transport zum Kunden voraussetzt. Die mit dem Bußgeld bedrohte Handlung ist damit conditio sine qua non für den Erhalt des Frachtentgeltes. Das Frachtentgelt ist als Geldleistung jedoch teilbar und ließe sich bei einem durch mehrere Länder führenden Transport vertraglich auch so ausgestalten, dass für die in den jeweiligen Ländern zurückzulegenden Streckenanteile jeweils ein gesondertes Entgelt vereinbart wird. Ausgehend von diesen Überlegungen hat der Verfallsbeteiligte aus der bußgeldbewährten Handlung als unmittelbaren Tatvorteil lediglich den Teil des Frachtentgeltes gezogen, der auf den inländischen Streckenanteil entfällt. Der auf die ausländischen Teilstrecken entfallende Frachtlohnanteil ist dagegen nur ein mittelbar erlangter Vermögensvorteil und unterliegt daher nicht dem Verfall. Diese Sichtweise bedeutet auch keine Berücksichtigung eines rechtmäßigen hypothetischen Kausalverlaufes bzw. die Aufspaltung der Fahrt in "legalen Sockel" und eine "rechtswidrige Spitze" (vgl. hierzu u.a. OLG Karlsruhe ZfSch 2013, 172; OLG Celle DAR 2011, 642). Denn der auf ausländischen Strecken zurückgelegte Teil des Gesamttransportes ist gerade nicht Bestandteil der hier maßgeblichen bußgeldbedrohten Handlung. Hinzu kommt, dass, würde man den gesamten Frachtlohn als dem Verfall unterliegend ansehen wollen, dies - unterstellt die durchfahrenen ausländischen Staaten hätten vergleichbare Bußgeld- und Verfallsvorschriften - dazu führen könnte, dass der Verfallsbeteiligte den vollen Frachtlohn gleich mehrfach abführen muss. Dies würde aber dem Zweck des § 29 a OWiG als eine präventiv-​ordnenden, kondiktionsähnlichen Maßnahme ohne pönalen Charakter (vgl. Gürtler in Göhler, OWiG, 15. Auflage 2009, § 29 a Rn. 1) widersprechen. Im Übrigen wäre bei Zugrundelegung des gesamten Frachtlohns auch zu prüfen gewesen, ob insoweit nicht bereits eine im Ausland ergangene Verfallsentscheidung vorliegt.

Da die Höhe des Frachtentgeltes, welches der Verfallsbeteiligte für den Transport insgesamt erhalten hat, bekannt ist, lässt sich der auf die Inlandsstrecke entfallende Teil als maximaler Verfallsbetrag hier mit 816,51 Euro berechnen (= Inlandsstrecke : Gesamtstrecke * Gesamtfrachtlohn).

Der Senat weicht mit seiner Bewertung, dass bei internationalen Transporten nur der auf den inländischen Streckenanteil entfallende Frachtlohnanteil bei der Bestimmung des Verfallsbetrages im Rahmen von § 29 a Abs. 1 und 2 OWiG herangezogen werden darf, nicht in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte ab. Zwar hat das Oberlandesgericht Karlsruhe in einer Entscheidung vom 23. Dezember 2014 (Az.: 2 (6) SsBs 601/14 - AK 160/14) die Auffassung vertreten, bei der Schätzung des Verfallsbetrages könne auch eine in Polen zurückgelegte Fahrstrecke berücksichtigt werden. Allerdings hatte das Oberlandesgericht Karlsruhe über eine tatsächliche Konstellation zu entscheiden, in der vom Tatrichter keine Feststellungen zu dem tatsächlich erlangten Frachtlohn hatten getroffen werden können, so dass es lediglich auf die Angabe von Kalkulations- bzw. Schätzgrundlagen (§ 29 a Abs. 3 S. 1 OWiG) ankam. Der Senat hat dagegen zu überprüfen, ob der Tatrichter das tatsächlich von dem Verfallsbeteiligten aus dem Transport Erlangte und dessen Wert anhand des Maßstabs von § 29a Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 OWiG zutreffend bestimmt hat.

Der aufgezeigte Rechtsfehler zwingt nicht zu einer Zurückverweisung der Sache. Stattdessen macht der Senat von der ihm durch § 79 Abs. 6 OWiG eröffneten Möglichkeit Gebrauch und setzt den aus dem Tenor ersichtlichen Verfallsbetrag selbst fest. Dabei hat er eine - allein an Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten orientierte - Einzelfallabwägung vorgenommen, innerhalb derer er sich damit auseinandergesetzt hat, ob und ggf. in welcher Höhe der Verfall anzuordnen ist. Ausgehend von dem zuvor dargestellten maximalen Verfallsbetrag hat der Senat in diesen Abwägungsvorgang insbesondere die vom Amtsgericht in seinem Urteil bereits erörterten Gesichtspunkte eingestellt.

III.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 OWiG.