Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Landgericht Düsseldorf Urteil vom 01.06.2018 - 13 O 138/15 - Unfall zwischen einem abbiegenden Pedelec und einem überholenden Krad

LG Düsseldorf v. 01.06.2018: Unfall zwischen einem abbiegenden Pedelec und einem überholenden Krad


Das Landgericht Düsseldorf (Urteil vom 01.06.2018 - 13 O 138/15) hat entschieden:

   Biegt ein Pedelec-Fahrer nach links ab, ohne sich zuvor über den nachfolgenden Verkehr und insbesondere darüber zu vergewissern, ob ein nachfolgendes Kraftrad, das deutlich schneller als er selbst fährt, bereits zum Überholvorgang angesetzt hat, so tritt gegenüber diesem groben Fehlverhalten die einfache Betriebsgefahr des Kraftrades zurück (siehe auch OLG Hamm, 8. Januar 2016, I-9 U 125/15; OLG München, 11. September 2015, 10 U 1455/13).



Siehe auch
Elektrofahrzeuge - Zweiräder - Pedelec - E-Bike - E-Scooter - Elektro-Rollstuhl
und
Unfälle mit Kradbeteiligung - Motorradunfälle


Tatbestand:


Der Kläger nimmt die Beklagten als Gesamtschuldner auf Schadensersatz aufgrund eines Verkehrsunfalls vom 27.09.2013 in Anspruch.

Der Kläger war Fahrer eines Pedelecs mit dem Versicherungskennzeichen ... . Bei diesem Pedelec handelte es sich um ein solches, dessen Unterstützung nicht beim Erreichen von 25 km/h unterbrochen wird. Der Beklagte zu 1) war Halter und Fahrer des Kraftrades Honda ... mit dem amtlichen Kennzeichen ..., das bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist.

Am 27.09.2013 befuhr der Kläger den Urdenbacher Weg in Fahrtrichtung Düsseldorf-​Rodenberg. Auch der Beklagte zu 1) befuhr diese Straße in dieselbe Richtung. Der Kläger wollte links in die Einmündung zum Campingplatz Monheim abbiegen. Der Beklagte zu 1) wollte den Kläger links überholen. Auf der Höhe der Einmündung zum Campingplatz kam es zur Kollision der beiden Fahrzeuge.

Der Kläger erlitt aufgrund des Zusammenstoßes eine Serienrippenfraktur sowie diverse Schürfwunden an den Händen, Ellenbogen, Fußgelenken und am linken Knie. Er wurde für drei Tage stationär in ein Krankenhaus aufgenommen und war für drei weitere Wochen arbeitsunfähig.

Durch anwaltliches Schreiben vom 16.12.2014 forderte der Kläger die Beklagte zu 2) zur Anerkennung des Schadens und Zahlung unter Fristsetzung zum 20.01.2015 auf.

Der Kläger beansprucht von den Beklagten Schadensersatz in Höhe von insgesamt 22.759,69 Euro. Dabei macht er folgende Positionen geltend:

Verdienstausfall: 13.486,69 Euro
Sachschaden Pedelec: 4.843,00 Euro
Sachschaden Kleidung: 910,00 Euro
Schmerzensgeld: 3.500,00 Euro
Kostenpauschale: 20,00 Euro


Darüber hinaus beansprucht er Ersatz der vorprozessual angefallenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 512,20 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer.

Der Kläger behauptet, er habe den Richtungswechsel durch Handzeichen angezeigt. Zum Zeitpunkt der Kollision habe er den Abbiegevorgang noch nicht richtig eingeleitet.

Der Kläger beantragt,

1.  die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn 22.759,69 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.01.2015 zu zahlen;

2.  die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe der anzurechnenden Geschäftsgebühr in Höhe von 512,20 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.01.2015 zu erstatten.


Die Beklagten beantragen,

   die Klage abzuweisen.


Sie behaupten, der Kläger sei zunächst ohne Hinweis auf ein Abbiegen geradeaus gefahren. Sodann sei er plötzlich nach links abgebogen ohne zuvor die gebotene Rückschau zu nehmen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen ... vom 21.02.2017 Bezug genommen. Das Gericht hat zudem den Kläger und den Beklagten zu 1) in der mündlichen Verhandlung vom 09.05.2016 persönlich angehört. Wegen dieses Ergebnisses wird auf das Sitzungsprotokoll vom selben Tag verwiesen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitig zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.





Entscheidungsgründe:


A.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Dem Kläger steht gegen die Beklagten ein Anspruch auf Zahlung von 22.759,69 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.01.2015 unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu. Ein solcher Anspruch ergibt sich insbesondere nicht aus der hier einzig in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage des § 7 Abs. 1 StVG, hinsichtlich der Beklagten zu 2) in Verbindung mit § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, § 1 PflichtVG. Die Haftung der Beklagten ist wegen des überwiegenden Verschuldens des Klägers ausgeschlossen.

1. Zwar liegen die Voraussetzungen von § 7 Abs. 1 StVG und § 115 VVG, § 1 PflichtVG grundsätzlich vor. Der Kläger ist als Eigentümer des Pedelecs aktivlegitimiert. Der Beklagte zu 1) ist Halter des unfallbeteiligten Kraftrades. Bei Betrieb eines Kraftfahrzeuges wurde sowohl der Kläger selbst verletzt, als auch dessen Pedelec beschädigt. Die Beklagte zu 2) ist der Haftpflichtversicherer des Beklagten zu 1).

Der Anspruch ist auch nicht nach § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen, da höhere Gewalt nicht vorlag.

2. Allerdings trifft den Kläger ein derartiges Eigenverschulden an dem Zustandekommen des Unfalls, dass eine Haftung der Beklagten ausgeschlossen ist; die einfache Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) tritt im Ergebnis hinter dem erheblichen Verschulden des Klägers zurück.

Es kann zunächst nicht festgestellt werden, dass es sich bei dem Unfall für einen der beiden Kraftfahrzeugführer um ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 17 Abs. 3 StVG handelte. Unabwendbar ist ein Ereignis, das durch äußerste mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden kann. Abzustellen ist insoweit auf das Verhalten des sog. "Idealfahrers" (OLG Düsseldorf, Urteil vom 22.07.2014, Az. I-​1 U 152/13, Rz. 25 - zitiert nach juris). Dass ein solcher "Idealfahrer" die Kollision verhindert hätte, kann nicht ausgeschlossen werden. Denn nach den nachvollziehbaren und überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen ... in seinem Gutachten vom 21.02.2017 ist hinsichtlich der Vermeidbarkeit des Unfalls für den Beklagten zu 1) festzustellen, dass nicht ausgeschlossen ist, dass der vor dem Beklagten zu 1) fahrende Kläger bereits nach links zur Straßenmitte orientiert war als der Beklagte zu 1) mit dem Überholversuch noch nicht begonnen hatte. In dieser Situation hätte der Beklagte zu 1) aus dem Verhalten des Klägers auf seine Abbiegeabsicht schließen und das Überholmanöver zurückstellen können. Für den Kläger war die Kollision vor dem Hintergrund nicht unvermeidbar, als er durch Rückschau den zum Überholen ansetzenden Beklagten zu 1) hätte erkennen können und dann den Abbiegevorgang hätte zurückstellen müssen.




Die Verpflichtung zum Schadensersatz sowie deren Umfang hängen somit nach § 17 Abs. 1 und Abs. 2 StVG bzw. nach § 254 Abs. 1 BGB von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Die danach gebotene Abwägung der wechselseitigen Verursachungsbeiträge ist aufgrund aller festgestellten, d. h. unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, wenn sie sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung (BGH, Urteil vom 07.02.2012, Az. VI ZR 133/11, Rz. 5; OLG Düsseldorf, Urteil vom 22.07.2014, Az. I-​1 U 152/13, Rz. 26 - jeweils zitiert nach juris). Dabei kann die Abwägung zum vollständigen Ausschluss des Ersatzanspruchs führen, wenn das Verschulden des Geschädigten - wie hier - derart überwiegt, dass die vom Schädiger ausgehende Ursache völlig zurücktritt (OLG Hamm, Beschluss vom 08.01.2016, Az. I-​9 U 125/15, Rz. 20 - zitiert nach juris).

a) Dem Kläger fällt ein schuldhafter unfallursächlicher Verstoß gegen § 9 Abs. 1 S. 4 StVG zur Last. Demnach ist vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen auf den nachfolgenden Verkehr zu achten. Dies hat der Kläger jedoch nicht getan.

Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen hatte der Kläger zum Unfallzeitpunkt bereits mit dem Abbiegen nach links begonnen und sich nicht mehr in der Geradeausfahrt auf der rechten Straßenseite befunden. Vor dem Einleiten dieses Abbiegevorgangs hat der Kläger - wie er in seiner persönlichen Anhörung auch eingestanden hat - keine erneute Rückschau vorgenommen (Bl. 63 und 64 GA). Danach streitet für die Beklagten und gegen den Kläger ein Anscheinsbeweis, dass der Kläger den Unfall durch die Sorgfaltspflichtverletzung, den Abbiegevorgang einzuleiten ohne auf den nachfolgenden Verkehr zu achten, verursacht hat (vgl. hierzu auch OLG München, Urteil vom 11.09.2015, Az. 10 U 1455/13, Rz. 33 - zitiert nach juris). Dem Kläger ist es nicht gelungen, diesen Anscheinsbeweis zu erschüttern. Möglich wäre dies gewesen etwa durch den Nachweis, dass er rechtzeitig den beabsichtigten Fahrtrichtungswechsel angezeigt hat (OLG München, a.a.O., Rz. 33 - zitiert nach juris). Für die Behauptung, dass er vor dem Einleiten des Abbiegevorgangs ein Handzeichen gegeben hat, liegt kein zulässiger Beweisantritt durch den Kläger vor. Auch konnte sich das Gericht aufgrund der Anhörungen der Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 09.05.2016 nicht hiervon überzeugen. Der Beklagte zu 1) hatte im Gegensatz zu der Behauptung des Klägers ausgeführt, dass dieser das Handzeichen erst gegeben hatte, als er schon den Abbiegevorgang eingeleitet hatte (Bl. 64 GA). Anlass dafür, der Aussage des Klägers mehr Glauben zu schenken als der des Beklagten zu 1), hat das Gericht nicht. So handelt es sich bei beiden Parteien um die Unfallbeteiligten, bei denen ein Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits aus persönlichen und wirtschaftlichen Gründen vorliegt. Auch hatte das Gericht keine Anhaltspunkte, aufgrund des Aussageverhaltens der Parteien der einen oder anderen Aussage mehr Glauben schenken zu können. Beide Parteien machten auf das Gericht den Eindruck, sich um eine wahrheitsgemäße Aussage zu bemühen.

b) Auf Seiten der Beklagten ist kein schuldhafter Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1) festzustellen.

Insbesondere ist ihm kein Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO zur Last zu legen. Denn nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen konnte nicht festgestellt werden, dass der Kläger sich vor dem Abbiegevorgang bereits nach links eingeordnet oder seine Geschwindigkeit reduziert hatte. Eine unklare Verkehrslage, die das Überholen des Beklagten zu 1) unzulässig hätte werden lassen, ist mithin nicht nachweisbar. Auch ist dem Beklagten zu 1) kein Verstoß gegen § 3 Abs. 3 StVO vorzuwerfen. Nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen ist dem Beklagten zu 1) ein Überschreiten der vor Ort zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70km/h nicht nachzuweisen.

Die Beklagten müssen sich daher im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge nur die einfache vom Fahrzeug der Beklagten zu 1) ausgehende Betriebsgefahr entgegenhalten lassen.

c) Die danach vorzunehmende Abwägung ergibt, dass das grobe Mitverschulden des Klägers so weit überwiegt, dass die einfache Betriebsgefahr des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) dahinter vollständig zurücktritt.

Der Kläger hat die im Straßenverkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und dasjenige unbeachtet gelassen, was vorliegend jedem verständigen Verkehrsteilnehmer hätte einleuchten müssen. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger - nach seinen eigenen Angaben im Rahmen seiner persönlichen Anhörung - im zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall ein Mal vor dem Abbiegevorgang in den Rückspiegel geschaut und den Beklagten zu 1) gesehen hat (vgl. Bl. 63 GA), musste er hierdurch zwangsläufig erkannt haben, dass dieser deutlich schneller gefahren ist als er selbst. Infolgedessen musste sich ihm gleichfalls auch aufgedrängt haben, dass dieser ihn aufgrund des erheblichen Geschwindigkeitsunterschiedes zeitnah überholen werden würde. Gleichwohl leitete er einen Abbiegevorgang ein, ohne sich zuvor erneut über den nachfolgenden Verkehr und insbesondere darüber zu vergewissern, ob der Beklagte zu 1) bereits zum Überholvorgang angesetzt hatte. Gegenüber diesem groben Fehlverhalten tritt die nicht erhöhte Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs zurück (vgl. dazu auch OLG Hamm, Beschluss vom 08. Januar 2016 - I-​9 U 125/15 -, Rn. 45f.; OLG München, Urteil vom 11.09.2015, Az. 10 U 1455/13, Rz. 38 - zitiert nach juris). Diese elementare Verkehrsregel verletzende Fahrweise des Klägers musste sich diesem ohne Weiteres aufdrängen.


II.

Da dem Kläger gegen die Beklagten bereits dem Grunde nach kein Anspruch auf Schadensersatz aus dem Verkehrsunfall zusteht, kann er von den Beklagten auch nicht den Ersatz vorgerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten in Höhe von 512,20 Euro zuzüglich Mehrwertsteuer nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.02.2015 verlangen.


B.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.


C.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und S. 2 ZPO. Der Streitwert wird auf 22.759,69 Euro festgesetzt.

- nach oben -



Datenschutz    Impressum