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Amtsgericht Dortmund Urteil vom 06.09.2016 - 425 C 4545/16 - Schadensersatzanspruch nach einem Unfall zwischen Auto und Radfahrer

AG Dortmund v. 06.09.2016: Unfall zwischen Auto und Radfahrer - Zubringerfahrstreifen für rechtsabbiegende Kfz


Das Amtsgericht Dortmund (Urteil vom 06.09.2016 - 425 C 4545/16) hat entschieden:
Wird die rechte Spur einer mehrspurigen Straße in einem weiten Bogen nach rechts geführt, um dann in eine im rechten Winkel verlaufende Straße zu münden, handelt es sich nicht um Rechtsabbiegen gem. § 9 Abs. 3 StVO, so dass Fahrradfahrer, die auf einer einige Meter weiter rechts neben der mehrspurigen Straße verlaufenden Trasse geradeaus fahren, nicht vorfahrtsberechtigt sind, sondern bei Überqueren der Spange wartepflichtig sind.


Siehe auch Rechtsabbiegen und Radfahrer-Unfälle


Tatbestand:

Der Kläger verlangt von dem Beklagten Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 10. Dezember 2015 im Kreuzungsbereich N.-​straße/C.-​straße ereignete.

Am Unfalltag befuhr die Tochter des Klägers mit dessen Pkw die N.-​straße. Sie beabsichtigte, dem Straßenverlauf nach rechts in die C.-​straße zu folgen. Der Straßenverlauf ist dort so gestaltet, dass die rechte Spur der N.-​straße in einem weiten Bogen nach rechts führt und dann in die C.-​straße mündet. Rechts von der N.-​straße verläuft ein Gehweg, der die nach rechts führende Spur der N.-​straße ungefähr in der Mitte dieser nach rechts verlaufenden Spur, also nachdem die Fahrzeuge auf der N.-​straße ca. um 45 Grad nach rechts bereits gewendet haben, kreuzt. In diesem Bereich ist der Bordstein auf beiden Seiten abgesenkt. Eine Beschilderung oder ein Zebrastreifen befinden sich dort nicht. Zum Unfallzeitpunkt stand der Beklagte mit seinem Fahrrad an diesem abgesenkten Bordstein. Er hatte sich nach rechts orientiert, weil von dort ein Krankenwagen unter Ausnutzung von Sonderrechten mit Martinshorn sich näherte. Aus der Sicht des Beklagten kam die Zeugin Q. von links. Nachdem der Beklagte bemerkt hatte, dass der Krankenwagen nicht in die Spur fuhr die der Beklagte überqueren wollte und auf der sich die Zeugin Q. befand wollte er wieder losfahren. Es kam zu einem Anstoß zwischen dem Fahrrad des Beklagten und dem Pkw des Klägers.

Der Kläger hat ein vorprozessuales Haftpflichtgutachten eingeholt wonach an seinem Fahrzeug ein Netto-​Schaden in Höhe von 2.818,50 € entstanden ist. Ferner ist durch den Schaden eine Wertminderung von 300,00 € eingetreten. Der Kläger hat den Schaden über seine Vollkaskoversicherung reguliert. Für das Gutachten musste er 696,75 € aufwenden und für einen Ersatzwagen 314,98 €.

Der Kläger ist der Ansicht, dass der Beklagte für das Unfallgeschehen voll einstandspflichtig sei. Er verlangt mit der vorliegenden Klage die Wertminderung sowie die Selbstbeteiligung der Vollkaskoversicherung, die Mietwagenkosten, die Kosten für das Schadensgutachten sowie eine Auslagenpauschale von 25,00 €. Zunächst hat er auch noch die Kosten für die Höherstufung in der Vollkaskoversicherung in Höhe von 428,00 € geltend gemacht. Insofern hat er die Klage unter teilweiser Rücknahme im Termin umgestellt.

Der Kläger beantragt noch,
den Beklagten zu verurteilen, an ihn 1.636,73 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 07.05.2016 zu zahlen.
Ferner beantragt er,
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm den Höherstufungsschaden aus der Vollkaskoversicherung zu erstatten.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Zeugin habe ihn schlicht übersehen. Er sei durch das Unfallgeschehen seitlich drei Meter in die Büsche geschleudert worden.

Wegen des weiteren Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben über den Unfallhergang durch uneidliche Vernehmung der Zeugin Q. sowie durch Anhörung des Beklagten. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 06.09.2016 Bezug genommen.


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist überwiegend begründet. Der Kläger kann gemäß § 823 BGB vom Beklagten Schadensersatz in Höhe von 80 % des ihm aufgrund des Unfallgeschehens entstandenen Schadens verlangen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur vollen Überzeugung des erkennenden Gerichts fest, dass das Unfallgeschehen im Wesentlichen durch den Beklagten schuldhaft verursacht wurde, weil er zum einen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nicht aufgewandt hat und zum anderen die Straße betreten hat ohne sich ausreichend davon zu vergewissern, dass die Straße frei ist.

Keine der Parteien hat behauptet, dass die Zeugin die Straße verlassen hat. Insofern kann das Unfallgeschehen sich nur so ereignet haben, dass der Beklagte oder sein Fahrrad in den Straßenbereich hineingeraten sind. Ob er dabei schon losgegangen ist oder nur das Lenkrad seines Fahrrades nach geradeaus gerichtet hat, sodass das Vorderrad noch weiter in die Straße hineingeragt hat ist dabei unerheblich. Aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme und der eigenen Einlassung des Beklagten hat das erkennende Gericht auch keine Zweifel daran, dass der Beklagte wohl aufgrund des Krankenwageneinsatzes etwas abgelenkt war und deshalb zunächst zur falschen Seite geschaut hat und nachdem er dann registriert hatte, dass vom Krankenwagen für ihn keine Gefahr ausging losgehen wollte ohne zuvor noch einmal nach links zu schauen ob die Fahrbahn frei ist.

Der Kläger muss sich aber die von seinem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr entgegenhalten lassen. Diese Betriebsgefahr wird im hiesigen Bezirk mit 20 % bewertet. Das Unfallgeschehen beruhte für seine Tochter nicht auf höherer Gewalt im Sinne des § 7 Abs. 2 StVG. Höhere Gewalt beruht auf einem außergewöhnlichen, betriebsfremden von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen Dritter herbeigeführtes und nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbares Ereignis, das mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch nach den Umständen äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und das auch nicht im Hinblick auf seine Häufigkeit in Kauf genommen zu werden braucht (OLG Celle, MDR 2005, 1345). Es muss sich also um Einwirkungen von außen handeln, die außergewöhnlich und nicht abwendbar sind. Alle drei Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit höhere Gewalt im Sinne des Gesetzes vorliegt. Dies ist vorliegend nicht der Fall. Seine Tochter musste mit einem eventuellen Fehlverhalten von Fußgängern durchaus an dieser Stelle rechnen, da auch für die Fußgänger die Situation unübersichtlich war.

Demgegenüber hat die Zeugin Q. aber nicht schuldhaft gegen § 9 Abs. 3 StVO verstoßen. Danach muss derjenige, der abbiegen will, andere Fahrzeuge durchfahren lassen. Dies gilt auch für Fahrräder die in die gleiche Richtung fahren sowie für Fußgänger gemäß § 9 Abs. 3 Satz 3 StVO.

Nach Ansicht des erkennenden Gerichts lag hier aber kein Abbiegevorgang im Sinne des § 9 Abs. 3 StVO vor. Hier wurde die rechte Fahrspur an der N.-​straße weggeführt auf die C.-​straße, ähnlich einer Autobahnauffahrt. Die typische Situation, dass der Fahrzeugführer eine Fahrbahn verlässt um in eine andere Fahrbahn einzubiegen lag also gerade nicht vor. Auch für die Fußgänger und gegebenenfalls Radfahrer die weiter geradeaus fuhren war die Situation nicht so, dass ihre Fahrzeuge „um die Ecke“ kamen. Auch für die Fußgänger war die Situation eher so als ob eine Straße von ihnen überquert wird. Auch der besondere Zweck der Vorschrift, dass beim Abbiegen für die geradeaus gehenden Fußgänger unter Umständen gar nicht ersichtlich ist, dass in ihre Fahrtrichtung fahrende Fahrzeuge plötzlich um 90 % nach rechts verschwenken um ihren Weg zu kreuzen, liegt hier ebenfalls nicht vor. Es gibt nur diese eine Fahrspur, die in einem weiten Bogen von der N.-​straße in die C.-​straße führt, sodass auch für den Fußgänger erkennbar ist, dass er sich nur nach links und nicht in andere Richtungen orientieren muss um festzustellen, ob für ihn ein gefahrloses Betreten der Fahrbahn möglich ist.

Eine Beschilderung fehlt an der vorliegenden Stelle ebenfalls. Außerdem handelt es sich auch nicht um einen Fußgängerüberweg, auch wenn die Bordsteine jeweils an beiden Seiten abgesenkt sind. Ob der Beklagte mit seinem Fahrrad überhaupt auf einem Radweg unterwegs war oder auf dem Gehweg ist von den Parteien nicht problematisiert worden.

Bei der Berechnung des Schadens ist vorliegend vom Quotenvorrecht der Kaskoversicherung auszugehen. Das bedeutet, dass eventuelle Abzüge wegen der 20-​prozentigen Beteiligung am Schaden durch den Kläger vor allen Dingen auf Seiten der Kaskoversicherung zu berücksichtigen sind. Bei einem Nettoschaden von 2.818,50 € beträgt somit der vom Beklagten zu erstattende Sachschaden 2.254,80 €. Dieser steht vorrangig dem Kläger zu, sodass hier die Positionen Wertminderung und Selbstbehalt sowie die Sachverständigenkosten insgesamt vom Beklagten zu erstatten sind, da diese Beträge zusammen nur 1.296,78 € ausmachen.

Hinsichtlich der Mietwagenkosten und der Postportopauschale von zusammen 339,98 € ist die Schadensquote von 80 % anzuwenden, sodass insofern vom Beklagten noch 271,98 € zu erstatten sind, was zusammen den Betrag von 1.568,76 € entspricht.

Soweit der Kläger darüber hinausgehende Beträge geltend macht war die Klage abzuweisen.

Die Zinsentscheidung ergibt sich aus § 286, 288 BGB.

Ferner ist der Beklagte verpflichtet, den Kläger von dem sogenannten Rückstufungsschaden in der Kaskoversicherung in Höhe von 80 % freizustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.