Das Verkehrslexikon

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Oberlandesgericht Celle Urteil vom 19.02.2020 - 14 U 69/19 - Verantwortlichkeit von Kindern für Schäden im Straßenverkehr

OLG Celle v. 19.02.2020: Haftung eines achtjährigen Kindes, das aufgrund längerer Unaufmerksamkeit mit dem Fahrrad die Spur verliert und eine stehende Fußgängerin anfährt




Das Oberlandesgericht Celle (Urteil vom 19.02.2020 - 14 U 69/19) hat entschieden:

   Einem altersgerecht entwickeltem achtjährigem Kind, das bereits seit seinem fünften Lebensjahr im Straßenverkehr Fahrrad fährt, muss bewusst sein, dass eine länger andauernde Vorwärtsfahrt mit dem Fahrrad, während der Kopf rückwärtsgewandt und damit das Blickfeld vom Fahrweg abgewandt ist, gefahrenträchtig ist.

Siehe auch
Unfälle mit minderjährigen Radfahrern
und
Zum Haftungsprivileg für Kinder und die Haftung von Jugendlichen für ihr Handeln

Gründe:


I.

Die Klägerin und Berufungsklägerin (im Folgenden: Klägerin) verlangt von der minderjährigen Beklagten und Berufungsbeklagten zu 1) und ihren Eltern, den Beklagten und Berufungsbeklagten zu 2) und 3) (im Folgenden: Beklagte zu 1), 2), 3)), Schadensatz, Schmerzensgeld und die Feststellung der Einstandspflicht für künftige Schäden aus einem Unfallgeschehen vom 4. Oktober 2016 am Gardasee in Italien.

Die Klägerin war am Unfalltag als Fußgängerin auf der Promenade des Gardasees in R./Italien mit ihrer Freundin, der Zeugin W., unterwegs. Die 2008 geborene, am Unfalltag achtjährige Beklagte zu 1) fuhr mit ihrem Fahrrad in entgegengesetzter Richtung auf der Promenade. Während der Vorwärtsfahrt drehte sich die Beklagte zu 1) eine Zeitlang zu ihren Eltern, den Beklagten zu 2) und 3) um, die einige Meter hinter ihr in Sicht- und Rufweite folgten und dabei ihre mitgeführten Fahrräder schoben. Dabei verlor sie unbemerkt ihre Fahrspur und näherte sich der an der Uferpromenade stehenden Klägerin und ihrer Freundin, der Zeugin W. Als die Eltern den Kursverlust ihrer Tochter bemerkten, versuchte die Beklagte zu 2) noch, ihre Tochter zu warnen, die eine Vollbremsung einleitete. Die Klägerin geriet indes ins Straucheln, verlor das Gleichgewicht und stürzte von der Uferpromenade auf einen ca. einen Meter darunterliegenden Betonsteg und von dort aus ins Hafenbecken. Die Zeugin W., die unmittelbar vor dem Unfall etwas schräg versetzt vor der Klägerin stand, konnte noch seitlich ausweichen.

Die Klägerin erlitt bei ihrem Sturz eine Sprunggelenkfraktur links mit Syndesmosensprengung, eine Delta-Band-Ruptur, eine Kapselruptur und ausgeprägte Hämatombildung medial/lateral sowie einen Ausriss der Peronealsehnenscheide und Hautabschürfungen am Fußrücken. Mit einem Rettungswagen wurde die Klägerin zunächst in ein Krankenhaus in Italien gebracht, sie entschied sich jedoch zu einer Operation in M. Vom 5. bis 13. Oktober 2016 befand sich die Klägerin in stationärer Behandlung in der S. Klinik in M. Es folgten Nachsorgetermine bei ihrem Hausarzt, Krankengymnastik und eine weitere Operation in der S. Klinik in M., bei der die eingesetzten Schrauben entfernt wurden.

Die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, die Beklagte zu 1) sei mit ihrem Kinderrad zunächst „sehr zügig“ in der Mitte der Promenade gefahren. Plötzlich habe ihre Freundin, die Zeugin W., einen Sprung nach links gemacht, sie habe jedoch nicht mehr reagieren können und sei von der Beklagten zu 1) angefahren worden. Durch die Berührung mit dem Lenker der Beklagten zu 1) habe sie ihr Gleichgewicht verloren und sei gestürzt.

Sie habe bei dem Unfall Schäden in Höhe von insgesamt 3.021,27 € erlitten. Ihr Mobiltelefon im Wert von 1.021,00 € sei zerstört worden. Für Medikamente habe sie Zuzahlungen in Höhe von 142,43 €, für die Klinik in Höhe von 174,50 € geleistet. Sie habe Fahrtkosten für die Fahrt zur Klinik und diversen Ärzten in Höhe von 722,34 € (2.407,8 km x 0,30 €) verauslagt sowie Stornokosten in Höhe von 520,00 € für ein Ferienhaus in Frankreich gezahlt. Das Ferienhaus habe sie unmittelbar im Anschluss an den Aufenthalt am Gardasee besuchen wollen und habe es in Folge des Unfalls stornieren müssen. Ferner habe sie Attestkosten in Höhe von 5,00 € sowie eine Rechnung der „A. Provinciale“ für die Erstbehandlungskosten im italienischen Krankenhaus in Höhe von 436,00 € beglichen.




Die Klägerin hat zudem ein Schmerzensgeld von 10.000 € für angemessen gehalten. Das Feststellungsinteresse habe auf der Gefahr einer vorzeitigen Arthrose beruht.

Sie hat gemeint, die Beklagte zu 2) und 3) hafteten gegenüber der Klägerin, weil sie ihre Aufsichtspflicht in Bezug auf ihre minderjährige Tochter, der Beklagten zu 1), verletzt hätten.

Die Klägerin hat beantragt,

   die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilten, an die Klägerin 3.021,27 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin sämtliche künftigen immateriellen sowie alle künftigen materiellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus dem Vorfall vom 4.10.2016 in R./Italien entstanden sind, bzw. noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind bzw. übergehen werden;

die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an die Klägerin außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.029,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben erstinstanzlich behauptet, die Beklagte zu 1) sei im Schritttempo gefahren. Die Klägerin und ihre Begleitung seien unmittelbar am Rand der Promenade gelaufen. Die Zeugin W. sei ohne Notwendigkeit nach rechts ausgewichen, wo sich aber bereits die Klägerin befunden habe, die dadurch das Gleichgewicht verloren habe und gestürzt sei. Zu einer Kollision zwischen der Klägerin und dem Fahrrad der Beklagten zu 1) sei es nicht gekommen.

Die Beklagten meinen, eine Aufsichtspflichtverletzung der Beklagten zu 2) und 3) liege nicht vor. Die Beklagte zu 1) fahre seit dem fünften Lebensjahr selbständig Fahrrad und nehme auch am Straßenverkehr teil. Sie sei im Radfahren geübt und mit den Verkehrsregeln vertraut.




Das Landgericht hat mit Urteil vom 22.3.2019 nach Beweisaufnahme die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, es sei nicht erwiesen, dass der streitgegenständliche Sturz und die daraus resultierenden Verletzungen und Schäden auf einer Verletzungshandlung der Beklagten zu 1) beruhten.

Eine Haftung der Beklagten zu 2) und 3) scheide bereits wegen fehlender Verletzung der Aufsichtspflicht aus. Denn die Beklagte zu 1) habe Fahrrad fahren gekonnt und in dem Bereich der Uferpromenade, in dem kein Autoverkehr geherrscht habe, auch ohne unmittelbare Eingreifmöglichkeit der Eltern fahren dürfen. Kinder müssten an die Teilnahme am öffentlichen Verkehr herangeführt werden, wofür sich die Promenade angeboten habe. Zudem fehle es an einer Ursächlichkeit zwischen der vermeintlichen Aufsichtspflichtverletzung und den behaupteten Schäden, da eine Kollision zwischen der Beklagten zu 1) und der Klägerin gerade nicht bewiesen sei.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vortrags und der Entscheidungsgründe im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihre erstinstanzlichen Anträge weiter.

Die Klägerin beanstandet eine fehlerhafte Beweiswürdigung durch das Landgericht. Die Zeugin W. habe glaubhaft bekundet, dass die Beklagte zu 1) in die Klägerin hineingefahren sei. Das Gericht habe verkannt, dass es zu einem Kontakt zwischen dem Fahrrad der Beklagten zu 1) und der Klägerin gekommen sei. Auch die Beklagte zu 2) habe bekundet, dass die Beklagte zu 1) im Schritttempo auf die Zeugin W. und die Klägerin zugefahren sei. Dabei habe die Beklagte zu 1) auf die Boote geblickt. Aufgrund der Unachtsamkeit der Beklagten zu 1), die das Landgericht verkannt habe, lasse sich schlussfolgern, dass es zur Kollision gekommen sei. Der geltend gemachte Betrag in Höhe von 174,50 € setze sich zusammen aus Zuzahlungskosten in Höhe von 90,00 € für den Aufenthalt in der S. Klinik M., Übernachtungskosten in Höhe von 79,50 für die Nacht vor der zweiten Operation und Quittungskosten, die die S. Klinik M. für das Brennen einer DVD in Höhe von 5,00 € in Rechnung gestellt habe.

Die Beklagten verteidigen das erstinstanzliche Urteil und vertiefen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Die Beweiswürdigung des Landgerichts sei nicht zu beanstanden. Die Klägerin habe den Beweis für die Kausalität zwischen Handeln und Schadenseintritt nicht erbracht.

Der Senat hat die Parteien persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen W. und L. Zum Ergebnis der persönlichen Anhörungen und der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle vom 20.8.2019 und vom 28.1.2020 verwiesen.





II.

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene und begründete Berufung der Klägerin ist teilweise begründet.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Schadensersatz, Schmerzensgeld und die Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden gegen die Beklagten zu 1) (1). Gegen die Beklagten zu 2) und 3) hat die Klägerin keinen Anspruch (2). Im Einzelnen:

1. Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte zu 1) auf Schadensersatz und Schmerzensgeld gem. §§ 823 Abs. 1, 828 Abs. 3, 253 Abs. 2 BGB in Höhe von insgesamt 7.448,39 €.

Vorliegend ist deutsches Recht anwendbar. Grundsätzlich ist bei Verkehrsunfällen das anzuwendende Recht nach der Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom-II-VO) zu bestimmen. Zwar ist danach gem. Art. 4 Abs. 1 Rom-II-VO das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Schaden eintritt (sog. Tatortprinzip bzw. Deliktstatut). Das wäre vorliegend italienisches Recht, weil sich der Unfall in Italien ereignet hat. Gemäß der Ausnahmevorschrift des Art. 4 Abs. 2 Rom-II-VO ist aber das Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthaltes von Schädiger und Geschädigtem anwendbar, wenn beide aus demselben Staat kommen. Dies ist vorliegend der Fall. Sowohl die Klägerin als auch die Beklagten stammen aus Deutschland.

a) Die Beklagte zu 1) haftet gem. §§ 823 Abs. 1, 828 Abs. 3 BGB dem Grund nach für die Schäden der Klägerin. Danach sind Minderjährige für die Schäden, die sie einem anderen zufügen, nur dann nicht verantwortlich, wenn sie bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht haben. Dabei verlangt das Gesetz vom Kind nur die Fähigkeit zu einem allgemeinen Verständnis des Unrechtsgehaltes seines Verhaltens und der Pflicht, dafür einstehen zu müssen; den konkreten Schaden muss es sich nicht vorstellen können. Vielmehr genügt die Fähigkeit, zu erkennen, dass es in irgendeiner Weise für sein Verhalten zur Verantwortung gezogen werden kann (BGHZ 39, 281, 285; BGH, Urteil vom 20. Januar 1987 - VI ZR 182/85 -, Rn. 20, juris). Es bedarf auch nicht der Prüfung, ob der Minderjährige fähig war, seinen Willen dieser Einsicht gemäß zu steuern, wie es für die strafrechtliche Deliktsfähigkeit Jugendlicher erforderlich ist (§ 3 JGG). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Minderjähriger, der imstande ist, die Verantwortlichkeit für sein Tun einzusehen, ohne Rücksicht auf seine Steuerungsfähigkeit deliktsfähig i.S. von § 828 Abs. 3 BGB (st. Rspr. BGH, Urteil vom 10. März 1970 - VI ZR 182/68 - Leitsatz; BGH, Urteil vom 28. Februar 1984 - VI ZR 132/82 - Leitsatz; BGH, Urteil vom 20. Januar 1987 - VI ZR 182/85 -, Rn. 20, alle zitiert nach juris). Gemessen daran hat die Beklagte zu 1) den streitgegenständlichen Sturz der Klägerin schuldhaft verursacht.

Nach dem Ergebnis der vom Senat durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass die Klägerin gestürzt ist, weil die Beklagte zu 1) mit ihrem Fahrrad auf sie zufuhr, während sie ihren Blick abgelenkt nach hinten gerichtet hatte. Dieses Verhalten veranlasste die Zeugin W. im letzten Augenblick zu einer Ausweichbewegung, so dass sie einen Zusammenstoß ihrerseits verhindern konnte. Die Klägerin hatte keine Ausweichmöglichkeit und verlor bei dem Versuch, einen Zusammenstoß zu verhindern, das Gleichgewicht, was zu dem Sturz und den daraus resultierenden Verletzungen führte.

Der Vater der Beklagten zu 1), der Beklagte zu 3), hat in seiner persönlichen Anhörung bestätigt, dass sich seine Tochter auf dem Fahrrad fahrend zu ihm und seiner Frau umgedreht und dabei die Richtung verloren habe. Seine Frau, die Beklagte zu 2), hat bekundet, sie habe noch „Achtung“ gerufen, was aber bereits zu spät gewesen sei. Schließlich hat auch die Beklagte zu 1) angegeben, sie habe sich zu ihren Eltern umgedreht. Als sie wieder nach vorne geschaut habe, sei sie bereits bei der Klägerin und ihrer Freundin, der Zeugin W., gewesen und habe nur noch eine Vollbremsung einleiten können. Die Zeugin sei noch zur Seite gesprungen, die Klägerin aber habe das Gleichgewicht verloren und sei von der Hafenpromenade gefallen. Diese Aussagen der Beklagten stimmen in entscheidenden Punkten mit dem Vortrag der Klägerin und der Aussage der Zeugin W. überein und führen im Ergebnis zu einer Haftung der Beklagten zu 1).

Einer Berührung zwischen der Klägerin und der Beklagten zu 1) bedarf es dabei nicht, um den Sturz der Klägerin adäquat-kausal auf das Fahrverhalten der Beklagten zu 1) zurückzuführen. Eine Haftung kommt auch dann in Betracht, wenn der Unfall nur mittelbar durch das Fahrverhalten der Beklagten zu 1) verursacht worden ist. Allerdings reicht hierfür nicht die bloße Anwesenheit an der Unfallstelle aus. Vielmehr muss die Beklagte zu 1) durch ihre Fahrweise (oder sonstige Verkehrsbeeinflussung) zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben (vgl. BGH, Urteil vom 21. September 2010 - VI ZR 263/09 -, Rn. 5, juris, zur Haftung eines Kraftfahrzeuges bei einem kontaktlosen Unfall). Diese Voraussetzungen liegen vor.

Die Beklagte zu 1) ist bereits nach ihrer eigenen Aussage, die von ihren Eltern im Wesentlichen bestätigt worden ist, auf die Klägerin direkt zugefahren und hat erst im letzten Moment eine Vollbremsung eingeleitet. Dieses Fahrverhalten hat zu Ausweichbewegungen sowohl der Klägerin als auch der Zeugin W. und - im Fall der Klägerin - zu einem daraus resultierenden Gleichgewichtsverlust geführt. Die Klägerin ist in Folge ihres Gleichgewichtsverlustes gestürzt und hat sich verletzt. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob die Ausweichbewegung der Zeugin W. nach rechts zu dem Gleichgewichtsverlust der Klägerin beigetragen hat. Denn auch diese (unterstellte) Ausweichbewegung resultierte dann aus dem Fahrverhalten der Beklagten zu 1), die die erste und entscheidende Ursache für den Sturz der Klägerin gesetzt hat.




Die Beklagte zu 1) hatte bei dem schädigenden Verhalten auch die erforderliche Einsicht. Das allgemeine Verständnis, dass eine längere Rückschau während der Fahrt Gefahren herbeiführen kann, liegt vor. Einem altersgerecht entwickelten achtjährigen Kind, das - nach eigener Aussage - bereits seit seinem fünften Lebensjahr regelmäßig und auch im Straßenverkehr Fahrrad fährt, muss bewusst sein, dass es während der Fahrt nach vorne schauen und nicht über einen längeren Zeitraum nach hinten blicken darf. Es handelte sich auch nicht um ein Augenblicksversagen, sondern um eine Zeitspanne, während der der Vater der Beklagten zu 1) nach eigener Aussage einen Richtungsverlust wahrnehmen konnte.

Es hätte der Beklagten zu 1) oblegen darzutun und gegebenenfalls zu beweisen, dass sie die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht nicht hatte (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1997 - VI ZR 110/96 -, Rn. 9, juris). Die Beklagte zu 1) hat bereits nicht vorgetragen, dass es an der notwendigen Einsichtsfähigkeit gefehlt habe. Vielmehr geht der Senat auch nach der persönlichen Anhörung der Beklagten zu 1) davon aus, dass sie zum damaligen Zeitpunkt wusste, dass es ein Fehler ist, während des Fahrradfahrens über einen längeren Zeitraum die Blickrichtung vom Fahrweg nach hinten abzuwenden.

Die Beklagte zu 1) hat auch schuldhaft gem. § 276 Abs. 2 BGB gehandelt. Danach handelt fahrlässig, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht lässt. Der Begriff der Fahrlässigkeit ist zivilrechtlich nach objektiven und nicht nach individuellen Merkmalen zu bestimmen. Entscheidend ist, ob ein altersgerecht entwickeltes Kind im Alter der Beklagten zu 1) hätte voraussehen können und müssen, dass die an den Tag gelegte Fahrweise auf der Promenade befindliche Fußgänger verletzen konnte und ob von ihm bei Erkenntnis der Gefährlichkeit seines Handelns in der konkreten Situation die Fähigkeit erwartet werden konnte, sich dieser Erkenntnis gemäß zu verhalten, oder ob ein Mangel an Verstandesreife Kinder dieser Altersgruppe an einem solchen Verhalten hindert (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1997 - VI ZR 110/96 -, Rn. 10, juris m.w.N.; BGH, Urteil vom 27. Januar 1970 - VI ZR 157/68 -, Rn. 21, juris).

Gemessen an den vorgenannten Maßstäben muss nach der Ansicht des Senats in der vorliegenden Unfallsituation einem Kind mit einem Alter und einer Entwicklungsstufe entsprechend der Beklagten zu 1) bewusst sein, dass es gefahrträchtig ist, während einer Vorwärtsfahrt den Kopf rückwärtig zu halten. Es wäre auch möglich und zumutbar gewesen, sich dieser Einsicht gemäß zu verhalten. Denn es handelte sich anders als in den vom Bundesgerichtshof beurteilten Konstellationen um keine plötzlich eingetretene Situation, in der sich das Kind reflexhaft für eine bestimmte Handlung entschieden hat (vgl. BGH, Urteil vom 29. April 1997 - VI ZR 110/96 -, Insektenabwehr mit einem Messer; BGH, Urteil vom 27. Januar 1970 - VI ZR 157/68 -, Nachlaufen hinter einem Ball auf die Fahrbahn; beide Urteile zitiert nach juris). Das Verkehrsgeschehen war zum Unfallzeitpunkt ruhig und überschaubar und von nur wenigen Fußgängern geprägt. Auf der Promenade befanden sich kein motorisierter Verkehr, schnell fahrende Fahrradfahrer oder Inlineskater. Eine Überforderungssituation mit der Folge eines (möglichen) Augenblicksversagens bestand nicht.

Ein Mitverschulden der Klägerin gem. § 254 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Die Klägerin stand zulässigerweise am Rand der Promenade und hatte - anders als die Zeugin W. - nicht die Möglichkeit, der Kollision durch einen seitlichen Schritt zu entgehen. Dass ein Verschulden der Klägerin zu dem entstandenen Schaden beigetragen hat, oder die Klägerin pflichtwidrig eine Handlung unterlassen hat, die den Schaden hätte verhindern oder mindern können, haben die Beklagten weder vorgetragen noch bewiesen.

b) Die Klägerin hat gem. § 249 Abs. 1 BGB i.V.m. § 287 Abs. 1 ZPO einen Anspruch gegen die Beklagte zu 1) auf Zahlung von 1.448,39 € Schadensersatz. Im Einzelnen:

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 135,95 € für Medikamentenzuzahlungen. Soweit die Beklagten bestritten haben, dass die ebenfalls geltend gemachten Kosten für das Medikament „Grippostad“ in Höhe von 6,48 € auf den streitgegenständlichen Unfall zurückzuführen sind, hat die Klägerin auf dieses Bestreiten hin nicht weiter vorgetragen. Der vorgenannte Betrag war daher von den beantragen 142,43 € für Medikamentenaufwendungen in Abzug zu bringen. Die übrigen Kosten hat die Klägerin mit Rezepten und Quittungen belegt. Das einfache Bestreiten der Beklagten ist insofern nicht ausreichend, den Anspruch zu Fall zu bringen.

Die Klägerin hat ferner einen Anspruch auf Stornierungskosten, die für den nicht angetretenen Aufenthalt vom 15.10. bis zum 22.10.2016 in dem gebuchten Ferienhaus in Höhe von 520,00 € angefallen sind. Die entstandenen Kosten hat sie durch das Abrechnungsschreiben ihrer Vermieterin vom 18.10.2016 hinreichend bewiesen (§ 287 Abs. 1 ZPO).

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 5,00 € Attestkosten, die sie mit dem entsprechenden Beleg vom 28.10.2016 dargelegt hat, und einen weiteren Anspruch auf Zahlung von 5,00 € Kosten, die ihr die S. Klinik M. für das Brennen einer DVD mit Quittung vom 23.11.2016 in Rechnung gestellt hat. Soweit die Beklagten bestreiten, dass diese Kosten unfallbedingt angefallen seien, folgt der Senat dem nicht, sondern erachtet dies im Rahmen des § 287 Abs. 1 ZPO als erwiesen.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von 436,00 € für die Erstversorgung in Italien. Die Klägerin hat diesen Anspruch durch die Einreichung von Rechnungen des italienischen Krankenhauses in italienischer Sprache belegt. Zwar ist den Beklagten Recht zu geben, dass die Gerichtssprache deutsch ist (§ 184 GVG) und grundsätzlich von fremdsprachigen Anlagen eine Übersetzung einzuholen ist. Vorliegend ist der Inhalt der italienischen Rechnungen allerdings so offensichtlich, dass dieser selbst ohne Italienischkenntnisse mühelos erschlossen werden kann. Es handelt sich dabei um die Positionen „Trasporto in Ambulanza“, „Visita, Consulenza“ und „Bollo“. Da die Klägerin vom Unfallort aus unstreitig in einem Krankentransport in ein italienisches Krankenhaus transportiert und dort versorgt wurde, lassen sich vorgenannten Rechnungspositionen, die im Übrigen auch der Höhe nach und in zeitlicher Hinsicht nachvollziehbar sind, mit „Krankentransport“, „Behandlungskosten“ und „Porto“ übersetzen. Die Einholung einer Übersetzung würde eine pure Förmelei darstellen, ohne in der Sache gerechtfertigt zu sein oder weitergehende Erkenntnisse vermitteln zu können.

Die Klägerin hat ebenfalls einen Anspruch auf Übernachtungskosten in Höhe von 79,50 € für ein Doppelzimmer für eine Nacht für zwei Personen vom 30.11. - 01.12.2016. Die Klägerin musste sich einer weiteren Fußoperation in der S. Klinik M. unterziehen und bereits am Tag zuvor anreisen. Aufgrund ihrer Fußverletzung konnte sie zum damaligen Zeitpunkt keine langen Strecken allein mit dem Auto fahren, so dass sie von ihrem Ehemann, dem Zeugen L., begleitet wurde.

In Bezug auf die geltend gemachten Fahrkosten von 2.407,80 km à 0,30 €, hat die Klägerin einen Anspruch in Höhe von 266,94 €. Der Senat erachtet eine Strecke von 889,80 km als bewiesen und setzt insoweit eine Kilometerpauschale von 0,30 € gem. § 287 Abs. 1 ZPO an. Der Senat orientiert sich dabei an § 5 Abs. 2 Nr. 2 JVEG (in der Fassung vom 5.5.2004), der den dort genannten Anspruchsberechtigten für die Nutzung des eigenen PKW ebenfalls 0,30 € je gefahrenen Kilometer zubilligt.

Der Senat erachtet dabei die von der Klägerin behaupteten Fahrten zu ihrem Hausarzt und zur Krankengymnastik als bewiesen. Ebenso erachtet der Senat die Fahrt vom 30.11. - 1.12.2016 von K. nach M. und zurück als bewiesen. Der Senat stützt seine Überzeugung auf die Zeugenaussage des Zeugen L.

Der Zeuge L. hat in seiner Vernehmung zur Frage der behaupteten Fahrten nachvollziehbar und plausibel angegeben und auch auf Nachfrage erklärt, er habe seine Frau aufgrund der Unfallverletzungen häufig zu Terminen zum Hausarzt und zur Krankengymnastik fahren müssen. Beruflich habe er sich hierfür Ausgleichstage genommen oder die Termine vor seinen Arbeitsbeginn gelegt. Für die Fahrt nach M. über zwei Tage in die S. Klinik, in der seine Frau Ende des Jahres operiert worden sei, habe er sich Urlaub genommen.


Die Aussage des Zeugen ist nachvollziehbar und in sich schlüssig. Auf Nachfragen hat er sicher reagiert und plausible Antworten gegeben. Dass sich der Zeuge dabei nicht an jeden einzelnen Termin erinnert, ist nachvollziehbar und schmälert die Beweiskraft seiner Aussage nicht. Der Zeuge hat glaubhaft ausgeführt, dass die Klägerin sehr viele Hausarzt- und Krankengymnastiktermine hatte, was angesichts der erlittenen Verletzungen auch nachvollziehbar ist. Es spräche eher im Gegenteil gegen die Glaubhaftigkeit der Aussage, erinnerte sich der Zeuge ca. drei Jahre nach den Fahrten noch an die jeweiligen konkreten Daten. Anhaltspunkte, die gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen sprechen könnten, sind nicht ersichtlich. Dabei verkennt der Senat nicht, dass der Zeuge aufgrund seiner Nähe zur Klägerin als ihr Ehemann ein Eigeninteresse am Ausgang des Verfahrens hat. Gleichwohl besteht kein Anlass, an der Aussage des Zeugen zu zweifeln, der zum einen sicher in Bezug auf die Fahrten zum Hausarzt und zur Krankengymnastik ausgesagt hat, aber auch an anderer Stelle eingeräumt hat, wenn er an ein Geschehen keine Erinnerung hatte bzw. sicher war, nicht beteiligt gewesen zu sein.

Nicht beweisen konnte die Klägerin die behauptete Fahrt vom 5.10.2016 von A. nach M. in die S. Klinik (366 km) und von dort aus am 13.10.2016 von M. zurück nach K. (384 km) sowie die Fahrt am 23.10.2016 von K. nach M. und wieder zurück (768 km). Der Zeuge L. konnte den Vortrag der Klägerin nicht bestätigen. Er hat ausgesagt, die Rückfahrt von A. habe mit der Zeugin W. stattgefunden. An eine Hin- und Rückfahrt K. – M. am 23.10.2016 erinnere er sich nicht.

Soweit der Zeuge bekundet hat, die vorgenannten Fahrten hätten mit der Zeugin W. stattgefunden, hat die Klägerin nicht dargelegt, dass ihr insoweit Aufwendungen für die Benutzung eines eigenen Fahrzeugs oder Erstattungen gegenüber der Zeugin W. entstanden sind. Überdies handelt es sich jedenfalls bei den Fahrtkosten von A. nach K. um „Sowieso-Kosten“, die auch angefallen wären, wenn die Klägerin keinen Unfall erlitten hätte.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Zahlung des Anschaffungspreises für ein neues Mobiltelefon in Höhe von 1.021,00 €. Auf den Hinweis des Senats vom 28.8.2019, dass für die Behauptung, das Mobiltelefon sei bei dem Unfall irreparabel beschädigt worden, die Anschaffungsrechnung nicht ausreiche, hat die Klägerin keine weiteren Beweisangebote dargebracht, so dass sie diesbezüglich beweisfällig geblieben ist.

Die Klägerin hat keinen Anspruch auf die von ihr gezahlte gesetzliche Eigenbeteiligung in Höhe von 90,00 €, für die neun Tage, die sie stationär in der S. Klinik in M. verbrachte. Denn die Klägerin muss sich ersparte Aufwendungen für häusliche Verpflegungskosten in gleicher Höhe entgegenhalten lassen. Diese schätzt der Senat gem. § 287 Abs. 1 ZPO vorliegend auf mindestens 10,00 € pro Tag. Die Schätzung ersparter Aufwendungen ist dabei anhand der konkreten Umstände des jeweiligen Einzelfalles vorzunehmen (vgl. Senat, Urteil vom 29. November 2005 - 14 U 58/05 -, Rn. 8, juris). Vorliegend sind keine näheren Umstände über den täglichen Bedarf der Klägerin bekannt. Der Senat erachtet 10,00 € pro Tag, insgesamt 90,00 € für neun Tage, daher als den mindestens erforderlichen Satz für häusliche Verpflegungskosten, den sich die Klägerin anrechnen lassen muss.

c) Die Klägerin hat einen Anspruch auf Zahlung von Schmerzensgeld gem. § 253 BGB in Höhe von 6.000,00 €.

Der Senat erachtet angesichts der von der Klägerin erlittenen Verletzungen und Schmerzen einen Betrag in Höhe von 6.000,00 € für erforderlich, aber auch ausreichend, um eine Kompensation zu leisten. Der Senat hat sich insoweit vergleichend an der Rechtsprechung orientiert (vgl. Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge, 38. Auflage 2020, lfd. Nr. 34.616, 35.572, 36.543, 37.538; 38.548; OLG Hamm, Urteil vom 14. Januar 2005 - 9 U 116/03 -, juris).

Dabei ist dem Senat bewusst, dass es eine absolut angemessene Entschädigung für nichtvermögensrechtliche Nachteile nicht gibt, da diese nicht in Geld messbar sind (BGH GSZ 18, 149 [156, 164]; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]). Der Maßstab für die billige Entschädigung i.S.v. § 253 BGB muss deshalb unter Berücksichtigung ihrer Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion für jeden einzelnen Fall durch Würdigung und Wägung aller ihn prägenden Umstande neu gewonnen werden (BGH VersR 1976, 967; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]); das auf diese Weise gewonnene Ergebnis ist anschließend im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz anhand von in sog. Schmerzensgeldtabellen erfassten Vergleichsfällen zu überprüfen, wobei aber die dort ausgewiesenen Beträge schon wegen der meist nur begrenzt vergleichbaren Verletzungsbilder nicht schematisch übernommen werden dürfen (vgl. OLG Saarbrücken zfs 1999, 101; OLG Hamm NJW 2000, 3219 und zfs 2005, 122 [123]; OLG Celle OLGR 2001, 162).

Die Höhe des zuzubilligenden Schmerzensgeldes hängt entscheidend vom Maß der durch das haftungsbegründende Ereignis verursachten körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen des Geschädigten ab, soweit diese bei Schluss der mündlichen Verhandlung bereits eingetreten sind oder zu diesem Zeitpunkt mit ihnen als künftiger Verletzungsfolge ernstlich gerechnet werden muss (BGH VersR 1976, 440; 1980, 975; 1988, 299; OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]). Die Schwere dieser Belastungen wird vor allem durch die Stärke, Heftigkeit und Dauer der erlittenen Schmerzen und Funktionsbeeinträchtigungen bestimmt (OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]). Besonderes Gewicht kommt etwaigen Dauerfolgen der Verletzungen zu (OLG Hamm zfs 2005, 122 [123]).

Die von der Klägerin zitierte Entscheidung des Oberlandesgerichts Köln vom 16.10.1992 - 19 U 81/92 - juris, das für eine Sprunggelenksfraktur - indexangepasst - 10.000 € angenommen hat, hatte einen Sachverhalt mit einer weiteren Operation nach 1,5 Jahren und einem Dauerschaden in Form einer MdE von 30% zum Gegenstand, die im vorliegenden Fall nicht vorgetragen sind. Gleiches gilt für die Entscheidung des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 10.10.1996 - 1 U 83/96 -, juris, die ebenfalls nicht mit dem vorliegenden Fall vergleichbar ist. Dort bestand eine Arbeitsunfähigkeit von 1,5 Jahren und eine dauerhafte MdE von 30%.

Hingegen hat das Oberlandesgericht Hamm in seinem Urteil vom 14.1.2005 - 9 U 116/03 - juris, lediglich 5.000 €, indexangepasst 5.804,00 €, ausgeurteilt, dem ein Sachverhalt zugrunde lag, in dem der Kläger eine trimelläre Sprunggelenksfraktur erlitten hatte.

Die von der Klägerin erlittene Sprunggelenksfraktur, die keine weiteren Dauerschäden nach sich gezogen hat, ist nach den vorgenannten Vergleichsmaßstäben mit einem Schmerzensgeldbetrag in Höhe von 6.000,00 € angemessen kompensiert.

d) Die Klägerin hat auch einen Anspruch auf Feststellung gem. § 256 Abs. 1 ZPO, dass die Beklagte zu 1) verpflichtet ist, sämtliche künftige Schäden aus dem Vorfall zu ersetzen, weil aufgrund der Fraktur des Sprunggelenks Spätschäden möglich sind. Die Klägerin hat insoweit nachvollziehbar vorgetragen, dass sie eine vorzeitige Arthrose in dem betroffenen Fuß befürchtet.

e) Zu den ersatzpflichtigen Aufwendungen der Klägerin zählen gem. § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB auch die erforderlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 887,03 €. Bei Rechtsanwaltskosten ist der Ersatzpflicht des Schuldners jedoch der Geschäftswert zugrunde zu legen, der der berechtigten Forderung entspricht (vgl. BGH, NJW 2008, 1888; Grüneberg, in: Palandt, BGB, 79. Aufl. 2020, § 249 Rn. 57). Die Geschäftsgebühr richtet sich insofern nach dem begründeten Umfang der Schadensersatzforderung, mit welcher der Prozessbevollmächtigte des Klägers vor dem Eintritt der Rechtshängigkeit befasst war (vgl. OLG München, Urteil vom 21.03.2014 - 10 U 1750/13). Die berechtigte Forderung der Klägerin setzt sich zusammen aus dem Schaden in Höhe von 1.448,39 €, dem Schmerzensgeld in Höhe von 6.000,00 € und dem Streitwert für den Feststellungsantrag in Höhe von 2.000,00 €, insgesamt 9.448,39 €.

f) Der Zinsanspruch folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1, 187 Abs. 1 BGB seit dem Tag nach Eintritt der Rechtshängigkeit, dem 21.1.2017.

2) Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagten zu 2) und 3) gem. § 832 BGB. Danach ist zum Ersatz des Schadens verpflichtet, wer kraft Gesetzes zur Führung der Aufsicht über eine Person verpflichtet ist, die wegen Minderjährigkeit (…) der Beaufsichtigung bedarf und einem Dritten widerrechtlich Schaden zufügt. Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn er seiner Aufsichtspflicht genügt (…). Diese Voraussetzung liegt vor.

Die Beklagte zu 2) und 3) haben ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt, die ihnen über die Beklagten zu 1) obliegt. Grundsätzlich richtet sich das Maß der gebotenen Aufsicht über Minderjährige zum einen nach deren Alter, Eigenart und Charakter, wobei sich die Grenze der erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen nach ständiger Rechtsprechung danach bestimmt, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen tun müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern. Zum anderen kommt es auf die Gefährlichkeit des jeweiligen Verhaltens und die Schadensgeneigtheit des jeweiligen Umfeldes an, also auf das Ausmaß der vorhersehbaren Gefahren, die von der konkreten Situation für Dritte ausgehen. Kinder müssen dabei über die Gefahren des Straßenverkehrs frühzeitig belehrt werden. Sie müssen, insbesondere was das Radfahren betrifft, behutsam in den Straßenverkehr hineingeführt werden. Eltern müssen ihre Kinder langsam daran gewöhnen, sich auf die vielfältigen Gefahren einzustellen und ihr Verhalten danach zu steuern. Das betrifft sowohl die Verkehrsregeln als auch die Fahrtechnik. Beides muss eingeübt werden. Die sinnvolle Hinführung des Kindes zu einem selbstständigen, verantwortungsbewussten und umsichtigen Verhalten im Verkehr ist allerdings nur möglich, wenn ein Kind andererseits auch altersgerecht angepasste Gelegenheiten bekommt, sich ohne ständige Beobachtung, Kontrolle und Anleitung selbst im Verkehr zu bewähren (vgl. Wellenhofer, in: BeckOGK, Stand: 1.11.2019, BGB, § 832 Rn. 63 m.w.N.; vgl. BGH, Urteil vom 07. Juli 1987 - VI ZR 176/86 -, Rn. 12; OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Januar 2009 - 12 U 1299/08 -, Rn. 1, beide zitiert nach juris). Denn die Erziehung der Kinder zu verantwortungsbewussten Verkehrsteilnehmern liegt auch im Gemeinschaftsinteresse, und sie ist insoweit nicht in dem Sinn der Alleinverantwortung der Eltern unterworfen, dass diese stets "für ihre Kinder" haften müssen (OLG Koblenz, Beschluss vom 21. Januar 2009 - 12 U 1299/08 -, Rn. 3, juris).



Nach diesen Maßstäben ist es aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden, dass die Beklagten zu 2) und 3) die Beklagte zu 1) in der Situation vor dem Unfall auf der Hafenpromenade mit dem Fahrrad fahren ließen, während sie selbst - ihre Fahrräder schiebend - in einigem Abstand folgten. Die Beklagte zu 1) war mit den Verkehrsregeln vertraut und bewegte sich bereits nach eigenen Aussagen seit ihrem fünften Lebensjahr mit dem Fahrrad im Straßenverkehr. Die Beklagten zu 2) und 3) hielten Sicht- und Rufkontakt zur Beklagten zu 1), der befahrene Weg war ausreichend breit, motorisierter Verkehr war nicht zu erwarten. Es handelte sich um eine sehr übersichtliche Gesamtsituation, die von wenigen Fußgängern geprägt war. Unter diesen Umständen war die Entscheidung der Beklagten zu 2) und 3), die Beklagte zu 1) mit dem Fahrrad vorfahren zu lassen, nicht zu beanstanden. Denn ein altersgerecht entwickeltes Kind braucht gewisse Freiräume pädagogisch vertretbarer Maßnahmen, die sich aus den Erziehungszielen der §§ 1631 Abs. 1 und 1626 Abs. 2 BGB ergeben (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 16. September 1999 - 6 U 92/99 -, Rn. 16, juris).


III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 92 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO gemäß den Grundsätzen der sog. Baumbach’schen Formel (vgl. Herget, in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 100, Rn. 6 ff.).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713, 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

IV.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und der Senat nicht von der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes oder eines anderen Oberlandesgerichts abweicht, so dass auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung keine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern, § 543 ZPO.

V.

Die Festsetzung des Streitwertes für das Berufungsverfahren beruht auf § 3 ZPO, § 47 Abs. 1 GKG.

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