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Oberlandesgericht Bamberg Beschluss vom 19.06.2018 - 3 Ss OWi 728/18 - Rechtlicher Hinweis auf mögliche Vorsatzverurteilung

OLG Bamberg v. 19.06.2018: Rechtlicher Hinweis auf mögliche Vorsatzverurteilung


Das Oberlandesgericht Bamberg (Beschluss vom 19.06.2018 - 3 Ss OWi 728/18) hat entschieden:

  1.  Ein nach § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 265 Abs. 1 StPO gebotener aber unterbliebener gerichtlicher Hinweis darauf, dass abweichend vom Bußgeldbescheid auch eine Verurteilung wegen vorsätzlicher statt fahrlässiger Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes (hier: Mitnahme eines Kindes ohne Sicherung gemäß §§ 21 Abs. 1a Satz 1 StVO) in Betracht kommt, kann die Zulassung der Rechtsbeschwerde wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs begründen.

  2.  Die prozessuale Tat umfasst auch im Ordnungswidrigkeitenverfahren den einheitlichen geschichtlichen Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Betroffene den Bußgeldtatbestand verwirklicht haben soll. Verändert sich im Laufe eines Verfahrens das Geschehensbild, kommt es darauf an, ob die "Nämlichkeit der Tat" trotz der Abweichung noch gewahrt ist, was dann der Fall ist, wenn bestimmte Merkmale die Tat weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen kennzeichnen. Dies gilt auch dann, wenn die Beweisaufnahme im Vergleich zum Bußgeldbescheid eine andere Tatzeit ergibt (u.a. Anschluss an BGH, Beschluss vom 22. Juni 2006, 3 StR 79/06 = NStZ-RR 2006, 316 m.w.N.).


Siehe auch
Vorsatz und Fahrlässigkeit
und
Rechtliches Gehör im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren


Gründe:


I.

Das Amtsgericht hat den Betroffenen wegen einer am 15.09.2017 als Kraftfahrzeugführer vorsätzlich begangenen Beförderung seines 8-jährigen Sohnes ohne jede Sicherung (§§ 21 Abs. 1a Satz 1, 49 Abs. 1 Nr. 20 StVO i.V.m. lfd.Nr. 99.1 BKat) zu einer Geldbuße von 60 Euro verurteilt. Mit seiner gegen dieses Urteil gerichteten Rechtsbeschwerde, deren Zulassung er beantragt, rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist zuzulassen, weil es geboten ist, das Urteil wegen Versagung des rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 OWiG).

1. Die Verfahrensrüge, das Gericht habe einen rechtlichen Hinweis dahingehend unterlassen, dass es möglicherweise von vorsätzlichem Verhalten des Betroffenen ausgehe, ist angesichts ihrer erkennbaren Angriffsrichtung ungeachtet dessen, dass sie die Vorschrift des § 265 Abs. 2 StPO und nicht des § 265 Abs. 1 StPO zitiert, zulässig und auch begründet. Weder der Betroffene noch sein Verteidiger waren auf diese Möglichkeit hingewiesen worden und hatten demgemäß insoweit keine Gelegenheit, ihr prozessuales Verhalten auf die neue Situation einzustellen. Dieses Vorgehen verletzt zugleich den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör.




a) Der Umstand, dass im Bußgeldbescheid die Schuldform nicht angegeben war, hatte zur Folge, dass vom Vorwurf fahrlässigen Handelns auszugehen war (OLG Bamberg, Beschl. v. 02.05.2017 - 2 Ss OWi 293/17 = DAR 2017, 383 m.w.N.), zumal sich die Zentrale Bußgeldstelle mit ihrer Rechtsfolgenentscheidung ersichtlich an dem für Fahrlässigkeitsdelikte (§ 1 Abs. 2 Satz 2 BKatV) geltenden Regelsatz nach Nr. 99.1 BKat orientiert hatte.

b) Ein Hinweis dahingehend, dass die Verurteilung wegen einer vorsätzlich begangenen Tat erfolgen könne, ist ausweislich der Verfahrensakte und des Hauptverhandlungsprotokolls weder dem Betroffenen selbst noch dessen Verteidiger, insbesondere auch nicht in der Hauptverhandlung, erteilt worden.

2. Das Urteil beruht auch auf dem Rechtsfehler. Es ist nicht auszuschließen, dass der Betroffene - wie er vorträgt - seinen Einspruch gegen den Bußgeldbescheid zurückgenommen hätte, wenn der gebotene Hinweis nach § 71 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 265 Abs. 1 StPO erteilt worden wäre.

III.

Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, § 353 StPO). Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Amtsgericht zurückverwiesen (§ 79 Abs. 6 OWiG).

IV.

Allerdings kommt ein Freispruch des Betroffenen mangels Entscheidungsreife des Verfahrens nicht in Betracht. Ungeachtet des Umstands, dass der Bußgeldbescheid von einem falschen Datum der Tat (16.09.2017 statt richtig: 15.09.2017) ausgeht, sind die dort beschriebene und die vom Amtsgericht festgestellte Tat identisch.



a) Tat im Sinne des § 264 Abs. 1 StPO ist ein einheitlicher geschichtlicher Vorgang, der sich von anderen ähnlichen oder gleichartigen unterscheidet und innerhalb dessen der Betroffene einen Bußgeldtatbestand verwirklicht haben soll (vgl. Meyer-Goßner/Schmitt StPO 61. Aufl. § 264 Rn. 2 m.w.N.). Verändert sich im Laufe eines Verfahrens das Geschehensbild, so kommt es darauf an, ob die ,Nämlichkeit der Tat' trotz der Abweichung noch gewahrt ist. Dies ist dann der Fall, wenn bestimmte Merkmale die Tat weiterhin als einmaliges, unverwechselbares Geschehen kennzeichnen, selbst wenn die Beweisaufnahme im Vergleich zum Bußgeldbescheid eine andere Tatzeit ergibt (vgl. BGH, Beschl. v. 22.06.2006 - 3 StR 79/06 = NStZ-RR 2006, 316 m.w.N.).

b) Davon ist im vorliegenden Fall auszugehen. Der dem Betroffenen zur Last gelegte Sachverhalt ist durch einen präzise eingegrenzten Tatort, ein konkretes Fahrzeugfabrikat als Tatobjekt, bestimmte Tatbeteiligte und Zeugen und einen nicht alltäglichen Tatvorwurf zu einer bestimmten Uhrzeit gekennzeichnet. All diese Gesichtspunkte formen einen unverwechselbaren Tatvorwurf, welchem der genaue Tattag nicht das entscheidende Gepräge gibt.

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