Unfälle im Zusammenhang mit Ausweichbewegungen, die durch das Verhalten eines anderen Fahrzeugführers erzwungen wurden, sind relativ häufig. Sie kommen im gleichgerichteten Verkehr vor (unerwartete Fahrstreifenwechsel), aber auch im Gegenverkehr (Benutzung der falschen Fahrbahnhälfte) oder bei Vorfahrtsfällen (überraschende Fahrstreifenwahl eines Einbiegenden).
Um zu einer teilweisen oder auch vollen Haftung des die Ausweichbewegung verursachenden Fahrzeugführers zu kommen, ist eine Berührung zwischen den beteiligten Fahrzeugen nicht nötig. Selbst der Halter des Fahrzeugs kann in einem solchen Fall allein aus der Betriebsgefahr voll haften.
Es entspricht einer langen Tradition in der Rechtsprechung, dass einem Kfz-Führer Fehlreaktionen in Folge von "Bestürzung, Furcht und Schrecken" bei der Haftungsabwägung nicht zugerechnet werden dürfen.
Eine besondere Bedeutung haben Unfälle durch Brems- und Ausweichreaktonen auch bei den Wildunfällen, wobei insbesondere das Thema Rettungskosten eine Rolle spielt.
KG Berlin v. 13.01.1975:
Volle Haftung des aus einer Grundstücksausfahrt Kommenden, wenn der Bevorrechtigte ausweichen muss und dabei gegen geparkte Fahrzeuge gerät
KG Berlin v. 13.01.1975:
Volle Haftung des aus einer Grundstücksausfahrt Kommenden, wenn der Bevorrechtigte ausweichen muss und dabei gegen geparkte Fahrzeuge gerät
KG Berlin v. 11.10.1999:
Das Haftungsmerkmal "bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs" iSd StVG § 7 Abs 1 ist entsprechend dem Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Ein Unfall, der sich infolge einer Abwehr- oder Ausweichreaktion ereignet hat, ist selbst dann dem Betrieb des Kraftfahrzeuges zuzurechnen, das die Reaktion ausgelöst hat, wenn diese objektiv nicht erforderlich war. Es müssen aber jedenfalls Anhaltspunkte dafür festgestellt werden, daß das Verhalten des in Anspruch Genommenen dem Geschädigten subjektiv zur Befürchtung hätte Anlaß geben können, es werde ohne seine Reaktion zu einer Kollision mit dem anderen Verkehrsteilnehmer kommen.
OLG Hamm v. 24.10.2000:
Kommt ein Fahrzeugführer von der Fahrbahn ab, weil er auf schmaler Fahrbahn durch ein entgegenkommendes Fahrzeug (Großraumlimousine) zu einer Ausweichlenkung veranlaßt wird, um einer vermeintlichen Kollision zu entgehen, ist die (teilweise) Haftung aus der Betriebsgefahr des in Gegenrichtung geführten Fahrzeugs auch dann begründet, wenn der vom Geschädigten behauptete Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des anderen Teils nicht erweislich ist und auch keine Berührung beider Fahrzeuge stattgefunden hat.
BGH v. 26.04.2005:
Ein Schaden ist "bei dem Betrieb" eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich von einem Kraftfahrzeug ausgehende Gefahren ausgewirkt haben. Demgemäß kann selbst ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder Ausweichreaktion dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat (unkontrollierte Ausweichbewegung eines Entgegenkommenden.
KG Berlin v. 24.11.2005:
Die Haftung gemäß § 7 StVG hängt nicht davon ab, ob sich der Führer des im Betrieb befindlichen Fahrzeugs verkehrswidrig verhalten hat und auch nicht davon, dass es zu einer Kollision der Fahrzeuge gekommen ist. Selbst ein Unfall infolge einer voreiligen - also objektiv nicht erforderlichen - Abwehr- oder Ausweichreaktion kann dem Betrieb des Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, das diese Reaktion ausgelöst hat.
OLG Brandenburg v. 21.06.2007:
Dass ein von einem Fahrstreifenwechsel überraschter Kfz-Führer sein Fahrzeug nicht abbremst, sondern in einer Schreckreaktion nach rechts ausgeweicht und dabei die Kontrolle über das Fahrzeug verliert, kann ihm im Rahmen der Haftungsabwägung nicht zum Nachteil gereichen.
AG München v. 17.07.2009:
Versucht ein Kfz-Führer, auf dessen Fahrbahnseite sich parkende Fahrzeuge befinden, bei der Begegnung mit einem entgegenkommenden Porsche, dessen Fahrer ohne Mühe das Aneinandervorbeifahren hätte ermöglichen können, durch Ausweichen nach rechts an dem Porsche vorbeizukommen, und verursacht er dabei durch einen Anstoß an ein parkendes Fahrzeug einen Schaden an seinem Wagen, dann steht ihm gegen den unwilligen Porschefahrer ein Schadensersatzanspruch von 2/3 seines Schadens zu.
BGH v. 21.09.2010:
Ein Unfall kann auch dann dem Betrieb eines anderen Kraftfahrzeugs zugerechnet werden, wenn er durch eine - objektiv nicht erforderliche - Ausweichreaktion im Zusammenhang mit einem Überholvorgang des anderen Fahrzeugs ausgelöst worden ist. Nicht erforderlich ist, dass die von dem Geschädigten vorgenommene Ausweichreaktion aus seiner Sicht, also subjektiv erforderlich war oder sich gar für ihn als die einzige Möglichkeit darstellte, um eine Kollision zu vermeiden.