Oberlandesgericht Oldenburg Beschluss vom 19.07.2021 - 2 Ss (OWi) 170/21 - Kein standardisiertes Verfahren mit Geschwindigkeitsmessgerät Leivtec XV 3
OLG Oldenburg v. 19.07.2021: Kein standardisiertes Verfahren mit Geschwindigkeitsmessgerät Leivtec XV 3
Das Oberlandesgericht Oldenburg (Beschluss vom 19.07.2021 - 2 Ss (OWi) 170/21) hat entschieden:
Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät Leivtec XV 3 sind in ihrer Gesamtheit auch nach Abschluss der Untersuchungen durch die PTB derzeit nicht als standardisiertes Messverfahren anzusehen.
Durch das angefochtene Urteil hat das Amtsgericht den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung zu einer Geldbuße von 440 € und einem zweimonatigen Fahrverbot verurteilt.
Nach den getroffenen Feststellungen ist die Geschwindigkeitsüberschreitung festgestellt worden mittels des Geschwindigkeitsmessgerät Typ1.
Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.
Die gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 Nummer 1 und 2 OWiG statthafte und zulässig begründete Rechtsbeschwerde ist vom rechts unterzeichnenden Einzelrichter gemäß § 80 Abs. 3 OWiG auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen worden, da die Beantwortung der Frage, ob es sich bei Messungen mit dem Messgerät Typ1 derzeit um ein standardisiertes Messverfahren handelt, der Fortbildung des Rechts und der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung dient. Die bisher hierzu getroffenen und teilweise veröffentlichten Einstellungsbeschlüsse des Einzelrichters sind vor der abschließenden Stellungnahme der PTB ergangen.
II.
Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
Das Amtsgericht ist bei seinem Urteil vom 04.02.2021 davon ausgegangen, dass ein standardisiertes Messverfahren vorliege.
Der Senat hat danach, nämlich in seinem Beschluss vom 20.04.2021 (2 Ss (OWi) 92/21, juris) ausgeführt, dass er zum damaligen Zeitpunkt die Voraussetzungen eines standardisierten Messverfahrens nicht mehr angenommen hat. Auf den vorgenannten Beschluss sowie den vorherigen Beschluss des Senats vom 16.03.2021 (2 Ss (OWI) 67/21, juris) wird verwiesen.
Nachdem die PTB ihre Untersuchungen abgeschlossen hat, ist festzustellen, dass das verwendete Messgerät unter Zugrundelegung auch der geänderten Bedienungsanleitung unzulässige Messwertabweichungen aufweist, wobei Abweichungen zu Ungunsten Betroffener nur bei Rechtsmessungen festgestellt worden sind. Unzulässige Abweichungen sind festgestellt worden, wenn das Kennzeichen nicht vollständig vom Messung-Start-Bild abgebildet war und die Messstrecke weniger als 12,2 m betrug.
Der Senat hat erwogen, Messungen, bei denen diese kritischen Konstellationen vorgelegen haben, nicht mehr als standardisiert anzusehen, das Messverfahren im Übrigen aber schon.
Diese Überlegung hat der Senat allerdings verworfen:
Gemäß § 55 MessEG haben nämlich die zuständigen Behörden die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, wenn sie den begründeten Verdacht haben, dass Messgeräte nicht entsprechend den Anforderungen des Abschnittes 3 verwendet werden.
Der Senat hat deshalb mit Schreiben vom 18. Juni 2021 die zuständige Eichdirektion in Hessen zunächst mit der Bitte um Stellungnahme, ob und gegebenenfalls wie auf die Problematik reagiert werden solle, angeschrieben und - nachdem von dort mitgeteilt worden war, dass die Eichbehörden vom Hersteller und der PTB eine Anpassung der Messbedingungen und Auswerterichtlinien erwarten würden - mit Schreiben vom 23.06.2021 unter Hinweis auf § 55 MessEG zum Ausdruck gebracht, dass dringender Handlungsbedarf gesehen werde. Daraufhin hat die für die Marktüberwachung zuständige Eichdirektion mitgeteilt, nach ihrer Auffassung seien die „wesentlichen Anforderungen nach § 6 Abs. 2 [MessEG] unter Einhaltung der Verkehrsfehlergrenzen“ zu bejahen, nur der „Stand der Technik“ habe sich geändert und sei bei der Durchführung von Messungen vom Verwender zu berücksichtigen. Es bestehe keine Möglichkeit, den Hersteller bzw. die PTB zur Anpassung der Auswerterichtlinien bzw. der Bedienungsanleitung zu zwingen.
Unter Berücksichtigung der im Gesetz verankerten Zuständigkeiten sieht der Senat es aber nicht als seine Aufgabe an, quasi anstelle der zum Tätigwerden berufenen Beteiligten (Hersteller, Behörden) die Bedienungsanleitung fortzuschreiben.
III.
Das OLG Celle hat mit Beschluss vom 18.06.2021 (2 Ss (OWi) 69/21, juris) ebenfalls festgestellt, dass es sich bei Messungen mit dem Messgerät Typ1 derzeit insgesamt nicht um ein standardisiertes Messverfahren handele und sich damit der vom Senat vertretenen Auffassung angeschlossen.
Es hat dies unter anderem damit begründet, dass seitens der PTB keine eindeutige Aussage dahingehend getroffen worden sei, dass unzulässige Messwertabweichungen zu Ungunsten Betroffener nur in Fällen von Rechtsmessungen auftreten. Dass seitens der PTB keine “Garantie“ dafür übernommen werde, dass in anderen Konstellationen keine Messfehler auftreten, ist dem Rechtsunterzeichner im Rahmen dieser Problematik geführter Gespräche von der PTB ebenfalls bestätigt worden.
Der Senat hält deshalb an seiner bereits im oben genannten Beschluss vom 20.04.2021 dargelegten Auffassung, dass ein standardisiertes Messverfahren derzeit nicht vorliegt, fest. Hierunter ist „ein durch Normen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren zu verstehen, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (vgl. OLG Saarbrücken NZV 1996, 207)“ (BGHSt 43, 277-284, Rn. 27).
Ein Messverfahren, bei dem es auch unter Einhaltung der Bedienungsanleitung zu unzulässigen Messwertabweichungen kommen kann, erfüllt diese Anforderung aber nicht.
IV.
Da nunmehr aber die abschließende Stellungnahme der PTB vorliegt, kommt die bisher erfolgte generelle Einstellung der Verfahren nicht mehr in Betracht. Der Senat hat die Amtsgerichte im Hinblick auf neue Verfahren auf § 69 Abs. 5 OWiG hingewiesen.
Konsequenz des Nichtvorliegens eines standardisierten Messverfahrens ist, dass sich das Amtsgericht im Einzelfall von der Richtigkeit der Messung überzeugen muss. Dazu wird es sich sachverständiger Hilfe bedienen müssen.
Das angefochtene Urteil war daher aufzuheben und die Sache im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht zurückzuverweisen. Von der Aufhebung ausgenommen werden konnte die rechtsfehlerfrei getroffene Feststellung der Fahrereigenschaft des Betroffenen.
Auf die umfangreichen Ausführungen der Rechtsbeschwerdebegründung kommt es nicht mehr an.