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Kammergericht Berlin Beschluss vom 13.05.2015 - 3 Ws (B) 208/15 - 122 Ss 56/15 - Beweisantrag und Zeugenbenennung
KG Berlin v. 13.05.2015: Beweisantrag und Zeugenbenennung im Bußgeldverfahren
Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 13.05.2015 - 3 Ws (B) 208/15 - 122 Ss 56/15) hat entschieden:
- Ein Beweisantrag ist auch dann gegeben, wenn der Betroffene die nach seiner Auffassung zu vernehmenden Polizeibeamten nicht benennt. Denn bei der Benennung eines Zeugen genügt der Vortrag derjenigen Tatsachen, die es dem Gericht ermöglichen, ihn zu ermitteln oder zu identifizieren, so z.B. wenn der Zeuge unter Berücksichtigung des Beweisthemas über seine Tätigkeit insbesondere in einer Behörde zu individualisieren ist.
- Eine bekannte übliche Vorgehensweise bedeutet nicht, dass es in dem zu entscheidenden Fall nicht auch anders gewesen sein kann. Der Beweis des Gegenteils ist durch die nicht auf den konkreten Fall bezogene Überlegung, dass gerichtskundig sei oder die Zeugen bekundet haben, wie üblicherweise vorgegangen wird, nicht erbracht. Die Ablehnung eines Beweisantrags nach § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG ist in diesem Fall verfahrensfehlerhaft.
Siehe auch Der Beweisantrag im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren und Die Beweiswürdigung in Straf- und Bußgeldsachen
Gründe:
Das Amtsgericht Tiergarten hat gegen den Betroffenen am 19. Januar 2015 auf seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid des Polizeipräsidenten in Berlin vom 24. Mai 2013 wegen einer fahrlässigen Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß § 24 a Abs. 1 StVG eine Geldbuße in Höhe von 500,-- Euro verhängt, gemäß § 25 StVG ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet und bestimmt, dass dieses entsprechend der Regelung des § 25 Abs. 2 a StVG wirksam werden soll. Die hiergegen gerichtete, gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zulässige, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat (vorläufigen) Erfolg.
Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin hat zu dem Rechtsmittel wie folgt Stellung genommen:
"Die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt, hat Erfolg.
Sie dringt mit der Verfahrensrüge durch, das Amtsgericht habe einen Beweis-antrag zu Unrecht abgelehnt, so dass es der Erörterung der Sachrüge nicht bedarf.
Der Betroffene hatte sich in der Hauptverhandlung dahingehend eingelassen, vor der Atemalkoholkonzentrationsmessung im Polizeigewahrsam in der Zelle Mundspray, dass Alkohol enthalten habe, verwendet zu haben. In diesem Zusammenhang stellte der Verteidiger sinngemäß den Beweisantrag, durch Einsichtnahme in das Gewahrsamsprotokoll diejenigen Beamten zu ermitteln, die bei der Einlieferung mit dem Betroffenen befasst war, und zu vernehmen. Die Vernehmung werde die Einlassung des Betroffenen, er sei bei der Einlieferung nicht durchsucht worden, bestätigen. Das Amtsgericht hat die Beweiserhebung mit der Begründung abgelehnt, die Namhaftmachung der Polizeibeamten sei zur Aufklärung nicht erforderlich (§ 77 Abs. 2 OWiG). Es sei gerichtsbekannt, dass alle Personen, die in die GeSa eingeliefert werden, bei ihrer Einlieferung durchsucht würden und ihnen alle Gegenstände abgenommen würden. POK S. habe ebenfalls bestätigt, dass so verfahren werde. Auch PAng Z. habe dies bestätigt. Den einzuliefernden Personen werde allenfalls das Portemonnaie überlassen bleiben. Konfekt und Mundspray würden auf jeden Fall abgenommen werden.
Mit dieser Begründung durfte die Beweiserhebung nicht abgelehnt werden.
7Es handelt sich vorliegend um einen Beweisantrag, auch wenn der oder die Beamten, die bei der Einlieferung mit dem Betroffenen befasst waren, nicht namentlich benannt waren; denn bei der Benennung eines Zeugen genügt der Vortrag derjenigen Tatsachen, die es dem Gericht ermöglichen, ihn zu ermitteln oder zu identifizieren, so z. B. wenn der Zeuge – wie hier – unter Berücksichtigung des Beweisthemas über seine Tätigkeit insbesondere in einer Behörde zu individualisieren ist (vgl. BGHSt 40, 3 ff.; BGH StraFo 2010, 342 f.).
Ersichtlich wollte das Amtsgericht den Beweisantrag gemäß § 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG ablehnen. Danach ist eine Beweiserhebung nicht erforderlich, wenn das Gericht den Sachverhalt nach dem bisherigen Ergebnis der Ermittlungen für geklärt hält und nach seinem pflichtgemäßen Ermessen die Beweiserhebung zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist.
9Voraussetzung ist somit, dass in dem bisherigen Verfahren für bestimmte Tatsachen ein Beweis erbracht sein muss, der an sich zur Bildung der richterlichen Überzeugung für das Vorliegen dieser Tatsachen hinreicht, oder die Tatsachen müssen offenkundig sein (Seitz in Göhler, OWiG 16. Aufl., § 77 Rdnr. 11). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Vorliegend war die Beweiserhebung nicht, dass in der Regel keine Durchsuchung stattfindet, sondern dass dies in dem konkreten Fall nicht geschehen ist. Der Beweis des Gegenteils ist daher durch die nicht auf den konkreten Fall bezogene Überlegung, dass gerichtskundig sei oder die Zeugen bekundet haben, wie üblicherweise vorgegangen wird, nicht erbracht. Denn eine bekannte übliche Vorgehensweise bedeutet nicht, dass es in dem zu entscheidenden Fall nicht auch anders gewesen sein kann. Dass die bereits gehörten Zeugen POK S. und PAng Z. etwas zu der Durchsuchung des Betroffenen sagen konnten, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht.
Soweit im Übrigen dort weiter ausgeführt wird, die Einlassung des Betroffenen, er habe noch in der Wartezelle Mundspray verwendet, sei durch das korrespondierende Ergebnis der zuvor bei der polizeilichen Kontrolle durchgeführten freiwilligen Atemalkoholmessung widerlegt (UA S. 4), übersieht das Amtsgericht, jedenfalls, dass der Betroffene sich nach den Feststellungen dahingehend eingelassen hatte, er habe auch vor dieser Messung das Mundspray verwendet."
Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.
Der Senat hebt daher das angefochtene Urteil auf und verweist die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung – auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde – an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Tiergarten zurück (§ 79 Abs. 6 OWiG).