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OLG Karlsruhe Beschluss vom 15.09.2016 - 2 (7) SsBs 507/16 - AK 173/16 - Anforderungen an die Urteilsgründe im OWi-Verfahren

OLG Karlsruhe v. 15.09.2016: Anforderungen an die Urteilsgründe bei teilweiser Widerlegung der Einlassung des Angeklagten


Das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 15.09.2016 - 2 (7) SsBs 507/16 - AK 173/16) hat entschieden:
Die schriftlichen Urteilsgründe müssen nicht nur die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben, in denen die gesetzlichen Merkmale der ordnungswidrigen Handlung gefunden werden, und zwar unter Darlegung des genauen Tatorts und der Tatzeit. Vielmehr müssen hinsichtlich der Beweiswürdigung die Urteilsgründe regelmäßig auch erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat, ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat, ob der Richter der Einlassung folgt oder ob und inwieweit er die Einlassung für widerlegt ansieht.


Siehe auch Urteilsanforderungen und Protokoll im Bußgeldverfahren und Stichwörter zum Thema Ordnungswidrigkeiten


Gründe:

I.

Das Amtsgericht Freiburg hat den Betroffenen im Tenor wie folgt schuldig gesprochen:
„Der Betroffene hat fahrlässig bei einer Geschwindigkeit von 113 km/h den notwendigen Sicherheitsabstand nicht eingehalten. Sein Abstand betrug 14 m, also weniger als drei Zehntel des halben Tachowertes“.
Er wurde zu einer Geldbuße von 160 EUR verurteilt sowie ein Fahrverbot von einem Monat bei einem Wirksamkeitsaufschub von höchstens vier Monaten verhängt.

Die gem. § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch ansonsten zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat - vorläufig - Erfolg.


II.

Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe hat am 26.08.2016 mit folgender Begründung auf Aufhebung des Urteils angetragen:
1. Die Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde aus § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG i.V.m. § 345 Abs. 1 StPO ist nach der am 15.07.2016 erfolgten Zustellung des angegriffenen Urteils an den Verteidiger des Betroffenen1 am 16.08.2016 abgelaufen. Der Wirksamkeit der Zustellung steht nicht entgegen, dass eine Vollmacht des Verteidigers nicht vorliegt. Nach der Vorschrift des § 145a Abs. 1 StPO gilt der gewählte Verteidiger zwar nur dann als ermächtigt, Zustellungen in Empfang zu nehmen, wenn sich seine Vollmacht bei den Akten befindet. Die bei den Akten befindliche Vollmacht gilt nicht für den Verteidiger, da dieser zum Zeitpunkt der Vollmachtserteilung offensichtlich noch nicht Mitglied der Sozietät war. Neben der gesetzlichen kommt aber auch eine rechtsgeschäftliche Zustellungsvollmacht in Betracht (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 58. Aufl., § 145a Rdnr. 2a; BGH, Beschluss vom 15.01.2008 - 3 StR 450/07 [bei juris]). Auch wenn man aus Gründen der Rechtssicherheit fordert, dass das Vorliegen einer derartigen besonderen Vollmacht bei Überprüfung der Rechtsmittelfristen durch das Rechtsbeschwerdegericht urkundlich feststeht, muss es ausreichen, dass die Bevollmächtigung im Rahmen des Empfangsbekenntnisses (wie hier mit der ausdrücklichen Versicherung, zur Entgegennahme legitimiert zu sein) durch eigenhändige Unterschrift des Verteidigers bestätigt wird (so ausdrücklich BayObLG, NJW 2004, 1263).

2. Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 OWiG statthafte und auch sonst zulässige Rechtsbeschwerde hat mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts - vorläufig - Erfolg, da sich die Urteilsgründe als lückenhaft erweisen. Das angefochtene Urteil enthält keine dem Mindestanforderungen der §§ 261, 267 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG genügende Beweiswürdigung.

Zwar sind im Bußgeldverfahren an die Abfassung der schriftlichen Urteilsgründe keine übertrieben hohen Anforderungen zu stellen. Dennoch kann für deren Inhalt grundsätzlich nichts anderes als im Strafverfahren gelten. Denn auch im Bußgeldverfahren sind die Urteilsgründe die alleinige Grundlage für die rechtliche Überprüfung des Urteils auf die Sachbeschwerde hin. Sie müssen daher so beschaffen sein, dass dem Rechtsbeschwerdegericht die Nachprüfung einer richtigen Rechtsanwendung ermöglicht wird. Dies gilt auch für die Beweiswürdigung, weil das Rechtsbeschwerdegericht nur so in den Stand gesetzt wird, die Beweiswürdigung des Tatrichters auf Widersprüche, Unklarheiten, Lücken oder Verstöße gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze zu überprüfen, wie für den Rechtsfolgenausspruch (KK-Senge OWiG 4. Aufl. § 71 RN 106 Göhler OWiG 16 Aufl. § 71 RN 42 43 jeweils m.w.N.) Im Einzelnen bedeutet dies, dass die schriftlichen Urteilsgründe nicht nur die für erwiesen erachteten Tatsachen angeben müssen, in denen die gesetzlichen Merkmale der ordnungswidrigen Handlung gefunden werden, und zwar unter Darlegung des genauen Tatorts und der Tatzeit. Vielmehr müssen hinsichtlich der Beweiswürdigung die Urteilsgründe regelmäßig auch erkennen lassen, auf welche Tatsachen das Gericht seine Überzeugung gestützt hat, ob und wie sich der Betroffene eingelassen hat, ob der Richter der Einlassung folgt oder ob und inwieweit er die Einlassung für widerlegt ansieht. Räumt der Betroffene die Tat nicht in vollem Umfang glaubhaft ein, müssen die Urteilsgründe die tragenden Beweismittel wiedergeben und sich mit ihnen auseinandersetzen. Nur so ist gewährleistet, dass das Rechtsbeschwerdegericht die tatrichterliche Beweiswürdigung auf Rechtsfehler überprüfen kann (KK-Senge a.a.O. Rn. 107; Göhler a.a.O. Rn. 43,43 a; OLG Bamberg, Beschluss vom 02. April 2015 - 2 Ss OWi 251715 -, juris).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Aus den Urteilsgründen lasst sich entnehmen, dass die Feststellungen auf der Einlassung des Betroffenen, soweit dieser gefolgt werden konnte, den Angaben des Sachverständigen und den in der Hauptverhandlung in Augenschein genommenen Lichtbildern und verlesenen Urkunden beruht. Gefolgt ist das Gericht der Einlassung des Betroffenen, soweit er seine Fahrereigenschaft eingeräumt hat. Völlig offen bleibt, wie sich der Betroffene im Übrigen eingelassen hat und warum das Gericht diese Einlassung für widerlegt angesehen hat und ihr nicht gefolgt ist. Es besteht jedenfalls die Möglichkeit, dass sich der Betroffene bezüglich der Abstandsmessung oder der näheren Umstände der ihm vorgeworfenen Verkehrsordnungswidrigkeit, in eine bestimmte Richtung substantiiert verteidigt hat und nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht die Bedeutung der Betroffeneneinlassung verkannt oder sie rechtlich unzutreffend gewürdigt hat (OLG Bamberg, Beschluss vom 09. Juli 2009 - 3 Ss OWi 290/09 -, juris; OLG Hamm, Beschluss vom 21. November 2002 - 5 Ss 1016/02 -, juris; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 16. Oktober 2006 - 1 Ss 55/06 -, juris).
Der Senat schließt sich diesen zutreffenden Erwägungen an. Hinsichtlich der Wirksamkeit der Zustellung des Urteils an den Verteidiger ist er ebenfalls der zitierten Ansicht (Senatsbeschluss vom 08.10.2015 - 2 (7) SsBs 467/15 -, juris). Ebenso hält der Senat bei der vorliegenden Sachlage, bei der das Gericht einer Einlassung teilweise folgt und sie offensichtlich teilweise für widerlegt hält (vgl. ...“soweit dieser gefolgt werden konnte,...“), deren Mitteilung für erforderlich (Senatsbeschluss vom 29.04.2016 - 2 (10) SsRs 195/16).