Das Verkehrslexikon

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BGH Urteil vom 13.03.2007 - VI ZR 216/05 - Ohne konkrete Gefahr ist das Einschaltenn des Warnblinklichts unzulässig

BGH v. 13.03.2007: Ohne konkrete Gefahr ist das Einschaltenn des Warnblinklichts unzulässig


Der BGH (Urteil vom 13.03.2007 - VI ZR 216/05) hat entschieden:
Auch unter Berücksichtigung einer eingeschalteten Warnblinkanlage an einem LKW ist ein herannahender Fahrer nicht verpflichtet, die festgestellte Geschwindigkeit seines Fahrzeuges von 74 bis 78 km/h weiter bis auf 45 km/h zu ermäßigen, sich bremsbereit zu halten oder auf die sich halb öffnende Fahrertür mit einer Vollbremsung zu reagieren. Das Einschalten des Warnblinklichts ist grundsätzlich unzulässig, wenn keine konkrete Gefährdung, sondern allenfalls eine Behinderung des Verkehrs vorliegt.


Siehe auch Liegenbleiben von Fahrzeugen - Warnung des übrigen Verkehrs und Unfallhelfer - Pannenhelfer - Hilfe am Unfallort


Zum Sachverhalt: Der Kläger nahm die Beklagten auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich am 12. Mai 1999 gegen 17.00 Uhr außerhalb einer geschlossenen Ortschaft auf einer Kreisstraße ereignet hat. Der Kläger wollte dort mit einem LKW Sand bei einer Firma anliefern. Zu diesem Zweck hielt er am rechten Fahrbahnrand der an dieser Stelle 5,4 m breiten Straße an und stieg aus. In diesem Moment wurde er von dem vom Beklagten zu 3 geführten und bei der Beklagten zu 1 haftpflichtversicherten Kleintransporter der Beklagten zu 2 erfasst, der die Straße in der Gegenrichtung befuhr. Der Kläger wurde bei diesem Unfall schwer verletzt, während sein LKW unbeschädigt blieb.

Der Kläger hat behauptet, vor dem Aussteigen aus dem Führerhaus die Warnblinkanlage des LKW eingeschaltet zu haben. Der Beklagte zu 3 habe sich mit seinem Fahrzeug gleichwohl mit unverminderter Geschwindigkeit, die zudem überhöht gewesen sei, der späteren Unfallstelle genähert.

Die Beklagten haben behauptet, der Beklagte zu 3 sei ursprünglich mit einer Geschwindigkeit von 80 bis 90 km/h gefahren und habe diese angesichts des am Fahrbahnrand stehenden LKW des Klägers auf 74 km/h verringert. Als der Beklagte zu 3 sich dem LKW bis auf 50 m genähert gehabt habe, sei der Kläger plötzlich rückwärts aus dem Fahrzeug auf die Fahrbahn gesprungen. Der Unfall sei deshalb für den Beklagten zu 3 unvermeidbar gewesen.

Das Landgericht hat der Klage auf hälftigen Schadensersatz stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage abgewiesen.

Die Revision des Klägers hiergegen blieb erfolgslos.


Aus den Entscheidungsgründen:

"... Das Berufungsgericht folgt zwar den Feststellungen des Landgerichts, dass der Kläger bereits vor dem Unfall die Warnblinkanlage des LKW eingeschaltet gehabt habe. Auch wäre der Unfall nach den Ausführungen des Sachverständigen in dem Unfallrekonstruktionsgutachten sowohl vermeidbar gewesen, wenn der Beklagte zu 3 sich der Unfallstelle statt mit einer Geschwindigkeit von 74 bis 78 km/h lediglich mit einer solchen von 45 km/h genähert hätte als auch dann, wenn er auf die nur zur Hälfte geöffnete LKW-Tür mit einer Vollbremsung reagiert hätte. Der Beklagte zu 3 sei jedoch nicht verpflichtet gewesen, die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges bei den am Unfalltag herrschenden guten Rahmenbedingungen auf der übersichtlichen Landstraße mit einer zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h auf ein derart niedriges Niveau herabzusetzen. Eine entsprechende Reaktionsaufforderung sei auch nicht von der eingeschalteten Warnblinkanlage ausgegangen. Damit habe der Kläger den Verkehr auf seinen am Fahrbahnrand stehenden LKW aufmerksam machen wollen. Eine weitergehende Bedeutung habe das Einschalten der Warnblinkanlage auch aus der Sicht des Beklagten nicht haben können, weil es an anderen Ursachen für das Einschalten der Anlage, wie z.B. Menschen auf der Fahrbahn o.ä., erkennbar gefehlt habe. Von der zur Hälfte geöffneten LKW-Tür sei keine Reaktionsaufforderung zu einer Vollbremsung ausgegangen, da der Beklagte zu 3 bis zu diesem Zeitpunkt habe davon ausgehen dürfen, dass der Fahrer des LKW die Tür erst nach dem Passieren des entgegenkommenden Fahrzeuges vollständig öffnen und aussteigen würde. Auch wenn die Beklagten nicht den ihnen nach § 7 Abs. 2 StVG a.F. obliegenden Beweis der Unabwendbarkeit des Unfalls für den Beklagten zu 3 hätten erbringen können, scheide dennoch eine - wenn auch nur anteilige - Haftung der Beklagten aus, weil die von dem Kleintransporter ausgehende Betriebsgefahr ebenso wie ein etwaiges leichtes Verschulden des Beklagten zu 3 hinter dem groben Sorgfaltsverstoß des Klägers zurücktrete. Es sei völlig unverständlich, dass der Kläger bei den bestehenden guten Sichtverhältnissen das Führerhaus seines LKW verlassen habe, ohne sich zu vergewissern, dass er die Straße gefahrlos betreten konnte.

II.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsfehler davon ausgegangen, dass der Beklagte zu 3 - auch unter Berücksichtigung der eingeschalteten Warnblinkanlage an dem LKW - nicht verpflichtet war, die festgestellte Geschwindigkeit seines Fahrzeuges von 74 bis 78 km/h weiter bis auf 45 km/h zu ermäßigen, sich bremsbereit zu halten oder auf die sich halb öffnende Fahrertür mit einer Vollbremsung zu reagieren.

1. Unter den Umständen des Streitfalles war das Einschalten des Warnblinklichts objektiv nicht erforderlich, um den Verkehr auf den stehenden LKW aufmerksam zu machen.

Nach § 16 Abs. 2 Satz 2 StVO darf außer beim Liegenbleiben mehrspuriger Fahrzeuge an unübersichtlichen Stellen (§ 15 StVO) und beim Abschleppen von Fahrzeugen (§ 15a StVO) Warnblinklicht nur einschalten, wer andere durch sein Fahrzeug gefährdet sieht oder andere vor Gefahren warnen will, z.B. bei Annäherung an einen Stau oder bei besonders langsamer Fahrgeschwindigkeit auf Autobahnen und anderen schnell befahrenen Straßen. Das Einschalten des Warnblinklichts ist dagegen grundsätzlich unzulässig, wenn keine konkrete Gefährdung, sondern allenfalls eine Behinderung des Verkehrs vorliegt (vgl. OLG Hamm, VersR 1992, 700; Geigel/Zieres, Der Haftpflichtprozess, 24. Aufl., 27. Kap., Rn. 424; Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., StVO § 16 Rz. 5; Janiszewski/Jagow/Burmann, Straßenverkehrsrecht, 19. Aufl., StVO § 16 Rn. 13a).

2. Ob im Streitfall diese Voraussetzungen im Hinblick auf den nach den getroffenen Feststellungen auf einer übersichtlichen Landstraße am Fahrbahnrand stehenden, für den herannahenden Verkehr gut erkennbaren LKW vorlagen, kann jedoch ebenso dahinstehen wie die Frage, ob auch von einem unzulässigerweise eingeschalteten Warnblinklicht eine Reaktionsaufforderung für andere Verkehrsteilnehmer ausgehen kann, die Geschwindigkeit zu verlangsamen und sich bremsbereit zu halten.

Nach den von der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts hat der Kläger durch das Einschalten der Warnblinkanlage den Verkehr nur auf den am Fahrbahnrand stehenden LKW aufmerksam machen wollen. Eine von dem am Fahrbahnrand stehenden, gut erkennbaren LKW ausgehende Gefahr hat sich jedoch im Streitfall nicht realisiert. Für den Beklagten zu 3 stellte der LKW noch nicht einmal ein Hindernis dar, weil dieser aus seiner Sicht auf der Gegenfahrbahn stand. Realisiert hat sich vielmehr die Gefahr, die davon ausgegangen ist, dass der Kläger unter Missachtung des entgegenkommenden Verkehrs ausgestiegen und auf die Fahrbahn gesprungen ist. Die Revision macht selbst nicht geltend, dass der Kläger mit dem Einschalten der Warnblinkanlage den herannahenden Gegenverkehr vor seinem beabsichtigten Aussteigen warnen wollte, zumal der Kläger ohnehin erst aussteigen durfte, wenn er sicher sein konnte, dass er sich und andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdete (vgl. § 14 Abs. 1 StVO). Dabei hatte er grundsätzlich auch auf Fahrzeuge zu achten, die aus der Gegenrichtung kamen (vgl. Senatsurteile vom 16. September 1986 - VI ZR 151/85, VersR 1986, 1231, 1232 und vom 24. Februar 1981 - VI ZR 297/79, VersR 1981, 533, 534).

3. Der Beklagte zu 3 war auch aus sonstigen Gründen nicht gehalten, die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges unter die festgestellten 74 bis 78 km/h weiter herabzusetzen, sich bremsbereit zu halten oder bereits auf die nur zur Hälfte geöffnete LKW-Tür mit einer Vollbremsung zu reagieren.

Der fließende Verkehr darf zwar nicht generell darauf vertrauen, dass die gesteigerte Sorgfaltspflicht des § 14 Abs. 1 StVO allgemein beachtet wird; er muss daher, wenn für ihn nicht mit Sicherheit erkennbar ist, dass sich im haltenden Fahrzeug und um das Fahrzeug herum keine Personen aufhalten, einen solchen Abstand einhalten, dass ein Insasse die linke Tür ein wenig öffnen kann (vgl. Senatsurteil vom 24. Februar 1981 - VI ZR 297/79, a.a.O. m.w.N.). Der an einem parkenden Wagen vorbeifahrende Verkehrsteilnehmer darf jedoch darauf vertrauen, dass die Tür nicht plötzlich weit geöffnet wird und ein Insasse auf die Fahrbahn springt (vgl. Senatsurteil vom 24. Februar 1981 - VI ZR 297/79, a.a.O. m.w.N.). Deshalb ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Beklagte zu 3 habe unter den gegebenen Umständen davon ausgehen dürfen, dass der Fahrer des LKW die Tür erst nach seiner - des Beklagten zu 3 - Durchfahrt vollständig öffnen und aussteigen würde, aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

4. Schließlich ist auch kein Rechtsfehler erkennbar, soweit das Berufungsgericht im Rahmen der Abwägung die Betriebsgefahr des vom Beklagten zu 3 geführten Kleintransporters vollständig hinter dem Mitverschulden des Klägers hat zurücktreten lassen.

Die Entscheidung über eine Haftungsverteilung im Rahmen des § 254 BGB oder des § 17 StVG ist grundsätzlich Sache des Tatrichters und im Revisionsverfahren nur darauf zu überprüfen, ob alle in Betracht kommenden Umstände vollständig und richtig berücksichtigt und der Abwägung rechtlich zulässige Erwägungen zugrunde gelegt worden sind (vgl. zuletzt die Senatsurteile vom 16. Januar 2007 - VI ZR 248/05 und vom 23. Januar 2007 - VI ZR 146/05, jeweils m.w.N., z.V.b.).

Diesen Grundsätzen wird die vom Berufungsgericht vorgenommene Abwägung gerecht. Dabei ist es im Hinblick auf die gesteigerten Sorgfaltsanforderungen des § 14 Abs. 1 StVO rechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht einen groben Sorgfaltsverstoß des Klägers angenommen und es als völlig unverständlich bezeichnet hat, dass dieser bei den bestehenden guten Sichtverhältnissen das Führerhaus seines LKW verlassen hat, ohne sich mit einem kurzen Blick zu vergewissern, dass er die Straße gefahrlos betreten konnte. ..."