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BayObLG Beschluss vom 07.11.2002 - 1St RR 109/02 - Zur Kfz-Versicherung für Handel und Handwerk bei Anbringung von roten Kennzeichen
BayObLG v. 07.11.2002: Zur Kfz-Versicherung für Handel und Handwerk bei Anbringung von roten Kennzeichen
Das BayObLG (Beschluss vom 07.11.2002 - 1St RR 109/02) hat entschieden:
- Ein Kraftfahrzeug ist mit roten Kennzeichen auch dann im Sinne der Sonderbedingung zur Haftpflicht- und Fahrzeugversicherung für Kraftfahrzeug-Handel und -Handwerk "versehen", wenn die Kennzeichen im Fahrzeuginnern so angebracht sind, dass sie von Außen abgelesen werden können. Ein Verstoß gegen § 6 PflVersG scheidet bei ordnungsgemäß ausgegebenen roten Kennzeichen in einem derartigen Fall aus.
- Eine wirksame Zulassung des Kraftfahrzeugs wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Empfänger des roten Kennzeichens dieses einem Dritten zum Gebrauch überlässt. Weder braucht der Empfänger des roten Kennzeichens Eigentümer des Fahrzeugs zu sein, an dem das Kennzeichen angebracht wird, noch ist es notwendig, dass die mit dem roten Kennzeichen durchgeführte Fahrt demjenigen wirtschaftlich zugute kommt, dem das Kennzeichen zugeteilt worden ist (wie BayObLG München, 15. März 1995, 2 ObOWi 13/95, BayObLGSt 1995, 53/55).
Siehe auch Rote Kennzeichen - Kurzzeitkennzeichen - Kurzzeitversicherung - Saisonkennzeichen - Überführungskennzeichen und Kennzeichenmissbrauch
Zum Sachverhalt: Der Angeklagte wollte einen nicht mehr zugelassenen Pkw an seinen Wohnort Simbach überführen. Zu diesem Zwecke besorgte er sich bei dem Zeugen H, einem Kraftfahrzeughändler, gegen ein Entgelt von 30 DM zwei gültige rote Kennzeichen und ein Fahrzeugscheinheft. Das eine Kennzeichen legte der Angeklagte auf das Armaturenbrett, das andere legte er so auf die Ablage vor dem Heckfenster, dass es "von schräg hinten links sichtbar war". Einen Eintrag des Fahrzeugs in einem Schein aus dem Fahrzeugscheinheft nahm der Angeklagte nicht vor. Am 6.12.2000 wurde der Angeklagte auf der Bundesstraße 20 bei Tittmoning von der Polizei angehalten.
Das Amtsgericht Traunstein verurteilte den Angeklagten am 21.5.2002 wegen eines Vergehens des Kennzeichenmissbrauchs zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 20 Euro.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Angeklagte mit seiner erfolgreichen Sprungrevision.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts sind die Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 Nr. 1 StVG nicht erfüllt.
Wegen Kennzeichenmissbrauchs macht sich nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 StVG strafbar, wer in rechtswidriger Absicht ein Kraftfahrzeug, für das ein amtliches Kennzeichen nicht ausgegeben oder zugelassen worden ist, mit einem Zeichen versieht, das geeignet ist, den Anschein amtlicher Kennzeichnung hervorzurufen.
Das Amtsgericht hat seine Verurteilung darauf gestützt, dass "zwischen dem Betrieb des Zeugen und der Fahrzeugüberführung des Angeklagten ein keinerlei irgendwie gearteter Zusammenhang bestand". Ein Kennzeichenmissbrauch liege deshalb vor, weil "die Überlassung roter Überführungskennzeichen an Kraftfahrzeugwerkstätten ... lediglich dortigen betrieblichen Zwecken" diene und nicht zur Überlassung der Kennzeichen an Betriebsfremde berechtige. Soweit das Amtsgericht damit offenbar von einer fehlenden Zulassung ausgegangen ist, hält dies rechtlicher Überprüfung nicht stand.
Rote Kennzeichen und besondere Fahrzeugscheinhefte können gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 StVZO durch die für den Betriebssitz örtlich zuständige Zulassungsbehörde zuverlässigen Kraftfahrzeugherstellern, Kraftfahrzeugteileherstellern, Kraftfahrzeugwerkstätten und Kraftfahrzeughändlern befristet oder widerruflich zur wiederkehrenden Verwendung, auch für verschiedene Fahrzeuge und auch ohne vorherige Bezeichnung eines bestimmten Fahrzeugs durch die Zulassungsbehörde im Fahrzeugschein zugeteilt werden. Damit ist dem Kennzeichenempfänger das Recht eingeräumt, selbst zu bestimmen, welchem Fahrzeug er die roten Kennzeichen zuordnen möchte. Mit der Ausübung dieses Bestimmungsrechts werden die roten Kennzeichen einem bestimmten Kraftfahrzeug mit der Wirkung zugeordnet, dass dieses damit als behördlich "ausgegeben oder zugelassen" gilt (BayObLGSt 1987, 22/24; 1995, 53/54). Voraussetzung hierfür ist, dass eine Beziehung zwischen dem Fahrzeug, mit dem eine solche Fahrt durchgeführt wird und dem roten Kennzeichen in einer Weise hergestellt wird, die erkennen lässt, dass der Zeichenempfänger sein Bestimmungsrecht hinsichtlich eines bestimmten Fahrzeuges ausgeübt und damit den Zulassungsakt auf dieses Fahrzeug konkretisiert hat (BayObLGSt 1987, 22/24; 1993, 57/58; 1995, 53/54). Eine bestimmte Form ist hierbei nicht vorgeschrieben. Erforderlich ist lediglich, dass eine tatsächliche Beziehung hergestellt wird, die nach außen kenntlich und beweisbar macht, dass das rote Kennzeichen einem bestimmten Fahrzeug zugeordnet ist. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nach den Feststellungen des Amtsgerichts gegeben.
Die Wirksamkeit der Zulassung hängt bei einer derartigen Zuordnung nicht davon ab, ob das Fahrzeug gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 StVZO in einen Schein aus dem Fahrzeugscheinheft eingetragen ist (vgl. BayObLGSt 1987, 22/24; 1995, 53 = NZV 1995, 458). Auch eine Benutzung des Fahrzeugs unter Verstoß gegen die zweckgebundene Zulassung nach § 28 Abs. 1 Satz 1 StVZO ändert an der Wirksamkeit der Zulassung nichts (BayObLGSt 1987, 22).
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts gilt dies auch dann, wenn das Kennzeichen mit Vollmacht des Zeichenempfängers von einem Dritten für Fahrten verwendet wird, die in keinem Zusammenhang mit dem Betrieb des Zeichenempfängers stehen, wobei unerheblich ist, ob Letzterer befugt war, eine derartige Verwendung zuzulassen. Weder braucht der Empfänger des roten Kennzeichens Eigentümer des Fahrzeugs zu sein, an dem das Kennzeichen angebracht wird, noch ist es notwendig, dass die mit dem roten Kennzeichen durchgeführte Fahrt demjenigen wirtschaftlich zugute kommt, dem das Kennzeichen zugeteilt worden ist (BayObLGSt 1967, 53/56 f.; 1995, 53/55; siehe auch Mehde NZV 2000, 111/114).
Da das Fahrzeug mithin zugelassen war, scheidet eine Strafbarkeit nach § 22 Abs. 1 Nr. 1 StVG aus.
3. Eine Rückverweisung der Sache an das Amtsgericht wegen möglicher anderer Rechtsverletzungen ist nicht geboten, da eine Strafbarkeit nach anderen Bestimmungen nicht in Betracht kommt und etwaige Ordnungswidrigkeiten nach der StVZO spätestens mit Ablauf des 5.3.2001 verjährt sind.
Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft bei dem Revisionsgericht liegt insbesondere weder eine strafbare Hinterziehung von Kraftfahrzeugsteuer vor, noch ein Verstoß gegen das Pflichtversicherungsgesetz (PflversG).
Als Grundlage einer Steuerpflicht des Angeklagten käme hier ausschließlich § 1 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG in Betracht, wonach die widerrechtliche Benutzung von Fahrzeugen der Kraftfahrzeugsteuer unterliegt. Soweit von der Rechtsprechung bei der Benutzung roter Kennzeichen eine Strafbarkeit wegen eines Steuerdelikts bejaht worden ist (vgl. z. B. BayObLGSt 1987, 22), lag dem der hier nicht einschlägige Fall zugrunde, dass die Fahrt unter Verstoß gegen die zweckgebundene Zulassung gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 StVZO durchgeführt wurde. Demgegenüber ist eine Strafbarkeit gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 KraftStG zurecht verneint worden, soweit -- wie hier -- lediglich gegen die Pflicht zur Eintragung des Fahrzeugs in einen Schein des Kraftfahrzeugscheinheftes (§ 28 Abs. 3 Satz 2 StVZO) verstoßen wurde (BayObLGSt 1967, 53/59).
b) Der Angeklagte hat auch keinen Verstoß gegen § 6 PflversG begangen.
Nach § 28 Abs. 6 StVZO sind rote Kennzeichen erst zuzuteilen, wenn der Nachweis erbracht ist, dass eine dem Pflichtversicherungsgesetz entsprechende Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung abgeschlossen ist. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass von dem Kennzeichenempfänger eine Haftpflichtversicherung vor Zuteilung der roten Kennzeichen abgeschlossen worden ist. Haftpflichtversichert sind danach alle Fahrzeuge, wenn und solange sie mit einem dem Versicherungsnehmer zugeteilten roten Kennzeichen versehen sind (Abschnitt I Nr. 1, Abschnitt II Nr. 1 lit. a Kfz-Sonderbedingungen).
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt. Der Umstand, dass die beiden roten Kennzeichen nicht vorne und hinten am Fahrzeug befestigt waren, sondern sich im Wageninnern befanden, ändert hieran nichts.
Zwar soll nicht nur eine Obliegenheitspflichtverletzung vorliegen, sondern der Versicherungsschutz entfallen, wenn die roten Kennzeichen gar nicht mitgeführt werden (so BGH NJW 1974, 1558; KG VRS 41, 397). Es kann dahinstehen, ob dies auch gilt, wenn die Kennzeichen sich zwar im Fahrzeug befinden, aber nicht von außen erkennbar sind. Ebenso wie bei der Frage der Zuordnung der roten Kennzeichen zu einem bestimmten Fahrzeug, liegt ein "Versehen" des Fahrzeugs mit den roten Kennzeichen der oben genannten Sonderbedingungen nämlich dann vor, wenn die Zuordnung des Zeichens zum Fahrzeug für einen objektiven Beobachter zum Ausdruck bringt, es handle sich um das Kennzeichen des Fahrzeugs. Es werden daher auch Kennzeichen erfasst, die im Fahrzeuginnern unabhängig von der Befestigungsart so angebracht sind, dass sie von außen abgelesen werden können, d. h. die gleiche informationelle Wirkung wie ein ordnungsgemäß außen am Fahrzeug angebrachtes Kennzeichen entfalten (so zurecht für § 22 StVG: OLG Hamburg NZV 1994, 369; Hentschel Straßenverkehrsrecht 36. Aufl. § 22 StVG Rn. 3; Janiszewski/Jagow/Burmann StVO 16. Aufl. § 22 StVG Rn. 3).
IV.
Da eine Strafbarkeit des Angeklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ersichtlich ist, war daher das Urteil des Amtsgerichts aufzuheben (§ 353 StPO) und der Angeklagte freizusprechen (§ 354 Abs. 1 StPO). ..."