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Oberlandesgericht Bamberg Beschluss vom 23.10.2018 - 2 Ss OWi 1379/18 - Trunkenheitsfahrt und Vorsatz

OLG Bamberg v. 23.10.2018: Trunkenheitsfahrt - Keine vorsätzliche Tatbegehung bei Fluchtversuch vor drohender Polizeikontrolle


Das Oberlandesgericht Bamberg (Beschluss vom 23.10.2018 - 2 Ss OWi 1379/18) hat entschieden:

   OLG Bamberg v. 23.10.2018
Die Annahme einer vorsätzlichen Tatbegehung nach § 24a Abs. 1 StVG setzt eine umfassende Gesamtwürdigung aller indiziell relevanten Umstände des Einzelfalles voraus. Zwar kann insoweit auch ein bestimmtes Nachtatverhalten von Bedeutung sein, jedoch darf allein aus einem selbst mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit unternommenen Versuch, sich einer drohenden Polizeikontrolle zu entziehen, noch nicht auf ein (bedingt) vorsätzliches Handeln des Betroffenen geschlossen werden.


Siehe auch
Schuldform - Vorsatz und Fahrlässigkeit bei Alkoholtaten
und
Stichwörter zum Thema Alkohol


Gründe:


I.

Das Amtsgericht hat den bislang verkehrsrechtlich nicht in Erscheinung getretenen Betroffenen am 23.04.2018 wegen vorsätzlichen Führens eines Kraftfahrzeuges im Straßenverkehr mit einer Alkoholmenge im Körper, die zu einer Atemalkoholkonzentration (AAK) von mehr als 0,25 mg/l geführt hat, zu einer Geldbuße von 1.000 EUR verurteilt und gegen ihn ein mit der Vollstreckungserleichterung des § 25 Abs. 2a StVG versehenes einmonatiges Fahrverbot verhängt. Der in der Hauptverhandlung abwesende, aber von seinem Verteidiger vertretene Betroffene hatte die Fahrereigenschaft eingeräumt, darüber hinaus jedoch keine Angaben zur Sache gemacht. Nach den Feststellungen im angefochtenen Urteil fuhr der Betroffene am 02.04.2017 um 00.15 Uhr einen Pkw auf der Hauptstraße in H., obwohl er vor Fahrtantritt, wie er wusste, Alkohol konsumiert hatte. Eine um 1.02 Uhr durchgeführte Messung erbrachte eine AAK von 0,542 mg/l, die um 1.04 Uhr durchgeführte zweite Messung eine solche von 0,496 mg/l; aus den beiden Messwerten hat das gültig geeichte sowie entsprechend der Bedienungsanleitung verwendete Messgerät Dräger Alcotest 7110 Evidential einen Mittelwert von 0,51 mg/l ermittelt. Das Amtsgericht ist davon ausgegangen, dass der Betroffene mit einer AAK in der gemessenen Höhe gerechnet und sie billigend in Kauf genommen, mithin vorsätzlich gehandelt hat, und begründet dies mit folgenden Erwägungen:

   „Dies ergibt sich aus den Feststellungen des Gerichts zum Tatgeschehen, die auf den Angaben des Zeugen L. beruhen: Seiner Aussage zufolge wollte der Zeuge L., der mit einem Kollegen am Tattag zur Tatzeit Streife fuhr, eine allgemeine Verkehrskontrolle des Betroffenen durchführen und den Betroffenen zu diesem Zweck anhalten. Der Betroffene fuhr mit seinem Pkw aus dem Parkplatz des Fitnessstudios ‚X., wo eine Party stattgefunden habe, auf die T.-Straße heraus und kam dem Streifenwagen entgegen. Der Zeuge L., der den Streifenwagen lenkte, wendete daraufhin und aktivierte am Streifenwagen das Anhaltesignal ‚Stopp Polizei‘, verbunden mit einem Blitzlicht. Der Betroffene beschleunigte sofort. Der Zeuge L. schaltete das Blaulicht ein und folgte dem Fahrzeug des Betroffenen. Der Betroffene machte auch hierauf keine Anstalten, anzuhalten, woraufhin der Polizeibeamte zusätzlich das Martinshorn aktivierte. Der Betroffene fuhr über die Kreisstraße aus dem Ortsgebiet heraus, um dann nach links in die C.-Straße wieder nach H. hineinzufahren. Dort bremste er auf Höhe der Hauptstraße xx abrupt ab und der Zeuge L. konnte sich mit dem Streifenwagen so neben ihn stellen, dass dem Betroffenen der Weg abgeschnitten und keine Weiterfahrt mehr möglich war.

Der Zeuge L. gab an, die Strecke zwischen dem ersten Anhalteversuch und der Anhaltung um 0:15 Uhr habe ca. 2 km betragen. Der Betroffene sei mit einer Höchstgeschwindigkeit von ca. 90 km/h innerorts gefahren. Er habe bei der Kontrolle bemerkt, dass die Aussprache des Betroffenen verwaschen gewesen sei. Vor dem Hintergrund des vom Zeugen L. geschilderten Verhaltens des Betroffenen, als er bemerkte, dass die Polizei ihn anhalten wollte, hat das Gericht keinen Zweifel daran, dass dem Betroffenen bewusst war, dass er eine für das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit nach § 24a StVG relevante Atemalkoholkonzentration aufwies und deshalb im Falle einer Kontrolle der Verkehrstüchtigkeit mit verkehrsrechtlichen Konsequenzen würde rechnen müssen. Dabei war dem Berufskraftfahrer auch bewusst, dass ihm neben einem Bußgeld ein Fahrverbot drohen würde. Diese Befürchtung war der Grund, warum er sich durch eine riskante Flucht mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit über eine Strecke von 2 km der Kontrolle entzog.“

Mit seiner gegen diese Verurteilung gerichteten Rechtsbeschwerde rügt der Betroffene die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 28.09.2018 beantragt, die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts vom 23.04.2018 durch Beschluss nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet zu verwerfen.


II.

Die Nachprüfung des Urteils aufgrund der nach § 79 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 OWiG statthaften und auch im Übrigen zulässigen Rechtsbeschwerde hat mit Ausnahme der im Urteil festgestellten Schuldform und der Höhe der gegen den Betroffenen festgesetzten Geldbuße keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 Satz 1 OWiG). Der Senat nimmt insoweit zur näheren Begründung auf die diesbezüglich zutreffenden Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift vom 28.09.2018 Bezug.

1. Soweit das Amtsgericht allerdings von einer (bedingt) vorsätzlichen Verwirklichung des Verstoßes gegen § 24a Abs. 1 StVG ausgeht und dies allein mit dem Versuch des Betroffenen begründet, sich der Polizeikontrolle zu entziehen, kann der Schuldspruch des angefochtenen Urteils keinen Bestand haben.

a) Zutreffend hat das Amtsgericht zwar erkannt, dass Bezugspunkt der Schuld bei § 24a Abs. 1 StVG das bloße Erreichen der darin genannten Grenzwerte ist und Vorsatz voraussetzt, dass der Betroffene zumindest mit einer Atem- bzw. Blutalkoholkonzentration in der in § 24a Abs. 1 StVG genannten Höhe rechnet und diese, für den Fall, dass sie vorliegt, billigend in Kauf nimmt (OLG Zweibrücken, Beschl. v. 04.01.1989 - 1 Ss 275/88 = VRS 76 [1989], 453 = DAR 1989, 310; Hentschel/König/Dauer Straßenverkehrsrecht 44. Aufl. § 24a Rn. 25, 25a und 26). Auch ist das Amtsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass allein aus der Höhe der festgestellten AAK nicht auf Vorsatz geschlossen werden kann; insoweit gelten dieselben Grundsätze wie für eine Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen § 316 StGB (Burhoff [Hrsg.]/Burhoff, Handbuch für das straßenverkehrsrechtliche OWi-Verfahren 5. Aufl. Rn. 3595 f. unter Hinweis insbesondere auf BGHSt 60, 227 sowie die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte; vgl. zuletzt etwa OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.06.2018 - 1 RVs 18/17 = ZfSch 2017, 590 = BA 54 [2017], 382 = StV 2018, 445). Danach hat die Vorsatzbeurteilung, wenn es an einem Geständnis fehlt, auf der Grundlage einer Feststellung und Gesamtwürdigung aller indiziell relevanten objektiven und subjektiven Umstände des Einzelfalles, insbesondere der Täterpersönlichkeit, des Trinkverlaufs wie auch dessen Zusammenhang mit dem Fahrtantritt sowie des Verhaltens des Täters vor, während und nach der Fahrt zu erfolgen. Von Bedeutung können hier etwa einschlägige Vorverurteilungen sein, desgleichen dem Täter bewusst gewordene Ausfallerscheinungen während der Fahrt bzw. grobe Fahrfehler, die Flucht vor einer Polizeikontrolle sowie Verschleierungsversuche wie beispielsweise das Nutzen von „Schleichwegen“ (Freymann/Wellner/Görlinger jurisPK-Straßenverkehrsrecht [2016] § 316 StGB Rn. 49; König a.a.O. Rn. 26 mit krit. Hinweis auf OLG Celle NZV 1997, 320; umfassend zu möglichen Beweisanzeichen und deren Gewichtung LK/König StGB 12. Aufl. § 316 Rn. 190 ff.; Hentschel DAR 1993, 449 ff.; vgl. auch OLG Hamm ZfSch 1999, 217; BA 37 [2000], 116; BA 41 [2004], 538).

b) Soweit jedoch das Amtsgericht die Annahme vorsätzlicher Tatbegehung allein darauf gestützt hat, dass sich der Betroffene bei zunächst unauffälligem Fahrverhalten innerorts auf einer Strecke von etwa 2 km zwischen dem ersten polizeilichen Anhalteversuch und der letztendlich erfolgreichen Anhaltung mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit der polizeilichen Kontrolle zu entziehen versuchte, tragen diese Feststellungen nicht hinreichend den vom Amtsgericht gezogenen Schluss, dass der Betroffene zumindest billigend in Kauf genommen hat, dass er nach dem Alkoholkonsum den in § 24a Abs. 1 StVG genannten Grenzwert überschreiten würde, und daher eine mögliche Überprüfung der Blut- oder Atemalkoholkonzentration im Rahmen einer polizeilichen Kontrolle gefürchtet hat. Denn auch in Fällen bewusster Fahrlässigkeit hat der Täter die Möglichkeit der Überschreitung des gesetzlichen Grenzwertes erkannt, aber zu Unrecht darauf vertraut, einen solchen Zustand noch nicht erreicht zu haben. Dass ihm bei einer unmittelbar bevorstehenden polizeilichen Verkehrskontrolle insoweit erneut Zweifel kommen, die ihn zu einem Fluchtversuch veranlassen, erscheint jedenfalls nicht fernliegend (Hentschel a.a.O. S. 452). Mag ein solches Verhalten damit auch von schlechtem Gewissen zeugen und dahinter die Befürchtung stehen, den gesetzlichen Grenzwert überschritten zu haben, so genügt dies aber für die Annahme von Vorsatz bei Fahrtantritt oder während der Fahrt in der Regel noch nicht. Der von dem Amtsgericht festgestellte Fluchtversuch lässt damit für sich allein noch keinen tragfähigen Rückschluss auf den Vorsatz des Betroffenen zu.

c) Dass noch weitere erhebliche Feststellungen zur subjektiven Tatseite getroffen werden können, welche die Annahme einer vorsätzlichen Begehungsweise hinreichend rechtfertigen könnten, ist nicht ersichtlich. Insbesondere bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der Betroffene in einer neuen Hauptverhandlung dazu erstmals (für ihn rechtlich nachteilige) Angaben machen könnte. Der Senat kann daher in der Sache - wie aus Ziffer I. des Beschlusstenors ersichtlich - selbst entscheiden, sodass es einer Zurückverweisung an das Amtsgericht nicht mehr bedarf (§ 79 Abs. 6 OWiG).

2. Auch wegen des Rechtsfolgenausspruchs ist eine Zurückverweisung an das Amtsgericht entbehrlich. Hinsichtlich der Höhe der festzusetzenden Geldbuße für die nunmehr (nur noch) fahrlässige Verwirklichung des Bußgeldtatbestandes des § 24a Abs. 1 StVG rechtfertigen die im Übrigen rechtsfehlerfreien Zumessungserwägungen des Amtsgerichts neben dem verwirkten einmonatigen und überdies mit der Vollstreckungserleichterung des § 25 Abs. 2a StVG versehenen Regelfahrverbot entsprechend dem Bußgeldbescheid vom 09.12.2014 ohne Weiteres die Verhängung der gemäß §§ 1Abs. 1 Satz 1, Abs. 2, 3 Abs. 1 BKatV i.V.m. Nr. 241 BKat vorgesehenen Regelgeldbuße von 500 EUR. Anhaltspunkte für die Annahme, der Zweck des Fahrverbotes könne allein mit einer erhöhten Geldbuße erreicht werden, sind nicht ersichtlich.

III.

Die Kosten- und Auslagenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 u. 4 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG.

Gemäß § 80a Abs. 1 OWiG entscheidet der Einzelrichter.

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