Das Verkehrslexikon

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Schreckreaktion - Reaktionszeit - Fehlreaktionen infolge Bestürzung, Furcht und Schrecken - Ausweichen - zu starke Bremsreaktion

Reaktionen aus „Bestürzung, Furcht und Schrecken“ - die Schrecksekunde





Gliederung:


-   Einleitung
-   Weiterführende Links
-   Allgemeines
- Blendung
- "Flucht" vor zurücksetzendem Müllfahrzeug

- Seitenbewegungen des Überholten
- Mitverschulden
- Überbremsen von Zweirädern
- Nachkollisionäres Verhalten



Einleitung:


Immer wieder kommt es zu gefährlichen Verkehrssituationen, die auch einen umsichtigen Verkehrsteilnehmer infolge ihres schnellen Ablaufes und unvorhersehbaren Einzelumstände überfordern.


Dann entsteht das Problem, ob dem überforderten Verkehrsteilnehmer eine objektiv als falsch einzustufende Reaktion (Fehlreaktion) als Verschulden anzulasten ist, was von der Rechtsprechung überwiegend verneint wird.

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Weiterführende Links:


Unfall durch erzwungenes Ausweichen - Schreckreaktionen

Begegnungsunfall - Annäherung an Engstellen mit Gegenverkehr

Reaktionen aus "Bestürzung, Furcht und Schrecken" - die Schrecksekunde

Der berührungslose Unfall

Sturz eines Zweiradfahrers ohne Kollisionsberührung

Ausweichen und Fehlreaktionen

Abkommen von der Fahrbahn - Schleuderunfall

Der berührungslose Unfall

Liegenbleiben von Fahrzeugen - Warnung des übrigen Verkehrs

Brems- und Anhalteweg

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Allgemeines:


BGH v. 02.11.1965:
Wird der Kfz-Führer durch das plötzliche Auftauchen eines Tieres (hier: eines Dackels) überrascht, so steht ihm eine Schrecksekunde zu; erst nach deren Ablauf ist er verpflichtet, sach- und verkehrsgemäß zu reagieren. Trifft ihn kein Vorwurf, fällt hingegen dem Tierhalter Fahrlässigkeit zur Last, dann führt die Haftngsabwägung zwischen Betriebs- und Tiergefahr zur vollen Haftung des Tierhalters.

KG Berlin v. 13.01.1975:
Muss ein Kraftfahrer einen Zusammenstoß mit einem Kfz befürchten, das für ihn plötzlich und unerwartet von einem Grundstück auf die von ihm benutzte Straße fährt, und stößt er bei seinem Ausweichmanöver gegen geparkte Fahrzeuge, so ist der Unfall "bei" dem Betrieb des die Grundstücksausfahrt verlassenden Kfz entstanden

BGH v. 19.04.1988:
Ein Sturz vom Fahrrad bei einer Ausweichreaktion, die durch das plötzliche Auftauchen eines Kfz auf der Gegenfahrbahn in der unübersichtlichen Kurve einer schmalen Straße veranlasst ist, weil der zur Verfügung stehende Platz zu eng zu werden droht, ereignet sich "bei dem Betrieb" des Kraftfahrzeugs. Selbst ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder Ausweichreaktion ist ggf. dem Betrieb des Kraftfahrzeuges zuzurechnen, das diese Reaktion ausgelöst hat.

BGH v. 26.04.2005:
Ein Schaden ist "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich von einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahren ausgewirkt haben. Demgemäß kann selbst ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder Ausweichreaktion dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat (unkontrollierte Ausweichbewegung eines Entgegenkommenden.

OLG Düsseldorf v. 12.12.2005:
Nach ständiger Rechtsprechung - auch des Senats - ist das falsche Reagieren eines Verkehrsteilnehmers dann kein Verschulden, wenn er in einer ohne sein Verschulden eingetretenen, für ihn nicht voraussehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat und deshalb nicht das Richtige und Sachgerechte unternimmt, um den Unfall zu verhüten, sondern aus verständlicher Bestürzung objektiv falsch reagiert.

OLG Naumburg v. 05.08.2010:
Wird ein Unfall dadurch verursacht, dass ein Kraftfahrzeug eine durchgehende doppelte Fahrbahnbegrenzungslinie (Zeichen 295 in Anlage 2 zu § 41 StVO) nach links überfährt und das vor ihm fahrende Auto zu überholen beginnt und der zu Überholende mit einer Lenkbewegung nach links in den Fahrweg des Überholers einfährt, wodurch es zur Kollision beider Fahrzeuge kommt, dann trägt der Überholende die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Lenkbewegung des Überholten Handlungsqualität besaß (in Abgrenzung zu einer behaupteten Schreckreaktion).

BGH v. 21.09.2010:
Ein Unfall kann auch dann dem Betrieb eines anderen Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, wenn er durch eine - objektiv nicht erforderliche - Ausweichreaktion im Zusammenhang mit einem Überholvorgang des anderen Fahrzeugs ausgelöst worden ist. Nicht erforderlich ist, dass die von dem Geschädigten vorgenommene Ausweichreaktion aus seiner Sicht, also subjektiv erforderlich war oder sich gar für ihn als die einzige Möglichkeit darstellte, um eine Kollision zu vermeiden.




BGH v. 21.09.2010:
Nach ständiger Rechtsprechung kann auch ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder Ausweichreaktion gegebenenfalls dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat. Es ist auch nicht erforderlich, dass die von dem Geschädigten vorgenommene Ausweichreaktion aus seiner Sicht, also subjektiv erforderlich war oder sich gar für ihn als die einzige Möglichkeit darstellte, um eine Kollision zu vermeiden. Es kommt für die Bejahung des Zurechnungszusammenhangs insbesondere nicht darauf an, ob ein Zusammenstoß auf andere Weise, etwa durch Abbremsen, hätte verhindert werden können.

OLG München v. 09.06.2011:
Objektiv falsche Reaktionen von Verkehrsteilnehmern stellen dann kein schuldhaftes Verhalten im Sinn von § 254 Abs. 1 BGB dar, wenn der Verkehrsteilnehmer in einer ohne sein Verschulden eingetretenen, für ihn nicht voraussehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat und deshalb nicht das Richtige und Sachgerechte unternimmt, um den Unfall zu verhüten, sondern aus verständlicher Bestürzung objektiv falsch reagiert.

OLG Naumburg v. 08.03.2012:
Wird ein Verkehrsunfall im Kreuzungsbereich einer Fernverkehrsstraße dadurch verursacht, dass ein wartepflichtiger Fahrzeugführer in den Kreuzungsbereich einfährt, obwohl sich ein vorfahrtberechtigtes Fahrzeug annähert und der Vorfahrtberechtigte im Zusammenhang mit einer objektiv nicht erforderlichen, aber subjektiv vertretbaren Abwehr- oder Ausweichreaktion das Lenkrad verreißt, so ist bei wertender Betrachtung eine Haftungsverteilung von 75 % zu 25 % zulasten des Wartepflichtigen angemessen.

OLG München v. 16.03.2012:
Nach ständiger Rechtsprechung begründet das falsche Reagieren eines Verkehrsteilnehmers dann kein Verschulden, wenn er in einer ohne sein Verschulden eingetretenen, für ihn nicht voraussehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat und deshalb nicht das Richtige und Sachgemäße unternimmt, umden Unfall zu verhüten, sondern aus verständlicher Bestürzung objektiv falsch reagiert.

OLG München v. 22.06.2012:
Blinkt ein Vorausfahrender auf einer Rechtsabbiegerspur rechts, darf sich der Nachfolgende auf das Anzeigen der Richtungsänderung verlassen. Fährt der Vorausfahrende sodann geradeaus und veranlasst dadurch eine heftige Ausweichbewegung des Nachfolgenden, so haftet der Fahrstreifenwechsler für den Schaden voll.

OLG München v. 24.04.2013:
Das falsche Reagieren eines Verkehrsteilnehmers begründet dann kein Verschulden, wenn er in einer ohne sein Verschulden eingetretenen, für ihn nicht voraussehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat und deshalb nicht das Richtige und Sachgemäße unternimmt, um den Unfall zu verhüten, sondern aus verständlicher Bestürzung objektiv falsch reagiert.

OLG Brandenburg v. 17.10.2013:
Kommt es zu einem Unfall ohne Kollision der beteiligten Fahrzeuge, ist für eine Zurechnung der Ereignisse und Schäden im Sinne einer psychisch vermittelten Kausalität erforderlich, dass die Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung des Kraftfahrzeuges zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat. Dies kann der Fall sein, wenn der Geschädigte sich durch den Betrieb eines Kraftfahrzeuges zu einer Reaktion - etwa einem Ausweichmanöver - veranlasst sieht und hierdurch der Schaden eintritt. Auch ein Unfall infolge einer voreiligen - objektiv nicht gebotenen - Abwehr- oder Ausweichreaktion ist ggf. dem Kraftfahrzeug zuzurechnen, das diese Reaktion ausgelöst hat.

BGH v. 22.11.2016:
Bei einem berührungslosen Unfall ist Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass es über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat (Festhaltung, Senatsurteil vom 21. September 2010, VI ZR 263/09, NJW-Spezial 2010, 681).

OLG Brandenburg v. 14.09.2017:
Auch ein Unfall infolge einer voreiligen, also objektiv nicht erforderlichen Abwehr- oder Ausweichreaktion kann dem Betrieb des Kraftfahrzeuges zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat. Es ist auch nicht erforderlich, dass die von dem Geschädigten vorgenommene Ausweichreaktion aus seiner Sicht, also subjektiv erforderlich war oder sich gar für ihn als die einzige Möglichkeit darstellt, um eine Kollision zu vermeiden.

OLG Schleswig v. 04.01.2018:
Reflexhaftes Fahrverhalten - insbesondere ein Ausweichen auf die Bankette - schließt die Unabwendbarkeit nicht aus. Der sich aus einer abwendbaren Gefahrenlage entwickelnde Unfall wird jedoch nicht dadurch unabwendbar, dass sich der Fahrer in der Gefahr nunmehr (zu spät) "ideal" verhält (zeitliche Vermeidbarkeit).

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Blendung:


Augenblicksversagen infolge Blendung

AG Dortmund v. 28.02.2017:
Die Blendung des Betroffenen durch ein bereits weit vorher erkennbar mit Abblendlicht an dem Fahrbahnrand parkendes Fahrzeug entschuldigt den Betroffenen bei einem Unfall, der ohne Blendung ohne weiteres hätte vermieden werden können, nicht und nimmt auch nicht den ihm zu machenden Fahrlässigkeitsvorwurf. Vielmehr muss ein Fahrzeugführer seine Fahrweise derartigen Umständen anpassen und notfalls gar anhalten. Keinesfalls darf er ohne jede Sicht ins Blaue hinein fahren in der Hoffnung, es werde "hinter dem Licht" schon nichts passieren.

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"Flucht" vor zurücksetzendem Müllfahrzeug:


LG Saarbrücken v. 22.12.2017:
Fährt der Fahrer eines Müllfahrzeugs rückwärts, ohne sich einweisen zu lassen, kann ihn auch dann eine Mithaftung treffen, wenn der Fahrer eines unmittelbar nachfolgenden Pkw in einer Überreaktion sein Fahrzeug zurücksetzt und dabei mit einem anderen Fahrzeug kollidiert.

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Seitenbewegungen des Überholten:


OLG Naumburg v. 23.11.1999:
Der Überholende muss sich auf die Möglichkeit geringfügiger seitlicher Fahrbewegungen des zu Überholenden einstellen. Selbst dann, wenn das überholte Fahrzeug in seiner Fahrspur derart nach links herauszieht, dass die linken Reifen um etwa eine Reifenbreite über den Mittelstreifen hinausragen, kann die Betriebsgefahr des überholten Fahrzeugs völlig zurücktreten - Veranlasst ein Pkw-Fahrer, der gerade überholt werden soll, durch eine für den Überholenden überraschende, nicht angekündigte geringfügige Seitwärtsbewegung seines Fahrzeugs bis hin (etwa) zur Mittellinie ein Ausweichen des Überholers und "Verreißen" seines Fahrzeugs auf der ausreichend breiten Straße, so führt dies nicht zur Mithaftung des Fahrers, der überholt werden sollte.

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Mitverschulden:


Mitverschulden - Mitverursachung

BGH v. 02.11.1965:
Wenn eine Fußgängerin, die plötzlich und unerwartet durch einen Hund erschreckt wird, in einem "Reflex" einen Schritt zur Seite macht, und dabei in die Fahrbahn eines herannahenden Fahrzeugs tritt, liegt in der Regel eine Handlung im Rechtssinne vor, da auch ein "automatisiertes" menschliches Verhalten grundsätzlich einer möglichen Bewusstseinskontrolle und Willenssteuerung unterliegt. - Bei einer Schreckreaktion in einer plötzlichen Gefahrensituation kann es jedoch an einem Verschulden der Fußgängerin auch dann fehlen, wenn die konkrete Handlung - Schritt zur Seite - zur Abwendung der Gefahr objektiv nicht notwendig war.

OLG München v. 03.07.2009:
Das falsche Reagieren eines Verkehrsteilnehmers begründet dann kein Verschulden, wenn er in einer ohne sein Verschulden eingetretenen, für ihn nicht voraussehbaren Gefahrenlage keine Zeit zu ruhiger Überlegung hat und deshalb nicht das Richtige und Sachgemäße unternimmt, um den Unfall zu verhüten, sondern aus verständlicher Bestürzung objektiv falsch reagiert.

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Überbremsen von Zweirädern:


Überbremsen von Zweirädern

Sturz eines Zweiradfahrers ohne Kollisionsberührung

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Nachkollisionäres Verhalten:


OLG Saarbrücken v. 03.08.2017:
Die Annahme eines nachkollisionären Verstoßes des Pkw-Fahrers gegen § 1 Abs. 2 StVO wegen verspäteter Reaktion erfordert - unbeschadet einer zuzubilligenden Schreckzeit - die Feststellung, wann der Pkw unter Berücksichtigung des Zeitpunkts der Reaktionsaufforderung, der Reaktions- und Bremsschwellzeit und des Bremsweges (frühestens) hätte zum Stehen kommen können.

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