Das Verkehrslexikon
BGH Urteil vom 28.06.2005 - VI ZR 108/04 - Die Frage, ob und in welcher Höhe für einen bestimmten Zeitraum ein Verdienstausfallschaden eingetreten ist, betrifft den Umfang des Unfallschadens, also die Höhe des Anspruchs
BGH v. 28.06.2005: Die Frage, ob und in welcher Höhe für einen bestimmten Zeitraum ein Verdienstausfallschaden eingetreten ist, betrifft den Umfang des Unfallschadens, also die Höhe des Anspruchs
Oft wird für die Zukunft durch Feststellungsurteil entschieden, dass der Schädiger zum Ersatz des künftig entstehenden materiellen Schadens verpflichtet ist, soweit nicht ein Übergang auf Sozialversicherungsträger stattgefunden hat. Es stellt sich in solchen Fällen die Frage, ob der Schädiger dem Geschädigten gegenüber einwenden kann, es sei überhaupt kein berechenbarer Schaden entstanden, weil andere Ursachen als das schädigende Ereignis ursächlich dafür seien, dass der Geschädigte keine Arbeit gefunden hat, oder ob ihm nur noch Einwendungen zur Höhe des Verdienstausfalls offen stehen.
Insoweit hat der BGH (Urteil vom 28.06.2005 - VI ZR 108/04) zugunsten des Geschädigten geurteilt:
Die Frage, ob und in welcher Höhe für einen bestimmten Zeitraum ein Verdienstausfallschaden eingetreten ist, betrifft den Umfang des Unfallschadens, also die Höhe des Anspruchs, und wird deshalb von der Rechtskraft eines vorausgegangenen Feststellungsurteils betreffend die Ersatzpflicht sämtlicher materieller Schäden aus dem Unfallereignis nicht erfasst (Bestätigung des Senatsurteils vom 24. Januar 1995 - VI ZR 354/93 - VersR 1995, 469, 470).
Siehe auch Erwerbsschaden - Einkommensnachteile - Verdienstausfall und Prognosebildung bezüglich des hypothetischen Zukunftseinkommens
Zum Sachverhalt: Der Kläger verlangt von den Beklagten als Gesamtschuldnern Ersatz von Verdienstausfallschaden wegen eines Verkehrsunfalls vom 3. September 1995, bei dem er erheblich verletzt wurde und an dem die Beklagte zu 1 mit einem bei der Beklagten zu 2 haftpflichtversicherten Kraftfahrzeug beteiligt war. In einem - rechtskräftig abgeschlossenen - Vorprozess mit gleichem Rubrum hat das Landgericht Aachen in einem Teilanerkenntnis- und Endurteil vom 2. Dezember 1997 - 10 O 564/96 - unter Klageabweisung im übrigen auf ein Anerkenntnis der Beklagten hin festgestellt, dass diese verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfallereignis zur Hälfte zu ersetzen, soweit sie infolge des Verkehrsunfalls zukünftig entstehen und nicht auf Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergehen.
Die Bekl. haben geltend gemacht, dass die fehlenden Verdienstmöglichkeiten auf chronischem Alkoholmissbrauch und einer hierauf beruhenden chronischen Bauchspeicheldrüsenentzündung unfallunabhängig beruhen. LG und OLG haben der Verdienstausfallklage stattgegeben und gemeint, dass durch das Feststellungsurteil eine sog. Präklusion gegeben sei. Der BGH hat die Revision zugelassen und das Berufungsurteil aufgehoben.
Aus den Entscheidungsgründen:
"... II. Diese Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand. Die Revision macht mit Recht geltend, dass die Behauptung der Beklagten, der Verkehrsunfall sei für die Erwerbsunfähigkeit und dementsprechend für den Verdienstausfall des Klägers nicht ursächlich gewesen, durch die Rechtskraft des vorausgegangenen Feststellungsurteils zwischen den Parteien nicht präkludiert ist.
1. Zwar führt die Rechtskraft eines Feststellungsurteils, in dem die Schadensersatzpflicht des in Anspruch genommenen Schädigers festgestellt worden ist, dazu, dass Einwendungen, die sich auf Tatsachen stützen, welche schon zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vorgelegen haben, nicht mehr berücksichtigt werden dürfen, soweit sie das Bestehen des festgestellten Anspruchs betreffen (vgl. Senatsurteile vom 15. Juni 1982 VI ZR 179/80 VersR 1982, 877 und vom 14. Juni 1988 VI ZR 279/87 VersR 1988, 1139).
Um die grundsätzliche Verpflichtung der Beklagten zum Ersatz des materiellen Schadens des Klägers aus jenem Unfall, die das vorausgegangene Urteil festgestellt hat, geht es im vorliegenden Fall aber nicht. Vielmehr betrifft die Frage, ob und in welcher Höhe für einen bestimmten Zeitraum ein Verdienstausfallschaden eingetreten ist, den Umfang des Unfallschadens, also die Höhe des Anspruchs, und wird deshalb von der Rechtskraft eines vorausgegangenen Feststellungsurteils nicht erfasst (vgl. Senatsurteil vom 24. Januar 1995 VI ZR 354/93 VersR 1995, 469, 470).
2. Durch den Einwand der Beklagten, der Unfall sei für die Erwerbsunfähigkeit des Klägers und dementsprechend für dessen Verdienstausfall nicht kausal gewesen, wird entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht wie bei der Geltendmachung eines Mitverschuldenseinwands im Sinne des § 254 BGB der Grund des rechtskräftig festgestellten Schadensersatzanspruchs in Frage gestellt (vgl. hierzu die oben genannten Senatsurteile vom 15. Juni 1982 VI ZR 179/80 und vom 14. Juni 1988 VI ZR 279/87 aaO), sondern die haftungsausfüllende Kausalität zwischen der unfallbedingten Verletzung und einem vom Kläger behaupteten (vermögensmäßigen) Folgeschaden bestritten. Daran vermag auch der Hinweis des Berufungsgerichts nichts zu ändern, das Landgericht habe in den Entscheidungsgründen des Urteils im Vorprozess bezüglich des Feststellungsinteresses ausgeführt, dass mit weiteren Unfallfolgeschäden, insbesondere Verdienstausfallschäden, gerechnet werden könne. Ob diese tatsächlich eingetreten sind, ist im Folgeprozess zu entscheiden und bedarf dort tatrichterlicher Feststellungen.
Diese wird das Berufungsgericht nachzuholen haben und sich im Rahmen seiner tatrichterlichen Überzeugungsbildung nach § 287 ZPO mit dem substantiierten Bestreiten der Beklagten hinsichtlich der haftungsausfüllenden Kausalität des Unfallereignisses für den geltend gemachten Erwerbsschaden auseinandersetzen müssen. ..."