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VGH München Beschluss vom 17.11.2014 - 11 ZB 14.1755 - Wer auf einem rollenden Fahrrad sitzt, führt dieses Fahrrad
VGH München v. 17.11.2014: Wer auf einem rollenden Fahrrad sitzt, führt dieses Fahrrad
Der VGH München (Beschluss vom 17.11.2014 - 11 ZB 14.1755) hat entschieden:
Das Sitzen auf einem rollenden Fahrrad stellt ein Führen dieses Fahrrads dar, weil ein rollendes Fahrrad mit einer darauf sitzenden Person offensichtlich des Führens bedarf. Kennzeichnend für das Führen eines Fahrzeugs ist, dass die Räder rollten, also ein eigenständiger Bewegungsvorgang des Fahrzeugs ausgelöst worden sei, was bei einem Fahrrad dann anzunehmen ist, wenn sich Fahrer und Fahrrad zusammen bewegten und der Bodenkontakt mit beiden Füßen gelöst ist.
Siehe auch Alkoholproblematik bei Radfahrern und Fahrerlaubniskonsequenzen und Alkohol und Führerschein-Verwaltungsrecht
Gründe:
I.
Der 1974 geborene Kläger wendet sich gegen das Verbot des Führens von Fahrrädern im öffentlichen Straßenverkehr und begehrt die Erteilung einer Fahrerlaubnis.
Mit Urteil des Amtsgerichts H vom 17. Oktober 2012, rechtskräftig seit 4. März 2013, wurde der Kläger der fahrlässigen Trunkenheit im Verkehr (Tattag: 26.4.2012, Blutalkoholkonzentration – BAK – 1,52 Promille) schuldig gesprochen und zu einer Geldstrafe verurteilt. Die Fahrerlaubnis wurde ihm entzogen und eine Sperre von 6 Monaten für die Neuerteilung angeordnet.
Am 10. Januar 2013, um 23:55 Uhr, wurde der Kläger als Radfahrer einer Verkehrskontrolle unterzogen. Eine Blutentnahme am 11. Januar 2013 um 0:12 Uhr ergab eine BAK von 2,41 Promille. Nach Einspruch gegen den ergangenen Strafbefehl stellte das Amtsgericht H in der öffentlichen Sitzung am 25. Juni 2013 das Verfahren mit Zustimmung des Klägers und der Staatsanwaltschaft gemäß § 153a Abs. 2 StPO vorläufig ein. Dem Kläger wurde zur Auflage gemacht, 300 Euro an ein Tierheim zu bezahlen.
Nach einem Aktenvermerk der Behörde erklärte der Polizeiobermeister L, der den Kläger am 10. Januar 2013 kontrolliert hatte, am 6. August 2013 telefonisch, der Kläger sei kurz vor seiner Wohnortadresse auf dem Fahrrad sitzend und rollend beobachtet worden.
Die Fahrerlaubnisbehörde forderte vom Kläger zuletzt mit Schreiben vom 5. November 2013 die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens wegen der Taten vom 26. April 2012 und vom 10. Januar 2013 gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und c FeV. Der Kläger legte kein Gutachten vor.
Mit Bescheid vom … . November 2013 untersagte die Behörde dem Kläger das Führen von Fahrrädern im öffentlichen Straßenverkehr, mit Bescheid vom 29. November 2013 lehnte sie seinen Antrag auf Neuerteilung einer Fahrerlaubnis der Klassen B, BE, C1, C1E, C, CE, AM, L und T ab.
Der Kläger erhob Klage zum Verwaltungsgericht Ansbach und beantragte zuletzt,
die Bescheide vom 28. und 29. November 2013 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, ihm die beantragte Fahrerlaubnis zu erteilen.
Das Verwaltungsgericht wies die Klagen mit Urteil vom 3. Juli 2014 ab. Die Gutachtensbeibringungsanordnung habe auf § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. b und Buchst. c FeV gestützt werden können.
Gegen das Urteil richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
Der Beklagte tritt dem Antrag entgegen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten beider Instanzen und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.
II.
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg. Der geltend gemachte Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts.
Zur Bedeutung der Wirkung der Einstellung des Strafverfahrens, die im Zulassungsvorbringen nicht mehr thematisiert wurde, wird auf die Ausführungen des Senats im vorausgehenden einstweiligen Rechtsschutzverfahren (B.v. 24.3.2014 – 11 CE 14.11 – Blutalkohol 51, 292) verwiesen.
Der Kläger trägt zur Begründung des Zulassungsantrags vor, die Ansicht des Verwaltungsgerichts, wonach das Sitzen auf einem sich bewegenden Fahrrad offensichtlich ein Führen dieses Fahrrads darstelle, könne aus rechtlicher Sicht nicht überzeugen. Das Führen eines Fahrrads im Sinne des § 316 StGB setze voraus, dass beim Besteigen eines Fahrrads der Bodenkontakt mit beiden Füßen gelöst werde; dieses stehe auch nach Aussage des Zeugen, POM L, nicht fest; der Zeuge habe ausgesagt, dass er nicht wahrgenommen habe, ob der Kläger Bewegungen auf den Pedalen ausgeführt habe, wobei er das weder bestätigen noch verneinen könne. Das Lösen des Bodenkontakts mit beiden Füßen habe der Zeuge somit ausdrücklich nicht wahrgenommen. Dass sich der Bodenkontakt mit beiden Füßen gelöst haben müsse, konzediere auch das Verwaltungsgericht. Mangels Bewegungen auf den Pedalen müsse zu Gunsten des Klägers angenommen werden, dass dies nicht und schon gleich gar nicht unter Lösung des Bodenkontakts mit beiden Füßen stattgefunden habe. Die Gutachtensbeibringungsanordnung des Beklagten sei daher rechtswidrig, da der Tatbestand des § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c FeV durch Führen eines Fahrrads mit einer BAK von 2,41 Promille nicht vorliege.
Entgegen diesem Vorbringen ist nicht ernstlich zweifelhaft, dass der Kläger am 10. Januar 2013 ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer BAK von 2,41 Promille geführt hat. Nach der Aussage des Zeugen, POM L, ist es ausgeschlossen, dass der Kläger das Fahrrad geschoben hat, also neben dem Fahrrad herging, wie der Kläger ursprünglich geltend gemacht hatte. Die Bewegungsmuster einer ein Fahrrad schiebenden Person und einer auf einem rollenden Fahrrad sitzenden Person sind, worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat, so unterschiedlich, dass das auch bei einer nur kurzen Beobachtung zu unterscheiden ist.
Das Sitzen auf einem rollenden Fahrrad stellt ein Führen dieses Fahrrads dar, weil ein rollendes Fahrrad mit einer darauf sitzenden Person offensichtlich des Führens bedarf. Das Verwaltungsgericht hat hierzu ausgeführt, dies gelte unabhängig davon, ob die Bewegungsenergie aus einem aktuellen Betätigen der Pedale gezogen werde, aus einer vorhergehenden Pedalbewegung herrühre oder etwa nur aus der Schwerkraft beim Befahren einer Gefällstrecke. Kennzeichnend für das Führen eines Fahrzeugs sei, dass die Räder rollten, also ein eigenständiger Bewegungsvorgang des Fahrzeugs ausgelöst worden sei, was bei einem Fahrrad dann anzunehmen sei, wenn sich Fahrer und Fahrrad zusammen bewegten und der Bodenkontakt mit beiden Füßen gelöst sei.
Daran bestehen keine ernstlichen Zweifel. Die Auffassung entspricht der Rechtsprechung zu § 316 StGB und der Kommentarliteratur zu dieser Vorschrift. Nach der grundlegenden Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 27. Oktober 1988 (4 StR 239/88 – BGHSt 35, 390) kann in Abgrenzung zur bloßen Vorbereitung Führer eines Fahrzeuges nur sein, wer sich selbst aller oder wenigstens eines Teiles der wesentlichen technischen Einrichtungen des Fahrzeugs bedient, die für seine Fortbewegung bestimmt sind. Es muss also jemand, um Führer eines Fahrzeugs sein zu können, das Fahrzeug unter bestimmungsgemäßer Anwendung seiner Antriebskräfte unter eigener Allein-oder Mitverantwortung in Bewegung setzen oder das Fahrzeug unter Handhabung seiner technischen Vorrichtungen während der Fahrbewegung durch den öffentlichen Verkehrsraum ganz oder wenigstens zum Teil lenken (ebenso Fischer, StGB, 61. Aufl. 2014, § 315 c Rn. 3a). Führer ist auch, wer nur einzelne dieser Tätigkeiten vornimmt, jedenfalls solange es sich dabei um solche handelt, ohne die eine zielgerichtete Fortbewegung des Fahrzeugs im Verkehr unmöglich wäre (BGH, B.v. 18.1.1990 – 4 StR 292/89 – BGHSt 36, 341). Auch zum Begriff des Führens eines Kraftfahrzeuges ohne Fahrerlaubnis hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass es auf den "Bewegungsvorgang" (U.v. 9.7.1959 – 2 StR 240/59 – BGHSt 13, 226) oder das "Abrollenlassen" eines Kraftfahrzeugs (B.v. 29.3.1960 – StR 55/60 – BGHSt 14, 185) ankommt, wobei der Motorkraft als Ursache der Bewegung keine Bedeutung zukommt. Daher führt auch der, der ein Mofa fortbewegt, indem er sich – auf dem Fahrersattel sitzend – mit den Füßen vom Boden abstößt, ein Fahrzeug (OLG Düsseldorf, U.v. 29.9.1981 – 2 Ss 426/81 – VRS 62, 193).
Soweit das Verwaltungsgericht unter Berufung auf die Kommentierung von König in Hentschel/Dauer/König (Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl. 2013, § 316 StGB Rn. 4) ausgeführt hat, dass, einen Bewegungsvorgang vorausgesetzt, ein Fahrzeug nur führt, wer beim Besteigen eines Fahrrads mit beiden Füßen den Bodenkontakt gelöst hat, dient das nur der Abgrenzung zur straflosen Vorbereitungshandlung. Rollt ein Fahrrad mit einer darauf sitzenden Person, ergibt sich damit automatisch, dass der Bodenkontakt mit den Füßen "gelöst" ist; ansonsten würden die Füße während der Bewegung des Fahrrads auf dem Boden "schleifen", was zwar möglich ist, aber letztlich dem Führen eines Fahrrads nicht entgegensteht, weil es auch dann noch geführt, also gelenkt werden muss. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, dass sich das Fahrrad, während er hierauf saß, gegen seinen Willen in Bewegung gesetzt habe.
Der Beklagte konnte daher aufgrund der Nichtvorlage des zu Recht geforderten Gutachtens gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen und den Antrag des Klägers auf Erteilung einer Fahrerlaubnis gemäß § 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 StVG, § 11 Abs. 1 Satz 1 FeV ablehnen. Daher kommt es nicht mehr darauf an, ob die Fahrerlaubnisbehörde vor Erteilung einer Fahrerlaubnis an den Kläger ein Fahreignungsgutachten nach § 13 Satz 1 Nr. 2 Buchst. d FeV vom Kläger verlangen kann, weil dem Kläger wegen des Führens eines Kraftfahrzeugs im Straßenverkehr bei einer BAK von 1,52 Promille am 26. April 2012 strafgerichtlich die Fahrerlaubnis entzogen wurde (vgl. VGH BW, B.v. 15.1.2014 – 10 S 1748/13 – Blutalkohol 51, 31; BVerwG, B.v. 26.6.2013 – 3 B 71.12 – NJW 2013, 3670). Darüber hinaus durfte die Behörde wegen der Nichtvorlage des geforderten Gutachtens auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Fahrrädern schließen und ihm gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 FeV das Führen von Fahrrädern verbieten.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (abgedr. in Kopp/Schenke, VwGO, 20. Aufl. 2014, Anhang zu § 164 Rn. 14) in Nrn. 46.3, 46.4 und 46.9 hinsichtlich der Ablehnung der Erteilung der Fahrerlaubnis und in Nr. 46.14 für das Verbot des Führens von Fahrrädern.
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO).