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VerfGH Sachsen Beschluss vom 24.11.2016 - Vf. 116-IV-16 - Zur Verfassungsgemäßheit der Beratungshilfe
VerfGH Sachsen v. 24.11.2016: Zur Verfassungsgemäßheit der Beratungshilfe-Entscheidungen
Der VerfGH Sachsen (Beschluss vom 24.11.2016 - Vf. 116-IV-16) hat entschieden:
Der Gleichheitssatz (Art. 18 Abs. 1 SächsVerf) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 1 Satz 2 SächsVerf) gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Diese im gerichtlichen Verfahren auf Rechtsschutzgleichheit gerichteten Verfassungsgrundsätze gewährleisten auch im außergerichtlichen Bereich Rechtswahrnehmungsgleichheit. Den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sich daraus ergeben, hat der Gesetzgeber mit dem Beratungshilfegesetz grundsätzlich Genüge getan.
Siehe auch Beratungshilfe und Prozesskostenhilfe
Gründe:
I.
Mit seiner am 11. September 2016 bei dem Verfassungsgerichtshof des Freistaates Sachsen eingegangenen Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die im Beratungshilfeverfahren ergangenen Beschlüsse des Amtsgerichts Dresden vom 20. April 2016 und 5. August 2016 (jeweils 173 UR II 386/16).
Im Ausgangsverfahren begehrte der Beschwerdeführer die nachträgliche Bewilligung von Beratungshilfe für eine zuvor erfolgte anwaltliche Beratung. Anlass dieser Beratung war ein Schreiben der Fahrerlaubnisbehörde, wonach diese dem Beschwerdeführer die Fahrerlaubnis zu entziehen habe, weil sich aus dem Fahreignungsregister Verkehrszuwiderhandlungen im Umfang von insgesamt acht Punkten ergeben würden. Hierzu wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Außerdem wurde dem Beschwerdeführer die Möglichkeit eingeräumt, auf einen schriftlichen Bescheid über den Entzug der Fahrerlaubnis unter gleichzeitigem Rechtsmittelverzicht zu verzichten.
Mit Beschluss des Rechtspflegers vom 20. April 2016 wies das Amtsgericht den Antrag auf Bewilligung von nachträglicher Beratungshilfe zurück. Gegenstand der Beratung sei lediglich ein Anhörungsschreiben der Fahrerlaubnisbehörde gewesen. In diesem Verfahrensstadium sei die Einschaltung eines Rechtsanwaltes nicht notwendig. Es bestehe hier noch keine Gegnerschaft zwischen Behörde und Rechtsuchendem, sodass es dem Rechtsuchenden zumutbar sei, sich selbst zu dem Sachverhalt zu äußern und sodann die Entscheidung der Behörde abzuwarten. Auch ein bemittelter Bürger müsse unabhängig vom Ausgang des Verfahrens in jedem Fall die Kosten der Anhörung selbst tragen. Die Aufwendungen für die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes könnten im Erfolgsfall für das Widerspruchsverfahren, aber nicht für das Anhörungsverfahren erstattet werden. Darüber hinaus sei der Beschwerdeführer nicht mittellos, weil er über einzusetzendes Vermögen in Gestalt privater Rentenversicherungen verfüge.
Hiergegen legte der Beschwerdeführer Erinnerung ein und verwies in diesem Zusammenhang u.a. darauf, dass die Fahrerlaubnisbehörde dem Beschwerdeführer die Entziehung der Fahrerlaubnis bereits angekündigt habe und dieser aus beruflichen Gründen dringend hierauf angewiesen sei. Da der in Aussicht gestellte Bescheid über den Entzug der Fahrerlaubnis sofort vollziehbar sei, ändere auch die spätere Einlegung eines Widerspruchs hieran nichts. Bereits deswegen könne dem Antragsteller nicht zugemutet werden, die Entscheidung der Behörde abzuwarten. Angesichts der eindeutigen Position der Behörde bestehe vorliegend auch im Anhörungsstadium bereits eine Gegnerschaft zwischen Rechtsuchendem und Behörde. Auch ein bemittelter Bürger würde in dem oben geschilderten Verfahrensstadium versuchen, den Erlass eines sofort vollziehbaren Bescheides über den Entzug der Fahrerlaubnis zu verhindern, auch wenn er die Kosten dafür selbst tragen müsse. Der Beschwerdeführer sei mittellos, weil ihm der Einsatz der Rentenversicherungsverträge jedenfalls nicht zumutbar sei.
Nachdem das Amtsgericht mit Beschluss des Rechtspflegers vom 3. August 2016 der Erinnerung nicht abgeholfen und diese dem zuständigen Richter zur Entscheidung vorgelegt hatte, wies das Amtsgericht mit richterlichem Beschluss vom 5. August 2016 die Erinnerung des Beschwerdeführers zurück. Die Voraussetzungen zur Gewährung von Beratungshilfe hätten nicht vorgelegen, weil dem Beschwerdeführer zumutbare anderweitige Hilfsmöglichkeiten im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Beratungshilfegesetz (BerHG) zur Verfügung gestanden hätten. Aus § 25 VwVfG ergebe sich eine allgemeine Auskunfts- und Beratungspflicht der Verwaltungsbehörden. Der Rechtsuchende habe diese Möglichkeiten grundsätzlich auszuschöpfen, bevor er Beratungshilfe in Anspruch nehmen könne. Dies sei insbesondere zumutbar, wenn die Ausgangsbehörde wie hier eine endgültige Entscheidung noch nicht getroffen habe. Da sich das Verfahren noch im Stadium der Anhörung befinde, sei es dem Beschwerdeführer möglich, durch entsprechenden Vortrag die Behörde von deren vorläufiger Rechtsauffassung abzubringen und eine gegenteilige Entscheidung zu erwirken. Dies entspreche dem Sinn und Zweck der gesetzlich vorgeschriebenen Anhörung. Zwar sei dem Beschwerdeführer zuzustimmen, dass der Entzug der Fahrerlaubnis eine einschneidende Entscheidung aus beruflichen Gründen sein könne. Sinn und Zweck der Beratungshilfe sei es aber nicht, dem Rechtsuchenden jegliche Eigenarbeit zu ersparen. Es seien auch keine Anhaltspunkte ersichtlich oder vorgetragen, warum die Behörde den Antragsteller nicht über dessen Punktestand und die Einbeziehung alter und neuer Punkte habe aufklären können. Im Übrigen fehle es an konkretem Vortrag zu den beruflichen Härtegründen des Beschwerdeführers. Dass die spätere Entscheidung der Behörde unter Anordnung der sofortigen Vollziehung erfolge, führe ebenfalls nicht zur begehrten Bewilligung von Beratungshilfe. Insoweit bestehe die Möglichkeit, vor dem Verwaltungsgericht die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung zu beantragen. Aus diesen Gründen könne es dahinstehen, ob im vorliegenden Fall der Beschwerdeführer über einsetzbares Vermögen verfüge.
Der Beschwerdeführer sieht sich hierdurch in seinem Grundrecht auf Gleichheit vor dem Gesetz gemäß Art. 18 Abs. 1 SächsVerf i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 1 Satz 2 und Art. 3 Abs. 3 SächsVerf verletzt. Den hieraus folgenden Auslegungsmaßstab habe das Amtsgericht verkannt. Der Beschwerdeführer habe angesichts der für seine berufliche Existenz einschneidenden sofortigen Wirkung des hier von der Behörde im Anhörungsverfahren angekündigten sofort vollziehbaren Bescheides über den Fahrerlaubnisentzug nicht auf Möglichkeiten der Selbsthilfe verwiesen werden dürfen. Er könne in diesem Stadium nicht davon ausgehen, dass sich die Fahrerlaubnisbehörde noch auf eine inhaltliche Diskussion über das „Ob“ der Fahrerlaubnisentziehung einlassen würde. Die diesbezüglich vom Amtsgericht im Beschluss vom 5. August 2016 vertretene Auffassung sei widersprüchlich. Im Ergebnis liege eine verfassungsrechtlich unzulässige pauschale Verweisung auf die Beratungspflicht der den Bescheid erlassenden Behörde vor, die den besonderen Umständen des hier vorliegenden Falles nicht gerecht werde. Dabei werde auch das Rechtsschutzanliegen des Beschwerdeführers durch das Amtsgericht grundlegend verkannt. Dem Beschwerdeführer sei es gerade um die Einholung unabhängigen Rechtsrates zur Beantwortung der Fragen gegangen, ob die bereits gefestigte Position der Behörde zutreffend sei, ob es Möglichkeiten gäbe, einen Fahrerlaubnisentzug noch vor Erlass eines entsprechenden Bescheides abzuwenden und welche Möglichkeiten des Vorgehens mit welchen Erfolgsaussichten bestünden, wenn ein entsprechender Bescheid erlassen werde. Der Beschwerdeführer könne nicht erwarten, dass die Behörde, die sich bereits auf den Entzug der Fahrerlaubnis festgelegt habe, ihn zu den Erfolgsaussichten eines gegen einen solchen Bescheid zu erhebenden Widerspruchs oder die Erfolgsaussichten eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO unvoreingenommen beraten werde. Auch vor dem Hintergrund der Bedeutung der Fahrerlaubnis für die Erwerbstätigkeit des Beschwerdeführers als angestellter Bauhandwerker hätte ein bemittelter Rechtsuchender in einer vergleichbaren Situation auch bereits vor Erlass eines Bescheides über den Entzug der Fahrerlaubnis die Einschaltung eines Rechtsanwaltes in Betracht gezogen. Soweit die angefochtenen Beschlüsse verlangen würden, dass sich der Beschwerdeführer seine zwei Lebensversicherungen als einzusetzendes Vermögen anrechnen lassen müsse, seien die Entscheidungen unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar und daher willkürlich. Weder habe das Amtsgericht ein etwaiges fiktives Einkommen beziffert noch habe es festgestellt, dass und gegebenenfalls welches kurzfristig liquidierbares Einkommen bzw. Vermögen sich aus einer Verwertung der Versicherungen habe erzielen lassen.
Das Sächsische Staatsministerium der Justiz hat Gelegenheit zu einer Stellungnahme gehabt.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, da sie den aus §§ 27 Abs. 1, 28 SächsVerfGHG folgenden Begründungsanforderungen nicht entspricht.
1. Nach Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 SächsVerf i.V.m. § 27 Abs. 1 und § 28 SächsVerfGHG ist eine Verfassungsbeschwerde nur zulässig, wenn der Beschwerdeführer substantiiert die Möglichkeit einer Verletzung eigener Grundrechte aus der Verfassung des Freistaates Sachsen darlegt. Hierzu muss er den Lebenssachverhalt, aus dem er die Grundrechtsverletzung ableitet, aus sich heraus verständlich wiedergeben und im Einzelnen aufzeigen, mit welchen verfassungsrechtlichen Anforderungen die angegriffene Maßnahme kollidieren soll (SächsVerfGH, Beschluss vom 23. Februar 2010 – Vf. 114-IV-09; st. Rspr.).
2. Dem kommt der Beschwerdeführer nicht nach. Eine mögliche Verletzung der von ihm gerügten Rechtswahrnehmungsgleichheit ist aus seinem Vortrag nicht ersichtlich.
a) Der Gleichheitssatz (Art. 18 Abs. 1 SächsVerf) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 1 Satz 2 SächsVerf) gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (SächsVerfGH, Beschluss vom 2. Dezember 2010 – Vf. 67-IV-10; Beschluss vom 30. März 2012 – Vf. 159-IV-11; st. Rspr.). Diese im gerichtlichen Verfahren auf Rechtsschutzgleichheit gerichteten Verfassungsgrundsätze gewährleisten auch im außergerichtlichen Bereich Rechtswahrnehmungsgleichheit. Den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sich daraus ergeben, hat der Gesetzgeber mit dem Beratungshilfegesetz grundsätzlich Genüge getan (SächsVerfGH, Beschluss vom 23. Februar 2010 – Vf. 114-IV-09; Beschluss vom 30. März 2012 – Vf. 159-IV-11). Dessen Auslegung und Anwendung obliegt zwar den zuständigen Fachgerichten. Diese überschreiten ihren Entscheidungsspielraum jedoch, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einem unbemittelten Rechtsuchenden im Vergleich zum bemittelten Rechtsuchenden die Rechtswahrnehmung unverhältnismäßig eingeschränkt wird (SächsVerfGH, Beschluss vom 2. Dezember 2010 – Vf. 67-IV-10; Beschluss vom 30. März 2012 – Vf. 159-IV-11; Beschluss vom 30. März 2012 – Vf. 13-IV-12; st. Rspr.). Dabei stellt der Verweis auf die Selbsthilfe oder die Beratung durch Dritte jedenfalls dann keinen Verstoß gegen das Gebot der Rechtswahrnehmungsgleichheit dar, wenn ein Bemittelter in vergleichbarer Angelegenheit die Einschaltung eines Rechtsanwaltes unter Berücksichtigung und Abwägung der dabei entstehenden Kosten vernünftigerweise nicht in Betracht zöge. Ein kostenbewusster Rechtsuchender wird insbesondere prüfen, inwieweit er fremde Hilfe zur effektiven Ausübung seiner Verfahrensrechte braucht oder selbst dazu in der Lage ist (SächsVerfGH, a.a.O.).
b) Es ist nicht hinreichend dargelegt, weshalb das Amtsgericht diese von der Rechtswahrnehmungsgleichheit gesetzten Grenzen überschritten haben könnte.
aa) Zwar kann die Notwendigkeit anwaltlicher Beratung verfassungskonform nicht stets und pauschal mit der Verweisung auf behördliche Beratungsmöglichkeiten verneint werden (SächsVerfGH, Beschluss vom 30. März 2012 – Vf. 159-IV-11; BVerfG, Beschluss vom 29. April 2015 – 1 BvR 1849/11). Da ein solcher Verweis im Einzelfall mit entsprechender Begründung verfassungsrechtlich jedoch möglich ist, hat der Beschwerdeführer in seiner Verfassungsbeschwerde diejenigen Umstände substantiiert darzulegen, die für die Verfassungswidrigkeit im Einzelfall sprechen (§ 28 SächsVerfGHG); nach dem Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde sind diese Umstände auch schon im Beratungshilfe- bzw. Erinnerungsverfahren beim Amtsgericht vorzutragen (SächsVerfGH, Beschluss vom 30. März 2012 – Vf. 13-IV-12; Beschluss vom 24. Februar 2012 – Vf. 148-IV-11).
bb) Vorliegend ist das Amtsgericht von einem verfassungsrechtlich zutreffenden Prüfungsansatz ausgegangen. Es hat seine Entscheidung entgegen den Ausführungen der Beschwerdebegründung nicht lediglich mit einer pauschalen Verweisung auf behördliche Beratungsmöglichkeiten begründet. Es führte vielmehr aus, warum aus seiner Sicht im vorliegenden Fall im konkreten Verfahrensstadium für den Beschwerdeführer eine Beratung durch die Behörde zumutbar und anwaltliche Hilfe daher nicht veranlasst sei. Dabei berücksichtigte das Amtsgericht den Vortrag des Beschwerdeführers insbesondere zur erheblichen Auswirkung einer Fahrerlaubnisentziehung auf dessen berufliche Situation, kam aber dennoch zu dem Ergebnis, eine Beratung durch die Behörde sei in diesem Verfahrensstadium noch zumutbar.
Warum der hierbei durch das Amtsgericht angelegte Maßstab den oben dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen in Wahrheit nicht gerecht werden könnte, lässt sich dem Beschwerdevorbringen nicht entnehmen. Dieses erschöpft sich vielmehr im Kern im Vortrag der einfachrechtlich abweichenden Rechtsposition, wie sie schon im Erinnerungsverfahren geltend gemacht wurde.
Da das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 5. August 2016 allein tragend auf die zumutbaren anderweitigen Hilfsmöglichkeiten i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 2 BerHG abstellte und die Frage der Bedürftigkeit ausdrücklich offen ließ, ist der diesbezügliche Vortrag der Beschwerdebegründung unerheblich. Damit ist auch die Rüge der gesonderten Verletzung des Willkürverbots unzureichend begründet worden.
III.
Die Entscheidung ist kostenfrei (§ 16 Abs. 1 Satz 1 SächsVerfGHG).