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Oberlandesgericht Hamm Urteil vom 15.01.2021 - 19 U 715/19 - Keine Wissenszurechnung im Konzernverbund im Rahmen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung

OLG Hamm v. 15.01.2021: Keine Wissenszurechnung im Konzernverbund im Rahmen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung




Das Oberlandesgericht Hamm (Urteil vom 15.01.2021 - 19 U 715/19) hat entschieden:

  1.  Vorsätzlich sittenwidriges Handeln des nicht mit dem Kfz-Hersteller identischen Verkäufers gegenüber Käufern setzt voraus, dass der Vorstand des Verkäufers bzw. andere verfassungsmäßige Vertreter oder ihre Verrichtungsgehilfen von der im Motor befindliche Abschalteinrichtung wussten. Hierfür trifft den Käufer die Beweislast. Den Kfz-Verkäufer trifft insoweit keine sekundäre Darlegungslast.

  2.  Die Rechtsansicht, der rechtlich selbständige, nicht mit dem Kfz-Hersteller identischen Verkäufer müsse sich das Wissen der Konzernmutter zurechnen zu lassen, geht fehl. Wenn es um eine unerlaubte Handlung geht, wie hier eine in Raum stehende vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, gibt es für die Wissenszurechnung keine Grundlage.


Siehe auch
Rechtsprechung zum Themenkomplex „Schummelsoftware“ - Diesel-Abgasskandal
und
Stichwörter zum Thema Autokaufrecht


Gründe:


I.

Der Kläger erwarb im Februar 2013 von einem Fahrzeughändler einen gebrauchten Audi A3 zum Preis von 15.100,00 €. Herstellerin des Fahrzeugs ist die Beklagte. Ausgestattet ist das Fahrzeug mit einem von der ... AG unter der Bezeichnung ... entwickelten Motor.

Mit seiner Klage hat der Kläger in der Hauptsache verlangt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.400,00 € (Kaufpreis + Aufwendungen ./. Wiederbeschaffungswert nach Totalschaden) nebst Deliktszinsen zu zahlen. Daneben hat der Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von vorgerichtlichen Anwaltskosten gewollt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zwar hafte die Beklagte dem Grunde nach. Ein Schaden des Klägers sei indessen nicht festzustellen. Im Wege der Vorteilsausgleichung habe sich der Kläger seinen Nutzungsvorteil anrechnen zu lassen, der nach einer zu erwartenden Gesamtfahrleistung von 250.000 km zu bemessen sei. Auszugleichen sei auch der Wiederbeschaffungswert, unter dessen Berücksichtigung kein Schaden des Klägers verbleibe. Erstattungsfähige Aufwendungen habe der Kläger nicht dargelegt.




Wegen der Einzelheiten der Feststellungen des Landgerichts, der dort gestellten Anträge und der Entscheidungsgründe des Landgerichts wird auf den Inhalt dessen Urteils verwiesen.

Gegen das Urteil wendet sich die Berufung des Klägers, mit der er die von ihm geltend gemachten Ansprüche teilweise weiter verfolgt. Den Vorteil von Nutzungen lässt er sich nunmehr anrechnen, wobei er meint, die seien nach zu erwartenden Gesamtfahrleistung von 300.000 km zu bemessen. Auch wendet er sich gegen die Auffassung des Landgerichts, Aufwendungen seien nicht zu berücksichtigen. Seinen erstinstanzlichen Hilfsantrag, der auf Erstattung eines von ihm angenommenen Minderwerts gerichtet war, erhält er nicht aufrecht. Nachdem er die Berufung wegen eines Rechenfehlers im Senatstermin in Höhe von 167,08 € zurückgenommen hat, beantragt er nunmehr,

   as angefochtene Urteil abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 5.817,92 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 22.02.2013 und 571,44 € vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

   d>die Berufung zurückzuweisen.

Sie stellt weiterhin ihre Haftung dem Grunde nach in Abrede. Weder ihr Vorstand noch verfassungsgemäß berufene Vertreter hätten von der im Motor ... verbauten Umschaltlogik gewusst. Dazu wiederholt sie und vertieft umfänglich ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze und ihrer Anlagen verwiesen.





II.

Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen. Das Berufungsvorbringen gibt zu anderer Entscheidung keinen Anlass.

1. Was die verlangten Anwaltskosten angeht, ist die Berufung bereits unzulässig, weil ihre Begründung insoweit den Anforderungen des § 520 III 2 Nr. 2 ZPO nicht genügt.

Das Landgericht hat die Abweisung der Klage unabhängig von allem anderem auf einen selbstständigen, seine Entscheidung tragenden Erwägungsgrund gestützt, nämlich darauf, dass der Kläger seine Aktivlegitimation nicht dargelegt habe. Gegen diesen Erwägungsgrund gibt es keinen Berufungsangriff.

2. Was die Hauptforderung angeht, ist die Berufung unbegründet.

Zwar ist die Begründung des Landgericht, es sei kein Schaden entstanden, wohl nicht tragfähig, weil das Landgericht nicht berücksichtigt hat, dass im Wege der Vorteilsausgleichung die Selbstbeteiligung des Klägers am Kaskoschaden wohl ebenso wenig zu berücksichtigen wäre, wie auch der Umstand, dass wertverbessendere Aufwendungen des Klägers - unabhängig von deren Erstattungsfähigkeit an sich - jedenfalls in die Bemessung des Wiederbeschaffungswertes eingeflossen sein dürften. Damit verbliebe ein, wenn auch geringfügiger, Restschaden.

Dafür haftet die Beklagte indessen nicht. Denn ein Anspruch gegen sie ist schon dem Grunde nach nicht gegeben.

Allein in Betracht kommende Anspruchsgrundlagen sind §§ 826, 31 BGB oder §§ 831, 826 BGB, also vorsätzlich sittenwidriges Handeln des Vorstands der Beklagten oder deren Verrichtungsgehilfen.

Vorsätzlich sittenwidriges Handeln gegenüber Käufern setzt voraus, dass der Vorstand der Beklagten bzw. andere verfassungsmäßige Vertreter oder ihre Verrichtungsgehilfen um die im von der ... AG entwickelten Motor ... befindliche Abschalteinrichtung wussten. Insoweit behauptet der Kläger, dem Vorstand der Beklagten, insbesondere deren Vorstandsvorsitzenden ... sei die Abschalteinrichtung seit 2013 bekannt gewesen. Dazu trifft die Beklagte vor dem Hintergrund des klägerischen Vortrages keine sekundäre Darlegungslast, der sie ihm übrigen, wollte sie man annehmen, auch nachgekommen wäre. Mithin hätte der Kläger die von ihm behauptete Kenntnis des Vorstands der Beklagten zu beweisen gehabt. An einem Beweisantritt fehlt es.




a. Die Anforderungen an ein Bestreiten hängen zunächst davon ab, wie substantiiert der darlegungspflichtige Gegner - hier der Kläger - vorgetragen hat. In der Regel genügt einfaches Bestreiten. Ob und inwieweit die nicht darlegungsbelastete Partei ihren Sachvortrag substantiieren muss, lässt sich nur aus dem Wechselspiel von Vortrag und Gegenvortrag bestimmen, BGH Urteil vom 25.05.2020 - 6 ZR 252/19 - Rz. 36 bei Juris m.w.Nw. Dies zu Grunde gelegt, reicht das Bestreiten der Beklagten aus.

Das Erkenntnis des Bundesgerichtshofs zur sekundären Darlegungslast der ... AG in gegen sie gerichteten Verfahren, BGH a.a.O. Rz. 39ff bei Juris, ist auf die Beklagte nicht übertragbar, weil die Beklagte den Motor nicht entwickelt hat.

Kenntnis des Vorstands oder verantwortlicher Mitarbeiter der Beklagten zur Zeit des Kaufs des Fahrzeugs durch den Kläger davon, dass die Abgasreinigung des Motors nur auf dem Prüfstand den Anforderungen gemäß arbeitete, im Straßenverkehr wegen dort in die Abgasreinigung eingreifender, unzulässiger Abschalteinrichtung jedoch nicht, könnte sich unter Berücksichtigung dessen, dass es sich um eine verdeckte Manipulation handelt, aus zwei Gesichtspunkten herleiten lassen. Zum einen könnte die ... AG die Beklagte darüber informiert haben. Zum anderen könnte die Beklagte darüber aufgrund eigener Prüfung des Motorentyps Kenntnis gewonnen haben. Hinreichende Anhaltspunkte, die notwendig dafür wären, sekundäre Darlegungslast der Beklagten auszulösen, liefert der Kläger weder für das eine noch das andere.

Über die bloße Behauptung, der Vorstand der Beklagten habe um die Abschalteinrichtung, das heißt, die Umschaltung zwischen Prüfstandsbetrieb und Straßenbetrieb, gewusst, trägt der Kläger in seiner Klageschrift vor, es liefen nach Pressemitteilungen strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen (dort namentlich bezeichnete) Personen, die bei der ... AG tätig waren, und gegen den seinerzeitigen Vorstandsvorsitzenden der Beklagten, ... der darüber hinaus in Untersuchungshaft genommen worden sei. Gegen die ... AG und gegen die Beklagte seien Bußgelder verhängt worden.

Das liefert keinen hinreichenden Anhaltspunkt für Kenntnis des Vorstands der Beklagten. Was Strafverfahren gegen Vorstandsmitglieder und Mitarbeiter der ... AG angeht, ist von vorne herein nicht ersichtlich, was sich daraus für Kenntnis des Vorstands der Beklagten ergeben sollte. Zu. Gegenstand und Inhalt der strafrechtlichen Ermittlungen gegen ... hält der Kläger keinen Vortrag. Unabhängig davon hat die Beklagte unbestritten vorgetragen, das strafrechtliche Verfahren gegen ... betreffe den Motor des Typs ... nicht.


Auch zum Inhalt des Bußgeldbescheides gegen die Beklagte trägt der Kläger nichts vor. Außerdem ging es, wie einem im Internet vom Spiegel unter dem 16.10.2018 veröffentlichten Artikel zu entnehmen ist, neben hier nicht interessierende V6 und V8 Motoren der Beklagten um den Vorwurf, nicht erkannt zu haben, dass in zwei von der ... AG entwickelten Dieselmotoren-​Typen Software verbaut war, die den Schadstoffausstoß auf dem Prüfstand drosselte. Es ging also gerade nicht um Kenntnis bei der Beklagten, sondern um fahrlässige Unkenntnis.

Weiteres, was Anhalt für Kenntnis des Vorstands der Beklagten von der Manipulation der Steuerungssoftware liefern könnte, trägt der Kläger nicht vor mit der Folge, dass der Beklagten kein näherer Vortrag verlangt werden kann.

Unabhängig davon:

Was Vermittlung von Wissen der ... AG durch diese an die Beklagte angeht, erschließt sich nicht, was die Beklagte über ein bloßes Bestreiten hinaus sollte darlegen können. Das gilt jedenfalls, solange keine Gesichtspunkte, zu denen der Kläger nichts vorträgt und zu denen der Senat auch keine anderweitigen Erkenntnisse hat, vorliegen, aus denen sich ergäbe, dass Wissen um die Abschalteinrichtung für den Einsatz der Motore in den Fahrzeugen erforderlich wäre.

Es ist auch nicht zu erkennen, dass die Beklagte aufgrund eigener Prüfobliegenheiten an sich um die Abschalt- bzw. Umschalteinrichtung zur Zeit des Kaufs des Klägers gewusst haben müsste. Dass es, um sekundäre Darlegungslast der Beklagten aus dem Gesichtspunkt eigener Prüfungsobliegenheiten auszulösen, Vortrags des Klägers dazu bedürfte, weshalb und warum die Abschalteinrichtung der Beklagten hätte auffallen müssen, ist gesagt. Anders als im Verfahren des OLG Hamm - Urteil vom 14.08.20 - 45 U 22/19 - in dem Haftung der auch hier beklagten ... AG bejaht wurde, hält der Kläger hier keinen Vortrag zum Compliance-​System der Beklagten, erst recht nicht dazu, warum der Beklagten dabei irgend etwas hätte auffallen müssen.

Unabhängig davon ist in Rechnung zu steilen, dass es sich bei der Manipulation der Software um eine verdeckte Manipulation handelt. Warum die bei der Beklagten aufgrund Compliance-​System oder etwa aus dem Gesichtspunkt handelsrechtlicher Prüf- und Rügeobliegenheiten hätte auffallen müssen, erschließt sich nicht. Mehr, als das Emissionsverhalten der Motore des Typs ... auf dem Prüfstand unter Prüfstandsbedingungen zu prüfen, oblag der Beklagten im Rahmen eigener Prüfung - jedenfalls, solange kein Manipulationsverdacht gegen die ... AG wie hier zur Zeit des Einbaus der von ihr entwickelten Motore bestand - nicht. Bei einer Prüfung auf dem Prüfstand konnte der Beklagten, ebenso wenig wie der Zulassungsbehörde, auffallen, dass das Emissionsverhalten im Straßenverkehr anders gesteuert wurde, als auf dem Prüfstand.



Entsprechend trägt die Beklagte auch vor. Unabhängig davon, ob ihr sekundäre Darlegungslast überhaupt anfällt, hat sie der jedenfalls genüge getan. Aus ihrem Vorbringen ergibt sich, dass ihr bei Prüfung der Motore die unzulässige Abschalteinrichtung nicht auffallen musste.

Soweit das OLG München in seinem Urteil vom 08.06.2020 - 21 U 4760/19 Rz. 40 bei Juris - ausführt, es erscheine ausgeschlossen, dass die dort wie hier Beklagte den Motor von der Konzernmutter ohne eigene Prüfung und Kenntnis der wesentlichen Merkmale "blind" übernommen und in ihre eigenen Fahrzeug eingebaut habe und dann gegenüber der EG-​Typengenehmigung die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben zugesichert habe, erschließt sich nicht, warum die Beklagte bei Prüfung des Motorentyps die Umschaltsoftware hätte entdecken müssen. Einer Umschaltsoftware, die die Zulassungsbehörde hinters Licht führt, ist es nun gerade immanent, dass sie bei ordentlicher Prüfung, sei es durch Behörden oder sei es durch Bezieher der Motore, nicht erkannt werden kann.

Abgesehen davon hält die Beklagte eingehenden Vortrag dazu, dass und warum ihr bei Prüfung des Motors die implementierte Abschalteinrichtung nicht auffallen musste. Damit ist die Beklagte sekundärer Darlegungslast - so man sie annehmen will - nachgekommen.

Soweit der Kläger meint, Wissen der ... AG habe sich die Beklagte zurechnen zu lassen, geht das fehl. Wenn es um eine unerlaubte Handlung geht, wie hier eine in Raum stehenden vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung, gibt es für Wissenszusammenrechnung keine Grundlage.

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