Das Verkehrslexikon

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Kammergericht Berlin Beschluss vom 30.06.2010 - 3 Ws (B) 213/10 - 2 Ss 99/10 - Ablehnung von Hilfsbeweisanträgen bei PoliScan speed

KG Berlin v. 30.06.2010: Ablehnung von Hilfsbeweisanträgen bei standardisierten Messverfahren


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 30.06.2010 - 3 Ws (B) 213/10 - 2 Ss 99/10) hat entschieden:

   Durch die amtliche Zulassung eines Messgerätes bestätigt die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, dass sie die Ermittlung des Messwertes auf der Grundlage der in der Gebrauchsanweisung festgelegten Vorgehensweise einer sachverständigen Prüfung unterzogen und die Messergebnisse als innerhalb einer zulässigen Toleranz liegend eingestuft hat. Letzteres bewirkt, dass die Ermittlungsbehörden und Gerichte im Regelfall von einer sachverständigen Prüfung freigestellt sind, es sei denn der konkrete Einzelfall gibt dazu Veranlassung [vgl. BGH NJW 1993, 3081 ff.]. Auch das hier eingesetzte Messgerät PoliScan speed ist von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt geprüft und amtlich zugelassen worden. Abweichungen von dem normierten Verfahren oder der Gebrauchsanweisung des Gerätes sind weder ersichtlich noch vorgetragen, und es haben sich auch keine Anhaltspunkte für Fehlerquellen ergeben, die außerhalb der durch den Toleranzabzug berücksichtigten Grenzen liegen. Angesichts dessen hätte die Tatrichterin die hilfsweise beantragte Beweiserhebung ohne Rechtsfehler als zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ansehen können.


Siehe auch
Geschwindigkeitsmessung mit PoliScan Speed der Firma Vitronic
und
Standardisierte Messverfahren


Gründe:


Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat die Betroffene am 8. Januar 2010 wegen fahrlässigen Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 125.—Euro verurteilt und ein Fahrverbot von einem Monat angeordnet, dessen Wirksamwerden sich nach § 25 Abs. 2a StVG richtet. Gegen dieses Urteil hat die Betroffene durch ihren Verteidiger mit Schriftsatz vom 12. Januar 2010, eingegangen am selben Tage, Rechtsbeschwerde eingelegt. Mit Beschluss vom 18. März 2010 hat das Amtsgericht das Rechtsmittel als unzulässig verworfen, weil es nicht innerhalb der mit der Zustellung des schriftlichen Urteils am 27. Januar 2010 beginnenden Monatsfrist der §§ 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG, 345 StPO begründet worden sei. Mit am 29. März 2010 eingegangenem Schriftsatz vom 27. März 2010 hat die Betroffene die Begründung nachgeholt, wegen ihrer Säumnis Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und gegen den Beschluss vom 18. März 2010 Beschwerde eingelegt.

1. Der Betroffenen ist Wiedereinsetzung zu gewähren. Sie hat vorgetragen und glaubhaft gemacht, dass die Säumnis nicht auf ihrem, sondern dem Verschulden ihres Verteidigers beruht. Dieser hatte versäumt, die bereits fertiggestellte Rechtsbeschwerdebegründung am 26. Februar 2010 und damit rechtzeitig bei dem Amtsgericht einzuwerfen und war erst durch den Verwerfungsbeschluss vom 18. März 2010 darauf aufmerksam geworden. Die gegen letzteren gerichtete, als Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts anzusehende Beschwerde der Betroffenen ist damit gegenstandslos; der Beschluss vom 18. März 2010 war zur Klarstellung aufzuheben.




2. Die Rechtsbeschwerde, mit der die Betroffene das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat keinen Erfolg.

Soweit die Betroffene beanstandet, dass ihr trotz ihres Schweigens in der Hauptverhandlung eine Erklärung ihres Verteidigers zur Fahrereigenschaft zugerechnet worden sei, genügt der damit geltend gemachte Verstoß gegen § 261 StPO nicht den gesetzlichen Anforderungen nach §§ 79 Abs. 3 Satz 1, 344 Abs. 2 StPO. Danach müssen, um die Zulässigkeit der Rüge zu begründen, die den Mangel enthaltenden Tatsachen so genau bezeichnet und vollständig angegeben werden, dass das Beschwerdegericht allein anhand dieser Ausführungen und ohne Rückgriff auf den Inhalt der Akten prüfen kann, ob der geltend gemachte Verfahrensfehler vorliegt, falls die behaupteten Tatsachen zutreffen [vgl. Göhler, OWiG 15. Aufl., § 79 Rdn. 27d]. Diesen Anforderungen wird das Rügevorbringen nicht gerecht. Zutreffend ist, dass die Erklärung eines Verteidigers, die ein schweigender Angeklagter oder Betroffener zulässt, diesem nur zugerechnet werden kann, wenn er sie ausdrücklich bestätigt. Fehlt es an einer derartigen Bestätigung, bleibt sie unverwertbar [vgl. OLG Thüringen, Beschluss vom 8. Oktober 2007 -1 Ss 269/07- bei juris]. Zum Rügevorbringen gehört daher nicht nur der Hinweis auf das Schweigen der Betroffenen, sondern auch die Mitteilung, dass keine derartige Bestätigung erfolgt ist. Vorliegend aber beschränkt sich die Betroffene darauf anzugeben, dass sie in der Hauptverhandlung geschwiegen habe. Dies genügt jedoch nicht, denn es schließt nicht aus, dass sie - etwa durch Nicken auf Fragen des Gerichts – die Angabe ihres Verteidigers, Führerin des Kraftfahrzeuges gewesen zu sein, anderweitig bestätigt hat.

Soweit die Betroffene beanstandet, das Gericht habe eine Urkunde verwertet, ohne diese ordnungsgemäß in die Hauptverhandlung eingeführt zu haben, überwindet ihr Vorbringen zwar die Zulässigkeitshürde, erweist sich jedoch als unbegründet. In den – für die Prüfung durch den Senat allein maßgeblichen – schriftlichen Urteilsgründen findet diese Urkunde keine Erwähnung, so dass das Urteil auf diesem Verfahrensfehler nicht ersichtlich beruht.

Erfolglos bleibt schließlich auch die zulässig erhobene Verfahrensrüge, das Tatgericht habe sich nicht an die Wahrunterstellung gehalten, mit der es die Hilfsbeweisanträge in den Urteilsgründen abgelehnt habe.

Voraussetzung einer Ablehnung eines Beweisantrages mittels Wahrunterstellung nach § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO ist, dass die zu beweisende Tatsache erheblich ist und der Entlastung - hier der Betroffenen – dient. Hierbei hat der Tatrichter die behauptete Tatsache in ihrem wirklichen Sinn ohne jede Einengung, Verschiebung oder sonstige Änderung als wahr zu behandeln. Nicht der Wortlaut, sondern der Sinn und der Zweck des Beweisantrages sind maßgebend [vgl. Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl., § 244 Rdn. 71]. Wenngleich er aus der als wahr unterstellten Tatsache nicht dieselben Schlussfolgerungen ziehen muss, die der Antragsteller gezogen wissen will, muss der Tatrichter sie zumindest im Zeitpunkt der Ablehnung des Beweisantrages für erheblich halten und ihr eine den Antragsteller entlastende Bedeutung einräumen [vgl. Meyer-Goßner a.a.O. Rdn. 70]. Sofern daher über einen Hilfsbeweisantrag erst in den Urteilsgründen entschieden und die zu beweisende Tatsache als wahr unterstellt wird, ist es rechtsfehlerhaft, wenn die Urteilsausführungen diese dann als unerheblich einstufen, weil sie damit der Begründung der Ablehnung des Beweisantrages widersprechen. Während jedoch das Rechtsbeschwerdegericht die rechtsfehlerhafte Begründung der während einer Hauptverhandlung erfolgten Ablehnung eines Beweisantrages nicht durch eine andere, richtige ersetzen kann, weil damit dem Antragsteller u.a. die Möglichkeit genommen wird, sein Antragsverhalten entsprechend einzurichten, gilt dies für die zulässigerweise erst in den Urteilsgründen erfolgte Ablehnung eines Hilfsbeweisantrages nicht [vgl. BGH NStZ 2008, 116; Meyer-Goßner, StPO 52. Aufl., § 244 Rdn. 86]. Mit ihm hat der Antragsteller bewusst auf die Möglichkeit verzichtet, sein Beweisziel anderweitig zu verfolgen. Ergibt sich daher aus den schriftlichen Urteilsausführungen ein anderer tragfähiger Ablehnungsgrund oder ist ein solcher offenkundig, kann das Rechtsbeschwerdegericht die Ursächlichkeit eines Verstoßes gegen § 244 Abs. 3 StPO unter Hinweis auf diese anderweitige Begründung verneinen [vgl. BGH a.a.O.]. So liegt der Fall hier.


Gegenstand des Hilfsbeweisantrages der Betroffenen war die in das Wissen der Zeugin K. gestellte Behauptung, sie habe die am Tattag durchgeführte Geschwindigkeitsmessung nicht mit der gebotenen Aufmerksamkeit durchgeführt. Ihn hat die Tatrichterin in ihrem Urteil mit der Begründung abgelehnt, sie behandele die Beweistatsache als wahr. Sie hat ihr damit eine entlastende und zugleich erhebliche Bedeutung zugemessen, sich daran aber nicht gehalten. Denn die Urteilsgründe weisen aus, dass es auf die als wahr unterstellte Beweistatsache nicht ankommt. Zwar wäre ein aufmerksamer Messbetrieb nach den Ausführungen des Sachverständigen wünschenswert gewesen, vom Gerätehersteller wird er jedoch nicht verlangt (UA S.4). Damit ist die Ablehnung des Hilfsbeweisantrages zwar rechtsfehlerhaft erfolgt, eine Aufhebung des Urteils aber gleichwohl nicht veranlasst. Denn dieses beruht nicht auf diesem Verfahrensfehler, weil die Urteilsausführungen klar ergeben, dass der Hilfsbeweisantrag rechtsfehlerfrei als bedeutungslos hätte abgelehnt werden können.

Soweit hingegen die Betroffene mit einem weiteren Hilfsbeweisantrag um die Vernehmung des Geschäftsführers der Herstellerfirma des Messgerätes bzw. eines ihrer Mitarbeiter über die Behauptung antrug, es seien die systemimmanenten Daten des Messgerätes nicht offengelegt worden, so dass der Sachverständige die Messung nicht auf Plausibilität habe prüfen können, hätte die Tatrichterin diesen als zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ablehnen können (§ 77 Abs. 2 Nr. 1 OWiG), so dass das Urteil auch insoweit nicht auf der rechtsfehlerhaften Behandlung beruht. Die Geschwindigkeitsmessung ist vorliegend unter Verwendung des amtlich zugelassenen Messgerätes PoliScan speed nach einem standardisierten Messverfahren, d.h. nach einem durch Normen vereinheitlichten (technischen) Verfahren durchgeführt worden, bei dem die Voraussetzungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so präzise festgelegt sind, dass unter gleichen Bedingungen gleiche Ergebnisse erwartet werden können [vgl. BGHSt 39, 291; 43, 277]. Durch die amtliche Zulassung eines Messgerätes bestätigt die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, dass sie die Ermittlung des Messwertes auf der Grundlage der in der Gebrauchsanweisung festgelegten Vorgehensweise einer sachverständigen Prüfung unterzogen und die Messergebnisse als innerhalb einer zulässigen Toleranz liegend eingestuft hat. Letzteres bewirkt, dass die Ermittlungsbehörden und Gerichte im Regelfall von einer sachverständigen Prüfung freigestellt sind, es sei denn der konkrete Einzelfall gibt dazu Veranlassung [vgl. BGH NJW 1993, 3081 ff.]. Auch das hier eingesetzte Messgerät PoliScan speed ist von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt geprüft und amtlich zugelassen worden. Abweichungen von dem normierten Verfahren oder der Gebrauchsanweisung des Gerätes sind weder ersichtlich noch vorgetragen, und es haben sich auch keine Anhaltspunkte für Fehlerquellen ergeben, die außerhalb der durch den Toleranzabzug berücksichtigten Grenzen liegen. Angesichts dessen hätte die Tatrichterin die hilfsweise beantragte Beweiserhebung ohne Rechtsfehler als zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ansehen können. Dem steht auch das von der Rechtsbeschwerde gerügte Fehlen von Informationen zur Funktionsweise des Gerätes nicht entgegen. Ihre Kenntnis ist durch die amtliche Zulassung des Gerätes zumindest in den Fällen entbehrlich geworden, in denen das Gerät vorschriftsmäßig eingesetzt worden ist [vgl. KG, Beschluss vom 26. Februar 2010 – 3 Ws (B) 94/10-]. Ohne – hier fehlende – konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlmessung war die Tatrichterin jedoch nicht gehalten, die Ermittlung der Geschwindigkeit näher aufzuklären.




3. Die auf die allgemeine Sachrüge vorzunehmende Prüfung des Urteils deckt keine die Betroffene beschwerenden Rechtsfehler auf. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung. Die Ermittlung der Geschwindigkeit ist mittels eines amtlich anerkannten standardisierten Messverfahrens und unter Berücksichtigung eines Toleranzabzuges für Messungenauigkeiten erfolgt und Anhaltspunkte für Fehlerquellen sind nicht ersichtlich.

Auch der Rechtsfolgenausspruch begegnet keinen rechtlichen Bedenken. Er orientiert sich an der für den Verstoß vorgesehen Regelbuße und die Anordnung des verwirkten Regelfahrverbotes ist nicht zu beanstanden. Dass diese Maßnahme für die Betroffene eine außergewöhnliche Härte darstellt, hat die Tatrichterin zu Recht verneint und auch sonst keinen Anlass gesehen, von dieser erzieherischen Maßnahme ausnahmsweise abzusehen.

4. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus §§ 46 Abs. 1 OWiG, 473 Abs. 1 Satz 1, Abs. 7 StPO.

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