Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Verwaltungsgericht Bremen Beschluss vom 06.05.2011 - 5 V 373/11 - Fahrerlaubnisentziehung bei altersbedingten Ausfallerscheinungen nach einer praktischen Fahrprobe und Verweigerung der Gutachtenbeibringung

VG Bremen v. 06.05.2011: Fahrerlaubnisentziehung bei altersbedingten Ausfallerscheinungen nach einer praktischen Fahrprobe und Verweigerung der Gutachtenbeibringung




Das Verwaltungsgericht Bremen (Beschluss vom 06.05.2011 - 5 V 373/11) hat entschieden:

   Das hohe Alter eines Kraftfahrers rechtfertigt für sich allein noch nicht die Annahme der Ungeeignetheit und nicht jeder altersbedingte Abbau der geistigen und körperlichen Kräfte kann einen Anlass für die Entziehung der Fahrerlaubnis bilden. Hinzu kommen muss vielmehr, dass der Alterungsprozess im Einzelfall zu greifbaren Ausfallerscheinungen geführt hat (OVG Bremen, Urt. v. 16.06.1981, Az. 1 BA 40/80). Der Umstand, dass jemand über lange Jahre hinweg unauffällig am Straßenverkehr teilgenommen hat, steht dem aus einer praktischen Fahrprobe gewonnenen Befund nicht entgegen, dass er aktuell nicht mehr zum Führen von Kraftfahrzeugen befähigt ist.

Siehe auch
Die praktische Fahrprobe
und
Fahreignung als Voraussetzung für die Erteilung bzw. Wiedererteilung oder Verlängerung einer Fahrerlaubnis

Gründe:


I.

Der Antragsteller wendet sich gegen die Entziehung seiner Fahrerlaubnis.

Dem 1920 geborenen Antragsteller wurde im Jahr 1944 die Fahrerlaubnis der Klasse 3 erteilt. Am 22. August 2010 verursachte der Antragsteller auf einem öffentlichen Parkplatz beim Ausparken seines Fahrzeugs einen Verkehrsunfall und entfernte sich sodann unerlaubt vom Unfallort. Ausweislich des von der Polizei in der Verkehrsunfallanzeige dokumentierten Unfallhergangs machte der Antragsteller auf die ihn befragenden Polizeibeamten einen zittrigen Eindruck und konnte diese bei normaler Gesprächslautstärke nicht verstehen. Für den 07. September 2010 erhielt der Antragsteller eine Vorladung zur Vernehmung bezüglich des Verkehrsunfalls und des Vorwurfs des unerlaubten Entfernens vom Unfallort von der Polizei A-Stadt und sollte sich zu diesem Zweck im Verkehrskommissariat in der Daniel-von-Bühren-Straße einfinden. Am selben Tag erschien der Antragsteller auf dem Polizeirevier Woltmershausen und teilte mit, er habe sich verfahren und wolle von dort aus lieber mit dem Taxi zur Vernehmung weiterfahren. Ausweislich einer Aktennotiz des wachhabenden Polizeibeamten parkte der Antragsteller schräg mit zwei Drittel seines Fahrzeugs auf der Fahrbahn vor der Polizeiwache und war nicht in der Lage, sein Fahrzeug vollständig auf den Seitenstreifen zu lenken; im Vorraum der Wache erkannte der Antragsteller die als solche durch ein Schild gekennzeichnete Klingel nicht. Auf die Bitte des Polizeibeamten, das Fahrzeug umzuparken, lenkte der Antragsteller sein Fahrzeug „im Zeitlupentempo“ von der Straße in eine freie und ausreichend breite Parklücke auf dem Hof des Polizeireviers, wofür er lediglich hätte geradeaus fahren müssen; jedoch habe der Antragsteller drei Anläufe gebraucht, um so zu parken, dass er habe aussteigen können. Als mögliche Ursache vermutete der Polizeibeamte eine eingeschränkte räumliche Wahrnehmung des Antragstellers. Das gegen den Antragsteller eingeleitete Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort wurde von der Staatsanwaltschaft Verden gemäß § 153 StPO eingestellt; mit Schreiben vom 12. Oktober 2010 übersandte die Staatsanwaltschaft A-Stadt dem Stadtamt A-Stadt als Fahrerlaubnisbehörde Kopien der Ermittlungsakte mit der dringenden Bitte um Überprüfung der Fahrtüchtigkeit des Antragstellers und ggf. Anordnung von Maßnahmen nach § 3 StVG.

Mit Schreiben vom 12. November 2010, zugestellt am 02. Dezember 2010, forderte das Stadtamt A-Stadt den Antragsteller gestützt auf § 46 Abs. 4 FeV auf, ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr beizubringen (Fahrprobe). Zur Begründung bezog sich das Stadtamt A-Stadt auf die bekannt gewordenen Tatsachen. Aufgrund dieser Erkenntnisse, denen zufolge der Antragsteller die erforderliche Umsicht und Voraussicht beim Führen eines Pkw vermissen lasse und sich auch verkehrswidrig verhalten habe in Verbindung mit seinem hohen Lebensalter, bestünden erhebliche Zweifel hinsichtlich seiner Fahrbefähigung. Eine Fahrprüfung könne ein geeignetes Mittel sein, um über die praktischen Fahrfertigkeiten Aufschluss zu geben; insbesondere bei Kraftfahrern, deren Eignung durch altersbedingte Entwicklungen zweifelhaft geworden sei. Es sei allgemein anerkannt, dass ältere Fahrerlaubnisinhaber mit langer Fahrpraxis psycho-physische Leistungsminderungen bis zu einem gewissen Grad durch Erfahrung und gewohnheitsmäßig geprägte Bedienungshandlungen ausgleichen könnten. Zur Feststellung einer solchen Kompensation werde sich häufig eine Fahrprobe anbieten. Dem TÜV Nord werde ein Prüfungsauftrag übersandt; dem Antragsteller stehe dann ein dreiwöchiger Vorbereitungszeitraum zur Verfügung; anschließend sei innerhalb von zwei Wochen die Begutachtung durchzuführen.




Mit anwaltlichem Schreiben vom 07. Januar 2011 bat der Antragsteller das Stadtamt A-Stadt um eine Fristverlängerung, da es bei der Beauftragung einer Fahrschule zu einer Verzögerung gekommen sei. Daraufhin gewährte das Stadtamt A-Stadt dem Antragsteller eine Fristverlängerung bis zum 30. Januar 2011 mit dem Hinweis, dass eine weitere Fristverlängerung nicht mehr möglich sei. Eine Begutachtung erfolgte in der Folgezeit nicht.

Mit Verfügung vom 28. Februar 2011, zur Post aufgegeben am 01. März 2011, entzog das Stadtamt A-Stadt dem Antragsteller die Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen, ordnete die sofortige Vollziehung der Verfügung an und forderte ihn zur Abgabe des Führerscheins auf. Zur Begründung führte es aus, der Antragsteller sei ungeeignet zum Führen von Fahrzeugen. Die Geeignetheit setze nicht nur die Beherrschung der Technik des Fahrens und der Verkehrsvorschriften voraus. Der Betrieb des Kraftfahrzeugs sei im Hinblick auf die Geschwindigkeiten, die mit Kraftfahrzeugen erzielt werden könnten, mit Gefahren verbunden. Aus diesem Grund müsse ein Kraftfahrer darüber hinaus die Voraussetzungen in körperlicher oder geistiger Hinsicht erfüllen, um die Gewähr zu bieten, dass er die öffentliche Sicherheit nicht beeinträchtige. Der Antragsteller habe die ihm gesetzte Frist zur Beibringung des geforderten Gutachtens verstreichen lassen. Ihm werde daher unterstellt, dass er ihm bekannte und seine Eignung ausschließende Mängel verbergen wolle.

Der Antragsteller hat am 01. März 2011 Klage gegen die Fahrerlaubnisentziehung erhoben und einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Er trägt vor, er habe seit Führerscheinerwerb im Jahr 1944 keinen Unfall verschuldet und es seien keine Eintragungen im Flensburger Zentralregister erfolgt. Er sei der im Schreiben vom 12. November 2010 gesetzten 5-Wochenfrist nur wegen der Akteneinsicht durch seinen Rechtsanwalt nicht nachgekommen. Die verlängerte Frist habe er nicht erfüllen können. Sein hohes Alter allein sei kein Grund für Zweifel an seiner Kraftfahreignung. Die Fahrerlaubnisbehörde habe der Fahrerlaubnisentziehung fehlerhafte Tatsachen zugrunde gelegt. Bei dem Verkehrsunfall vom 22. August 2010 sei kein Verschulden festzustellen gewesen und das fehlgeschlagene Einparkmanöver vor dem Polizeirevier Woltmershausen sei ebenfalls nicht geeignet, Rückschlüsse auf die Fahreignung eines Verkehrsteilnehmers zu ziehen, da sich diese aus dem Verhalten im fließenden Verkehr ergeben müssten. Zudem habe die Fahrerlaubnisbehörde in der angefochtenen Verfügung auf die Nichtbeibringung eines „ärztlichen“ Gutachtens abgestellt. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung und der Einziehung des Führerscheins sei nicht ausreichend begründet.

Der Antragsteller beantragt,

   die aufschiebenden Wirkung der Anfechtungsklage gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 28.02.2011 wiederherzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

   den Antrag abzuweisen.

Die in Polizeibericht vom 07. September 2010 wiedergegebenen Beobachtungen hätten in Verbindung mit der Unfallverursachung am 22. August 2010 Anlass zu Zweifeln an der Fahrbefähigung des Antragstellers geboten. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei hinreichend begründet worden. Dass in der angegriffenen Verfügung von einer mangelnden Mitwirkung infolge der Nichtvorlage eines ärztlichen Gutachtens gesprochen worden sei, sei ein offenkundiger Fehler, der in Berücksichtigung der vorausgegangenen Anordnung als solcher leicht zu erkennen sei. Er sei daher unschädlich.




II.

Der nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO statthafte Antrag ist zulässig aber unbegründet. Das Begehren, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Verfügung vom 28. Februar 2011 wiederherzustellen, ist nach § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller lediglich die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung von Ziffer 1 der Verfügung begehrt. Nur auf diese bezieht sich die Anordnung der sofortigen Vollziehung in Ziffer 2 der angefochtenen Verfügung. Für die in Ziffer 3 angeordnete Abgabe des Führerscheins und die Androhung von Zwangsmitteln wurde ein Sofortvollzug nicht angeordnet. Mangels landesgesetzlicher Regelung haben Rechtsbehelfe gegen Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung, um die es sich hier handelt, aufschiebende Wirkung, so dass der Klage des Antragstellers insoweit ohnehin aufschiebende Wirkung zukommt. Lediglich ergänzend wird angemerkt, dass es der Antragsgegnerin unbenommen bleibt, auch hinsichtlich Ziffer 3 der Verfügung die sofortige Vollziehung anzuordnen, wobei nach Ablauf der gesetzten Frist von einem Tag ab Zustellung der Verfügung eine neue Fristsetzung erforderlich werden dürfte.

Der so verstandene Antrag ist nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Abs. 5 VwGO statthaft. Die Entziehung der Fahrerlaubnis ist aufgrund der entsprechenden Anordnung in der Verfügung sofort vollziehbar (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO). Das Begehren hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung begegnet in formeller Hinsicht keinen Bedenken. In materieller Hinsicht erweist sich die Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung als eilbedürftig; gegen sie sind auch materiell-rechtliche Bedenken nicht zu erheben.




1. Nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist in den Fällen des Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes schriftlich zu begründen. Die Vorschrift erfordert eine auf den konkreten Einzelfall abstellende Darlegung, worin das besondere öffentliche Interesse an einer ausnahmsweisen sofortigen Vollziehbarkeit besteht und weshalb das Interesse des Betroffenen, zunächst nicht von dem angefochtenen Verwaltungsakt betroffen zu werden, hinter dieses erhebliche öffentliche Interesse zurücktreten muss. Eine maßgebliche Funktion der Begründungspflicht besteht darin, den Betroffenen über die Gründe, die für die behördliche Entscheidung maßgeblich gewesen sind, zu unterrichten (vgl. Schoch in: Schoch/BBT.-Aßmann/Pietzner, VwGO Kommentar, Stand: Sept. 2007, § 80 Rdnr. 176; BBT. in: Eyermann, VwGO Kommentar, 12. Aufl., 2006, § 80 Rdnr. 42). Der Begründungspflicht ist daher nur dann genügt, wenn die Gründe für das öffentliche Vollzugsinteresse für den Betroffenen hinreichend erkennbar sind. Eine solche, den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO entsprechende Begründung für den angeordneten Sofortvollzug enthält die Verfügung vom 28. Februar 2011. Die Fahrerlaubnisbehörde hat darin konkrete Einzelfallumstände benannt und Gefahren aufgezeigt, mit denen im Fall einer weiteren Teilnahme des Antragstellers am motorisierten Straßenverkehr zu rechnen wäre. Danach wird dem Antragsteller unterstellt, dass seine Befähigungsmängel so gravierend sind, dass sie sich jederzeit bei seiner Teilnahme am Straßenverkehr gravierend auswirken würden, ohne dass er dies verhindern könne. Zudem seien die konkreten Befähigungsmängel wegen der fehlenden Mitwirkung des Antragstellers nicht bekannt.

2. In der Sache überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Fahrerlaubnisentziehung das private Interesse des Antragstellers, von der sofortigen Vollziehung einstweilen bis zu einer Klärung der Rechtmäßigkeit der Verfügung im Hauptsacheverfahren verschont zu bleiben.


Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache die aufschiebende Wirkung in den Fällen des Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 3 ganz oder teilweise anordnen, im Fall des Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ganz oder teilweise wiederherstellen. Voraussetzung für die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung durch das Gericht ist, dass das Interesse des Einzelnen an der aufschiebenden Wirkung gegenüber dem öffentlichen Interesse am Vollzug des Bescheides überwiegt. Das Gericht ist hierbei nicht auf eine Überprüfung der Begründung der handelnden Behörde beschränkt, sondern kann die für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Argumente selbst ermitteln und gegeneinander abwägen (st. Rspr. des OVG Bremen, z. B. Beschl. v. 11.06.1986, Az. 1 B 14/86; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl., 2007, § 80 Rdnr. 152ff.). Im Rahmen dieser vom Gericht zu treffenden Interessenabwägung sind die Erfolgsaussichten der Hauptsache zu berücksichtigen. Die Wiederherstellung der aufschieben- den Wirkung der Klage ist in der Regel abzulehnen, wenn der Rechtsbehelf nach dem derzeitigen Erkenntnisstand aller Voraussicht nach erfolglos bleiben wird; umgekehrt überwiegt bei einer offensichtlichen Erfolgsaussicht der Klage das Aussetzungsinteresse des Antragstellers. Erweisen sich die Erfolgsaussichten der Hauptsache als offen, erfordert die Entscheidung über die Aussetzung des Vollzugs eine Abwägung des öffentlichen Interesses am Sofortvollzug mit dem privaten Interesse des Antragstellers, bis zur Entscheidung in der Hauptsache weiterhin am motorisierten Straßenverkehr teilnehmen zu können. Der Rechtsbehelf des Antragstellers verspricht nach derzeitigem Erkenntnisstand keinen Erfolg in der Hauptsache, denn die angefochtene Verfügung stellt sich bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtmäßig dar. Private Interessen des Antragstellers, denen ein höheres Gewicht als dem öffentlichen Interesse an der baldigen Durchsetzung der Regelung zuzumessen wäre, sind nicht ersichtlich.

Rechtsgrundlage für die Entziehung der Fahrerlaubnis ist § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) i.V.m. § 46 der Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV). Danach ist demjenigen die Fahrerlaubnis zu entziehen, der sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 46 Abs. 4 Satz 1 FeV ist die Fahrerlaubnis auch zu entziehen, wenn der Inhaber sich als nicht befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Rechtfertigen Tatsachen eine solche Annahme, kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung der Entscheidung über die Entziehung die Beibringung eines Gutachtens eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr anordnen (Satz 2). § 11 Abs. 6 bis 8 ist entsprechend anzuwenden (Satz 3). Weigert sich der Betroffene, sich untersuchen zu lassen oder bringt er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht fristgerecht bei, so darf sie bei ihrer Entscheidung gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Betroffenen schließen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Betroffene in der Gutachtensanordnung auf diese Folge hingewiesen wurde, dass die Untersuchungsanordnung rechtmäßig war und die Weigerung ohne ausreichenden Grund erfolgte (BVerwG, Beschl. vom 30.12.1999, Az. 3 B 150/99).

Die oben genannten Voraussetzungen liegen vor. Zwar ist die Nichteignung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen aufgrund des Verkehrsunfalls vom 22. August 2010 und des Vorfalls vom 07. September 2010 nicht erwiesen. Mit den beiden Vorfällen sind jedoch konkrete Tatsachen bekannt geworden, die erhebliche Zweifel an der Befähigung des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen begründen. Diese Zweifel wurden nicht ausgeräumt, denn der Antragsteller hat das von der Fahrerlaubnisbehörde geforderte Gutachten nicht beigebracht. Unerheblich ist, dass die Fahrerlaubnisbehörde das nicht beigebrachte Gutachten in der angefochtenen Verfügung unrichtigerweise als „ärztliches“ Gutachten bezeichnete. Im Hinblick auf das Schreiben vom 12. November 2010 und die Begründung in der angefochtenen Verfügung war diese unrichtige Bezeichnung unschwer als Fehler erkennbar und es war dem Antragsteller ohne weiteres erkennbar, dass allein das im Schreiben vom 12. November 2010 geforderte Gutachten gemeint sein konnte.

Die Beibringungsaufforderung vom 12. November 2010 war formell rechtmäßig. Die Anordnung, ein Gutachten eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr (Fahrprobe) beizubringen, genügte den formellen Anforderungen des § 11 Abs. 6 Satz 2 FeV. Die Fahrerlaubnisbehörde teilte darin mit, dass die Frage der Befähigung des Antragstellers zum Führen eines Kraftfahrzeugs aufgrund der Ereignisse vom 22. August 2010 und 07. September 2010 zu klären sei. Die Anordnung enthält die erforderliche Fristsetzung, einen Hinweis auf die Kostentragungspflicht des Betroffenen und die für die Begutachtung zuständige Stelle. Außerdem wurde der Antragsteller auf die Folgen einer Weigerung, sich untersuchen zu lassen, oder einer nicht fristgerechten Vorlage des Gutachtens hingewiesen (§ 11 Abs. 8 Satz 2 FeV).

Die Beibringungsaufforderung war auch materiell rechtmäßig. Sie beruht auf § 46 Abs. 4 Satz 2 FeV. Danach kann die Fahrerlaubnisbehörde zur Vorbereitung der Entscheidung über die Entziehung die Beibringung eines Gutachtens eines amtlich anerkannten Sachverständigen oder Prüfers für den Kraftfahrzeugverkehr anordnen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Inhaber nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen befähigt ist. Solche konkreten Tatsachen lagen vor.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Bremen rechtfertigt das hohe Alter eines Kraftfahrers für sich allein noch nicht die Annahme der Ungeeignetheit und nicht jeder altersbedingte Abbau der geistigen und körperlichen Kräfte kann einen Anlass für die Entziehung der Fahrerlaubnis bilden. Hinzu kommen muss vielmehr, dass der Alterungsprozess im Einzelfall zu greifbaren Ausfallerscheinungen geführt hat (OVG Bremen, Urt. v. 16.06.1981, Az. 1 BA 40/80). Für eine solche Annahme bestanden vorliegend hinreichend konkrete Anhaltspunkte. Der Antragsteller verursachte am 22. August 2010 bei dem Versuch, aus einer Parklücke auszuparken, einen Verkehrsunfall. Nach dem Eindruck der sodann wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort gegen ihn ermittelnden Beamten machte einen zittrigen Eindruck und konnte die Beamten bei normaler Gesprächlautstärke nicht verstehen. Sein Verhalten am 07. September 2010 offenbarte weitere – offenbar physische – Defizite, die starke Indizien für eine fehlende Fahrbefähigung sind. Hierzu gehört das Unvermögen, sein Fahrzeug entlang der Fahrbahn ordnungsgemäß auf einem Seitenstreifen abzustellen, es in eine ausreichend breite Parklücke zu steuern und auch die Fahrgeschwindigkeit („Zeitlupentempo“) spricht für das Vorhandensein nicht unerheblicher altersbedingter Defizite des Antragstellers. Dass der Antragsteller sich offenbar selber nicht mehr befähigt sieht, unbekannte Strecken mit seinem Fahrzeug zu bewältigen, kommt darin zum Ausdruck, dass er sein Fahrzeug am 07. September 2009 an der Polizeiwache Woltmershausen stehen ließ und mit einem Taxi zu der ihm unbekannten Adresse fuhr.

Aus der Tatsache, dass sich im Verkehrszentralregister keine Eintragung für den Antragsteller findet, folgt entgegen seiner Auffassung nicht, dass er kein Sicherheitsrisiko für andere Verkehrsteilnehmer darstellen kann. Zum einen ist es ungewiss, ob bzw. seit welchem Zeitpunkt der Antragsteller nicht mehr die Befähigung zum Führen von Kraftfahrzeugen besitzt. Zum anderen setzt das Bestehen einer vom Antragsteller für andere Verkehrsteilnehmer ausgehenden Gefahr nicht voraus, dass sie sich bereits verwirklicht hat. Selbst der Umstand, dass jemand über lange Jahre hinweg unauffällig am Straßenverkehr teilgenommen hat, steht dem Befund, dass er - möglicherweise aufgrund einer erst in jüngerer Zeit eingetretenen Entwicklung - aktuell nicht mehr befähigt zum Führen von Kraftfahrzeugen ist, nicht entgegen (BayVGH, Beschl. v. 06.04.2009, Az. 11 CS 09.450). Ungeachtet dessen, hat der Antragsteller vorliegend bereits einen Verkehrsunfall verursacht. Der Antragsteller kann dagegen nicht einwenden, dass die strafrechtlichen Ermittlungen wegen geringer Schuld eingestellt wurden. Auf ein Verschulden kommt es vorliegend nicht an. Es kommt auch nicht darauf an, ob sich die Hinweise auf eine fahreignungsrelevante physische Leistungsminderung aus einem Verhalten im fließenden Verkehr, im Zusammenhang mit dem ruhenden Verkehr oder gar aus Tatsachen außerhalb des Straßenverkehrs ergeben. Ermessensfehler hinsichtlich der Entscheidung über die Aufforderung zur Beibringung eines Gutachtens sind nicht ersichtlich.



Der Schluss der Fahrerlaubnisbehörde gemäß § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV auf die Nichteignung des Antragstellers ist nach gegenwärtiger Erkenntnis ebenfalls nicht zu beanstanden. Der Vortrag, wonach der Antragsteller das Gutachten zunächst wegen der Akteneinsichtnahme durch seinen Rechtsanwalt nicht beigebracht habe, stellt keinen hinreichenden Grund dar und erklärt zudem nicht das Verstreichenlassen der sodann durch die Fahrerlaubnisbehörde verlängerten Beibringungsfrist.

3. Es besteht ein besonderes öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Verfügung, denn diese dient der Abwehr von Gefahren, die mit einer weiteren Teilnahme des Antragstellers am öffentlichen Straßenverkehr einhergehen. Angesichts der durch die Ereignisse am 22. August 2010 und am 07. September 2010 begründeten Zweifel an der Befähigung des Antragstellers und dessen Weigerung, diese Zweifel durch Beibringung eines Gutachtens auszuräumen, kann bei einer weiteren Teilnahme des Antragstellers am motorisierten Straßenverkehr von nicht unerheblichen Gefahren für andere Verkehrsteilnehmer ausgegangen werden. Angesichts dessen muss das Interesse des Antragstellers, einstweilen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache weiter ein Kraftfahrzeug führen zu dürfen, gegenüber dem öffentlichen Interesse zurücktreten. Das Vorbringen des Antragstellers, dass er auf seine Fahrerlaubnis angewiesen sei, weil er seine fast 100-jährige Ehefrau bei gesundheitlichen Problemen in die naheliegende Klinik fahren müsse, greift nicht. Für medizinische Notfälle steht dem Antragsteller – wie anderen Personen ohne Fahrerlaubnis oder eigenem Pkw – die Möglichkeit offen, einen Krankenwagen zu rufen; dies gilt umso mehr, als sich das Krankenhaus nach Angaben des Antragstellers in der Nähe befindet.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

IV.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG.

- nach oben -



Datenschutz    Impressum