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OLG Frankfurt am Main Beschluss vom 11.10.2006 - 19 W 51/06 - Zum Erlass einer Leistungsverfügung wegen unfallbedingten Wegfalls der Grundlage seiner persönlichen und wirtschaftlichen Existenz
OLG Frankfurt am Main v. 11.10.2006: Zum Erlass einer Leistungsverfügung wegen unfallbedingten Wegfalls der Grundlage seiner persönlichen und wirtschaftlichen Existenz
Das OLG Frankfurt am Main (Beschluss vom 11.10.2006 - 19 W 51/06) hat entschieden:
- Kann ein Geschädigter unfallbedingt die Grundlage seiner persönlichen und wirtschaftlichen Existenz nicht aufrechterhalten, kommt wegen seiner Ansprüche aus §§ 842, 843 BGB grundsätzlich der Erlass einer Leistungsverfügung gem. § 940 ZPO in Betracht.
- Der Verfügungsgrund kann zu verneinen sein, wenn die vorauszusetzende Notlage von dem Geschädigten dadurch (mit-) verursacht worden ist, dass er es schuldhaft unterlassen hat, seine Ansprüche rechtzeitig im Klageverfahren geltend zu machen.
Siehe auch Erwerbsschaden - Einkommensnachteile - Verdienstausfall und Prognosebildung bezüglich des hypothetischen Zukunftseinkommens
Aus den Entscheidungsgründen:
"... Die sofortige Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht den Erlass einer Leistungsverfügung wegen des Fehlens des erforderlichen Verfügungsgrundes als unzulässig angesehen.
Allerdings kommt insbesondere wegen des vom Antragsteller im Hauptsacheverfahren geltend gemachten Erwerbsschadens gemäß §§ 842, 843 Abs. 1 BGB grundsätzlich der Erlass einer Leistungsverfügung in Betracht. Vergleichbar den Fällen des Notunterhaltes (vgl. etwa OLG Karlsruhe, NJW 1995, 1908; OLG Frankfurt FamRZ 1990, 540; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1992, 198) ist eine Leistungsverfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile im Sinne des § 940 ZPO dann erforderlich, wenn ein Geschädigter unfallbedingt die Grundlage seiner persönlichen und wirtschaftlichen Existenz nicht aufrechterhalten kann, er also in eine Notlage geraten ist, so dass er dringend auf die sofortige Erfüllung seines Leistungsanspruches angewiesen ist (OLG Düsseldorf, VersR 1988, 803). Wegen des Ausnahmecharakters einer Leistungsverfügung wird jedoch ein dringendes Bedürfnis zur Behebung einer Notlage im Sinne des § 940 ZPO verneint, wenn der Verletzte es schuldhaft versäumt hat, seinen behaupteten Anspruch rechtzeitig im Klageverfahren geltend zu machen, und wenn davon ausgegangen werden kann, dass bei rechtzeitiger Betreibung des ordentlichen Verfahrens im Zeitpunkt der Antragstellung auf vorläufigen Rechtsschutz ein vorläufig vollstreckbarer Titel erwirkt worden wäre. Dieser im Bereich des Notunterhalts anerkannte Grundsatz (OLG Düsseldorf, NJW-RR 1992, 198, 199; OLG Frankfurt, FamRZ 1990, 540) ist auch auf Leistungsverfügungen anzuwenden, die auf Abschlagszahlungen aus Ansprüchen gemäß §§ 842, 843 BGB gerichtet sind. Daran ändert der vom Antragsteller geltend gemachte Gesichtspunkt, dass die beklagte Haftpflichtversicherung des Unfallgegners zur Förderung der Regulierung verpflichtet gewesen sei und diese Verpflichtung verletzt habe, nichts.
Hier hat es der Antragsteller schuldhaft versäumt, seine behaupteten Ansprüche angemessen zügig im Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Nach dem Unfallereignis am 09.05.1998 hatte der Antragsteller - anwaltlich vertreten - zunächst einen umfangreichen Schriftverkehr mit der beklagten Haftpflichtversicherung geführt, in deren Verlauf eingeholte Gutachten und Gegengutachten zum Haftungsgrund erörtert wurden, ebenso zahlreiche ärztliche Stellungnahmen und Berichten zu den Unfallfolgen. Bis Januar 2000 leistete die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners nur geringfügige Abschlagszahlungen; wiederholte Aufforderungen zur Leistung weiterer Zahlungen blieben ohne Erfolg. Mit anwaltlichem Schreiben vom 20.01.2000 erklärte der Antragsteller der Haftpflichtversicherung des Unfallgegners, dass der Klageentwurf fertiggestellt sei und die Deckungszusage des Rechtsschutzversicherers vorliege. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass im Anwaltsschreiben des Klägers vom 20.01.2000 noch eine Nachuntersuchung zur Feststellung der unfallbedingten Erwerbsminderung als erforderlich angesehen wurde, musste sich dem Antragsteller jedenfalls im Frühjahr 2000 - mithin etwa zwei Jahre nach dem Unfallereignis - aufdrängen, dass die Klageerhebung erforderlich war, nicht zuletzt um eine spätere existenzielle Notlage zu vermeiden. Der psychiatrische Untersuchungsbefund ergibt nicht, dass der Antragsteller zu dieser Einsicht seinerzeit nicht in der Lage gewesen ist und ihn deshalb nicht der Vorwurf des Verschuldens trifft. Hätte der Antragsteller im Frühjahr 2000 Klage erhoben, hätte er - die Richtigkeit seines Vorbringens unterstellt - bis zum Frühjahr 2006 einen vorläufig vollstreckbaren Titel erlangt. Der Zeitraum von allenfalls sechs Jahren erscheint als Prozessdauer für den ersten Rechtszug auch mit Rücksicht auf den Umfang der erforderlichen Beweiserhebung mit Vernehmung von Zeugen und Einholung mehrerer Sachverständigengutachten ausreichend.
Der Einwand des Antragstellers, die Antragsgegner - die Beklagten des seit dem Jahre 2005 rechtshängigen Hauptsacheverfahrens - hätten die Zwangsvollstreckung aus einem obsiegenden erstinstanzlichen Urteil durch Sicherheitsleistung abgewendet, geht fehl. Für die Entscheidung über die Sicherheitsleistung im Hauptsacheverfahren ist § 709 ZPO einschlägig; für eine Abwendungsbefugnis der Antragsgegner und beklagten Partei im Hauptsacheverfahren ist kein Raum.
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers hat selbst dann keinen Erfolg, wenn man ein dringendes Bedürfnis zur Behebung einer Notlage nicht schon wegen der schuldhaften Unterlassung verneint, den behaupteten Anspruch rechtzeitig im Hauptsacheverfahren geltend zu machen. Denn es fehlt auch an einer existenziellen Notlage. Jedenfalls seit dem Beginn von Ratenzahlungen in Höhe von 1.000,-- EUR monatlich durch die Antragsgegnerin zu 1) an den Antragsteller ab September 2006 ist eine für eine Leistungsverfügung vorauszusetzende Notlage zu verneinen. Aus dem Nettoeinkommen seiner Ehefrau, dem Kindergeld und den nunmehr geleisteten monatlichen Zahlungen der Antragsgegnerin zu 1) ergibt sich ein „Familieneinkommen“ des Antragstellers, seiner Ehefrau und der beiden minderjährigen Kinder von 4.473,08 EUR. Nach der Berechnung des Antragstellers verbleibt unter Berücksichtigung aller monatlichen Verbindlichkeiten und der Lebenshaltungskosten ein Fehlbetrag von 1.793,36 EUR. Dieser rechnerische Fehlbetrag rechtfertigt jedoch deshalb nicht die Annahme einer Notlage, weil der bei den Verbindlichkeiten angesetzte Pauschalbetrag von 500,-- EUR für die Instandhaltung von Haus, Garten und Kraftfahrzeug unter dem hier maßgeblichen Gesichtspunkt des Eintritts einer existenziellen Notlage unberücksichtigt bleiben muss. Denn es ist nicht ersichtlich, dass monatlich wiederkehrende Aufwendungen in entsprechender Höhe wegen unaufschiebbarer Instandhaltungsmaßnahmen erforderlich sind. Ebenso können die monatlichen Zahlungen von 613,55 EUR für Zinsen und Abtrag des Darlehens „…“, 342,00 EUR für Zinsen und Abtrag des Darlehens zur Rückführung des Kontokorrentkontos sowie 500,00 EUR zur Bezahlung von Verbindlichkeiten an den Bruder zur Begründung einer Notlage nicht herangezogen werden. Denn es ist nicht ersichtlich, dass der Antragsteller bei Aussetzung dieser Zahlungen erhebliche Nachteile erleiden würde, so dass es ihm nicht zumutbar ist, wegen des ihm durch die Tilgungsaussetzung voraussichtlich entstehenden Schadens auf die spätere Geltendmachung von Ansprüchen auf Ersatz des Verzugsschadens gegen die Antragsgegner verwiesen zu werden. Der Eintritt lediglich vermögensrechtlicher Nachteile kann eine Notlage als Voraussetzung einer Leistungsverfügung nicht begründen (Musilak/Huber, ZPO, 4. Aufl., § 940 Rdnr. 15; Münchener Kommentar/Heinze, 2. Aufl., ZPO § 938 Rdnr. 21; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1996, 123, 124 m.w.N.). Danach fehlt es auch mangels einer Notlage an einem Verfügungsgrund im Sinne des § 940 ZPO. ..."