Das Verkehrslexikon
BGH Beschluss vom 19.12.1995 - 4 StR 170/95 - Grundsatzurteil zu den Anforderungen an die Täter-Identifizierung durch Lichtbildbeweis
BGH v. 19.12.1995: Grundsatzurteil zu den Anforderungen an die Täter-Identifizierung durch Lichtbildbeweis
Auf Vorlage des OLG Köln hat hinsichtlich der Anforderungen an eine Tatfoto-Identifizierung des Betroffenen im Bußgeldverfahren und an die entsprechenden Darlegungen im Urteil hat der BGH (Beschluss vom 19.12.1995 - 4 StR 170/95) folgendes ausgeführt:
Hat der Tatrichter im Bußgeldverfahren wegen einer Verkehrsordnungswidrigkeit anhand eines bei einer Verkehrsüberwachungsmaßnahme gefertigten Beweisfotos die Überzeugung erlangt, dass der Betroffene und die abgebildete Person identisch sind, so gilt für die Darstellung in den Urteilsgründen folgendes:
- Wird im Urteil gem. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO auf ein zur Identifizierung generell geeignetes Foto verwiesen, bedarf es im Regelfall keiner näheren Ausführungen.
Bestehen allerdings nach Inhalt oder Qualität des Fotos Zweifel an seiner Eignung als Grundlage für eine Identifizierung des Fahrers, so muss der Tatrichter angeben, aufgrund welcher - auf dem Foto erkennbaren - Identifizierungsmerkmale er die Überzeugung von der Identität des Betroffenen mit dem abgebildeten Fahrzeugführer gewonnen hat.
- Unterbleibt eine prozessordnungsgemäße Verweisung auf das Beweisfoto, so muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere charakteristische Identifizierungsmerkmale so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung ermöglicht wird, ob dieses zur Identifizierung generell geeignet ist.
Siehe auch Lichtbildqualität - Radarfoto und Lichtbildbeweis - Radarfoto - Videoaufzeichnung - Passfotovergleich - Wahllichtbildvorlage
Aus den Entscheidungsgründen:
II. ..
2. ...
a) Ob das Lichtbild die Feststellung zulässt, dass der Betr. der abgebildete Fahrzeugführer ist, hat allein der Tatrichter zu entscheiden (BGHSt 29, 18). ... Die Überprüfung dieser tatrichterlichen Überzeugung ist dem Rechtsbeschwerdegericht grundsätzlich versagt. ...
Auch hinsichtlich der Identifizierung eines Betr. anhand eines Lichtbildes sind der freien Beweiswürdigung durch den Tatrichter indes Grenzen gesetzt. So lässt etwa ein sehr unscharfes Foto oder ein Foto, auf dem das Gesicht des Fahrers nicht oder nur zu einem geringen Teil abgebildet ist, eine Identifizierung durch bloßen Vergleich mit dem in der Hauptverhandlung anwesenden Betr. nach den Erfahrungssätzen des täglichen Lebens nicht zu. Je nach Qualität und Inhalt des Bildes können sich ein Vergleich mit dem persönlich anwesenden Betr. und der Schluss auf seine Täterschaft von vornherein als schlechterdings unmöglich und willkürlich erweisen. Sieht der Tatrichter den Betr. gleichwohl aufgrund des Lichtbildes als überführt an, so leidet das Urteil an einem Rechtsfehler, der im Rechtsbeschwerdeverfahren mit der Sachrüge beanstandet werden kann. Soweit der Senat in der Entscheidung BGHSt 29, 18, 22 die Auffassung vertreten hat, das Rechtsbeschwerdegericht dürfe, da ihm eine eigene Auswertung des Radarfotos verschlossen sei, auch nicht prüfen, ob das vom Tatrichter in Augenschein genommene Lichtbild für die Überzeugungsbildung (überhaupt) ergiebig sei, hält er hieran in dieser Allgemeinheit nicht fest. Allerdings setzt auch diese Prüfung eine Wertung und Würdigung des Beweismittels voraus. Diese Wertung und Würdigung ist aber - wenn auch beschränkt auf den Maßstab, den die wissenschaftlichen Erkenntnisse, die Gesetze der Logik und die Erfahrungssätze des täglichen Lebens vorgeben - überprüfbar und auch ohne Rekonstruktion der Hauptverhandlung möglich.
b) Daraus folgt für die Anforderungen an die Urteilsgründe: Diese müssen so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Belegfoto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen.
aa) Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass der in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gem. § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug nimmt. Aufgrund der Bezugnahme, die deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck gebracht sein muss (Kleinknecht / Meyer-Großner StPO 42. Aufl., § 267 Rdnr. 8; vgl. auch BayObLG NZV 1995, 163), wird das Lichtbild zum Bestandteil der Urteilsgründe. Das Rechtsmittelgericht kann die Abbildung aus eigener Anschauung würdigen (Kleinknecht / Meyer-Großner aaO. § 267 Rdnr. 10) und ist daher auch in der Lage zu beurteilen, ob es als Grundlage einer Identifizierung tauglich ist (vgl. OLG Celle VM 1985, 53; OLG Stuttgart VRS 77, 365; OLG Karlsruhe DAR 1995, 337).
Macht der Tatrichter von der Möglichkeit des § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO Gebrauch, so sind darüber hinausgehende Ausführungen zur Beschreibung des abgebildeten Fahrzeugführers entbehrlich, wenn das Foto ... zur Identifizierung uneingeschränkt geeignet ist. Es bedarf weder einer Auflistung der charakteristischen Merkmale, auf die sich die Überzeugung von der Identität mit dem Betr. stützt, noch brauchen diese Merkmale und das Maß der Übereinstimmung beschrieben zu werden. ...
Ist das Foto - etwa aufgrund schlechterer Bildqualität (z.B. erhebliche Unschärfe) oder aufgrund seines Inhalts - zur Identifizierung eines Betr. nur eingeschränkt geeignet, so hat der Tatrichter zu erörtern, warum ihm die Identifizierung gleichwohl möglich erscheint. Dabei sind umso höhere Anforderungen an die Begründung zu stellen, je schlechter die Qualität des Fotos ist. Die auf dem Foto erkennbaren - charakteristischen Merkmale, die für die richterliche Überzeugungsbildung bestimmend waren, sind zu benennen und zu erörtern.
bb) Sieht der Tatrichter hingegen von der die Abfassung der Urteilsgründe erleichternden Verweisung auf das Beweisfoto ab, so genügt es weder, wenn er das Ergebnis seiner Überzeugungsbildung mitteilt, noch, wenn er die von ihm zur Identifizierung herangezogenen Merkmale auflistet. Vielmehr muss er dem Rechtsmittelgericht, dem das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechend ausführliche Beschreibung die Prüfung ermöglichen, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität (insbesondere zur Bildschärfe) enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale (in ihren charakteristischen Eigenarten) so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird. Die Zahl der zu beschreibenden Merkmale kann dabei um so kleiner sein, je individueller sie sind und je mehr sie in ihrem Zusammenhang geeignet erscheinen, eine bestimmte Person sicher zu erkennen. Dagegen muss die Beschreibung um so mehr Merkmale umfassen, wenn die geschilderten auf eine Vielzahl von Personen zutreffen und daher weniger aussagekräftig sind. Umstände, die die Identifizierung erschweren, sind ebenfalls zu schildern."