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BGH Urteil vom 25.04.2017 - VI ZR 386/16 - Anspruchsverjährung und Wirkung der Hemmung

BGH v. 25.04.2017: Anspruchsverjährung und Wirkung der Hemmung


Der BGH (Urteil vom 25.04.2017 - VI ZR 386/16) hat entschieden:
Ein Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist (§ 209 BGB), kann nur der nach Verjährungsbeginn verstrichene sein. Liegen die Voraussetzungen eines Hemmungstatbestands ausschließlich oder auch während eines Zeitraums vor Beginn der Verjährung vor, ist dieser bei Berechnung der Verjährungsfrist nicht zu berücksichtigen (vgl. etwa BGH, Urteile vom 14. Juli 2009 - XI ZR 18/08, BGHZ 182, 76 Rn. 9, 13 ff.; vom 15. Dezember 2016 - IX ZR 58/16, juris Rn. 12 ff., insbesondere Rn. 16; LAG Hamm, Urteil vom 3. Dezember 2013 - 7 Sa 1012/13, juris Rn. 46 ff.; OLG Naumburg, Urteil vom 23. Oktober 2008 - 9 U 19/08, juris Rn. 43; OLG Celle, Urteil vom 26. Juli 2006 - 3 U 87/06, NJW-RR 2007, 403, 404; Ellenberger, in: Palandt, BGB 76. Aufl., § 199 Rn. 41).


Siehe auch Verjährung von Ansprüchen in der Unfallregulierung und Verjährung zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche und Anwaltshaftung


Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Verjährung einer Schadensersatzforderung.

Am 14. April 2011 wurde bei einem Verkehrsunfall ein dem Kläger gehörendes Kraftfahrzeug beschädigt. Er nimmt die Beklagte als Haftpflichtversicherer des Unfallgegners auf Schadensersatz in Anspruch. Der Kläger bezifferte die sich daraus ergebenden Forderungen schriftlich gegenüber der Beklagten und bat um Regulierung. Die Beklagte zahlte daraufhin verschiedene Teilbeträge, unter anderem Nutzungsausfallentschädigung. Mit Anwaltsschreiben vom 21. September 2011 forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 30. September 2011 auf, die noch offen stehenden Beträge zu bezahlen. Daraufhin teilte die Beklagte durch Schreiben vom 22. September 2011, dem Klägervertreter zugegangen am 26. September 2011, mit, dass sie einen weiteren Betrag überwiesen habe und dass mit ihren früheren Abrechnungen der Sachschaden aus ihrer Sicht abschließend reguliert sei.

Am 25. Februar 2015 hat der Kläger den Erlass eines Mahnbescheids gegen die Beklagte beantragt, mit dem er restliche Nutzungsausfallentschädigung geltend macht. Die Beklagte hat sich auf die Verjährung der Forderung berufen.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Zahlungsbegehren weiter.


Entscheidungsgründe:

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Anspruch des Klägers auf restliche Nutzungsausfallentschädigung mit Ablauf des 31. Dezember 2014 verjährt. Bei Beantragung des Mahnbescheids sei die Verjährung bereits eingetreten gewesen. Die im Verlauf des Jahres 2011 geführten und abgeschlossenen Verhandlungen hätten die Verjährung nicht gehemmt, weil sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu laufen begonnen habe. Anderenfalls würde der Hemmungszeitraum "doppelt" berücksichtigt, da die Verjährungsfrist erst mit dem Schluss des Jahres begonnen habe. Dies führe nicht zu einer unbilligen Schlechterstellung des Gläubigers. Gesetzeszweck sei nicht, die Verjährungsfrist in jedem Fall um den Zeitraum zu verlängern, in dem die Parteien miteinander verhandelt hätten. Begännen die Parteien vor dem Lauf der Verjährungsfrist mit Verhandlungen, seien sie bereits hinreichend dadurch geschützt, dass die Verjährung gehemmt werde, falls die Verhandlungen über den Beginn der Verjährungsfrist hinaus andauerten. Daraus ergebe sich kein Anreiz, mit Verhandlungen zuzuwarten.

II.

Das Berufungsurteil hält revisionsrechtlicher Prüfung stand. Die Beklagte ist berechtigt, die Leistung auf den vom Kläger geltend gemachten Direktanspruch (§ 115 Abs. 1 VVG) wegen Verjährung zu verweigern (§ 214 Abs. 1 BGB). Insbesondere hat das Berufungsgericht zutreffend angenommen, dass ein Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist (§ 209 BGB), nur der nach Verjährungsbeginn verstrichene sein kann.

1. Der Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Nutzungsausfallentschädigung wegen Beschädigung des Kraftfahrzeugs unterliegt der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren, die mit dem Schluss des Jahres 2011 begann (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB, § 14 StVG, § 115 Abs. 2 Satz 1 und 2 VVG; vgl. zur Fälligkeit Senat, Beschluss vom 18. November 2008 - VI ZB 22/08, BGHZ 178, 338 Rn. 9 f.).

2. Die den Erwägungen des Berufungsgerichts zugrunde liegende Wertung, dass nach Verjährungsbeginn kein Hemmungstatbestand erfüllt war, wird von den getroffenen Feststellungen getragen.

a) Nach § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG, der die erstmalige Geltendmachung von Ansprüchen aus einem Unfall gegenüber einem Haftpflichtversicherer betrifft (vgl. Senat, Urteile vom 25. Juni 1985 - VI ZR 60/84, VersR 1985, 1141; vom 5. November 2002 - VI ZR 416/01, BGHZ 152, 298, 301 jeweils zu § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG a.F.), endet die Hemmung der Verjährung nach Anmeldung des Anspruchs des Dritten bei dem Versicherer zu dem Zeitpunkt, zu dem die Entscheidung des Versicherers dem Anspruchsteller in Textform zugeht. Daraus muss eindeutig der Entschluss hervorgehen, sich zu den angemeldeten Ansprüchen erschöpfend und endgültig zu erklären (vgl. Senat, Urteile vom 14. März 2017 - VI ZR 226/16; vom 16. Oktober 1990 - VI ZR 275/89, NJW-​RR 1991, 470, 471 f. zu § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG a.F.; Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG 29. Aufl., § 115 VVG Rn. 35 mwN). Dies ist etwa der Fall, wenn bestimmte Positionen anerkannt und weitergehende Ansprüche zurückgewiesen werden (vgl. Schneider, in: MüKo VVG, 2. Aufl., § 115 VVG Rn. 36 mwN).

Diese Anforderungen erfüllt das Schreiben der Beklagten vom 22. September 2011 durch den Hinweis, dass der Sachschaden aus ihrer Sicht abschließend reguliert sei.

b) Ob § 203 Satz 1 BGB, wonach bei schwebenden Verhandlungen zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger die Verjährung gehemmt ist, bis der eine oder der andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert, im Streitfall zur Anwendung kommt, kann offen bleiben. Denn jedenfalls läge im Schreiben der Beklagten vom 22. September 2011 ein Abbruch der Verhandlungen.

3. Entgegen der Auffassung der Revision wird nach § 209 BGB ein Zeitraum in die Verjährungsfrist nur dann nicht eingerechnet, wenn er nach deren Beginn verstrichen ist. Liegen die Voraussetzungen eines Hemmungstatbestands ausschließlich oder auch während eines Zeitraums vor Beginn der Verjährung vor, ist dieser bei Berechnung der Verjährungsfrist nicht zu berücksichtigen (vgl. etwa BGH, Urteile vom 14. Juli 2009 - XI ZR 18/08, BGHZ 182, 76 Rn. 9, 13 ff.; vom 15. Dezember 2016 - IX ZR 58/16, juris Rn. 12 ff., insbesondere Rn. 16; LAG Hamm, Urteil vom 3. Dezember 2013 - 7 Sa 1012/13, juris Rn. 46 ff.; OLG Naumburg, Urteil vom 23. Oktober 2008 - 9 U 19/08, juris Rn. 43; OLG Celle, Urteil vom 26. Juli 2006 - 3 U 87/06, NJW-​RR 2007, 403, 404; Ellenberger, in: Palandt, BGB 76. Aufl., § 199 Rn. 41).

a) Für diese Auslegung spricht der Wortlaut der Hemmungsvorschriften. Die Formulierung "Verjährung gehemmt" in § 209 BGB und den einzelnen Hemmungstatbeständen legt nahe, dass die Verjährung bereits laufen muss. Nach dem Sprachverständnis kann eine Frist nur angehalten werden, wenn sie schon zu laufen begonnen hat (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 3. Dezember 2013 - 7 Sa 1012/13, juris Rn. 47).

b) Von der Revision befürchtete Wertungswidersprüche ergeben sich daraus nicht. Zwar kann es vorkommen, dass sich ein Hemmungstatbestand nur auf die Verjährungshöchstfrist (§ 199 Abs. 3 und 4 BGB), nicht dagegen auf die regelmäßige Verjährungsfrist (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB) auswirkt. Weiter können bei einheitlichen Verhandlungen über verschiedene Ansprüche nur einzelne von ihnen gehemmt werden, wenn nur deren Verjährung bereits begonnen hat (vgl. § 199 f. BGB). Dies ist jedoch Konsequenz der gesetzgeberischen Grundentscheidung, neben der Verjährungsdauer auch den Verjährungsbeginn unterschiedlich zu regeln.

Im Gegenteil führt die von der Revision vertretene Auffassung, worauf die Revisionserwiderung zutreffend hinweist, zu einem Wertungswiderspruch. Denn die Regelung des § 199 Abs. 1 BGB, wonach die Verjährung erst zum Ende des Jahres beginnt, wirkt bereits wie eine "Anlaufhemmung" (vgl. Peters/Jacoby, in: Staudinger, BGB [2014], § 209 BGB Rn. 9). Schon deshalb ist hinsichtlich eines vor Verjährungsbeginn verstrichenen Zeitraums der Regelungs- und Schutzzweck der Hemmungsvorschriften nicht berührt (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 3. Dezember 2013 - 7 Sa 1012/13, juris Rn. 50; siehe weiter Peters/Jacoby, in: Staudinger, BGB [2014], § 209 BGB Rn. 7 zum Zusammentreffen von Hemmung und Ablaufhemmung).

Auch im Übrigen lassen sich der Gesetzessystematik keine Anhaltspunkte für ein anderes Verständnis der Hemmungsvorschriften entnehmen.

c) Sinn und Zweck des § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG sowie des § 203 Satz 1 BGB sprechen ebenfalls nicht für die von der Revision vertretene Auffassung. Ziel des § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG ist es, den Geschädigten vor allem für den Fall einer langen Verhandlungsdauer mit dem Versicherer vor den Nachteilen der Verjährung zu schützen. Deshalb wird der Geschädigte vor dem Weiterlaufen einer die Durchsetzung seiner Ansprüche gefährdenden Verjährung bewahrt, solange die Reaktion des Versicherers auf die Anspruchsanmeldung noch in der Schwebe ist (vgl. Senat, Urteile vom 30. April 1991 - VI ZR 229/90, BGHZ 114, 299, 302 f.; vom 28. Januar 1992 - VI ZR 114/91, NJW-​RR 1992, 606, 607 jeweils zu § 3 Nr. 3 Satz 3 PflVG a.F.). Regelungszweck des § 203 BGB ist die Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten. Deshalb sollen Verhandlungen zwischen Gläubiger und Schuldner nicht unter den Druck einer ablaufenden Verjährungsfrist gestellt werden (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 2009 - XI ZR 18/08, BGHZ 182, 76 Rn. 22). Wenn jedoch die Verjährung (noch) gar nicht zu laufen begonnen hat, muss der Geschädigte vor deren Weiterlaufen (noch) nicht geschützt werden und stehen die Verhandlungsparteien (noch) nicht unter Druck.

d) Schließlich steht diese Auslegung des § 209 BGB in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Verjährungsunterbrechung nach altem Recht. Danach lag bei Klageerhebung oder Einreichung eines Mahnbescheidantrags vor Verjährungsbeginn (erst) mit Beginn des Laufs der Verjährungsfrist ein Zustand der Unterbrechung vor (vgl. BGH, Urteile vom 31. März 1969 - VII ZR 35/67, BGHZ 52, 47, 49 f.; vom 27. September 1995 - VIII ZR 257/94, NJW 1995, 3380, 3381).

4. Da die Verjährung zum Schluss des Jahres 2014 ablief, konnte sie durch den erst danach beantragten Mahnbescheid nicht mehr gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BGB, § 167 ZPO gehemmt werden.