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Landgericht Hamburg Urteil vom 30.08.2018 - 323 O 79/18 - Kollision eines die Fahrbahn benutzenden Radfahrers mit einem geparkten Kfz

LG Hamburg v. 30.08.2018: Kollision eines verbotswidrig die Fahrbahn benutzenden Radfahrers mit einem geparkten Kraftfahrzeug


Das Landgericht Hamburg (Urteil vom 30.08.2018 - 323 O 79/18) hat entschieden:

  1.  Die Radwegbenutzungspflicht des § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO dient allgemein der Entmischung des Rad- und des Kraftfahrzeugverkehrs, um Unfälle zu vermeiden. Von seinem Schutzbereich her erfasst diese Vorschrift nicht nur den Kraftfahrzeugverkehr auf der Straße, sondern auch den ruhenden Verkehr entlang der Fahrbahn in Gestalt der in erlaubter Weise dort geparkten Fahrzeuge.

  2.  Kollidiert ein die Straße verbotswidrig benutzender Radfahrer aus gleich welchen Umständen mit einem im parallel zur Fahrbahn verlaufenden Parkstreifen abgestellten Kraftfahrzeug, haftet er für den dabei eintretenden Schaden allein. Eine Betriebsgefahr geht von dem Kraftfahrzeug jedenfalls dann nicht aus, wenn es so abgestellt war, dass es den Verkehrsraum weder eingeschränkt noch in sonstiger Weise beeinträchtigt hat.


Siehe auch
Radweg und Radwegbenutzungspflicht
und
Radfahrer-Unfälle - Verkehrsunfall mit Fahrradbeteiligung


Tatbestand:


Der Kläger verlangt materiellen Schadenersatz aus einem Verkehrsunfall.

Am 30.10.2017 befuhr der Beklagte gegen 19.45 Uhr mit seinem Fahrrad die B. Straße stadteinwärts, wobei er auf der Fahrbahn fuhr, obwohl in diesem Bereich durch das Verkehrszeichen 237 eine Radwegbenutzungspflicht angeordnet ist. Der Radweg befindet sich direkt neben dem Gehweg und ist von der Fahrbahn zunächst durch einen weiteren Teil des Gehweges, auf dem vereinzelt Bäume und Laternenpfeiler stehen, und im Übrigen durch einen am Straßenrand eingerichteten Parkstreifen abgetrennt, auf dem Fahrzeuge parallel zur Fahrbahn abgestellt werden können. In Höhe der Hausnummer 50 stürzte der Beklagte während der Fahrt, wobei sein Fahrrad gegen den im fraglichen Parkstreifen geparkten Pkw Toyota des Klägers (amtliches Kennzeichen: HH-US 478) schleuderte und diesen beschädigte.

Der Kläger erklärt sich zu den vom Beklagten vorgetragenen Umständen zur Ursache seines Sturzes mit Nichtwissen und verlangt den vollständigen Ausgleich der ihm unfallbedingt entstandenen Schäden. Insoweit macht er zum einen den gemäß Reparaturkalkulation der Dello GmbH vom 20.11.2017 (Anlage K 2) ermittelten Fahrzeugschaden in Höhe von 5.334,56 EUR netto nebst einer Unkostenpauschale von 20,00 EUR und zum anderen die vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten geltend.




Der Kläger beantragt,

  1.  den Beklagten zu verurteilen, an ihn 5.354,56 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.12.2017 zu zahlen,

  2.  den Beklagten zu verurteilen, an ihn weitere 571,44 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Er ist der Meinung, er sei für den fraglichen Schaden nicht einstandspflichtig, weil ihn kein Verschulden an dem Unfall treffe. Dazu behauptet der Beklagte:

Er sei mit eingeschaltetem Licht und dem gebotenen Seitenabstand zu den rechtsseitig geparkten Fahrzeugen gefahren, als ein von hinten herangekommener Lkw ihn beim Vorbeifahren touchiert und abgedrängt habe, so dass er die Kontrolle über sein Fahrrad verloren habe und gegen den Wagen des Klägers geprallt sei.

Der Umstand, dass er auf der Fahrbahn und nicht auf dem Radweg gefahren sei, hänge damit zusammen, dass letzterer stellenweise mit Zweigen und Geäst bedeckt gewesen sei, so dass er aus Sicherheitsgründen ausgewichen sei. Im Übrigen diene die Radwegbenutzungspflicht nicht dem Schutz der am Straßenrand geparkten Fahrzeuge vor Sachbeschädigungen.

Ferner bestreitet der Beklagte teilweise auch die Höhe des geltend gemachten Schadens.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Kammer hat die den Unfall betreffende Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Hamburg (Az.: 84 UJs 11756/17) beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.



Entscheidungsgründe:


Die zulässige Klage ist begründet. Dem Kläger steht gegen den Beklagten in der Hauptsache ein Zahlungsanspruch in Höhe von 5.354,56 EUR zu.

I.

1.) Der Beklagte ist dem Kläger nach § 823 I BGB i.V.m. § 249 II 1 BGB zum Schadenersatz verpflichtet.

Dabei bedarf es keiner Aufklärung der näheren Umstände des in Rede stehenden Verkehrsunfalls, denn die vom Beklagten behauptete Hergangsschilderung entlastet ihn nicht.

Indem der Beklagte mit seinem Fahrrad die Fahrbahn der B. Straße benutzt hat, obwohl durch das Verkehrszeichen 237 (Anlage 2 zu § 35 a StVO) eine Radwegbenutzungspflicht angeordnet war, hat er gegen die Vorschrift des § 2 IV 2 StVO verstoßen. Der Verweis auf einen schlechten Zustand des Radweges im fraglichen Bereich bleibt ohne Erfolg. Das im Rahmen der mündlichen Verhandlung eingesehene und erörterte Foto auf Bl. 12 oben der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Hamburg bildet den Radweg im Bereich der Unfallstelle sowie davor und dahinter ab (der silberne Pkw des Klägers ist links neben dem Baum zu erkennen) und zeigt letzteren in einem tadellosen und frei befahren Zustand. Entgegen dem Vorbringen des Beklagten sind weder Zweige noch Geäst, sondern allenfalls vereinzelte Laubblätter zu erkennen.

Dieser schuldhafte Verkehrsverstoß des Beklagten hat sich vorliegend ausgewirkt, denn wenn er nicht auf der Fahrbahn, sondern auf dem davon räumlich deutlich getrennten Radweg gefahren wäre, wäre er nicht – wie von ihm behauptet – von dem Lkw touchiert und abgedrängt worden.

Die Rechtsansicht des Beklagten, der Schutzbereich der Norm des § 2 IV 2 StVO sei vorliegend nicht tangiert, überzeugt nicht. Die betreffende Vorschrift dient allgemein der Entmischung des Rad- und des Kraftfahrzeugverkehrs (OLG Hamm, NZV 1995, 26, 27), um Unfälle zu vermeiden. Dabei ergibt sich bei einer gemeinsamen Nutzung der Fahrbahn einer Straße durch Rad- und Kraftfahrer vor allem bei Überholmanövern ein besonderes Gefahrenpotential, das durch die räumliche Trennung beider Verkehrsarten beseitigt bzw. zumindest deutlich reduziert werden soll. Das ist zweifelsohne auch der Hintergrund der vorliegenden Anordnung der Radwegbenutzungspflicht, weil Pkw- und Lkw-Fahrer angesichts der konkreten Ausgestaltung der B. Straße im fraglichen Bereich (vgl. dazu die Fotos auf Bl. 7 der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Hamburg) nur wenig Platz auf dem eigenen Fahrstreifen haben, um Radfahrer zu passieren, die ebenfalls die Fahrbahn benutzen. Bei dadurch bedingten Kollisionen wird zum einen der Gegenverkehr gefährdet, zum anderen aber insbesondere auch der ruhende Verkehr in Gestalt der in erlaubter Weise am Fahrbahnrand geparkten Fahrzeuge. Diese Verkehrsteilnehmer sind damit ebenfalls in den Schutzbereich der Vorschrift des § 2 IV 2 StVO einbezogen.

Bei dieser Sachlage ist der Beklagte dem Grunde nach vollen Umfangs für die dem Kläger unfallbedingt entstandenen Schäden einstandspflichtig. Eine Betriebsgefahr ist von dem Fahrzeug des Klägers im Zeitpunkte des Unfalls nicht ausgegangen, da dieses ordnungsgemäß im dafür vorgesehenen Parkstreifen abgestellt war, ohne den Verkehrsraum einzuengen oder in sonstiger Weise zu beeinträchtigen.

2.) Der Schaden des Klägers beläuft sich in der Hauptsache auf 5.354,56 EUR.



Die Kalkulation der Dello GmbH vom 20.11.2017 (Anlage K 2) weist Reparaturkosten von 5.334,56 EUR netto aus, was schlüssig erscheint. Die Einwendungen des Beklagten gegen diese Schadensschätzung bleiben ohne Erfolg. Wie in der mündlichen Verhandlung erörtert, sind in der fraglichen Kalkulation die vom Beklagten angeführten Positionen „Verbringungskosten“ und „Aufschlag von 25 % auf die unverbindliche Herstellerempfehlung“ nicht mit aufgeführt worden. Unabhängig davon sind sogenannte Verbringungskosten, also Kosten für den Transport des Fahrzeugs von der Werkstatt zur Lackiererei, sowie – von Ausnahmefällen abgesehen – UPE-Aufschläge, also Aufschläge auf die unverbindlichen Preisempfehlungen der Hersteller, auch im Rahmen einer fiktiven Abrechnung erstattungsfähig.

Die ebenfalls ersatzfähige Unkostenpauschale ist, wie beantragt, mit 20,00 EUR zu veranschlagen.

3.) Der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten folgt ebenfalls aus § 823 I BGB i.V.m. § 249 II 1 BGB, während sich der Anspruch auf Verzinsung aus den §§ 286 I, 288 I, 291 S. 1 BGB ergibt.

II.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits beruht auf § 91 I ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.

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