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OLG Oldenburg Urteil vom 14.10.2015 - 5 U 46/15 - Sozialversicherungsrechtlicher Haftungsausschluss bei fremdnütziger Pannenhilfe durch Anschieben
OLG Oldenburg v. 14.10.2015: Sozialversicherungsrechtlicher Haftungsausschluss bei fremdnütziger Pannenhilfe durch Anschieben
Das OLG Oldenburg (Urteil vom 14.10.2015 - 5 U 46/15) hat entschieden:
Gemäß § 8 Nr. 2 StVG gelten die §§ 7 und 18 StVG nicht, wenn der Verletzte bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig war. Die Vorschrift zielt auf Personen ab, die durch die unmittelbare Beziehung ihrer Tätigkeit zu dem Betrieb des Kraftfahrzeugs den von ihm ausgehenden besonderen Gefahren stärker ausgesetzt sind als die Allgemeinheit, selbst wenn sie nur aus Gefälligkeit bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig geworden sind. Damit sind grundsätzlich auch Personen erfasst, die beim Anschieben eines Kraftfahrzeugs Hilfe leisten.
Siehe auch Unfallhelfer - Pannenhelfer - Hilfe am Unfallort und Haftung und Haftungsbegrenzung bei Gefälligkeitten
Gründe:
I.
Die Klägerin nimmt den Beklagten in dessen Funktion als A.-Pannenhelfer auf Schmerzensgeld in Anspruch.
Am 20. November 2013 um die Mittagszeit besuchte die in H. wohnende Klägerin ihre Schwester in E.. Den Weg nach Emden legte sie in einem Pkw der Marke VW, Typ Sharan, zurück. Das Fahrzeug wird mit einem 2-Liter-Dieselmotor angetrieben; Eigentümer und eingetragener Halter ist der Ehemann der Klägerin.
Als die Klägerin nach dem Besuch ihre Fahrt fortsetzen wollte, sprang der Pkw nicht an. Daraufhin benachrichtigte sie telefonisch die A.-Pannenhilfe. Nachdem der Beklagte als Pannenhelfer eingetroffen war, untersuchte er den Sharan und stellte fest, dass der Anlasser defekt war. Um den Motor zu starten, schob er das Fahrzeug zunächst gemeinsam mit der Klägerin an. Dieser Versuch misslang.
Danach kam die Schwester hinzu, der die Klägerin einen Besuch abgestattet hatte. Außerdem fanden sich eine weitere Schwester der Klägerin und ein Postzusteller bei dem Pkw ein. Nunmehr schoben die Klägerin, ihre Schwestern und der Postzusteller den Sharan an. Der Beklagte half an der geöffneten Fahrertür mit. Als der Pkw genug Fahrt aufgenommen hatte, setzte der Beklagte sich auf den Fahrersitz. Die Zündung war zu diesem Zeitpunkt bereits eingeschaltet. Der Beklagte betätigte die Kupplung und legte den Gang ein. Daraufhin sprang der Motor an.
Während dieses Vorgangs kamen die Personen, welche den Wagen angeschoben hatten, zu Fall. Die Klägerin zog sich dabei eine Nasenbeinfraktur, Monokelhämatome beidseits, Schürfwunden im Gesicht und Hämatome an der linken Hand zu.
Im Verlauf des Rechtsstreits hat der Beklagte dem Haftpflichtversicherer, bei dem der Sharan im Zeitpunkt des Unfalls versichert gewesen ist, den Streit verkündet. Der Haftpflichtversicherer ist dem Rechtsstreit auf Seiten des Beklagten beigetreten.
Die Klägerin hat behauptet, sie sei deshalb gestürzt, weil der Sharan nach dem Zünden des Motors einen „riesigen Satz“ gemacht habe. Veranlasst worden sei das Anschieben durch den Beklagten. Diesem sei bewusst gewesen, dass ein VW Sharan mit dem oben beschriebenen Antrieb „springe“, wenn man den Motor - wie hier - in kaltem Zustand zünde. Über die daraus resultierende Gefahr, so die Klägerin, hätte der Beklagte sie und die übrigen Helfer vor dem Anschieben informieren müssen. Sie hätte dann von dem Vorhaben Abstand genommen und darauf bestanden, den Pkw abzuschleppen. Letzteres wäre mit der Abschleppstange, die der Beklagte - unstreitig - bei sich geführt habe, möglich gewesen. Das pflichtwidrige Vorgehen des Beklagten belege „im Grunde“, dass er ihre Verletzungen vorsätzlich herbeigeführt habe.
Vor dem Landgericht hat die Klägerin ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld (Größenordnung: 5.500,00 €) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. März 2014 begehrt. Ferner hat sie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 € geltend gemacht.
Der Beklagte und die Streithelferin haben beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat in Abrede gestellt, dass der Sharan einen „riesigen Satz“ nach vorn gemacht habe. Er, der Beklagte, habe sofort die Kupplung getreten, als er das Starten des Motors wahrgenommen habe. Der Sturz der Klägerin sei gar nicht durch das Anspringen des Motors verursacht worden. Denkbar sei, dass die Klägerin oder ein anderer Helfer ohne äußere Einwirkung gestrauchelt sei und die übrigen Personen mitgerissen habe. Keinesfalls habe er die Klägerin schuldhaft in Gefahr gebracht.
Ein Anschleppen des Pkw sei nicht möglich gewesen. Die Abschleppstange, die sich in dem A.-Fahrzeug befunden habe, sei für den Sharan nicht geeignet gewesen. Das Anschieben stelle, wenn der Anlasser defekt sei, auch bei einem Fahrzeug mit einem 2-Liter-Dieselmotor ein probates Mittel der Pannenhilfe dar.
Die Streithelferin hat die Ansicht vertreten, die Klage scheitere jedenfalls an dem Haftungsprivileg des § 105 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SGB VII. Die Klägerin sei als Mithalterin des Sharans und damit als Unternehmerin im Sinne des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGB VII zu qualifizieren. Der Beklage habe in dem Unternehmen der Klägerin Pannenhilfe geleistet. Insoweit hafte er gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII nur für vorsätzlich herbeigeführte Personenschäden. Ein vorsätzliches Handeln sei jedoch nicht gegeben. Der Beklagte habe überhaupt nicht damit gerechnet, dass durch das Anschieben eine Person zu Schaden kommen könne. Erst recht habe er ein solches Ereignis nicht billigend in Kauf genommen.
Der Beklagte hat sich diesen Ausführungen angeschlossen.
Das Landgericht hat die Klage nach Anhörung der Parteien abgewiesen. Begründet hat es seine Entscheidung mit der Haftungsbeschränkung gemäß §§ 106 Abs. 3, 105 SGB VII. Der Beklagte sei, so die Einzelrichterin, Versicherter in dem Betrieb des A. e. V. Die Klägerin sei während des Geschehens am 20. November 2013 wie eine Beschäftigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII für ihren Ehemann tätig geworden. Letzterer unterfalle in seiner Eigenschaft als Fahrzeughalter dem Begriff des Unternehmers gemäß § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII. Wegen der Begründung im Einzelnen und der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird auf das erstinstanzliche Urteil verwiesen.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin Berufung eingelegt. Sie behauptet, dem Beklagten komme ein Haftungsprivileg schon deshalb nicht zugute, weil er ihre Verletzungen (bedingt) vorsätzlich herbeigeführt habe. Unter den konkreten Umständen (kalter Motor, großes Fahrzeug mit Dieselaggregat etc.) hätte der Pkw, so die Klägerin, nicht angeschoben werden dürfen. Ein solches Vorgehen berge erhebliche Verletzungsgefahren in sich. Die genannten Umstände seien dem Beklagten hinlänglich bekannt gewesen.
Ihren auf diese Aspekte abzielenden Sachvortrag und den betreffenden Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens habe das Landgericht verfahrensfehlerhaft übergangen.
Im Übrigen könne die Klägerin nicht wie eine Beschäftigte ihres Ehemannes behandelt werden. Es fehle an einem überwiegend fremdnützigen Handeln. Ihre Mithilfe beim Anschieben des Pkw sei im Wesentlichen dadurch motiviert gewesen, dass sie möglichst unkompliziert an ihren Wohnort habe zurückkehren wollen.
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an sie ein der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2014 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 571,44 € zu zahlen.
Der Beklagte und die Streithelferin beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens gemäß Beweisbeschluss vom 28. Mai 2015 (Bl. 132 f. d. A.). Außerdem hat er die Klägerin angehört.
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne der §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO noch rechtfertigen die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung. Dem Landgericht ist darin zuzustimmen, dass der Beklagte nicht verpflichtet ist, der Klägerin Schadensersatz zu leisten.
1. Eine Haftung des Beklagten nach §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1 Satz 1 StVG scheitert bereits an dem Ausnahmetatbestand des § 8 Nr. 2 StVG, der nicht nur zugunsten des Halters, sondern auch des Fahrers eines Kraftfahrzeugs eingreift (vgl. Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., § 18, Rn. 7).
Gemäß § 8 Nr. 2 StVG gelten die §§ 7 und 18 StVG nicht, wenn der Verletzte bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig war. Die Vorschrift zielt auf Personen ab, die durch die unmittelbare Beziehung ihrer Tätigkeit zu dem Betrieb des Kraftfahrzeugs den von ihm ausgehenden besonderen Gefahren stärker ausgesetzt sind als die Allgemeinheit, selbst wenn sie nur aus Gefälligkeit bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig geworden sind (vgl. BGH, NJW 2011, S. 292, 295, Tz. 23 m. w. N.). Damit sind grundsätzlich auch Personen erfasst, die - wie hier die Klägerin - beim Anschieben eines Kraftfahrzeugs Hilfe leisten (vgl. Heß, in: Burmann/Heß/Jahnke/Janker, Straßenverkehrsrecht, 23. Aufl., § 8, Rn. 10).
2. Dass der Beklagte das Anschieben initiiert hat, begründet ebenfalls keine Haftung. Nach dem überzeugenden Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Phys. S. stellt es auch bei einem Pkw, wie die Klägerin ihn benutzt hat, keine Sorgfaltswidrigkeit dar, den Startvorgang im Falle eines defekten Anlassers durch Anschieben in die Wege zu leiten. Bei einem solchen Vorgehen handele es sich, so Dipl.-Phys. S., um eine durchaus praktikable Methode. Daneben sei auch ein Abschleppen mit der Abschleppstange prinzipiell möglich. Allerdings befinde sich bei dem Sharan die Abschleppöse auf der rechten Seite. Ein optimaler Abschleppvorgang setze daher voraus, dass die Abschleppöse bei dem Fahrzeug des Helfenden auf derselben Seite angebracht sei. Bevor man einen Pkw mit einem defekten Anlasser abschleppe, versuche man in der Praxis regelmäßig, den Motor durch Anschieben zu starten.
3. Zuzustimmen ist der Klägerin darin, dass der angeschobene Pkw sich nach dem Starten des Motors schlagartig in Bewegung setzt.
Den Erläuterungen des Sachverständigen Dipl.-Phys. S. zufolge hat ein Test mit einem baugleichen Sharan gezeigt, dass sich, wenn der Fahrer das Kupplungspedal langsam kommen lasse, zunächst ein für den Schiebenden deutlich spürbarer Gegendruck entwickele. Nach dem Lösen der Kupplung komme es, so der Sachverständige, zu einem Kraftschluss über die Antriebsräder zum Motor; sodann beginne der Motor zu laufen. Lehne der Schiebende sich nach dem Aufbau des Gegendrucks noch stärker gegen das Auto, sei ein Sturz als Folge der Motorzündung ohne weiteres möglich. Während des Tests habe der Start des Motors im ersten Gang selbst ohne Betätigung des Gaspedals zu einer Beschleunigung in einer Größenordnung von 3,6 m/s2 geführt. Beim normalen Anfahren betrage die Beschleunigung lediglich 1,5 bis 2 m/s2.
4. Ob aus der vom Sachverständigen beschriebenen Sturzgefahr eine Hinweispflicht des professionellen Pannenhelfers resultiert, deren Missachtung Schadensersatzansprüche nach sich ziehen kann, bedarf in der vorliegenden Konstellation keiner abschließenden Würdigung. Wäre dies der Fall, käme dem Beklagten der Haftungsausschluss gemäß §§ 105 Abs. 1 Satz 1, 106 Abs. 3, 3. Var. SGB VII zugute.
a) Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, sind die Parteien Versicherte, die im Zeitpunkt des besagten Vorfalls für verschiedene Unternehmen tätig gewesen sind. Der Beklagte ist als Beschäftigter des A. e. V. gemäß § 2 Nr. 1 SGB VII versichert, während die Klägerin, als sie den Sharan mit anschob, wie eine Versicherte im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII für ihren Ehemann tätig geworden ist. Der Ehemann der Klägerin ist als Eigentümer und Halter des seinerzeit defekten Sharans ein Unternehmer im Sinne des § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII.
aa) Im Unfallversicherungsrecht genügt für die Annahme eines Unternehmens eine planmäßige, auf eine bestimmte Dauer angelegte und mit einer gewissen Regelmäßigkeit ausgeübte Tätigkeit. Daneben ist weder ein eingerichteter Gewerbebetrieb, eine Verfolgung wirtschaftlicher Interessen oder die Zahlung von Beiträgen an die Berufsgenossenschaft erforderlich. Dementsprechend ist auch der private Halter eines Kraftfahrzeugs prinzipiell als Unternehmer anzusehen, sofern es mit dem Fahrzeug zu einem dem Unfallversicherungsrecht unterfallenden Arbeitsunfall kommt (vgl. BGH, NJW 1987, S. 1643 mit Blick auf § 636 RVO a. F.; OLG Jena, NZV 2004, S. 466, 467; OLG München, Urteil vom 19.03.2009, Az.: 24 U 346/08, Tz. 15, zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, NZV 2012, S. 581, 582 m. w. N.).
bb) Die Klägerin ist während des Vorfalls am 20. November 2013 einer arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit nachgegangen und war damit gemäß § 2 Abs. 2 SGB VII wie eine Beschäftigte im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII kraft Gesetzes unfallversichert.
(1) Das Vorliegen einer arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit hängt im gesetzlichen Unfallversicherungsrecht nicht davon ab, ob die betreffende Person arbeitsrechtlich in ein Unternehmen eingegliedert ist. Insbesondere bedarf es weder eines Abhängigkeitsverhältnisses wirtschaftlicher oder persönlicher Art noch muss die Eingliederung des Verletzten in den Unfallbetrieb von dauerhafter Natur sein. Es reicht aus, dass die Tätigkeit, die zu einem Personenschaden führt, der im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses geleisteten Arbeit ähnlich ist, dass sie dem Unternehmen dient und dass sie dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entspricht. Ihrer Art nach muss die Tätigkeit sonst von Personen verrichtet werden können, die in einem Betrieb des betroffenen Gewerbes üblicherweise beschäftigt werden; es darf also nicht etwa eine bloße Freizeitbeschäftigung vorliegen (vgl. BGH, NJW 1987, S. 1643 f. mit Blick auf § 539 RVO a. F.; OLG Düsseldorf, NZV 2012, S. 581, 583; OLG Jena, NZV 2004, S. 466, 467 f.; OLG München, Urteil vom 19.03.2009, Az.: 24 U 346/08, Tz. 15).
In subjektiver Hinsicht setzt § 2 Abs. 2 SGB VII voraus, dass der Handelnde fremdnützig tätig sein will. Dem steht nicht entgegen, dass er mit seiner Tätigkeit auch ein eigenes Interesse verfolgt, solange die Wahrnehmung des fremden Interesses die primäre Intention darstellt. Nicht ausreichend ist es dagegen, wenn die Tätigkeit in erster Linie im Interesse des Unterstützenden liegt (vgl. BGH, a. a. O., S. 1644 mit Blick auf § 539 RVO a. F.; OLG Jena, a. a. O., S. 468; OLG München, r+s 2015, S. 256 f.).
(2) Nach diesem Maßstab ist die Klägerin einer arbeitnehmerähnlichen Tätigkeit nachgegangen, als sie mitgeholfen hat, den Pkw ihres Ehemannes anzuschieben.
(a) Entscheidend für die Abgrenzung zwischen Arbeit und anderen Betätigungen - wie etwa der Freizeitgestaltung oder völlig unbedeutenden Verrichtung - ist das Gesamtbild des Vorhabens, in das eine Person involviert gewesen ist (vgl. OLG Düsseldorf, NZV 2012, S. 581, 583 m. w. N.). Mithin ist das Anschieben des Pkw in der vorliegenden Gestaltung als Bestandteil der Pannenhilfe zu betrachten. Indem die Klägerin an diesem Vorhaben mitgewirkt hat, hat sie eine ernsthafte, wirtschaftlich bedeutsame Tätigkeit ausgeübt. Eine solche Hilfeleistung gehört, wie in dem konkreten Fall durch die Anwesenheit eines A.-Pannenhelfers untermauert wird, zu dem klassischen Betätigungsfeld gewerblicher Abschlepp- und Pannenhilfeunternehmen.
(b) Weiter kam der Einsatz der Klägerin ihrem Ehemann als Eigentümer und Halter des Fahrzeugs zugute. Dabei hat die Klägerin mit einer überwiegend fremdnützigen Intention gehandelt. Wie sie in ihrer Anhörung vor dem Senat geschildert hat, hatte sie, nachdem der Sharan nicht angesprungen war, bereits mit ihrem Ehemann telefoniert, der daraufhin einen Termin mit einer Kfz-Werkstatt vereinbart hatte. Ihre Absicht, so die Klägerin, sei es gewesen, den Pkw in die Werkstatt zu verbringen. Damit hat die Klägerin in erster Linie die Interessen ihres Ehemannes verfolgt. Dass sie sich auf diesem Weg möglicherweise zugleich ihrer Wohnung genähert hat, steht der Annahme einer Fremdnützigkeit nach Auffassung des Senats unter den konkreten Umständen nicht entgegen. Die Entfernung zwischen der Wohnung der Klägerin und dem Standort des defekten Sharans vor der Wohnung ihrer Schwester betrug rund 6 Kilometer. Angesichts einer solch geringen Distanz war die Klägerin keineswegs zwingend auf die A.-Pannenhilfe angewiesen, um nach Hause zu gelangen. Dies umso weniger, als sie auf die Mithilfe von zwei Schwestern zurückgreifen konnte. Das Warten auf den Pannenhelfer und die Versuche, den Pkw wieder zum Fahren zu bringen, stellen sich vor diesem Hintergrund sogar als deutlich zeitaufwändigere Variante dar. Insofern vermag der Senat die Mithilfe beim Anschieben nicht primär auf den Wunsch der Klägerin zurückzuführen, möglichst schnell oder einfach wieder in die eigene Wohnung zurückzukehren. Nach den Begleitumständen und den eigenen Angaben der Klägerin stand vielmehr das Ziel im Vordergrund, das Fahrzeug - der Planung ihres Ehemanns entsprechend - möglichst umgehend in die Werkstatt zu bringen.
b) Die Bestimmung des § 105 Abs. 1 Satz 1 SGB VII schränkt die Haftung von Personen ein, die durch eine betriebliche Tätigkeit einen Versicherungsfall von Versicherten desselben Betriebs verursachen. Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits gehören, wie dargelegt, verschiedenen Unternehmen an. In einer solchen Konstellation gilt § 105 SGB VII für die Ersatzpflicht der für die beteiligten Unternehmen Tätigen entsprechend, sofern diese vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichten (§ 106 Abs. 3, 3. Var. SGB VII). Letzteres ist in der vorliegenden Konstellation der Fall gewesen.
aa) Der Begriff der „gemeinsamen Betriebsstätte“ erfasst betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinander greifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Erforderlich ist aber ein bewusstes Miteinander im Betriebsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt (vgl. BGH, NZV 2015, S. 179, 181, Tz. 18 m. w. N.).
bb) Das danach notwendige bewusste und gewollte Zusammenwirken haben die Parteien im Rahmen der Pannenhilfe praktiziert. Beide Seiten haben aufgrund eines gemeinsamen Plans gezielt dazu beigetragen, dass der Motor des liegengebliebenen Fahrzeugs letztlich gestartet werden konnte. Deshalb kann der Beklagte im Verhältnis zu der Klägerin das Haftungsprivileg der §§ 105 Abs. 1, 106 Abs. 3, 3. Var. SGB VII für sich in Anspruch nehmen.
c) Ein vorsätzliches Handeln des Beklagten, welches bei Verwirklichung eines Haftungstatbestandes einen Schadensersatzanspruch der Klägerin begründen würde, lässt sich nicht feststellen. Wie eingangs dargelegt, stellt das Anschieben des Fahrzeugs in der konkreten Situation den Erläuterungen des Sachverständigen Dipl.-Phys. S. zufolge eine naheliegende und praktikable Methode der Pannenhilfe dar. Selbst wenn einem erfahrenen Pannenhelfer bekannt sein muss, dass ein angeschobener Pkw sich nach dem Starten des Motors schlagartig in Bewegung setzt, kann allein daraus nicht abgeleitet werden, dass der Beklagte Verletzungen der Anschiebenden billigend in Kauf genommen oder sogar beabsichtigt hat. Darüber hinausgehende Aspekte, die auf einen Verletzungsvorsatz hinweisen könnten, sind weder dargetan noch sonst ersichtlich.
5. Die - nicht nachgelassenen - Schriftsätze der Klägerin vom 6. Oktober 2015, des Beklagten vom 7. Oktober 2015 und der Streithelferin vom 24. September 2015 geben keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen oder den Fall rechtlich anders zu bewerten.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 101 ZPO. Da das Landgericht über die Kosten der Streithilfe nicht entschieden hat, war dies für die erste Instanz nachzuholen. Das Verschlechterungsverbot (§ 528 ZPO) steht dem nicht entgegen (vgl. Heßler, in: ZPO, 30. Aufl., § 528, Rn. 35 m. w. N.).
Die Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.
Die Revision war nicht zuzulassen. Die Rechtssache besitzt keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO). Ebenso wenig erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO).