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Oberlandesgericht Hamm Beschluss vom 22.07.2010 - III-3 RBs 200/10 - Terminsverlegungsantrag des Verteidigers

OLG Hamm v. 22.07.2010: Verletzung des rechtlichen Gehörs durch Ablehnung eines Terminsverlegungsantrags des Verteidigers


Das Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 22.07.2010 - III-3 RBs 200/10) hat entschieden:

   Die Ablehnung einer Terminsverlegung führt zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn sie auf sachfremden und nicht mehr nachvollziehbaren Gründen beruht und dem Betroffenen dadurch der erste Zugang zum Gericht genommen wird (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 28.03.2007 - 4 Ss OWi 233/07 - m. w. N.). Allein der bloße Hinweis, eine Terminsverlegung könne aus dienstlichen Gründen nicht erfolgen, stellt keine nachvollziehbare Begründung dar (zu vgl. OLG Hamm, a. a. 0.). Auch die angespannte Lage des Dezernates dürfte keinen objektiv sachlichen und die berechtigten Interessen der Prozessbeteiligten verdrängenden Grund für die Ablehnung einer Terminsverlegung darstellen.


Siehe auch
Terminsverlegung
und
Rechtliches Gehör in den verschiedenen Verfahrensarten


Gründe:


I.

Der Oberbürgermeister der Stadt C hat mit Bußgeldbescheid vom 1. Dezember 2009 gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerorts um 39 km/h ein Bußgeld in Höhe von 150,00 Euro festgesetzt und daneben ein einmonatiges Fahrverbot verhängt.

Dagegen hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 7. Dezember 2009 Einspruch eingelegt. Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 25. März 2010 bat letzterer um Verlegung des auf den 1. April 2010 anberaumten Hauptverhandlungstermins, da er, der Verteidiger, sich zu diesem Zeitpunkt bereits im Osterurlaub befinden würde. Mit Verfügung vom 29. März 2010 lehnte das Amtsgericht eine Terminverlegung im Hinblick auf die angespannte Lage des Dezernats ab. Nachdem im Hauptverhandlungstermin vom 1. April 2010 weder der Betroffene noch sein Verteidiger erschienen waren, verwarf das Amtsgericht Bielefeld den Einspruch des Betroffenen gegen den Bußgeldbescheid nach § 74 Abs. 2 OWiG.

Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.




II.

Der Betroffene beanstandet mit der im erforderlichen Umfang ausgeführten Verfahrensrüge zu Recht, dass das Amtsgericht Bielefeld seinen Einspruch gemäß § 74 Abs. 2 OWiG mit der Begründung verworfen hat, er sei in dem Hauptverhandlungstermin nicht erschienen und auch sein Verteidiger sei trotz ordnungsgemäßer Ladung fern geblieben.

Diese Entscheidung des Amtsgerichts ist fehlerhaft.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu in ihrer Stellungnahme vom 12. Juli 2010 u.a. Folgendes ausgeführt:

   "Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG statthafte Rechtsbeschwerde ist rechtzeitig eingelegt und form- und fristgerecht begründet worden. Ihr ist auch in der Sache ein - zumindest vorläufiger - Erfolg nicht zu versagen.

Die Rüge genügt den an sie zu stellenden Anforderungen gem. § 79 Abs. 3 OWiG i. V. m. § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Es wird hinreichend mitgeteilt, wie der Verteidiger seinen Terminsverlegungsantrag und wie das Gericht seine ablehnende Entscheidung begründet hat.

Dabei ist die Rüge nicht bereits deshalb begründet, weil der Verteidiger dem Betroffenen mit Schriftsatz vom 01.03.2010 mitgeteilt hat, er brauche zum Termin nicht zu erscheinen, da sein persönliches Erscheinen nicht angeordnet. worden sei. Zwar ist im Straf- und Ordnungswidrigkeitenverfahren überwiegend anerkannt, dass ein Ausbleiben zu einem Gerichtstermin auch dann als entschuldigt in dem Sinne des § 329 Abs. 1 S. 1 StPO bzw. § 74 Abs. 2 OWiG anzusehen sein kann, wenn es auf einem - auch unrichtigen Rat oder Hinweis des Verteidigers beruht (zu vgl. Göhler, OWiG, 15. Auflg., § 74 Rdn. 32 m. w. N.; Meyer-Goßner, StPO, 52. Auflg., § 329 Rdn. 29 m. w. N.). Doch ist der Hinweis des Verteidigers, dass eine Pflicht vor Gericht zu erscheinen nicht bestehe, nicht unbeschränkt und in jedem Fall geeignet, ein Verschulden des Betroffenen auszuschließen. Vielmehr ist ein Vertrauen auf derartige Hinweise des Verteidigers dann nicht gerechtfertigt, wenn sich dem Betroffenen nach der konkreten Sachlage Zweifel aufdrängen müssen, ob der Hinweis des Verteidigers zutreffend ist (zu vgl. BGHSt 14, 306 ff). Bestehen hinreichende Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der von der Verteidigung erteilten Auskunft, muss dem durch Nachfrage bei Gericht nachgegangen werden; anderenfalls ist er nicht entschuldigt (OLG Hamm, Beschluss v. 06.03.2006 - 4 Ss OWi 44/06 -).


Im vorliegenden Fall hätte der Betroffene durchaus Veranlassung gehabt, der Behauptung des Verteidigers, er brauche nicht zum Termin zu erscheinen, da sein persönliches Erscheinen nicht angeordnet worden sei, nachzugehen. Immerhin war er durch Zustellungsurkunde vom 26.02.2010 persönlich zu dem Hauptverhandlungstermin am 01.04.2010 geladen worden. Da er nach Angaben der Rechtsbeschwerde von seinem Verteidiger bereits mit Schriftsatz vom 01.03.2010 über das angebliche Nichtbestehen der Erscheinenspflicht unterrichtet worden ist, hat er auch noch genügend Zeit gehabt, bis zum Hauptverhandlungstermin am 01.04.2010 eine entsprechende Erkundigung bei dem Amtsgericht Bielefeld einzuholen.

Eine Gehörsverletzung dürfte vorliegend jedoch darin bestehen, dass dem Terminsverlegungsantrag des Verteidigers nicht stattgegeben worden und der Betroffene deshalb der Hauptverhandlung fern geblieben ist. Die Ablehnung einer Terminsverlegung führt zu einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, wenn sie auf sachfremden und nicht mehr nachvollziehbaren Gründen beruht und dem Betroffenen dadurch der erste Zugang zum Gericht genommen wird (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss v. 28.03.2007 - 4 Ss OWi 233/07 - m. w. N.). Allein der bloße Hinweis, eine Terminsverlegung könne aus dienstlichen Gründen nicht erfolgen, stellt keine nachvollziehbare Begründung dar (zu vgl. OLG Hamm, a. a. 0.). Auch die angespannte Lage des Dezernates dürfte keinen objektiv sachlichen und die berechtigten Interessen der Prozessbeteiligten verdrängenden Grund für die Ablehnung einer Terminsverlegung darstellen, - zumal es sich um eine erstmalig beantragte Terminsverlegung bei nachvollziehbar dargelegter Verhinderung des Verteidigers und seiner Partner handelte, die Sache nicht umfangreich war und frühere Termine nicht stattgefunden hatten.

Für den Betroffenen war es nicht zumutbar, sich auf eine Hauptverhandlung ohne seinen Verteidiger einzulassen. Zwar gewährleistet Art. 103 Abs. 1 GG nicht den Beistand durch einen bestimmten Verteidiger (zu vgl. Göhler, a. a. 0., § 80 Rdn. 16 a m. w. N.). Zudem hat ein Betroffener gern. § 228 Abs. 2 StPO i. V. m. § 71 Abs. 1 OWiG keinen Anspruch darauf, im Falle der Verhinderung des Verteidigers die _ Aussetzung der Verhandlung zu verlangen. Andererseits kann sich ein Betroffener gern. § 137 Abs. 1 S. 1 StPO i. V. m. § 46 Abs. 1 OWiG in jeder Lage des Verfahrens des Beistandes durch einen Verteidiger bedienen. Das Interesse des Betroffenen an seiner Verteidigung einerseits und das Interesse der Justiz an einer möglichst reibungslosen Durchführung des Verfahrens andererseits sind gegeneinander abzuwägen, wobei dem Verteidigungsinteresse im Zweifel Vorrang gebührt (zu vgl. Göhler, a. a. 0., § 71 Rdn. 30 m. w. N.). Letzteres gilt insbesondere dann, wenn der Betroffene, wie hier, ein Beweisverwertungsverbot geltend macht und die im Verurteilungsfalle zu erwartenden Rechtsfolgen - hier: Verhängung eines Fahrverbots - einschneidend sind.

Der Betroffene war daher nach allem als entschuldigt anzusehen. Die Einspruchsverwerfung war mithin rechtsfehlerhaft."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an.



Der dargestellte Rechtsfehler führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung an das Amtsgericht Bielefeld, das auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu befinden haben wird.

Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat bereits jetzt im Hinblick auf das vom Verteidiger vorgebrachte Beweiserhebungs- und Verwertungsverbot auf seine bisherige ständige Rechtsprechung, nach der § 100 h StGB in Verbindung mit § 46 OWiG eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage für die Geschwindigkeitsmessung darstellt und die Entscheidung des BVerfG vom 5. Juli 2010 -- 2 BvR 759/10 - hin.

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