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Das Verkehrslexikon

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Oberlandesgericht Hamm Urteil vom 13.04.2018 - I-7 U 36/17 - Linksabbiegendes Kfz und aufffahrende Straßenbahn

OLG Hamm v. 13.04.2018: Linksabbiegendes Kfz und aufffahrende Straßenbahn


Das Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 13.04.2018 - I-7 U 36/17) hat entschieden:

  1.  Ein Straßenbahnführer darf darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer §§ 2 Abs. 3 und 9 Abs. 3 StVO beachten und Schienen nicht besetzen. Er braucht nicht damit zu rechnen, dass ein vor ihm fahrendes Fahrzeug in den Gleisbereich einbiegt und dort zum Halten kommt, und zwar grundsätzlich auch dann nicht, wenn der andere Fahrer seine Abbiegeabsicht bereits angezeigt hat.

  2.  Bei der Abwägung der Betriebsgefahr der Straßenbahn gegen das erhebliche Verschulden des Pkw-Führers bei einem Verstoß gegen §§ 2 Abs. 3 und 9 Abs. 3 StVO tritt die Betriebsgefahr der Straßenbahn zurück.


Siehe auch
Straßenbahn - Tram - Stadtbahn
und
Linksabbiegen

Gründe:


I.

Der Kläger verlangt von den Beklagten immateriellen und materiellen Schadensersatz im Zusammenhang mit einem Unfallereignis von November 2015 in C, an dem der Kläger mit seinem Pkw und eine Straßenbahn der Beklagten zu 1) beteiligt waren.

Der Kläger beabsichtigte, einen Wendevorgang (U-​Turn) durchzuführen, wobei er links fahrend die für beide Fahrtrichtungen in der Straßenmitte befindlichen Straßenbahngleise hätte passieren müssen. Als die Ampel für ihn Grünlicht zeigte, fuhr er auf die Gleise, wo sein Pkw von der vom Beklagten zu 2) gelenkten, aus gleicher Richtung kommenden Straßenbahn im Bereich der Fahrerseite erfasst wurde. Die zeitlichen Abläufe sind zwischen den Parteien im Streit. Unstreitig hatte kurze Zeit vor dem Unfall bereits eine Straßenbahn aus der Gegenrichtung die spätere Unfallstelle passiert.

Der Kläger wurde durch den Unfall erheblich verletzt, insbesondere musste ihm aufgrund seiner Verletzungen die Milz operativ entfernt werden; weitere Unfallfolgen - insbesondere das Bestehen von Dauerschäden - sind zwischen den Parteien im Streit.

Der Kläger hat von den Beklagten Schmerzensgeld in einer Größenordnung von 18.000,00 EUR, den Ersatz seiner Selbstbeteiligung bei der Kaskoversicherung, Ausgleich ihm entgangener Beitragsrückerstattungen der privaten Krankenversicherung in Höhe von 5.200,- EUR, die allgemeine Unkostenpauschale, die Erstattung von Attestkosten und eines Rechnungsbetrages des Klinikums sowie den Ersatz des Zeitwerts einer bei dem Unfall beschädigten Hose und seiner Uhr verlangt. Er hat zudem die Feststellung einer Ersatzpflicht des Höherstufungsschadens bei der Kasko-​Versicherung begehrt.




Der Kläger hat behauptet, er habe bereits mindestens fünf Sekunden bzw. nach seinem Vortrag in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht zehn bis zwölf Sekunden auf den Gleisen gestanden, bevor es zur Kollision gekommen sei. Der Beklagte zu 2) hätte bei frühzeitiger Einleitung eines Bremsvorgangs den Unfall vermeiden können. An der Unfallstelle sei besondere Vorsicht geboten gewesen, weil es dort aufgrund der Ampelschaltung, die - insoweit unstreitig - zum damaligen Zeitpunkt "Grünlicht" zeitgleich für die Straßenbahn und für den nach links über die Gleise abbiegenden Verkehr vorgesehen habe, vermehrt zu Unfällen gekommen sei. Insoweit hat er die Ansicht vertreten, dass die Beklagte zu 1) ein Organisationsverschulden treffe. Hinsichtlich des geltend gemachten Schadenersatzbetrages von 5.200,00 EUR hat der Kläger vorgetragen, dass er in den vergangenen Jahren seine private Krankenversicherung nicht habe in Anspruch nehmen müssen; er habe aus diesem Grunde aufgrund vertraglicher Vereinbarung Prämien von jährlich 2.600,00 EUR von seiner Krankenversicherung rückerstattet bekommen; diese Rückerstattungen seien ihm für die Jahre 2015 und 2016 aufgrund des Unfalls entgangen.

Die Beklagten haben behauptet, der Kläger habe sich zunächst rechts neben den Schienen eingeordnet und dort gewartet. Er sei sodann auf die Schienen gefahren, wo ihn die vom Beklagten zu 2) gefahrene Straßenbahn erfasst habe. Das klägerische Fahrzeug habe sich im Kollisionszeitpunkt, jedenfalls aber unmittelbar davor noch in Bewegung befunden. Die Kollision sei für den Beklagten zu 2) unvermeidbar gewesen; jedenfalls treffe ihn kein Verschulden. Angesichts des grob verkehrswidrigen Verhaltens des Klägers trete die Betriebsgefahr der Stadtbahn vollständig zurück. Eine dauerhafte Beeinträchtigung des Klägers, eine erhebliche Schwächung des Immunsystems sowie eine Beschädigung des Trommelfells hat die Beklagte ebenso bestritten wie einen Großteil der geltend gemachten materiellen Schäden.

Wegen der weiteren Einzelheiten, insbesondere wegen des widerstreitenden Vortrags zum Unfallhergang und zu den Unfallfolgen sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge nimmt der Senat gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug (Bl. 114 bis 117 d. A.).

Das Landgericht hat den Kläger und den Beklagten zu 2) informatorisch angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen T, L und M sowie durch Einholung einer schriftlichen Aussage des Zeugen E.

Sodann hat es mit am 11.04.2017 verkündetem Urteil die Klage abgewiesen.




Zur Begründung hat es ausgeführt, ein schuldhaftes Verhalten des Beklagten zu 2) sei nicht feststellbar, so dass deliktsrechtliche Ansprüche ausschieden. Ansprüche aus § 1 HPflG bestünden nicht, da die Betriebsgefahr der Straßenbahn aufgrund des ganz überwiegenden Mitverschuldens des Klägers gemäß §§ 4 HPflG, 254 BGB vollständig zurücktrete. Der Kläger habe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in grober Weise gegen §§ 2 und 9 StVO verstoßen, indem er nach Passieren der Stadtbahn aus der Gegenrichtung dazu angesetzt habe, die Gleise zu überfahren, ohne sich durch einen Rück- und Schulterblick zu vergewissern, dass sich aus Richtung D keine weitere Stadtbahn nähere. Ob der Kläger sein Fahrzeug unmittelbar vor der Kollision nochmals angehalten habe, bedürfe keiner Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Denn es sei auf Grundlage der Zeugenvernehmung jedenfalls ausgeschlossen, dass der Kläger bereits längere Zeit auf den Gleisen gestanden habe und der Beklagte zu 2) mithin die Möglichkeit gehabt habe, die Bahn noch rechtzeitig anzuhalten. Dies hätten die gehörten Zeugen überwiegend bestätigt. Daraus dass der Beklagte zu 2) etwa 50 Meter vor der Unfallstelle die Warnglocke betätigt habe, könne nicht gefolgert werden, dass er auch bereits zu diesem Zeitpunkt eine Gefahrbremsung hätte einleiten müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils, Bl. 117-​120 d. A., verwiesen.

Hiergegen richtet sich der Kläger mit seiner vollumfänglichen Berufung, mit der er seine erstinstanzlichen Anträge weiterverfolgt.

Zur Begründung stützt er sich auf die Angaben der Zeugin T, die ein Anhalten auf den Gleisen für mehrere Sekunden bestätigt habe, was sich mit den vorgelegten Fotos und dem Schadensgutachten decke. Das Landgericht habe rechtsirrig die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage abgelehnt, ob das klägerische Fahrzeug vor dem Unfall gestanden habe. Dieses Gutachten könne zwar isoliert betrachtet keinen Aufschluss über die Frage bringen, wie lange der Pkw bereits gestanden habe, entsprechende Feststellungen ließen sich aber in Zusammenschau mit einer Auswertung der Tachoscheibe durch den Sachverständigen sowie unter Berücksichtigung der eigenen Angaben des Beklagten zu 2) treffen. Hierbei würde sich ergeben, dass der Beklagte zu 2) bereits 80 bis 90 m vor dem Kollisionsort eine Gefahrensituation erkannt habe, welche ihn zur Betätigung der Warnglocke veranlasst habe. Bei zeitgleicher Einleitung eines Bremsmanövers wäre der Unfall vermieden worden. Unabhängig von der Notwendigkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens sei das Urteil auch insoweit fehlerhaft, als das Landgericht keinerlei Feststellungen hinsichtlich Meter- und Zeitangaben getroffen habe, was für die Beurteilung der Frage der Unabwendbarkeit des Unfalls für den Beklagten zu 2) erforderlich gewesen wäre. Das Urteil sei auch insofern rechtsfehlerhaft, als es keinerlei Ausführungen zum gerügten Organisationsverschulden der Beklagten zu 1) hinsichtlich der Ampelschaltung im Kreuzungsbereich enthalte.

Nach Hinweis des Senats, dass die von Seiten des Klägers schriftsätzlich angekündigte Bescheinigung seiner privaten Krankenversicherung zur Beitragsrückerstattung dem Schriftsatz nicht beigefügt gewesen sei, trägt der Kläger nunmehr vor, dass eine derartige Bescheinigung nicht existiere und der diesbezügliche Vortrag auf einem Missverständnis mit dem früheren Prozessbevollmächtigten des Klägers beruhe. Der Anspruch ergebe sich vielmehr daraus, dass mit der privaten Krankenversicherung eine Selbstbeteiligung in Höhe von 2.600,00 EUR jährlich vereinbart gewesen sei. Für die Jahre 2015 und 2016 habe die Krankenversicherung jeweils 2.600,00 EUR im Rahmen der verkehrsunfallbedingten Behandlungskosten einbehalten.

Der Kläger beantragt,

   unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts Bielefeld (2 O 196/16) vom 11.04.2017, zugestellt am 28.04.2017, die Beklagten zu verurteilen:

  1.  als Gesamtschuldner an den Kläger ein angemessenes, in das Ermessen des Gerichts zu stellendes Schmerzensgeld im Hinblick auf den Verkehrsunfall vom 07.11.2015 im Bereich der B-​Straße in C zu zahlen, ferner auf diesen Betrag Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 09.06.2016 zu zahlen;

  2.  den Kläger von der Rechnung der Rechtsanwälte F vom 16.06.2016 in Höhe von 1.284,84 EUR brutto freizustellen;

  3.  die Beklagten ferner zu verurteilen, als Gesamtschuldner an den Kläger weitere 6.117,88 EUR nebst Zinsen aus dieser Summe in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit dem 09.06.2016 zu zahlen;

  4.  festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger den infolge der Inanspruchnahme seiner Kaskoversicherung zukünftig entstehenden Höherstufungsschaden zu erstatten.


Die Beklagten beantragen,

   die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil und tragen ergänzend vor, es sei nicht zutreffend, dass der Beklagte zu 2) die Warnglocke in einer Entfernung von ca. 50 Metern zum Kollisionsort betätigt habe. Bei dieser Annahme bleibe unberücksichtigt, dass die Straßenbahn den klägerischen Pkw nach der Kollision noch mehrere Meter auf den Bahnschienen vor sich her geschoben habe, bevor sie vollständig zum Stillstand gekommen sei. Der Beklagte zu 2) habe zudem ausweislich der Tachokarte zunächst stark gebremst und wenig später die Warnglocke betätigt. Die Durchführung einer Gefahrbremsung zu einem früheren Zeitpunkt sei angesichts der hierdurch für die Fahrgäste eintretenden Gefahren nicht geboten gewesen. Die Kollision sei daher für den Beklagten zu 2) unvermeidbar gewesen. Hinsichtlich des bemängelten Organisationsverschuldens der Beklagten zu 1) machen die Beklagten geltend, dass ihnen keine Entscheidungsgewalt hinsichtlich der Ampelschaltung zukomme, die Beklagte zu 1) stehe allerdings regelmäßig in Kontakt mit dem städtischen Amt für Verkehr in C und habe diesem auch bereits vor dem Unfalldatum Hinweise und Empfehlungen aufgrund einer internen Auswertung in Bezug auf die konkrete Unfallörtlichkeit gegeben. Den Vortrag des Kläger zum Einbehalt von insgesamt 5.200,00 EUR durch seine private Krankenversicherung bestreiten die Beklagten mit Nichtwissen.

Der Senat hat den Kläger und den Beklagten zu 2) persönlich angehört und Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, welches der Sachverständige U im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 13.04.2018 erstattet hat. Wegen des Inhalts der Parteianhörungen und des Sachverständigengutachtens wird auf den Berichterstattervermerk zur Senatssitzung vom 13.04.2018 (Bl. 201 f. d. A.) und die Anlagen zum mündlichen Gutachten Bezug genommen.




II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet und war daher zurückzuweisen.

Denn das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht darauf erkannt, dass dem Kläger die erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche auf Ersatz immaterieller und materieller Schäden nicht zustehen. Auch ein Ersatzanspruch mit Blick auf die in zweiter Instanz erstmals geltend gemachten Heilbehandlungskosten, welche dem Kläger nach seinem Vortrag nicht von seiner privaten Krankenversicherung erstattet worden seien, steht dem Kläger nicht zu.

1. Die letztgenannte Position hat der Kläger im Wege der Klageänderung in der Berufungsinstanz gemäß § 533 ZPO zur Entscheidung des Senats gestellt. Der Senat sieht sich aus prozessualen Gründen nicht gehindert, auch über diesen Anspruch in der Sache zu entscheiden.

Der Kläger hat - bei gleichbleibendem Antrag - den Anspruchsgrund hinsichtlich des begehrten Betrages von 5.200,00 EUR insoweit ausgewechselt, als er zunächst entgangene Prämienrückzahlungen für die Nichtinanspruchnahme der privaten Krankenversicherung geltend gemacht und hiervon abweichend im Rahmen des Berufungsverfahrens behauptet hat, dass ihm unfallbedingte Krankenkosten in Höhe von 5.200,00 EUR in den Jahren 2015 und 2016 aufgrund vereinbarter Selbstbeteiligung nicht erstattet worden seien.

Diese Auswechselung des Klagegrundes ist im Sinne des § 533 ZPO sachdienlich, da die Verhandlung und Entscheidung über die nunmehr geltend gemachten unfallbedingten Heilbehandlungskosten geeignet ist, auch diesen Streitpunkt zwischen den Parteien im Rahmen des anhängigen Rechtsstreits auszuräumen und damit weiteren Rechtsstreitigkeiten vorzubeugen.

Einer Entscheidung über den geänderten Anspruchsgrund steht nach Auffassung des Senats auch die grundsätzliche Beschränkung des vom Berufungsgericht bei seiner Entscheidung zu berücksichtigenden Tatsachenstoffs gemäß § 531 Abs. 2 ZPO nicht entgegen.

Zwar konfrontiert der Kläger die Beklagten und den Senat auch mit neuen Tatsachen, auf die er seine in zweiter Instanz geänderte Klageforderung stützt und die der Senat seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung gemäß § 529, 531 Abs. 2 ZPO nicht zugrunde zu legen hat, was gemäß § 533 Ziffer 2 ZPO grundsätzlich die Unzulässigkeit der Klageänderung zur Folge hat. Gleichwohl geht der Senat vorliegend nicht von einer Unzulässigkeit der Klageänderung aus, da eine Entscheidung über den geänderten Anspruch möglich ist, ohne dass es auf den geänderten Sachvortrag ankäme. Denn vorliegend ergibt die der Prüfung von Ansprüchen der Höhe nach vorgelagerte Prüfung dem Grunde nach, dass Ansprüche des Klägers bereits dem Grunde nach nicht bestehen. Die Entscheidung über den Anspruchsgrund ist mithin in den Grenzen des dem Berufungsgericht nach §§ 529, 531 Abs. 2 ZPO eröffneten Prüfungsumfangs möglich.

In einer derartigen Konstellation, in der über einen in zweiter Instanz eingeführten neuen Streitgegenstand auf der Grundlage des nach §§ 529, 531 Abs. 2 ZPO zulässigen Prozessstoffs dem Grunde nach verhandelt und abschließend - nämlich durch Klageabweisung - entschieden werden kann, ist eine Klageänderung entgegen dem Wortlaut des § 533 ZPO zwecks Beilegung des Gesamtkonflikts zulässig, unabhängig davon, ob der Kläger seine Klageänderung darüber hinaus auch auf neues Sachvorbringen zur Anspruchshöhe stützt, welches nicht nach § 531 Abs. 2 ZPO zugelassen werden darf (s. OLG Naumburg, Urt. v. 25.09.2003, Az. 1 U 29/03, zitiert nach juris; LAG Hessen, Urt. v. 15.01.2007, Az. 18-​11 Sa 298/06, zitiert nach beck-​online; Heßler in: Zöller, ZPO 32. Aufl. 2018, § 533 Rn. 34).

2. Dem Kläger steht dem Grunde nach ein Anspruch weder gegen die Beklagte zu 1) noch gegen den Beklagten zu 2) zu.

a) Ein Anspruch gegen die Beklagte zu 1) ergibt sich nicht aus § 1 Abs. 1 HPflG.

aa) Die Haftungsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 HPflG liegen zwar vor, allerdings ergibt die Abwägung der Verursachungsbeiträge, dass der Kläger für die Unfallfolgen zu 100 % selbst haftungsrechtlich verantwortlich ist.




(1) Gemäß § 1 Abs. 1, Abs. 2 HPflG ist der Betriebsunternehmer dem Geschädigten zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wenn bei dem Betrieb einer Schienenbahn der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird, sofern nicht der Unfall durch höhere Gewalt verursacht ist.

Der Körper und die Gesundheit des Klägers sind bei dem Betrieb einer derartigen Schienenbahn verletzt worden, indem die Straßenbahn mit dem klägerischen Pkw kollidiert ist. Die Beklagte zu 1) ist auch als Betriebsunternehmerin i. S. d. § 1 Abs. 1 HPflG anzunehmen, was bei demjenigen der Fall ist, der eine Bahn für eigene Rechnung benutzt und über den Betrieb die Verfügung hat (Weinland in: Freymann/Wellner, jurisPK-​Straßenverkehrsrecht, 1. Aufl. 2016, § 1 HaftPflG Rn. 41). Höhere Gewalt liegt ebenfalls nicht vor, da die Unfallursache nicht außerhalb des Bahnbetriebs und seiner Einrichtungen liegt und nicht von seinen Gefahrenquellen unabhängig ist (vgl. hierzu OLG Hamm, Urt. v. 11.06.2015, Az. 6 U 145/14, NJW 2016, 332 Tz. 5).

(2) Ob die Haftung der Beklagten zu 1) bereits gemäß § 13 Abs. 3 HPflG ausscheidet, was der Fall ist, wenn die Schienenbahn innerhalb des Verkehrsraumes einer öffentlichen Straße betrieben wird und wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht ist, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit der Fahrzeuge oder Anlagen der Schienenbahn noch auf einem Versagen ihrer Vorrichtungen beruht, kann dahinstehen.

Denn das Landgericht ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass jedenfalls die gemäß § 17 Abs. 1 StVG anzustellende Abwägung der Verursachungsbeiträge eine vollständige Haftung des Klägers für die Unfallfolgen ergibt.

(3) Wenn bei einem Unfall mehrere Fahrzeuge beteiligt sind, von denen eines eine Eisenbahn - dies umfasst auch Straßenbahnen (vgl. König in: Hentschel/König/Dauer, 44. Auflage 2017, § 17 StVG Rn. 37) - ist, hängt die Verpflichtung zum Ersatz und der Umfang des zu leistenden Ersatzes im Verhältnis der Beteiligten zueinander gem. § 17 Abs. 1 StVG davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist, § 17 Abs. 4 StVG. Dabei geht die nach § 17 Abs. 1 StVG vorzunehmende Abwägung derjenigen aus den §§ 4, 13 HPflG vor (OLG Hamm, a. a. O. Tz. 8; König a. a. O.).

Die Abwägung der Verursachungsbeiträge ist aufgrund aller festgestellten, das heißt unstreitigen, zugestandenen oder nach § 286 ZPO bewiesenen Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, die sich auf den Unfall ausgewirkt haben; in erster Linie ist hierbei das Maß der Verursachung von Belang, in dem die Beteiligten zur Schadensentstehung beigetragen haben; ein Faktor bei der Abwägung ist dabei das beiderseitige Verschulden (BGH, Urteil vom 11.10.2016, Az. VI ZR 66/16, NJW 2017, 1177 unter Rn. 7).

(a) Schuldhafte Verursachungsbeiträge auf Beklagtenseite sind - wovon das Landgericht im Ergebnis zutreffend ausgegangen ist - nicht feststellbar.

(aa) Entgegen der Ansicht des Klägers ist nicht von einer unfallursächlichen Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte zu 1) auszugehen.

Eine solche ist nicht darin zu sehen, dass die Beklagte zu 1) wegen der Gefahrenträchtigkeit der Unfallstelle auf eine Änderung der Ampelschaltung hätte hinwirken müssen.

Trotz des unbestrittenen Vortrags des Klägers, dass es sich - vor einer Änderung der Ampelschaltung im Jahr 2016 - bei dem Unfallort um den unfallträchtigsten Verkehrsbereich in ganz C mit Blick auf Unfälle zwischen Pkw und Straßenbahnen gehandelt habe, bestand eine Verpflichtung der Beklagten zu 1) zu einer Änderung der Ampelphasenschaltung oder zumindest zu einem Hinwirken auf eine entsprechende Änderung nicht.

Im Ausgangspunkt ist zunächst entsprechend dem Vortrag der Beklagten davon auszugehen, dass eine unmittelbare Einflussnahmemöglichkeit der Beklagten zu 1) auf die Regelung der Ampelphasen nicht bestand. Denn die Regelung des Straßenverkehrs einschließlich des Aufstellens von Ampeln und deren Schaltung ist Sache der Straßenverkehrsbehörden und nicht der Betreiberin eines Schienennetzes, vgl. § 44 StVO. Die Straßenverkehrsbehörden sind in eigener Zuständigkeit auch mit einer etwaigen Änderung von Verkehrsregelungen aufgrund von Unfallhäufungen befasst, wobei insoweit Straßenverkehrsbehörde, Straßenbaubehörde und Polizei eng zusammenarbeiten, um zu ermitteln, wo sich die Unfälle häufen, worauf diese zurückzuführen sind und welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um unfallbegünstigende Besonderheiten zu beseitigen (I. der VwV zu § 44 StVO).

Unbeschadet der Frage, ob und in welchem Umfang der Beklagten zu 1) als Nutzerin der Straße die Möglichkeit zur Einflussnahme auf die Ampelschaltung zukommt (vgl. hierzu OLG Köln, Urt. v. 20.10.2005, Az. 7 U 29/05, zitiert nach beck-​online), ist von einer Verpflichtung der Beklagten zu 1) hierzu jedenfalls nicht auszugehen. Denn eine Ampelphasenschaltung wie die vorliegende (Grünlicht für Linksabbieger, die Straßenbahnschienen kreuzen, und ebenfalls Grünlicht für die Straßenbahn) war nicht unzulässig. Insoweit greift vielmehr die gesetzliche Vorrangregelung zugunsten der Schienenbahn gegenüber einem bei "Grünlicht" abbiegenden Linksabbieger gemäß § 37 Abs. 2 Ziffer 1 StVO. Zwar ist es zwecks Vermeidung von Unfällen sicherer, wenn - wie nach der Änderung der Ampelschaltung an der fraglichen Stelle im Sommer 2016 - durch eine Ampelschaltung ein gleichzeitiges Befahren des Bahnübergangs durch Individualverkehr und eine Straßenbahn ausgeschlossen ist. Auf eine solche Lösung hat aber kein Verkehrsteilnehmer Anspruch. Sie hätte nämlich längere Wartezeiten im Kreuzungsbereich und damit die Gefahr von Verkehrsstauungen zur Folge (OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.11.1974, Az. 1 U 183/73, unter Tz. 36, zitiert nach beck-​online; auch nach dem OLG Köln ist allein wegen einer nicht als optimal zu bezeichnenden und verbesserungsfähigen Ampelschaltung keine Verkehrssicherungspflichtverletzung anzunehmen, solange zur Sicherung der Gleise bzw. Warnung wirksame Maßnahmen ergriffen werden, a. a. O.). Vorliegend befinden sich im Bereich der Gleise unstreitig mehrere Warnblinklichter, die auf die besondere Gefährlichkeit durch kreuzenden Bahnverkehr hinweisen. Gegen eine Verpflichtung der Beklagten zu 1) zur Einflussnahme spricht vorliegend zudem, dass auch nach dem klägerischen Vortrag die Unfallträchtigkeit des fraglichen Bereichs bereits seit Jahren bekannt und auch immer wieder Gegenstand von Berichten und Expertisen war, so dass nach dem Vortrag des Klägers die erforderlichen Erkenntnisse bei der Stadt auch ohne entsprechende Hinweise der Beklagten zu 1) vorhanden waren.



Daher kommt es im Ergebnis auch nicht auf den - sehr vagen und erst in der Berufungserwiderung gemachten - Vortrag der Beklagten zu 1) an, sie habe bereits vor dem Unfall gegenüber dem städtischen Amt für Verkehr in C Hinweise und Empfehlungen aufgrund einer internen Auswertung in Bezug auf die konkrete Unfallörtlichkeit gegeben.

Soweit der Kläger der Beklagten zu 1) weitergehend vorwirft, sie habe ganz offensichtlich in den vergangenen Jahren oder Jahrzehnten eine Änderung der Ampelphasenschaltung aktiv zu unterbinden versucht, ist dieser bestrittene Vortrag weder erwiesen noch unter Beweis gestellt.

(bb) Auch Verkehrsverstöße des Beklagten zu 2) lassen sich vorliegend nicht feststellen. Weder ein Geschwindigkeitsverstoß noch ein Reaktionsverschulden ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in erster und zweiter Instanz erwiesen.

Das Landgericht hat angenommen, es sei nach dem Ergebnis der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme ausgeschlossen, dass der Kläger eine erhebliche Zeit vor der Kollision bereits auf dem Gleisbett gestanden habe, so dass der Beklagte zu 2) die Möglichkeit gehabt hätte, die von ihm geführte Stadtbahn noch rechtzeitig anzuhalten. Es stehe vielmehr zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger sein Fahrzeug erst zu einem Zeitpunkt auf das Gleisbett gelenkt habe, zu dem die vom Beklagten zu 2) geführte Stadtbahn sich schon so seit angenähert hatte, dass ein Anhalten der Bahn nicht mehr möglich gewesen sei.

Der Senat vermochte diese durch das Landgericht getroffene Tatsachenfeststellung zwar nicht gemäß § 529 ZPO seiner Verhandlung und Entscheidung zugrunde zu legen, da konkrete Anhaltspunkte Zweifel an ihrer Richtigkeit begründeten; denn die Kammer hat ihre Feststellung allein auf die Angaben der Zeugen gestützt; derartige Angaben von Zeugen zu zeitlichen Abläufen sind erfahrungsgemäß aber sehr ungenau (vgl. auch LG München, Urt. v. 23.03.2004, Az. 19 O 17389/03, VRS Bd. 107/04, 93). Darüber hinaus lassen sich belastbare Aussagen zu - unfallvermeidenden - Reaktionsmöglichkeiten des Beklagten zu 2) - wie durch die Berufung zu Recht gerügt - nur mittels einer Weg-​Zeit-​Betrachtung treffen. Diesbezügliche Erwägungen fehlen in der erstinstanzlichen Entscheidung zur Gänze. Soweit das Landgericht in den Entscheidungsgründen ausführt, mittels eines Gutachtens könne jedenfalls nicht festgestellt werden, wie lange der klägerische Pkw bereits auf den Gleisen gestanden habe, als es zu der Kollision gekommen sei, ist dies zwar zutreffend. Wie durch die Berufung zu Recht geltend gemacht, bestehen mit der Tachoscheibe und den eigenen Angaben des Beklagten zu 2) allerdings weitere Anknüpfungstatsachen, welche eine - von Seiten des Klägers bereits erstinstanzlich beantragte - sachverständige Beurteilung des Unfallgeschehens ermöglichten.

Auch nach dem Ergebnis der daher erforderlichen, durch den Senat durchgeführten ergänzenden Beweisaufnahme mittels Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens des U sind Verkehrsverstöße des Beklagten zu 2) aber nicht erwiesen.

Der Sachverständige, der dem Senat als fachlich besonders kompetent und langjährig erfahren bekannt ist, hat zunächst überzeugend erläutert, dass der klägerische Pkw zum Zeitpunkt der Kollision nicht gestanden haben kann, sondern sich in langsamer Vorwärtsfahrt befunden haben muss. Dies hat er nachvollziehbar mit den am klägerischen Pkw entstandenen Kontaktspuren belegt, die durch den an der Front der Straßenbahn befindlichen Rippenbereich hervorgerufen wurden. Während der Rippenbereich lediglich 0,6 m breit sei, sei die durch den Rippenbereich hervorgerufene Eindrückung am Pkw 1,1 m breit, was lediglich bei einer vorwärts gerichteten Bewegung des Pkw zum Kollisionszeitpunkt möglich sei.

Sodann hat der Sachverständige eine Weg/Zeit-​Analyse vorgenommen. Der Fahrtenschreiber zeige, dass sich die Straßenbahn zunächst mit einer Geschwindigkeit von ca. 49 km/h der Unfallstelle genähert habe. Ca. 55 Meter vor der späteren Stillstandsstelle habe der Beklagte zu 2) mit einer ersten Bremsung begonnen; hierbei sei es zu einer Verzögerung von ca. 1,3 Metern pro Quadratsekunde gekommen. Ab ca. 15 Metern vor der Stillstandsstelle habe es sich um eine sog. Gefahrbremsung mit einer Verzögerung von 2,7 Metern pro Quadratsekunde gehandelt, was bei einem PKW einer Vollbremsung entspreche. Die Straßenbahn sei zum Zeitpunkt der Kollision noch ca. 29 km/h schnell gewesen.

Der Sachverständige hat sodann unter Verweis auf die Anlage A 37 zum Gutachten erläutert, dass die Ergebnisse seiner Untersuchungen sich plausibel mit den Schilderungen des Beklagten zu 2) in Einklang bringen ließen, namentlich mit dem Vortrag, dass sich der Kläger zunächst noch in einer Warteposition neben den Gleisen befunden habe, er sodann langsam ins Gleisbett eingefahren sei, als sich die Straßenbahn bereits ca. 14 m der Kollisionsstelle angenähert gehabt habe und der Beklagte zu 2) sodann die Gefahrbremsung eingeleitet habe.

Angesichts dieses Ergebnisses, das auch mit den Angaben des Zeugen M und E im Einklang steht und dem sich der Senat nach eigener Sachprüfung anschließt, ist der klägerische Vortrag, sein Pkw sei zum Zeitpunkt der Kollision nicht in Bewegung gewesen, widerlegt. Die Richtigkeit seiner Behauptung, er habe vor der Kollision bereits längere Zeit - für den Beklagten zu 2) sichtbar - auf den Gleisen gestanden, käme daher lediglich dann in Betracht, wenn der Kläger, nachdem er auf den Gleisen einige Zeit gewartet hatte, kurz vor der Kollision vom Gleisbett aus angefahren wäre und so die Kollisionsgeschwindigkeit von ca. 9 km/h erreicht hätte. Dieser Geschehensablauf erscheint - auch mit Blick auf die Zeugenaussagen - allerdings zweifelhaft, jedenfalls ist er nicht erwiesen.

Auf Basis dieses Beweisergebnisses ergibt sich weder eine Geschwindigkeitsüberschreitung gemäß § 3 StVO des Beklagten zu 2) noch ist ihm ein Reaktionsverschulden i. S. d. § 1 Abs. 2 StVO vorzuwerfen.

Gemäß § 50 Abs. 3 der Straßenbahn-​Bau- und Betriebsordnung (BOStrab) darf auf einem straßenbündigen Bahnkörper wie vorliegend (vgl. das Lichtbild Bl. 70 d. A.) die für den übrigen Straßenverkehr jeweils geltende Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten werden. Auch unter günstigsten Umständen gilt gemäß § 3 Abs. 3 Ziffer 1 StVO innerhalb geschlossener Ortschaften eine Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h. Ausweislich der Tachoscheibe ist die Straßenbahn in Annäherung an die spätere Unfallstelle mit einer Geschwindigkeit unterhalb von 50 km/h, namentlich mit 49 km/h (s. auch die Anlage A 37 zum Gutachten) gefahren.

Von einer niedrigeren zulässigen Höchstgeschwindigkeit ist vorliegend auch in Ansehung der besonderen Umstände des Falles nicht auszugehen. Zwar dürfen auch Straßenbahnen in der Regel nicht schneller als angemessen und grundsätzlich nur so auf Sicht fahren, dass sie rechtzeitig anhalten können, § 3 Abs. 1 S. 4 StVO (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.12.2006, Az. I-​1 U 121/06; König a. a. O. § 3 StVO, Rn. 31). Da die Unfallstelle auf einem geraden Streckenverlauf lag, ergibt sich aus dem Sichtfahrgebot vorliegend allerdings keine Verpflichtung zur Reduzierung auf eine unterhalb 50 km/h liegende Geschwindigkeit. Anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass dem Beklagten zu 2) nach eigenen Angaben die erhebliche Unfallträchtigkeit der Unfallstelle bekannt war. Denn allein hieraus resultiert eine Verpflichtung, generell den fraglichen Streckenabschnitt mit einer 50 km/h deutlich unterschreitenden Geschwindigkeit zu befahren, nicht. Die bekanntermaßen bestehende Unfallhäufigkeit verpflichtet einen Straßenbahnfahrer lediglich dazu, an der Unfallstelle besonders auf etwaige von rechts kommende Pkw zu achten.

Eine Verpflichtung zur deutlichen Reduzierung der Geschwindigkeit unter 50 km/h ergibt sich schließlich entgegen der Ansicht des Klägers auch nicht daraus, dass der klägerische Pkw für den Beklagten zu 2) bereits von Weitem als auf den Gleisen stehend wahrnehmbar gewesen wäre. Denn dies ist nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens gerade nicht erwiesen. Vielmehr hat dieses - wie bereits ausgeführt - ergeben, dass die Schilderung des Beklagten zu 2), nach der der Kläger erst in einer Entfernung von ca. 14 Metern vor ihm auf die Gleise eingefahren ist, anhand des Schadensbildes und der Auswertung der Tachoscheibe plausibel ist.

Geht man dementsprechend von der Richtigkeit dieses Vortrages aus, ergibt sich ein Geschwindigkeitsverstoß auch nicht in Ansehung des Umstandes, dass der Beklagte zu 2) den klägerischen Pkw bereits von weitem mit nach links blinkendem Fahrtrichtungsanzeiger rechts neben den Gleisen hat stehen sehen. Denn der Beklagte zu 2) hat bereits in einer Entfernung von ca. 55 Metern bis zur späteren Stillstandsstelle, das entspricht etwas mehr als 40 Metern bis zur späteren Unfallstelle, mit einer ersten Bremsung mit einer Verzögerung von 1,3 m/s2 begonnen. Zu einer stärkeren Bremsung, insbesondere zu einer Gefahrbremsung war der Beklagte zu 2) zu diesem Zeitpunkt noch nicht verpflichtet.

Denn grundsätzlich darf ein Straßenbahnführer darauf vertrauen, dass andere Verkehrsteilnehmer §§ 2 Abs. 3, 9 Abs. 3 StVO beachten und die Schienen nicht besetzen (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 05.03.1991, Az. 9 U 106/90, NZV 1991, 313; OLG Hamm, Urt. v. 22.11.2004, Az. 13 U 131/04, NZV 2005, 414). Er braucht nicht damit zu rechnen, dass ein vor ihm fahrendes Fahrzeug in einer Entfernung, die die Gefahr eines Zusammenstoßes in sich schließt, in den Gleisbereich einbiegt und dort zum Halten kommt. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der andere Fahrer seine Abbiegeabsicht bereits angezeigt hat (OLG Dresden, Urt. v. 16.10.1995, Az. 2 U 268/95, VersR 1997, 332). Einem Straßenbahnführer ist es mit Rücksicht auf das Wohl der Fahrgäste noch nicht einmal zuzumuten, eine Vollbremsung durchzuführen, sobald ein PKW in einiger Entfernung auf die Schienen fährt (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 05.03.1991, Az. 9 U 106/90, NZV 1991, 313). Erst in dem Moment, in dem sich die Gefahr einer Kollision aufdrängt und eine rechtzeitige Räumung des Gleisbereichs unwahrscheinlich ist oder sich die Straßenbahn sonst einer unklaren Verkehrssituation nähert, entfällt die Berechtigung des Straßenbahnführers, auf seinen Vorrang zu vertrauen mit der Folge, dass er gegebenenfalls zur Einleitung einer Schnellbremsung verpflichtet ist (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 22.11.2004, Az. 13 U 131/04, NZV 2005, 414 m.w.N.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.12.2006, Az. I-​1 U 121/06, zitiert nach beck-​online).



Vorliegend ergab sich in Ansehung dieser Grundsätze ein Anlass für den Beklagten zu 2) zur Gefahrenbremsung erst, als der klägerische Pkw das Gleisbett und damit die "Signalposition" (vgl. Anlage A 37 zum Gutachten) erreichte. Dass der Beklagte zu 2) tatsächlich zu diesem Zeitpunkt mit der Gefahr- bzw. Schnellbremsung begonnen hat, ist nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens plausibel.

Vor diesem Hintergrund lässt sich auch ein Reaktionsverschulden des Beklagten zu 2) nicht feststellen.

(b) Der Kläger hat demgegenüber - wovon auch das Landgericht im Ergebnis zu Recht ausgegangen ist - gegen §§ 9 und 2 Abs. 3 StVO verstoßen.

Der Kläger beabsichtigte, sein Fahrzeug mittels sog. U-​Turns über die Schienen hinweg in den Gegenverkehr zu wenden. Da er hierbei lediglich den Bereich der Schienen und damit wenige Meter zu überqueren hatte, bevor er seine Fahrt in Gegenrichtung hätte fortsetzen können, handelte es sich bei dem Fahrmanöver nicht um ein doppeltes Linksabbiegen, sondern um ein Wenden i. S. d. § 9 Abs. 5 StVO (zur Abgrenzung vgl. BGH, Beschl. v. 28.05.1982, Az. 4 StR 224/81, NJW 1982, 2454; OLG Hamm, Urt. v. 16.01.1997, Az. 6 U 123/96, NZV 1997, 438; OLG Saarbrücken, Urt. v. 15.04.2008, Az. 4 U 193/07-​81, zitiert nach beck-​online). Der Kläger hätte sich hierbei gemäß § 9 Abs. 5 StVO so verhalten müssen, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen gewesen wäre.

Da der Kläger bei dem Wendemanöver nach links über die Schienen hinweg in den Gegenverkehr zu fahren beabsichtigte, beinhaltete diese Sorgfaltspflicht auch die Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 1 bis 4 StVO (vgl. Hanseatisches OLG, Beschl. v. 02.07.1981, Az. 2 Ss 121/81 OWi; Burmann in: Burmann u. a., StrVR, 24. Aufl. 2016, § 9 Rn. 58; Freymann in: Geigel, Der Haftpflichtprozess, 27. Aufl. 2015, 27. Kap. Rn. 300).

§ 9 Abs. 1 S. 3 und 4 StVO erlauben einem Linksabbieger das Einordnen auf längs verlegten Schienen nur dann, wenn kein Schienenfahrzeug behindert wird. Vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen ist auf den nachfolgenden Verkehr zu achten. Nach Abs. 3 S. 1 der Vorschrift, muss der Abbiegende Schienenfahrzeuge auch dann durchlassen, wenn sie auf oder neben der Fahrbahn in der gleichen Richtung fahren. Dass dies auch dann gilt, wenn der Linksabbieger "grün hat", wird durch § 37 Abs. 2 S. 2 Ziffer 1 StVO explizit klargestellt. Gemäß § 2 Abs. 3 StVO müssen Fahrzeuge, die in Längsrichtung einer Schienenbahn verkehren, diese, soweit möglich, durchfahren lassen.

Das Landgericht hat einen Verstoß des Klägers gegen seine aus den genannten Normen folgenden Sorgfaltspflichten zu Recht angenommen.

Der Kläger hätte bei der gegebenen Sachlage davon Abstand nehmen müssen, auf die Gleise zu fahren. Denn es war nicht im Sinne des § 9 Abs. 1 S. 3 StVO sichergestellt, dass kein Schienenfahrzeug behindert wird. Damit hat der Kläger auch gegen § 2 Abs. 3 StVO verstoßen. Da ein Verstoß des Klägers auch unter Zugrundelegung seines eigenen Vortrags anzunehmen ist, kommt es an dieser Stelle noch nicht einmal auf das Ergebnis der Beweisaufnahme an.




Nach dem eigenen Vortrag des Klägers musste dieser eine erhebliche Zeit (zehn bis zwölf Sekunden) auf den Schienen warten, um zunächst die entgegenkommende Straßenbahn durchfahren zu lassen. Der Kläger hat bei seiner Anhörung durch den Senat geschildert, er sei bereits auf die Gleise gefahren, als die aus der Gegenrichtung kommende Straßenbahn noch ca. 100 m von der späteren Kollisionsstelle entfernt gewesen sei. Zum vom Kläger behaupteten Zeitpunkt des Einfahrens in den Gleisbereich war daher für ihn vollkommen unklar, wie schnell er den Gleisbereich wieder würde verlassen können, zumal dies nicht nur von der Vorbeifahrt der entgegenkommenden Straßenbahn abhing, sondern auch vom Gegenverkehr; bei einer derartigen Sachlage darf der Gleisbereich nicht befahren werden (vgl. auch Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urt. v. 26.02.2009, Az. 12 U 145/08, zitiert nach juris). Sofern man demgegenüber vom Vortrag der Beklagten ausgeht, der Kläger sei erst in engem zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Herannahen der vom Beklagten zu 2) gelenkten Straßenbahn in den Gleisbereich eingefahren, ergibt sich ein Verstoß des Klägers gegen §§ 9 Abs. 1 S. 3 und 2 Abs. 3 StVO erst recht.

Darüber hinaus wäre eine Einfahrt in den Gleisbereich auch nur dann straßenverkehrsrechtlich zulässig gewesen, wenn aus Sicht des Klägers bei Berücksichtigung der Verkehrslage eine Straßenbahn aus gleicher Richtung auch nicht alsbald hätte herankommen können (vgl. KG, Urt. v. 26.01.2004, Az. 12 U 182/02, unter Tz. 5, zitiert nach juris m. weit. Nachw.). Dies war vorliegend aber auch nach dem klägerischen Vortrag gerade nicht der Fall, zumal der Kläger sich nach seinen eigenen im Rahmen der Anhörung gemäß § 141 Abs. 3 ZPO gemachten Angaben noch nicht einmal durch doppelte Rückschau vergewissert hat, dass sich aus seiner Sicht von hinten keine Straßenbahn näherte. Vielmehr hat er explizit geschildert, lediglich bei dem von ihm zuvor vorgenommenen Spurwechsel auf die linke Fahrspur, von der aus er wenden wollte, in den Rückspiegel geschaut zu haben; vor dem anschließenden Einfahren in den Gleisbereich habe er nicht noch einmal in den Rückspiegel geschaut. Damit steht auch ein Verstoß des Klägers gegen § 9 Abs. 1 S. 4 StVO fest.

Da sowohl nach dem Kläger- als auch nach dem Beklagtenvortrag Verkehrsverstöße des Klägers feststehen, kommt es auf die in der Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortete Frage nach der Geltung von Anscheinsgrundsätzen in der vorliegenden Konstellation ebenfalls nicht an (hierzu vgl. einerseits OLG Dresden, Urt. v. 16.10.1995, Az. 2 U 268/95, VersR 1997, 332; KG, a. a. O.; LG München, Urt. v. 23.03.2004, Az. 19 O 17389/03, VRS Bd. 107/04; Metz, NZV 2009, 484 (485) und andererseits OLG Hamm, Urteil vom 05.03.1991, Az. 9 U 106/90, NZV 1991, 313; offengelassen v. Brandenburgischen Oberlandesgericht, Urt. v. 26.02.2009, Az. 12 U 145/08, zitiert nach juris und v. OLG Karlsruhe, Urt. v. 18.09.1998, Az. 10 U 63/98, zitiert nach beck-​online).

(c) Die Abwägung der Verursachungsbeiträge ergibt vorliegend - wovon das Landgericht ebenfalls zu Recht ausgegangen ist - eine vollständige haftungsrechtliche Verantwortlichkeit auf Seiten des Klägers.

Während auf Seiten des Klägers schwere Verkehrsverstöße gegen §§ 9 und 2 StVO in die Abwägung einzustellen sind, hat sich auf Seiten der Beklagten lediglich die allgemeine - nicht durch Verkehrsverstöße erhöhte - Betriebsgefahr der Straßenbahn verwirklicht, mit der Folge, dass die Betriebsgefahr vorliegend vollständig zurücktritt.

Zwar ist die Betriebsgefahr einer Straßenbahn wegen ihrer Schienengebundenheit, des längeren Bremswegs und der größeren Aufprallwucht gegenüber der allgemeinen Betriebsgefahr eines Kfz grundsätzlich deutlich erhöht (vgl. Brandenburgisches OLG, Urteil vom 26.02.2009, Az. 12 U 145/08, Schaden-​Praxis 2009, 209, 210; KG, Urt. v. 26.01.2004, Az. 12 U 182/02, zitiert nach juris). Dies hat zur Folge, dass sich eine alleinige Haftung des Fahrers eines PKW nach Abwägung der allgemeinen Betriebsgefahr der Straßenbahn einerseits und schuldhafter Verursachungsbeiträge des Pkw-​Fahrers andererseits nur dann ergibt, wenn dem Pkw-​Fahrer ein erhebliches Verschulden zur Last fällt (vgl. Brandenburgisches OLG, a. a. O.).

Hiervon ist bei der gegebenen Sachlage allerdings auszugehen. Indem der Kläger in der Absicht zu wenden ohne vorherige Rückschau auf das Gleisbett gefahren ist, und hierdurch die Kollision mit der Straßenbahn verursacht hat, hat er in eklatanter Weise gegen verkehrsrechtliche Kardinalpflichten verstoßen. Angesichts der vom Kläger zu fordernden höchsten Sorgfalt wiegen diese Verstöße so schwer, dass die Betriebsgefahr der Straßenbahn zurücktritt (vgl. auch OLG Hamm, Urt. v. 22.11.2004, Az. 13 U 131/04, zitiert nach juris; OLG Hamm Urt. v. 15.03.1990, Az. 27 U 247/89, zitiert nach juris; OLG Düsseldorf, Urt. v. 11.11.1974, Az. 1 U 183/73, zitiert nach beck-​online; OLG München, Urt. v. 17.11.2017, Az. 10 U 1319/17, zitiert nach juris). Hierbei hat er auch die Warnfunktion der an der Schienenanlage vorhandenen Blinklichter missachtet, wenngleich der Senat insoweit nicht verkennt, dass die Warnfunktion vorliegend deshalb vermindert war, weil kurz vor der von dem Beklagten zu 2) gelenkten Straßenbahn unstreitig eine Straßenbahn in der Gegenrichtung die Unfallstelle passiert hatte, und das Blinken der Warnlichter - wie vom Kläger vorgetragen - auch auf diese bezogen werden konnte. Ferner ist zu berücksichtigen, dass dem Kläger die Unfallstelle bekannt gewesen ist, da er diese nach seinem eigenen Vortrag auf seinem Weg vom Büro nach Hause und damit regelmäßig passiert hat.

bb) Eine deliktsrechtliche Haftung der Beklagten zu 1) ergibt sich weder aus § 823 Abs. 1 BGB noch aus § 831 BGB.

Denn ein eigenes Verschulden der Beklagten zu 1) aufgrund nicht erfolgter Einflussnahme auf die Stadt mit dem Ziel einer Änderung der Ampelphasenschaltung bzw. aus einer aktiven Verhinderung einer derartigen Änderung ist, wie bereits unter 2. a) aa) (3) (a) (aa) dargelegt, nicht anzunehmen. Für eine Haftung aus § 831 Abs. 1 S. 1 BGB fehlt es bereits an dem Nachweis eines verkehrswidrigen und damit widerrechtlichen Verhaltens des Beklagten zu 2), so dass es auf die Frage des Entlastungsbeweises gemäß § 831 Abs. 1 S. 2 BGB nicht ankommt.

b) Auch Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten zu 2) sind nicht gegeben.

Ansprüche aus dem Haftpflichtgesetz und aus dem Straßenverkehrsgesetz kommen von vorneherein nicht in Betracht, da die Haftung nach dem Haftpflichtgesetz alleine den Bahnbetriebsunternehmer, nicht aber den Beklagten zu 2) als Fahrer der unfallbeteiligten Straßenbahn trifft (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 22.11.2004, Az. 13 U 131/04, NZV 2005, 414) und auch Normen des Straßenverkehrsgesetzes keine Haftung von Fahrern von Schienenfahrzeugen normieren, § 1 Abs. 2 StVG; denkbar sind allenfalls Ansprüche aus § 823 Abs. 1 bzw. Abs. 2 BGB i. V. m. drittschützenden Normen. Da sich angesichts obiger Ausführungen allerdings keine Verkehrsverstöße des Beklagten zu 2) feststellen lassen, scheiden auch deliktsrechtliche Ansprüche im Ergebnis aus.

3. Nachdem dem Kläger entsprechend den Ausführungen zu Ziffer 2. keine Zahlungsansprüche im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Verkehrsunfallereignis zustehen, bestehen auch die geltend gemachten Nebenforderungen (Zinsen und Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren) nicht; ebenso war auch dem Feststellungsantrag mit Blick auf die Höherstufung in der Kasko-​Versicherung der Erfolg zu versagen.


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung des Revisionsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Es handelt sich vielmehr um eine ausschließlich auf der Grundlage gefestigter Rechtsprechung getroffene Einzelfallentscheidung des Senats.

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