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Kammergericht Berlin Urteil vom 24.11.2005 - 12 U 237/04 - Zur vollen Haftung aus der Betriebsgefahr bei einer Ausweichreaktion aus Erschrecken

KG Berlin v. 24.11.2005: Zur vollen Haftung aus der Betriebsgefahr bei einer Ausweichreaktion aus Erschrecken


Das Kammergericht Berlin (Urteil vom 24.11.2005 - 12 U 237/04) hat zur vollen Haftung aus der Betriebsgefahr bei einem notwendig werdenden Ausweichmanöver entschieden:

Die Haftung gemäß § 7 StVG hängt nicht davon ab, ob sich der Führer des im Betrieb befindlichen Fahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat und auch nicht davon, dass es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist. Selbst ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder Ausweichreaktion kann dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat.

Siehe auch
Reaktionen aus "Bestürzung, Furcht und Schrecken" - die Schrecksekunde
und
Unfall durch erzwungenes Ausweichen - Schreckreaktionen

Zum Sachverhalt:


Der Bekl. bog aus wartepflichtiger Position nach rechts in die Vorfahrtstraße ein, wobei der sofort auf den linken Fahrstreifen fuhr. Auf diesem näherte sich der Führer des klägerischen Fahrzeugs und wurde zu einer Ausweichbewegung auf den befestigten Mittelstreifen gezwungen, wodurch das klägerische Fahrzeug beschädigt wurde.


Aus den Entscheidungsgründen:


"... Der Sache nach haftet der Beklagte der Klägerin aus §§ 7, 17 StVG, § 2 Pflichtversicherungsgesetz, § 839 BGB in Verbindung mit Artikel 34 GG auf vollen Schadensersatz.

a) Der Umstand, dass es zwischen den Fahrzeugen zu keiner Berührung gekommen ist, steht einer Haftung nicht entgegen. Die Haftung gemäß § 7 StVG hängt nicht davon ab, ob sich der Führer des im Betrieb befindlichen Fahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat und auch nicht davon, dass es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist (BGH NJW 2005, 2081, 2082). Selbst ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder Ausweichreaktion kann dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat (BGH a.a.O. m. w. N.).




Im vorliegenden Fall steht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Ausweichreaktion des (Ehemanns der Klägerin) zur Vermeidung einer Kollision der beiden Fahrzeuge objektiv erforderlich war. Unstreitig ist der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs mit dem VW T 4 des Beklagten aus der Kolonnenstraße nach rechts in die Hauptstraße eingebogen und hat sich dort sofort in den äußerst linken Richtungsfahrstreifen eingeordnet.

Sowohl der Ehemann der Klägerin als auch der am Unfall nicht beteiligte ... haben übereinstimmend bekundet, der VW-Bus sei in so kurzem Abstand vor dem bei für ihn grünem Ampellicht herannahenden Trabant Kübelwagen in die Hauptstraße eingebogen, dass der Ehemann der Klägerin eine Kollision nur noch durch ein Ausweichen nach links in Richtung auf den bebauten Mittelstreifen verhindern konnte. Der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs hat zwar bekundet, er habe vor dem Abbiegevorgang kurz angehalten und zu diesem Zeitpunkt kein sich näherndes Fahrzeug auf der Hauptstraße beobachtet. In seiner weiteren Aussage hat er jedoch erklärt, als er den Trabant Kübelwagen zum ersten Mal wahrgenommen habe, habe sich dieser dem VW-Bus bereits soweit genähert gehabt, dass es ohne eine Ausweichbewegung des (Ehemanns der Klägerin) zu einer Berührung der Fahrzeuge gekommen wäre. ...

Ein mitwirkendes Verschulden des (Ehemanns der Klägerin) an dem Unfall, welches sich die Klägerin anspruchsmindernd zurechnen lassen müsste, kann - unabhängig von der Frage einer Zurechnungsnorm - nicht festgestellt werden.

Soweit der Beklagte geltend gemacht hat, (der Ehemann der Klägerin) habe die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten, ist dieser Vortrag durch das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht bestätigt worden.




Ein mitwirkendes Verschulden lässt sich auch nicht damit begründen, der Ehemann der Klägerin hätte die Möglichkeit gehabt, unfallverhütend zu bremsen, weil ihm die Vorfahrtsverletzung durch das Beklagtenfahrzeug rechtzeitig erkennbar gewesen sei. Unabhängig davon, dass auch nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht sicher festgestellt werden kann, mit welcher Geschwindigkeit der VW-Bus aus der Kolonnenstraße in die durch Ampellicht bevorrechtigte Hauptstraße eingebogen ist, brauchte der Ehemann der Klägerin nicht damit zu rechnen, der Fahrer des VW-Busses werde sogleich in den äußerst linken Richtungsfahrstreifen der Hauptstraße einbiegen.

Grundsätzlich durfte er zunächst darauf vertrauen, dass der Fahrer des VW-Busses seine Vorfahrt beachten und deshalb entweder anhalten oder in den mittleren Fahrstreifen der Hauptstraße einbiegen würde.

Dass der Ehemann der Klägerin in dem Zeitpunkt, als für ihn erkennbar wurde, dass der VW-Bus in den äußerst linken Fahrstreifen der Hauptstraße gelenkt wurde, noch die Möglichkeit gehabt hätte, unfallverhütend zu bremsen, kann nicht festgestellt werden. ..."

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