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Kammergericht Berlin Beschluss vom 12.07.2017 - 3 Ws (B) 166/17 - 162 Ss 95/17 - Messgerät Leivtec - PTB-Zulassung

KG Berlin v. 12.07.2017: Messgerät Leivtec - PTB-Zulassung und standardisiertes Messverfahren


Das Kammergericht Berlin (Beschluss vom 12.07.2017 - 3 Ws (B) 166/17 - 162 Ss 95/17) hat entschieden:

  1.  In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass es sich bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem hier verwendeten Messgerät LEIVTEC XV 3 um ein standardisiertes Messverfahren handelt (vgl. OLG Celle VRS 125, 178; Senat, Beschlüsse vom 4. Juli 2017 – 3 Ws (B) 134/17 –; 14. Juni 2017 – 3 Ws (B) 138/17 –; 1. Februar 2017 – 3 Ws (B) 7/17 –; 25. Januar 2017 – 3 Ws (B) 680/16 –; 30. November 2016 – 3 Ws (B) 592/16 – und 16. April 2015 – 3 Ws (B) 182/15 –).

  2.  Die Einstufung als standardisiertes Messverfahren hat zur Folge, dass sich das Tatgericht auf die Mitteilung des verwendeten Messverfahrens, welches Gegenstand der Verurteilung ist, der gefahrenen Geschwindigkeit und der gewährten Toleranz beschränken kann. Dies gilt nur dann nicht, wenn es – was vorliegend nicht der Fall ist – konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Gebrauchsanweisung für das Messgerät nicht eingehalten worden ist oder wenn Messfehler konkret behauptet werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 25. Januar 2017 – 3 Ws (B) 680/16 –; 30. November 2016 – 3 Ws (B) 592/16 –; VRS 131, 148; 28. September 2015 – 3 Ws (B) 450/15 –; 16. April 2015 – 3 Ws (B) 182/15 – und 29. Mai 2012 – 3 Ws (B) 282/12 –).

  3.  Ist ein Messgerät von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt zugelassen und ist das Messgerät im Rahmen der Zulassungsvorgaben verwendet worden, ist das Tatgericht grundsätzlich von weiteren technischen Prüfungen, insbesondere zur Funktionsweise des Messgerätes, enthoben. Die Zulassung ersetzt diese Prüfung. Damit soll erreicht werden, dass bei den Massenverfahren im Bußgeldbereich nicht jedes Amtsgericht bei jedem einzelnen Verfahren die technische Richtigkeit der Messung jeweils neu überprüfen muss (vgl. OLG Schleswig SchlHA 2017, 104).

  4.  Soweit der Betroffene rügt, er sei von der ausgeurteilten Höhe der Geldbuße – im Vergleich zu der im Bußgeldbescheid festgesetzten Höhe – „völlig überrascht“ worden, weil ein rechtlicher Hinweis auf die Möglichkeit der Erhöhung der Geldbuße im gerichtlichen Verfahren zuvor nicht ergangen sei, so hätte es im Rahmen der ordnungsgemäßen Erhebung der Verfahrensrüge der Darlegung bedurft, dass die mit dem Bußgeldbescheid übermittelte Rechtsbehelfsbelehrung keinen entsprechenden Hinweis enthielt (vgl. OLG Stuttgart VRR 2013, 473; Senat, Beschluss vom 3. März 2016 – 3 Ws (B) 108/16 –, juris und NZV 2015, 355).


Siehe auch
Das Messgerät Leivtec
und
Geschwindigkeitsverstöße - Nachweis - standardisierte Messverfahren


Gründe:


Der Senat merkt lediglich an:

Mit Blick auf die Höhe der Geldbuße kann die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG nur zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung oder nach § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zur Wahrung des rechtlichen Gehörs erfolgen. Keiner der Zulassungsgründe liegt hier vor.

1) Die vom Betroffenen erhobenen Verfahrensrügen führen nicht zum Erfolg, denn sie sind sämtlich nicht in der nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO (i.V.m. §§ 79 Abs. 3 Satz 1, 80 Abs. 3 Satz 1 und 3 OWiG) vorgeschriebenen Form begründet worden. Nach § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO ist eine Verfahrensrüge, zu der auch die Geltendmachung der Verletzung des rechtlichen Gehörs zählt, nur dann in zulässiger Weise erhoben, wenn der Beschwerdeführer die den Mangel enthaltenden Tatsachen angibt. Diese Angaben haben mit Bestimmtheit und so genau und vollständig (ohne Bezugnahmen und Verweisungen) zu erfolgen, dass das Rechtsbeschwerdegericht allein aufgrund der Begründungsschrift – ohne Rückgriff auf die Akte – im Sinne einer vorgezogenen Schlüssigkeitsprüfung erschöpfend prüfen kann, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, falls die behaupteten Tatsachen zutreffen (vgl. BGH, Beschluss vom 12. März 2013 – 2 StR 34/13 –, juris; Gericke in KK, StPO 7. Aufl., § 344 Rn. 38-​39 m.w.N.; Seitz/Bauer in Göhler, OWiG 17. Aufl., § 79 Rn. 27d).

a) Soweit der Betroffene rügt, er sei von der ausgeurteilten Höhe der Geldbuße – im Vergleich zu der im Bußgeldbescheid festgesetzten Höhe – „völlig überrascht“ worden, weil ein rechtlicher Hinweis auf die Möglichkeit der Erhöhung der Geldbuße im gerichtlichen Verfahren zuvor nicht ergangen sei, so hätte es im Rahmen der ordnungsgemäßen Erhebung der Verfahrensrüge der Darlegung bedurft, dass die mit dem Bußgeldbescheid übermittelte Rechtsbehelfsbelehrung keinen entsprechenden Hinweis enthielt (vgl. OLG Stuttgart VRR 2013, 473; Senat, Beschluss vom 3. März 2016 – 3 Ws (B) 108/16 –, juris und NZV 2015, 355). Das Rügevorbringen verhält sich indes hierzu nicht.

b) Der Betroffene dringt mit der Verfahrensrüge auch insoweit nicht durch, als er die Verletzung rechtlichen Gehörs infolge der Ablehnung eines Aussetzungsantrags wegen fehlender Akteneinsicht geltend macht. Die Verfahrensrüge ist auch insoweit unzulässig, weil der Betroffene bereits weder den Wortlaut des Aussetzungsantrags noch den Inhalt der ablehnenden gerichtlichen Entscheidung mitteilt.

c) Soweit der Betroffene bei sachgerechter Auslegung seines Begehrens im Rahmen der Verfahrensrüge ein Beweisverwertungsverbot geltend macht, indem er vorträgt, das Amtsgericht habe trotz Widerspruchs seine Entscheidung auf die Angaben des Polizeibeamten P… gestützt, so ist die Verfahrensrüge auch insoweit unzulässig. Denn dem Vortrag ist nicht zu entnehmen, ob der Widerspruch gegen die Verwertung der Bekundungen des Zeugen rechtzeitig, d.h. spätestens bis zu dem in § 257 StPO genannten Zeitpunkt im Anschluss an die Vernehmung der Vernehmungsperson, erfolgt ist (vgl. BGH NStZ 2016, 721 m.w.N.; Cirener NStZ-​RR 2017, 101).

d) Die Rüge einer unzulässigen Beschränkung der Verteidigung gemäß § 338 Nr. 8 StPO (i.V.m. §§ 79 Abs. 3 Satz 1, 80 Abs. 3 Satz 1 und 3 OWiG) ist jedenfalls deshalb unzulässig, weil die Rechtsbeschwerdebegründung eine konkret-​kausale Beziehung zwischen dem behaupteten Verfahrensfehler (rechtswidrige Ablehnung eines Antrags auf Akteneinsicht) und einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt nicht dargetan hat. Es wäre ein substantiierter Vortrag erforderlich gewesen, welche Tatsachen sich aus welchen genau bezeichneten Stellen der Akten ergeben hätten und welche Konsequenzen für die Verteidigung daraus folgten (vgl. BGH NStZ 2010, 530; StV 2000, 248; OLG Braunschweig ZfSch 2014, 473; OLG Celle ZfSch 2013, 412; OLG Hamm NZV 2016, 291; Senat DAR 2013, 211). Soweit eine konkrete Benennung mangels Zugriffs auf die Unterlagen nicht möglich ist, muss sich der Verteidiger bis zum Ablauf der Frist zur Erhebung der Verfahrensrüge weiter um die Einsicht bemüht haben und die entsprechenden Anstrengungen gegenüber dem Rechtsbeschwerdegericht auch dartun (OLG Hamm a.a.O.). Letzteres hat er ebenfalls nicht getan. Sollte der Akteneinsichtsantrag erst nach Urteilerlass gestellt worden sein, worauf die (unklare) Beschwerdebegründung hindeutet, wäre die Verfahrensrüge zudem unbegründet. Denn es wäre ausgeschlossen, dass das zuvor ergangene Urteil auf einer rechtswidrigen Versagung der Akteneinsicht beruht.

2) Auch mit der Sachrüge dringt der Rechtsbeschwerdeführer nicht durch.

a) In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass es sich bei Geschwindigkeitsmessungen mit dem hier verwendeten Messgerät LEIVTEC XV 3 um ein standardisiertes Messverfahren handelt (vgl. OLG Celle VRS 125, 178; Senat, Beschlüsse vom 4. Juli 2017 – 3 Ws (B) 134/17 –; 14. Juni 2017 – 3 Ws (B) 138/17 –; 1. Februar 2017 – 3 Ws (B) 7/17 –; 25. Januar 2017 – 3 Ws (B) 680/16 –; 30. November 2016 – 3 Ws (B) 592/16 – und 16. April 2015 – 3 Ws (B) 182/15 –). Ist ein Messgerät von der Physikalisch-​Technischen Bundesanstalt zugelassen und ist das Messgerät im Rahmen der Zulassungsvorgaben verwendet worden, ist das Tatgericht grundsätzlich von weiteren technischen Prüfungen, insbesondere zur Funktionsweise des Messgerätes, enthoben. Die Zulassung ersetzt diese Prüfung. Damit soll erreicht werden, dass bei den Massenverfahren im Bußgeldbereich nicht jedes Amtsgericht bei jedem einzelnen Verfahren die technische Richtigkeit der Messung jeweils neu überprüfen muss (vgl. OLG Schleswig SchlHA 2017, 104). Die Überprüfung und Zulassung des Messgerätes durch die Physikalisch-​Technische Bundesanstalt bietet grundsätzlich eine ausreichende Gewähr dafür, dass die Messung bei Einhaltung der vorgeschriebenen Bedingungen für den Einsatz auch im Einzelfall ein fehlerfreies Ergebnis liefert (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13. Juli 2015 – IV-​1 RBs 200/14 –, juris und Beschluss vom 14. Juli 2014 – IV-​1 RBs 50/14 –, juris; OLG Frankfurt DAR 2015, 149).

Die Einstufung als standardisiertes Messverfahren hat zur Folge, dass sich das Tatgericht auf die Mitteilung des verwendeten Messverfahrens, welches Gegenstand der Verurteilung ist, der gefahrenen Geschwindigkeit und der gewährten Toleranz beschränken kann. Dies gilt nur dann nicht, wenn es – was vorliegend nicht der Fall ist – konkrete Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Gebrauchsanweisung für das Messgerät nicht eingehalten worden ist oder wenn Messfehler konkret behauptet werden (vgl. Senat, Beschlüsse vom 25. Januar 2017 – 3 Ws (B) 680/16 –; 30. November 2016 – 3 Ws (B) 592/16 –; VRS 131, 148; 28. September 2015 – 3 Ws (B) 450/15 –; 16. April 2015 – 3 Ws (B) 182/15 – und 29. Mai 2012 – 3 Ws (B) 282/12 –).

Diesem Maßstab hat das Amtsgericht entsprochen. Es hat das eingesetzte Messverfahren – hier: LEIVTEC XV 3 – und die gefahrene Geschwindigkeit abzüglich der bezifferten Toleranz – hier: 103 km/h statt der zulässigen Geschwindigkeit von 80 km/h – mitgeteilt (UA S. 2). Das Gericht ist im Ergebnis zutreffend von einem standardisierten Messverfahren ausgegangen.

b) Soweit der Rechtsmittelführer die Beweiswürdigung des Gerichts (insbesondere die Würdigung der Angaben des Zeugen P…) angreift, zeigt die Sachrüge keinen Rechtsfehler auf, der die Zulassung der Rechtsbeschwerde geböte. Abgesehen davon, dass es allein Sache des Tatrichters ist, das Ergebnis der Beweisaufnahme zu würdigen (vgl. BGHSt 41, 376), prüft das Rechtsbeschwerdegericht die Beweiswürdigung im Zulassungsverfahren grundsätzlich nicht auf Rechtsfehler, weil ein derartiger Verstoß regelmäßig nicht abstraktionsfähig, sondern auf den Einzelfall bezogen ist und folglich keinen Zulassungsgrund darstellen kann (ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. Beschlüsse vom 29. Juni 2017 – 3 Ws (B) 164/17 –; 16. Februar 2017 – 3 Ws (B) 48/17 –; 2. Februar 2017 – 3 Ws (B) 35/17 –; 17. Januar 2017 – 3 Ws (B) 16/17 –; 18. November 2016 – 3 Ws (B) 620/16 –; 31. Juli 2015 – 3 Ws (B) 379/15 – und 5. Juni 2014 – 3 Ws (B) 297/14 –).

c) Auch die fehlerhafte Bußgeldbemessung gebietet nicht die Zulassung der Rechtsbeschwerde. Zwar hat das Amtsgericht den Umstand, dass der Betroffene seine Fahrereigenschaft eingeräumt und damit ein Teilgeständnis abgelegt hat, in nicht nachvollziehbarer Weise ausdrücklich unberücksichtigt gelassen. Die damit verbundene sachlich-​rechtliche Fehlerhaftigkeit gibt dem Senat jedoch keine Veranlassung, zu den Anforderungen an die Bußgeldbemessung richtungsweisend Stellung zu nehmen. Denn dieser Fehler ist nicht abstraktionsfähig, sondern auf den Einzelfall bezogen. Die Voraussetzungen für die Zulassung zur Fortbildung des Rechts liegen nur dann vor, wenn der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen aufzustellen oder Gesetzeslücken rechtsschöpferisch zu schließen, was nur bei entscheidungserheblichen, klärungsbedürftigen und abstraktionsfähigen Rechtsfragen in Betracht kommt. Denn der Sinn der Zulassung der Rechtsbeschwerde ist nicht die Herstellung der rechtlich richtigen Entscheidung in dem jeweiligen Einzelfall (vgl. OLG Bamberg DAR 2011, 212; OLG Köln NStZ-​RR 2010, 88; Senat VRR 2012, 115). Selbst offensichtliche und eindeutige Fehler im Einzelfall können die Zulassung nicht ohne weiteres begründen (vgl. Senat, Beschluss vom 18. November 2016 – 3 Ws (B) 620/16 –). Auch die Einheitlichkeit der Rechtsprechung ist bei einer Fehlentscheidung im Einzelfall grundsätzlich noch nicht gefährdet, selbst wenn der Rechtsfehler offensichtlich ist. Anhaltspunkte dafür, dass das Amtsgericht bewusst von einer höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewichen ist und dass Wiederholungsgefahr besteht (vgl. Seitz/Bauer in Göhler a.a.O., § 80 Rn. 5), sind nicht ersichtlich.

Einer weiteren Begründung bedarf der Beschluss nicht (§ 80 Abs. 4 Satz 3 OWiG).

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