Das Verkehrslexikon
Amtsgericht Köln Urteil vom 14.09.1984 - 266 C 191/84 - Keine Haftung des Taxi-Halters und -Fahrers gegenüber dem die Tür des Taxis öffnenden Fahrgast
AG Köln v. 14.09.1984: Keine Haftung des Taxi-Halters und -Fahrers gegenüber dem die Tür des Taxis öffnenden Fahrgast
Das Amtsgericht Köln (Urteil vom 14.09.1984 - 266 C 191/84) hat entschieden:
Kommt es beim Öffnen der Tür durch den Fahrgast einer Taxe zu einem Schaden am Fahrzeug, so haftet der Fahrgast dem Halter sowohl aus unerlaubter Handlung wie auch aus der positiven Verletzung der vertraglichen Nebenverpflichtung aus dem Beförderungsvertrag, die Taxe nicht zu beschädigen.
Siehe auch Türöffner-Unfälle und Geöffnete Fahrzeugtür und Seitenabstand beim Vorbeifahren
Zum Sachverhalt: Der Bekl. wurde am 30.12.1983 von der Taxe der Kl. vom K.Ring zur V.-Straße gefahren. Während sein Begleiter S. mit dem Fahrer K. abrechnete, öffnete der Bekl. die linke Tür, die mit dem Mofa des Y. kollidierte. Dabei wurde auch das Fahrzeug der Kl. beschädigt. Die Kl. behauptete, der Bekl. habe die Tür plötzlich aufgerissen, und nahm ihn deshalb in Höhe von 1486 DM auf Schadenersatz in Anspruch.
Das AG hat der Klage stattgegeben.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Der Bekl. haftet der Kl. als Halterin sowohl aus unerlaubter Handlung (§§ 823 Abs. 1, 2 BGB, 303 StGB) wie auch aus der positiven Verletzung der vertraglichen Nebenverpflichtung aus dem Beförderungsvertrag, die Taxe der Kl. nicht zu beschädigen (§ 631 BGB).
Demgegenüber kann der Bekl. keine Einwände daraus herleiten, dass der Fahrer nicht auf dem Bürgersteig geparkt, ihm nicht die Tür geöffnet oder ihn nicht auf die Gefährlichkeit des Türöffnens hingewiesen hat.
Zwar hat die ältere Rechtsprechung eine Pflicht des Fahrers angenommen, den Beifahrer oder Fahrgast über die Gefährlichkeit des Türöffnens zu belehren (OLG Celle DAR 51, 13 zu § 7 KFG; BayObLG VRS 21, 58 = JR 61, 187 mit zustimmender Anm. von Hartung JR 61, 188, der die Haftung des Fahrers für den Beifahrer sogar aus "vorangegangenem Tun" herleiten wollte). Diese Rechtsprechung hat jedoch die Haftung des Fahrers aus § 7 des Kraftfahrtgesetzes vom 3.5.1909 (RGBl S. 437) wie aus § 7 Abs. 3 StVO a. F. (vom 13.11.1937 RGBl I 1179) abgeleitet, wonach der Fahrer eines Fahrzeugs "zur gehörigen Vorsicht in der Leitung und Bedienung" verpflichtet war.
Weil nach damaliger Ansicht das Öffnen der Tür zur "Bedienung "des Fahrzeugs gehörte, trug der Fahrzeugführer auch für das Öffnen der Tür durch den Beifahrer die Verantwortung. Das mochte seine Berechtigung haben in einer Zeit, in der ein Pkw-Besitz noch etwas Ungewöhnliches war, so dass für einen Beifahrer Regelkenntnis nicht vorausgesetzt werden konnte. So betrug der Pkw-Bestand in der Bundesrepublik 1950 nur 0,598 Mio. und 1960 4,49 Mio. Pkw (vgl. BMV Verkehr in Zahlen). Heute hingegen ist er auf 24,58 Mio. Pkw, also auf das 41fache angewachsen.
Entsprechend sind auch Führerscheinbestand und Regelkenntnis angewachsen, so dass heute auch bei einem normalen Beifahrer die Kenntnis der StVO vorausgesetzt werden kann. Außerdem ist durch die Neufassung der StVO 1971 in § 14 klargestellt, dass "wer ein- oder aussteigt" dafür verantwortlich ist, dass "eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer beim Türöffnen ausgeschlossen ist". Adressat des § 14 StVO ist also seitdem mit guten Gründen der Aussteigende selbst, gleichgültig ob er Fahrer oder Beifahrer ist.
Schon von daher sprechen gewichtige Gründe dafür, diese ältere Rechtsprechung einer Überprüfung zu unterziehen. Dies gilt insbesondere für Taxifahrer wie auch Straßenbahn- und Busfahrer, zu deren Gunsten unterstellt werden muss, dass die Fahrgäste in der Regel die erforderlichen Kenntnisse der StVO haben. Es ist auch nicht ersichtlich, wie ein Taxifahrer, insbesondere wenn er, wie im vorliegenden Fall, mehrere Fahrgäste gleichzeitig befördert, ein voreiliges Türöffnen verhindern kann, wenn er nicht eine automatische Türverriegelung (Kinderschutzsicherung) eingebaut hat. Eine solche ist aber aus gutem Grund gesetzlich für Taxis nicht vorgeschrieben.
Ganz allgemein kann es im Normalfall ohne besondere Veranlassung nicht Aufgabe eines Taxifahrers sein, den Fahrgast über seine Verpflichtungen aus der StVO zu belehren; sonst trüge ein Taxifahrer z. B. auch die Verantwortung dafür, dass sein Beifahrer den Sicherheitsgurt anlegt. Maßgeblich ist aber letztlich hier, dass unterschieden werden muss zwischen den Pflichten, die Halter, Fahrer und Fahrgast gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern haben, damit diese beim Öffnen der Tür nicht geschädigt werden (vgl. §§ 7 Abs. 1, 8 Abs. 1 StVG, 14 StVO) und den Pflichten, die Halter und Fahrer einerseits und der Fahrgast andererseits aus dem Beförderungsvertrag gegeneinander haben.
§ 14 StVO soll nämlich nach Wortlaut wie Sinn und Zweck andere Verkehrsteilnehmer vor den Gefahren beim Öffnen der Tür schützen. Inhalt des Beförderungsvertrags hingegen, der Werkvertrag ist (vgl. Palandt BGB Anm. 5 vor § 631), ist zunächst lediglich die entgeltliche Beförderung zum angegebenen Fahrziel. Daneben haben Fahrer wie Fahrgast jedoch auch nach der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrzeugen im Personenverkehr vom 21.6.1975 BGBI III 9240/1/2 (BOKraft) die gesetzliche Verpflichtung, jeweils dafür Sorge zu tragen, dass die "sichere und ordnungsgemäße Beförderung" (§ 2 BOKraft) nicht in Frage gestellt wird. So hat auf der einen Seite der Fahrer "besondere Sorgfalt anzuwenden, die sich daraus ergibt, dass ihm Personen zur Beförderung anvertraut sind" (§ 7 BOKraft). Das folgt auch aus § 13 BOKraft, wonach der Fahrer das Recht und unter Umständen auch die Pflicht hat, eine Beförderung abzulehnen, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme rechtfertigen, dass die zu befördernde Person eine Gefahr für die Sicherheit und Ordnung des Betriebs oder für die Fahrgäste darstellt.
Der Fahrgast seinerseits hat die Verpflichtung, alles zu unterlassen, was die Sicherheit des Betriebs oder anderer Fahrgäste gefährden könnte (vgl. §§ 14, 15 BOKraft). Daraus folgt aber unmittelbar nur, dass die "sichere und ordnungsgemäße Beförderung" selbst nicht gefährdet werden darf (§ 2 BOKraft sowie amtliche Begründung zu § 7 BOKraft bei Bedinger, Personenbeförderungsrecht). Die übrigen Pflichten des Fahrers wie des Fahrgasts ergeben sich hingegen aus der StVO und der StVZO wie auch aus den übernommenen vertraglichen Haupt- und Nebenpflichten. Solche können aber nur sein, die Rechtsgüter des anderen Vertragspartners wie Eigentum, Gesundheit usw. nicht schuldhaft zu verletzen. Eine Verpflichtung des Fahrers gegenüber dem Fahrgast, dafür Sorge zu tragen, dass dieser die Taxe nicht beschädigt, lässt sich aus dem Sinn und Zweck des Beförderungsvertrags nicht herleiten.
Diese Verpflichtung trifft vielmehr als Nebenverpflichtung den Fahrgast allein.
Eine solche Verpflichtung des Fahrers mag sich zwar aus seinem Anstellungsvertrag mit dem Halter herleiten. Dies hätte aber nur zur Folge, dass der Fahrer gegenüber der Kl. neben dem Bekl. auf seiner Seite gesamtschuldnerisch mithaften würde, so dass im Ergebnis der Bekl. im Verhältnis zur Kl. allein haftet (vgl. §§ 631, 823, 840, 421 BGB). Etwas anderes folgt auch nicht aus der Tatsache, dass der Bekl. "angetrunken" war. Auch hieraus könnte nämlich allenfalls eine unmittelbare Verpflichtung des Fahrers folgen, den Bekl. selbst wie auch sonst hilfsbedürftige Personen (vgl. § 3 Abs. 2a StVO) vor Schaden zu bewahren. Der Bekl. selbst hat aber unstreitig keinen Schaden erlitten. Im übrigen steht auch in diesem Zusammenhang nicht fest, dass die alkoholische Beeinflussung des Bekl. sehr stark war... Die Beweisaufnahme hat auch nicht ergeben, dass er sich zuvor in irgendeiner Weise auffällig benommen hätte, so dass der Fahrer im Verhältnis zum Bekl. zu besonderer Fürsorge verpflichtet gewesen wäre (vgl. dazu OLG Hamm ZfS 84, 35 = VRS 65, 403, das die Haftung eines Taxifahrers für den Verkehrsunfall eines Fahrgasts verneint hat, obwohl dieser 2,17 ‰ aufwies und nach dem Aussteigen verunglückte).
In diesem Zusammenhang kann schließlich ein stillschweigender Haftungsausschluss bzw. eine Beschränkung der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit nicht angenommen werden. Dieser entspräche weder der Interessenlage noch dem mutmaßlichen Willen der Parteien noch schließlich den versicherungsrechtlichen Gegebenheiten (vgl. dazu BGH NJW 66, 41). Einmal ist die Kl. kraft Gesetzes zur Beförderung verpflichtet (vgl. § 22 PBefG) und der Bekl. zur Bezahlung des Tarifs. Es handelt sich also keineswegs um eine sogenannte Gefälligkeitsfahrt, bei der Ansprüche in der Regel allein aus unerlaubter Handlung hergeleitet werden können (vgl. dazu Palandt, BGB Anm. 6d zu § 254), weil in der Regel rechtsgeschäftlicher Verpflichtungswille fehlt. Schon von daher ist ein Verzicht auf wechselseitige Ansprüche anlässlich der Beförderung in einer Taxe nicht anzunehmen.
Im übrigen ist auch eine Vollkaskoversicherung ohne Selbstbeteiligung selbst im Taxigewerbe keineswegs üblich. 1982 waren nämlich nur 2,3 % von 5,6 Mio. Pkw ohne Selbstbehalt vollkaskoversichert. Das ist, bezogen auf den Gesamtbestand der Pkw, nur 1/2 %. Demgegenüber standen für 1982 über 23 Mio. Verträge in der Allgemeinen Haftpflicht, insbesondere auch der Privathaftpflicht (vgl. dazu Jahrbuch des Gesamtverbandes der deutschen Versicherungswirtschaft 1983 S. 25). Im Gegensatz zu einer Vollkaskoversicherung ohne Selbstbeteiligung ist daher heute eine Allgemeine Privathaftpflicht mehr oder weniger allgemein üblich, wie im übrigen auch anzuraten, so dass auch von daher nicht einzusehen ist, dass die Haftung des Fahrgasts einer Taxe gegenüber Fahrer und Halter auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit beschränkt sein sollte, weil niemand auf Ansprüche verzichtet, die durch eine Haftpflichtversicherung abgedeckt sind (vgl. dazu Palandt aaO sowie BGH NJW 66, 41). ..."