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OLG Rostock Urteil vom 27.05.2016 - 5 U 45/14 - Beweislast des Versicherungsnehmers bei berührungslosem Wildschaden

OLG Rostock v. 27.05.2016: Beweislast des Versicherungsnehmers bei berührungslosem Wildschaden - Rettungskosten


Das OLG Rostock (Urteil vom 27.05.2016 - 5 U 45/14) hat entschieden:
  • OLG Rostock v. 5 U 45/14:
    Bei Klage auf sog. Rettungskostenersatz wegen Wildwechsels gegen die Teilkaskoversicherung bedarf es der vollen richterlichen Überzeugung im Sinne des § 286 ZPO, dass der Unfall durch einen Wildwechsel verursacht worden ist. Beweiserleichterungen kommen dem Kläger nicht zugute, die von der Rechtsprechung entwickelten Regeln der Überzeugungsbildung in den Fällen der Behauptung des Versicherungsfalls "Diebstahl" sind auf den Versicherungsfall "vermiedener Tierschaden" nicht übertragbar (Anschluss an OLG Saarbrücken, Urt. v. 26. Januar 2011, 5 U 356/10, ZfSch 2011, 331).


  • Siehe auch Darlegungs- und Beweislast bei Wildschäden und Rettungskosten und Stichwörter zum Thema Beweisprobleme


    Gründe:

    I.

    Die Klägerin begehrt von der Beklagten Zahlung wegen eines Unfalles mit einem bei der Beklagten teilkaskoversicherten Pkw.

    Die Klägerin ist Arbeitgeberin der Versicherungsnehmerin der Beklagten, der Zeugin Annika S.. Die Versicherungsnehmerin unterhält bei der Beklagten für ihren Pkw Opel Astra -H- Caravan, amtliches Kennzeichen ..., einen Teilkaskoversicherungsvertrag mit einer Selbstbeteiligung i. H. von 150,00 €.

    Am 03.11.2012 gegen 22:00 Uhr kam die Versicherungsnehmerin mit ihrem Fahrzeug hinter dem Ortsausgang B. in Richtung B X fahrend nach links von der Fahrbahn ab und prallte mit der linken Seite gegen einen Baum. Am 12.11.2012 meldete sie das Unfallereignis der zuständigen Polizeidienststelle. Der Beklagten zeigte sie den Schaden mittels eines Formulars für die Schadensmeldung vom 16.11.2012 an.

    Die Klägerin hat behauptet, die Versicherungsnehmerin sei mit dem Fahrzeug von der Fahrbahn abgekommen, um eine Kollision mit einem Reh zu vermeiden. Dieses sei unvorhersehbar vom rechten Fahrbahnrand zwischen den Bäumen heraus auf die rechte Fahrbahnseite gesprungen. Die Versicherungsnehmerin habe das Fahrzeug sofort abgebremst. Hierdurch sei ihr Fahrzeug ins Schleudern gekommen und mit der linken Seite gegen einen Baum geprallt.

    Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, dass dies eine sog. Rettungshandlung darstelle, die geeignet gewesen sei, einen bevorstehenden Unfall zu vermeiden. Mit der Klage begehrt sie die Erstattung der Kosten aus einer Notreparatur i. H. von insgesamt 4.907,43 €. Ferner beansprucht sie den Ersatz der Kosten für einen Mietwagen, die die Versicherungsnehmerin für die Zeit vom 05.11.2012 bis zum 01.12.2012 i. H. von insgesamt 725,01 € aufgewendet habe. Zudem verlangt sie Erstattung der außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten der Versicherungsnehmerin i. H. von insgesamt 661,16 €.

    Die Beklagte hat behauptet, das Reh habe sich vor dem ersten Sichtkontakt nicht vor dem Fahrzeug der Versicherungsnehmerin befunden, so dass es schon gar nicht zu einer Kollision gekommen wäre. Eine Rettungshandlung habe damit nicht vorgelegen. Zur Schadenshöhe hat die Beklagte eingewandt, dass der eingetretene Schaden allenfalls bei Bestehen einer Vollkaskoversicherung reguliert werden könne. Wenn überhaupt sei sie verpflichtet, Reparaturkosten bis zur Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert (Wiederbeschaffungsaufwand) zu erstatten. Ferner hat die Beklagte behauptet, dass das Fahrzeug nicht fachgerecht repariert worden sei, so dass sich die Versicherungsleistung auf 85 % mindern würde. Zudem hat sie die Aktivlegitimation der Klägerin bestritten.

    Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen Annika S. und Antje S.

    Mit Urteil vom 28.03.2014 hat das Landgericht Schwerin die Klage abgewiesen. Es könne dahinstehen, ob die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag wirksam an die Klägerin abgetreten seien oder ob die Klägerin ermächtigt sei, die Forderung im eigenen Namen und auf eigene Rechnung geltend zu machen. Jedenfalls sei das Bestehen eines Anspruchs aus §§ 83 Abs. 1, 82 Abs. 1 und 2, 90 VVG nicht feststellbar. Die Klägerin habe nicht bewiesen, dass die Beschädigung des Fahrzeuges erfolgt sei, um einer Kollision mit einem Reh auszuweichen.

    Gegen die Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingereichte Berufung der Klägerin, mit der sie Einwendungen gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts erhebt.

    Die Klägerin beantragt,
    das Urteil des Landgerichts Schwerin vom 28.03.2014 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 6.293,60 € nebst Zinsen i. H. von 5 %-​Punkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.02.2013 zu zahlen.
    Die Beklagte, die
    Zurückweisung der Berufung
    beantragt, verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.

    Der Senat hat zum Unfallhergang erneut die Zeuginnen Annika und Antje S. vernommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 22.04.2016 Bezug genommen.



    II.

    Die zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Auch der Senat kann nach der erneuten Beweisaufnahme nicht feststellen, dass die Voraussetzungen für einen Anspruch der Versicherungsnehmerin Annika S. gegen die beklagte Versicherung aus §§ 83 Abs. 1, 82 Abs. 1 und 2, 90 VVG vorliegen.

    1. Zwar ist die Klägerin aktivlegitimiert, die durch den streitgegenständlichen Unfall vom 03.11.2012 entstandenen Schäden gegen die beklagte Versicherung in eigenem Namen geltend zu machen.

    Aufgrund der ihr erteilten Ermächtigung der S. C. Bank AG vom 13.03.2014 (Anl. K 12) ist die Klägerin berechtigt, die Reparaturkosten i. H. von insgesamt 4.907,43 € in eigenem Namen geltend zu machen (vgl. Pal./Grüneberg, BGB, 75. Aufl., § 398 Rdn. 29 f.).

    Hinsichtlich der Mietwagenkosten und der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist die Klägerin aus abgetretenem Recht der Versicherungsnehmerin Annika S. aktivlegitimiert, die ihre Ansprüche gemäß Vertrag vom 18.12.2012 an die Klägerin abgetreten hat (Anl. K 2).

    2. Allerdings hat die Klägerin den behaupteten Hergang des streitgegenständlichen Unfalls der Versicherungsnehmerin Annika S. vom 03.11.2012 auch nicht zur Überzeugung des Senats beweisen können.

    2.1. Gem. § 83 Abs. 1 VVG hat der Versicherer Aufwendungen des Versicherungsnehmers nach § 82 Abs. 1 und 2 VVG, welcher dieser zur Schadensabwendung oder -minderung tätigt, auch wenn sie erfolglos geblieben sind, insoweit zu erstatten, als der Versicherungsnehmer sie den Umständen nach für geboten halten dürfte. § 90 VVG erklärt diese Vorschrift für entsprechend anwendbar auch für solche Aufwendungen, die zeitlich vor dem Eintritt eines unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalles gemacht wurden, um ihn abzuwenden oder in seinen Auswirkungen zu mindern.

    Aufwendung i. S. des § 83 Abs. 1 S. 1 VVG ist dabei jede auch unfreiwillige Vermögensminderung, welche adäquate Folge einer Maßnahme ist, die der Versicherungsnehmer zur Schadensabwehr oder Schadensminderung getroffen hat. Grundsätzlich kommen hierfür auch - wie vorliegend geltend gemacht - Vermögensminderungen wegen der Beschädigung von Sachen in Betracht (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 26.01.2011 - 5 U 356/10 -, juris). Hierzu zählen nicht nur die Reparaturkosten, sondern auch die Aufwendungen für die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges sowie die außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten.

    2.2. Die Klägerin hat den ihr obliegenden Beweis für ihre Behauptung, das Fahrzeug der Versicherungsnehmerin sei beschädigt worden, weil diese einer Kollision mit einem Reh habe ausweichen wollen, nicht zur Überzeugung des Senats erbracht.

    a) Beweiserleichterungen kommen der Klägerin nicht zugute. Insbesondere sind die von der Rechtsprechung entwickelten Regeln der Überzeugungsbildung in den Fällen der Behauptung des Versicherungsfalles „Diebstahl“ auf den Versicherungsfall „vermiedener Tierschaden“ nicht übertragbar (vgl. OLG Saarbrücken, Urteil vom 26.01.2011 - 5 U 356/10 -, juris).

    b) Die nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung des erkennenden Richters von der Wahrheit der behaupteten Tatsache erfordert keine absolute oder unumstößliche Gewissheit von der Wahrheit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, aber einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (BGH, Urteil vom 17.02.1970 - III ZR 139/67 - juris). Bloße Wahrscheinlichkeiten genügen nicht. Eine derartige Überzeugung von der Richtigkeit des behaupteten Unfallgeschehens hat sich der Senat im Ergebnis der Beweisaufnahme nicht bilden können.

    Zwar haben sowohl die Zeugin Annika S. als auch die Zeugin Anja S. bestätigt, dass ein Reh auf der Straße gewesen sei. Die Zeugin Annika S. hat bekundet, es sei von rechts nach links über die Straße gelaufen. Sie habe vorher ausweichen wollen und sei infolgedessen mit dem Fahrzeug gegen einen Baum am linken Straßenrand gerutscht. Die Zeugin Anja S. hat ausgesagt, es sei etwas über die Straße gesprungen, das sie als Reh erkannt habe. Es sei von rechts auf die Straße gesprungen und dann links zwischen den Bäumen verschwunden. Im Ergebnis sei ihre Tochter dann mit dem Pkw gegen einen Baum gerutscht. Wesentliche Widersprüche haben sich insoweit in den Angaben der beiden Zeuginnen nicht ergeben.

    Dennoch hat auch der Senat Zweifel an der Richtigkeit ihrer Unfalldarstellung.

    Hinsichtlich der Zeugin Annika S. gründen sich die Zweifel insbesondere auf den Umstand, dass sie zu Details des Unfallgeschehens keine konkreten Angaben machen konnte. Das Reh sei drei Meter von ihr entfernt gewesen, als sie es das erste Mal gesehen habe. Gefühlt habe es richtig ins Auto hineingesehen. Allerdings könne es auch sein, dass der Abstand größer als drei Meter war; genau könne sie dies nicht mehr sagen. Die gefahrene Geschwindigkeit schätze sie auf 50 km/h; es könne aber auch sein, dass sie schneller gefahren sei. Ob sie Fernlicht angehabt habe, wisse sie nicht. Was sie im darauffolgenden Gespräch mit ihrer Mutter gesagt habe, wisse sie nicht mehr. Zudem konnte die Zeugin Annika S. auch gegenüber dem Senat nicht plausibel darlegen, weshalb sie den Unfall erst am 12.11.2012 bei der Polizei angezeigt hat. Der Unfall geschah an einem Samstag. Dass sie - wie die Zeugin aussagte - ihre Verpflichtung zu einer entsprechenden Anzeige nicht gekannt habe und erst durch ihre Arbeitgeberin am darauffolgenden Arbeitstag darauf hingewiesen worden sei, erklärt allenfalls eine Verzögerung von drei bis vier Tagen, nicht aber eine solche von neun Tagen. Die Zeugin konnte auch nicht mehr erinnern, wann sie den Unfall gegenüber der beklagten Versicherung angezeigt hat. Ausweislich der Anlage B 2 hat die Beklagte das Formular für die Schadensanzeige erst am 16.11.2012 an die Klägerin gefaxt, was für eine sehr späte Anzeige des Unfalls auch gegenüber der Versicherung spricht.

    Die Zeugin Anja S. konnte über Angaben zum Kerngeschehen hinaus ebenfalls keine Einzelheiten mehr zum Unfall, insbesondere aber zu dem Geschehen nach dem Unfall bekunden. Sie hätten sich nach dem Unfall noch kurz über das Reh unterhalten. Mehr wisse sie aber nicht mehr. Ob sie ihre Tochter nach dem Unfall nach Hause begleitet habe oder nicht, konnte die Zeugin auch nicht mehr erinnern. Im Hinblick auf ihre Aussage, dass dies der einzige Unfall ihrer Tochter gewesen sei, den sie miterlebt habe, sind diese Erinnerungslücken für den Senat nicht nachvollziehbar.

    Im Ergebnis konnte sich auch der Senat - wie bereits das Landgericht - auf der Grundlage der Aussagen der Zeuginnen Annika und Anja S. nicht die für den Beweis nach § 286 ZPO erforderliche Überzeugung von der Richtigkeit des behaupteten Unfallherganges und damit für das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Anspruch gegen die Beklagte auf Ersatz der Aufwendungen nach §§ 83, 82, 90 VVG bilden.


    III.

    Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

    Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

    Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).


    IV.

    Der Wert der Berufung entspricht dem Wert der Hauptforderung.