Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

VGH München Beschluss vom 21.03.2016 - 11 CS 16.175 - Untersagung des Führens eines Fahrrads nach einer BAK von 1,99 ‰

VGH München v. 21.03.2016: Untersagung des Führens eines Fahrrads nach einer BAK von 1,99 ‰


Der VGH München (Beschluss vom 21.03.2016 - 11 CS 16.175) hat entschieden:
  1. Erweist sich jemand als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet zum Führen von (fahrerlaubnisfreien) Fahrzeugen, wozu auch Fahrräder zählen (vgl. § 2 Abs. 4 StVO), hat die Fahrerlaubnisbehörde ihm das Führen zu untersagen, zu beschränken oder die erforderlichen Auflagen anzuordnen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 FeV). Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass der Führer eines Fahrzeugs zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist, finden (ebenfalls) die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 2 FeV). Hat der Betreffende ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt, ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung ihrer Entscheidung(en) an, dass ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV). Dies gilt auch für das Fahrradfahren im Straßenverkehr mit entsprechenden Werten (BVerwG, B.v. 20.6.2013 – 3 B 102.12 – NJW 2013, 2696; BayVGH, B.v. 3.8.2015 – 11 CS 15.1262 – juris; B.v. 22.12.2014 – 11 ZB 14.1516 – juris). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 FeV).

  2. Die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 a StPO verbietet nicht, in Verfahren mit anderer Zielsetzung Feststellungen über Tatsachen, die einen Straftatbestand erfüllen, in dem für die dortige Entscheidung erforderlichen Umfang als Grundlage für die daran anknüpfenden außerstrafrechtlichen Rechtsfolgen zu verwerten (vgl. BayVGH, B. v. 5.3.2009 – 11 CS 09.228 – juris). Die Verwaltungsbehörde kann sich dabei auf dieselben Beweismittel stützen wie das Strafgericht und ist an dessen Bewertung nicht gebunden.

  3. Wer auf einem rollenden Fahrrad sitzt, führt dieses Fahrrad, weil ein rollendes Fahrrad des Lenkens bedarf (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2014 – 11 ZB 14.1755 – BayVBl 2015, 278). Entscheidend ist, dass das Fahrrad nicht nur geschoben wird. Das gilt unabhängig davon, ob die Bewegungsenergie aus einem aktuellen Betätigen der Pedale gezogen wird, aus einer vorhergehenden Pedalbewegung herrührt oder etwa nur aus der Schwerkraft beim Befahren einer Gefällstrecke. Kennzeichnend für das Führen eines Fahrzeugs ist, dass ein eigenständiger Bewegungsvorgang des Fahrzeugs ausgelöst worden ist, was bei einem Fahrrad dann anzunehmen ist, wenn sich Fahrer und Fahrrad zusammen bewegen und der Bodenkontakt mit beiden Füßen zumindest insoweit gelöst ist, dass das Fahrrad nicht nur beim Gehen geschoben wird.

Siehe auch Alkoholproblematik bei Radfahrern und Fahrerlaubniskonsequenzen und Alkohol und Führerschein-Verwaltungsrecht


Gründe:

I.

Der Antragsteller wendet sich im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis (Klassen A, B und C samt Unterklassen) und gegen das ihm auferlegte Verbot, fahrerlaubnisfreie Fahrzeuge zu führen.

Der Antragsteller wurde am 25. Mai 2015, gegen 0:35 Uhr, einer allgemeinen Verkehrskontrolle unterzogen, als er mit seinem Fahrrad unterwegs war. Nach den polizeilichen Feststellungen (Aktenvermerk vom 9.8.2015) fuhr der Antragsteller sehr langsam bei eingeschaltetem Licht und mit starken Lenkbewegungen die Straße entlang. Hierbei sei er nicht auf dem Sattel, sondern auf dem Oberrohr seines Fahrrads gesessen. Die Fahrweise sei unsicher gewesen. Er habe sich immer wieder mit seinen Füßen abstützen müssen, um einen Sturz zu verhindern. Eine eindeutige Trittbewegung in die Pedale habe nicht wahrgenommen werden können. Die dem Antragsteller um 1:35 Uhr entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,99 ‰.

Nachdem das Amtsgericht Schweinfurt am 22. September 2015 gegen den Antragsteller einen Strafbefehl wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr erlassen hatte, stellte das Amtsgericht in der Hauptverhandlung am 21. Oktober 2015 das Verfahren gemäß § 153 a Abs. 2 StPO vorläufig gegen Geldauflage, die später geleistet wurde, ein. In der Hauptverhandlung sagte der den Antragsteller am 25. Mai 2015 beobachtende Polizeihauptmeister als Zeuge aus, er könne ausschließen, dass der Antragsteller „gehenderweise“ unterwegs gewesen sei; er habe auf der Stange gesessen („also mehr anschieben und gerollt“) und mit den Füßen den Boden berührt, der Abstand sei größer als beim normalen Gehen gewesen. Er denke schon, dass es sich um ein Fahren gehandelt habe. Er möchte jetzt nicht ausschließen, dass es so wie ein typisches Laufradfahren gewesen sei.

Nachdem der Antragsteller trotz Aufforderung des Antragsgegners innerhalb der hierfür gesetzten Frist kein medizinisch-​psychologisches Fahreignungsgutachten vorgelegt hatte, entzog ihm der Antragsgegner mit Bescheid vom 11. Dezember 2015 die Fahrerlaubnis (Nr. 1 des Bescheids), untersagte ihm das Führen fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge (Nr. 2), ordnete die Ablieferung des Führerscheins spätestens sieben Tage nach Zustellung des Bescheids (Nr. 3) und die sofortige Vollziehung dieser Verfügungen an. Über die gegen den Bescheid erhobene Klage ist noch nicht entschieden.

Mit Beschluss vom 11. Januar 2016 lehnte das Verwaltungsgericht Würzburg den Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 11. Dezember 2015 wiederherzustellen, ab. Der Antragsteller habe das Fahrrad am 25. Mai 2015 geführt. Es stehe aufgrund des Akteninhalts, insbesondere den Feststellungen der Polizei und der Aussage des Polizeibeamten in der Hauptverhandlung beim Amtsgericht Schweinfurt fest, dass der Antragsteller das Fahrrad bewusst in Bewegung gesetzt habe und mit dem Rad unter starken Lenkbewegungen gerollt sei. Von einer sich auf einem rollenden Fahrrad im Straßenverkehr fortbewegenden Person – auch bei einer Art “Laufradfahren“ – gehe eine im Vergleich zu einem Fußgänger, der ein Fahrrad neben sich schiebe, offenkundig deutlich erhöhte Gefahr für die Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Straßenverkehr aus.

Zur Begründung der hiergegen eingereichten Beschwerde, der der Antragsgegner entgegentritt, lässt der Antragsteller im Wesentlichen vortragen, das Strafgericht habe das Vorliegen einer strafrechtlich zu ahndenden Alkoholfahrt als nicht gegeben angesehen und das Verfahren eingestellt. Aus dem Verhandlungsprotokoll des Amtsgerichts Schweinfurt ergebe sich nicht, dass der Antragsteller ein rollendes Fahrrad geführt habe; ansonsten wäre der Antragsteller strafrechtlich verurteilt worden. Der Zeuge habe ausgeführt, dass der Antragsteller auf der Oberstange gesessen sei, was nach Ansicht des Antragstellers aufgrund der niedrigeren Sitzhöhe sowohl ein Treten der Pedale wie auch ein Lösen beider Füße während des Schiebens nicht möglich erscheinen lasse; darüber hinaus habe der Zeuge im polizeilichen Aktenvermerk angegeben, der Antragsteller habe Bodenkontakt durch Abstützen der Füße auf dem Boden gehalten, um einen Sturz zu verhindern. Hätte sich der Antragsteller rollend fortbewegt, wäre es mangels Bodenkontakts zu einem Sturz des Antragstellers gekommen. Von einem Fortbewegen des Antragstellers durch Rollen könne also ausdrücklich keine Rede sein. Wenn der Zeuge von starken Lenkbewegungen spreche, gehe er wohl davon aus, dass der Antragsteller sich am Lenker festgehalten habe, da eine rollende Fortbewegung nicht vorgelegen haben könne. Das Verwaltungsgericht interpretiere hier sachwidrig ein „Laufradfahren“ hinein. Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit sei unverhältnismäßig. Der Antragsteller sei als Kfz-​Meister eines kleinen Betriebs beruflich auf seinen Führerschein angewiesen; es drohe der Verlust seines Arbeitsplatzes.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

II.

Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.

1. Die im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründe, auf deren Prüfung der Verwaltungsgerichtshof beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 6 VwGO), lassen nicht erkennen, dass die Entziehung der Fahrerlaubnis und die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge rechtswidrig wäre.

Gemäß § 3 Abs. 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) i.d.F. d. Bek. vom 5. März 2003 (BGBl I S. 310, 919), zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. Dezember 2015 (BGBl I S. 2161), § 46 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-​Verordnung – FeV) vom 18. Dezember 2010 (BGBl I S. 1980), zuletzt geändert durch Verordnung vom 2. Oktober 2015 (BGBl I S. 1674), ist die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich jemand als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Gibt es hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass ein Fahreignungsmangel vorliegen könnte, ist die Fahrerlaubnisbehörde nach Maßgabe der §§ 11 bis 14 FeV grundsätzlich verpflichtet, Maßnahmen zur Aufklärung bestehender Fahreignungszweifel zu ergreifen. Geht es - wie hier - um eine Alkoholproblematik und somit um Anhaltspunkte für einen Mangel im Sinne von Nr. 8 der Anlage 4 zur FeV, richten sich die von der Fahrerlaubnisbehörde zu treffenden Maßnahmen zur Klärung von Eignungszweifeln wegen des Alkoholverhaltens des Fahrerlaubnisinhabers nach § 13 FeV.

Erweist sich jemand als ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet zum Führen von (fahrerlaubnisfreien) Fahrzeugen, wozu auch Fahrräder zählen (vgl. § 2 Abs. 4 StVO), hat die Fahrerlaubnisbehörde ihm das Führen zu untersagen, zu beschränken oder die erforderlichen Auflagen anzuordnen (§ 3 Abs. 1 Satz 1 FeV). Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, dass der Führer eines Fahrzeugs zum Führen ungeeignet oder nur noch bedingt geeignet ist, finden (ebenfalls) die Vorschriften der §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 3 Abs. 2 FeV). Hat der Betreffende ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 ‰ oder mehr oder einer Atemalkoholkonzentration von 0,8 mg/l oder mehr geführt, ordnet die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung ihrer Entscheidung(en) an, dass ein medizinisch-​psychologisches Gutachten beizubringen ist (§ 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV). Dies gilt auch für das Fahrradfahren im Straßenverkehr mit entsprechenden Werten (BVerwG, B.v. 20.6.2013 – 3 B 102.12 – NJW 2013, 2696; BayVGH, B.v. 3.8.2015 – 11 CS 15.1262 – juris; B.v. 22.12.2014 – 11 ZB 14.1516 – juris). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen, oder bringt er das geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf die Nichteignung des Betroffenen schließen (§ 11 Abs. 8 FeV).

1.1 Entgegen der Auffassung des Antragstellers bedeutet die Einstellung eines Strafverfahrens nach § 153 a Abs. 2 StPO nicht, dass davon auszugehen ist, dass die Straftat nicht begangen wurde. Zwar trifft es zu, dass die Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK bei der Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 a StPO nicht widerlegt wird. Auch darf allein aus der Verfahrenseinstellung auf dieser Rechtsgrundlage, die nur mit Zustimmung des Angeklagten möglich ist, nicht auf die Verwirklichung des objektiven Tatbestandes der angeklagten Straftaten geschlossen werden (vgl. BVerfG, B. v. 16.1.1991 – 1 BvR 1326/90 – NVwZ 1991, 663). Die Einstellung des Verfahrens nach § 153 a StPO bringt aber keineswegs zum Ausdruck, dass der Tatverdacht gegen den Betroffenen ausgeräumt wäre. Vielmehr wird darauf abgestellt, ob von der Strafverfolgung unter Auflagen und Weisungen abgesehen werden kann, weil die Schwere der Schuld nicht entgegensteht (§ 153 a Abs. 1 Satz 1 StPO). Nach der Kommentarliteratur zu § 153 a StPO muss bei Zweifeln, ob überhaupt ein Straftatbestand erfüllt ist, die Rechtsfrage geklärt werden; die Anwendung des § 153 a StPO gegenüber einem möglicherweise Unschuldigen ist untersagt (vgl. Meyer-​Gossner/Schmitt, StPO, 56. Aufl. 2013, § 153 a Rn. 2 m.w.N.). Es muss nach dem Verfahrensstand mit einer hohen Wahrscheinlichkeit von einer Verurteilung ausgegangen werden können. Denn nur dann kann dem Angeklagten die Übernahme besonderer Pflichten zugemutet werden (vgl. Pfeiffer, StPO, 3. Aufl. 2001, § 153 a Rn. 2).

Die Einstellung des Strafverfahrens nach § 153 a StPO verbietet nicht, in Verfahren mit anderer Zielsetzung Feststellungen über Tatsachen, die einen Straftatbestand erfüllen, in dem für die dortige Entscheidung erforderlichen Umfang als Grundlage für die daran anknüpfenden außerstrafrechtlichen Rechtsfolgen zu verwerten (vgl. BayVGH, B. v. 5.3.2009 – 11 CS 09.228 – juris). Die Verwaltungsbehörde kann sich dabei auf dieselben Beweismittel stützen wie das Strafgericht und ist an dessen Bewertung nicht gebunden.

1.2 Nach der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erforderlichen, aber auch ausreichenden summarischen Prüfung ist davon auszugehen, dass der Antragsteller am 25. Mai 2015 ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer BAK von 1,99 ‰ geführt hat, denn der Antragsteller saß auf einem rollenden Fahrrad und hat nicht etwa als Fußgänger das Fahrrad geschoben.

Wer auf einem rollenden Fahrrad sitzt, führt dieses Fahrrad, weil ein rollendes Fahrrad des Lenkens bedarf (vgl. BayVGH, B.v. 17.11.2014 – 11 ZB 14.1755 – BayVBl 2015, 278). Entscheidend ist, dass das Fahrrad nicht nur geschoben wird. Das gilt unabhängig davon, ob die Bewegungsenergie aus einem aktuellen Betätigen der Pedale gezogen wird, aus einer vorhergehenden Pedalbewegung herrührt oder etwa nur aus der Schwerkraft beim Befahren einer Gefällstrecke. Kennzeichnend für das Führen eines Fahrzeugs ist, dass ein eigenständiger Bewegungsvorgang des Fahrzeugs ausgelöst worden ist, was bei einem Fahrrad dann anzunehmen ist, wenn sich Fahrer und Fahrrad zusammen bewegen und der Bodenkontakt mit beiden Füßen zumindest insoweit gelöst ist, dass das Fahrrad nicht nur beim Gehen geschoben wird.

Diese Auffassung entspricht der Rechtsprechung zu § 316 StGB und der Kommentarliteratur zu dieser Vorschrift. Nach der grundlegenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. Oktober 1988 (4 StR 239/88 – BGHSt 35, 390) kann in Abgrenzung zur bloßen Vorbereitung Führer eines Fahrzeuges nur sein, wer sich selbst aller oder wenigstens eines Teiles der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeugs bedient, die für seine Fortbewegung bestimmt sind. Es muss also jemand, um Führer eines Fahrzeugs sein zu können, das Fahrzeug unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein- oder Mitverantwortung in Bewegung setzen oder das Fahrzeug unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenken (ebenso Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, § 315 c Rn. 3a). Führer ist auch, wer nur einzelne dieser Tätigkeiten vornimmt, jedenfalls solange es sich dabei um solche handelt, ohne die eine zielgerichtete Fortbewegung des Fahrzeugs im Verkehr unmöglich wäre (BGH, B.v. 18.1.1990 – 4 StR 292/89 – BGHSt 36, 341). Auch zum Begriff des Führens eines Kraftfahrzeuges ohne Fahrerlaubnis hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es auf den "Bewegungsvorgang" (U.v. 9.7.1959 – 2 StR 240/59 – BGHSt 13, 226) oder das "Abrollenlassen" eines Kraftfahrzeugs (B.v. 29.3.1960 – StR 55/60 – BGHSt 14, 185) ankommt, wobei der Motorkraft als Ursache der Bewegung keine Bedeutung zukommt. Daher führt auch der, der ein Mofa fortbewegt, indem er sich – auf dem Fahrersattel sitzend – mit den Füßen vom Boden abstößt, ein Fahrzeug (OLG Düsseldorf, U.v. 29.9.1981 – 2 Ss 426/81 – VRS 62, 193).

Soweit König in Hentschel/Dauer/König (Straßenverkehrsrecht, 43. Aufl. 2015, § 316 StGB Rn. 4) ausführt, dass, einen Bewegungsvorgang vorausgesetzt, ein Fahrzeug nur führt, wer beim Besteigen eines Fahrrads mit beiden Füßen den Bodenkontakt gelöst hat, dient das nur der Abgrenzung zur straflosen Vorbereitungshandlung. Rollt ein Fahrrad mit einer darauf sitzenden Person, ergibt sich damit automatisch, dass der Bodenkontakt mit den Füßen „gelöst“ ist; ansonsten würden die Füße während der Bewegung des Fahrrads auf dem Boden „schleifen“, was zwar möglich ist, aber letztlich dem Führen eines Fahrrads nicht entgegensteht, weil es auch dann noch geführt, also gelenkt werden muss.

Zwar muss auch ein Fahrrad, das geschoben wird, gelenkt werden, allerdings wird das Fahrrad dabei nicht als Mittel der Fortbewegung genutzt, sondern die Fortbewegung erfolgt in diesem Fall durch Gehen, während das Fahrrad mit der Hand geschoben und gelenkt wird. In aller Regel geht derjenige, der ein Fahrrad schiebt, neben dem Fahrrad her. Ein Fahrrad kann zwar begrifflich – schon wegen der störenden Pedale wohl eher unüblich – auch in der Weise geschoben werden, dass sich das Fahrrad dabei „zwischen den Beinen“ befindet, die Person aber geht und das Fahrrad mit den Händen schiebt. Sitzt eine Person auf dem Fahrrad, sei es auf dem Sattel oder der Stange, und schiebt sie sich mit den Füßen an oder nutzt sie ein Gefälle, ist jedoch in der Regel von Fahrradfahren und damit vom Führen eines Fahrrads auszugehen. Das gilt jedenfalls, soweit die Fortbewegung nicht nur schrittweise, also „gehenderweise“, erfolgt und das Sitzen auf dem Fahrrad nicht allein dem Abstützen beim Gehen dient, und dann auch unabhängig davon, inwieweit der Bodenkontakt mit beiden Füßen gelöst ist, solange wegen der Geschwindigkeit von einem „Rollen“ des Fahrzeugs auszugehen ist.

Hier steht nach den Bekundungen des Polizeibeamten fest, dass der Antragsteller nicht neben dem Fahrrad gegangen, sondern dass er auf dem Fahrrad gesessen ist. Ferner ist danach davon auszugehen, dass der Antragsteller sich schneller als schrittweise vorwärts bewegt hat. Nach dem polizeilichen Aktenvermerk vom 9. August 2015 fuhr der Antragsteller sehr langsam bei eingeschaltetem Licht und mit starken Lenkbewegungen die Straße entlang. Er habe sich immer wieder mit seinen Füßen abstützen müssen, um einen Sturz zu verhindern. Die starken Lenkbewegungen deuten auf eine deutlich schnellere Fortbewegung hin als beim Gehen. Wenn sich der Antragsteller immer wieder auf dem Boden abstützen musste, heißt das auch, dass die Füße nicht immer auf dem Boden waren. In der Hauptverhandlung des Strafgerichts sagte der Polizeibeamte aus, er könne ausschließen, dass der Antragsteller „gehenderweise“ unterwegs gewesen sei; er habe auf der Stange gesessen und mit den Füßen den Boden berührt, der Abstand sei größer als beim normalen Gehen gewesen. Auch diese Schilderung spricht nicht für ein Gehen und Fahrradschieben, wobei sich der Antragsteller mit seinem Gesäß auf der Stange abstützte, sondern für ein zumindest langsames Rollen durch Anschieben mit den Füßen.

1.3. Der Antragsgegner hat das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung seines Bescheids auch ausreichend begründet. Angesichts der Gefahren für den Straßenverkehr bei Teilnahme fahrungeeigneter Personen muss das in der Beschwerde geltend gemachte wirtschaftliche Interesse des Antragstellers am Innehaben seiner Fahrerlaubnis zurückgestellt werden. Der Antragsteller hatte im Übrigen Gelegenheit, seine Eignung durch ein Gutachten nachzuweisen.

2. Die Beschwerde war daher mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 2 VwGO zurückzuweisen.

3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 2 i.V.m. § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG und den Empfehlungen in Nrn. 1.5 Satz 1, 46.1, 46.3, 46.4 und 46.14 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (abgedruckt in Kopp/Schenke, VwGO, 21. Aufl. 2015, Anh. § 164 Rn. 14). Die Fahrerlaubnisklassen A und B sind danach mit jeweils 5.000 Euro, die Fahrerlaubnisklasse C mit 7.500 Euro und die Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge mit 5.000 Euro, im einstweiligen Rechtsschutzverfahren jeweils mit der Hälfte anzusetzen. Die Befugnis zur Änderung des Streitwertbeschlusses in der Rechtsmittelinstanz von Amts wegen folgt aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.

4. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).