1. | Die auf § 48 Abs. 1 VwVfG NRW gestützte Rücknahme einer Ausnahmegenehmigung nach der Straßenverkehrs-Ordnung (hier: Befreiung von der Schutzhelmpflicht) begegnet keinen rechtlichen Bedenken, wenn die Genehmigung von Anfang an rechtswidrig ist, die Straßenverkehrsbehörde ihr Rücknahmeermessen unter Berücksichtigung der individuellen Belange des Betroffenen ordnungsgemäß ausgeübt hat und die Rücknahme rechtzeitig im Sinne des § 48 Abs. 4 VwVfG NRW erfolgt ist. |
2. | Die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach § 46 Abs. 1 S. 1 Nr. 5b Var. 2 StVO steht im Ermessen der Behörde und setzt ein Überwiegen der privaten Interessen des Antragstellers gegenüber den öffentlichen Belangen voraus. Die Befreiung von der Schutzhelmpflicht setzt voraus, dass dem Betroffenen der Verzicht auf das Motorradfahren aus besonderen individuellen Gründen nicht zugemutet werden kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 04. Juli 2019 - 3 C 24/17). |
3. | Eine Urkunde im Sinne des § 52 S. 1 VwVfG NRW (juris: VwVfG NW; hier: eine schriftliche Ausnahmegenehmigung) kann auch dann zurückgefordert werden, wenn die Rücknahme eines Verwaltungsaktes nicht unanfechtbar ist, die Behörde jedoch ordnungsgemäß die sofortige Vollziehung der Rücknahmeverfügung angeordnet hat. |
die aufschiebende Wirkung der Klage 14 K 6244/21 gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 6. September 2021 hinsichtlich Ziffer 1 und 2 wiederherzustellen und hinsichtlich Ziffer 4 anzuordnen. |
den Antrag abzulehnen. |
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. September 2001 - 1 DB 26/01 -, juris, Rn. 6; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 28. Mai 2021 - 8 B 1468/20 -, juris, Rn. 5. |
vgl. nur BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2006 - 6 C 19/06 -, BVerwGE 126, 149-166, juris, Rn. 33 m. w. N. |
Vgl. BVerwG, EuGH-Vorlage vom 07. Juli 2004 - 6 C 24/03 -, BVerwGE 121, 226-245, juris, Rn. 13; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 48 Rn. 49. |
Vgl. König, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 46. Aufl. 2021, § 46 StVO Rn. 23; Sauthoff, in: Münchener Kommentar zum StVR, § 46 StVO Rn. 9 ff.; jeweils m. w. N. |
"In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass eine Ausnahmesituation vorliegt, die eine Ermessensentscheidung der Straßenverkehrsbehörde eröffnet, wenn der Betroffene aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert ist, einen Motorradhelm zu tragen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1982 - 1 BvR 1295/80 u.a. - BVerfGE 59, 275 ). An die Unmöglichkeit des Tragens eines Schutzhelms aus gesundheitlichen Gründen knüpft auch die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Straßenverkehrs-Ordnung (VwV-StVO) vom 26. Januar 2001 (BAnz S. 1419, ber. S. 5206), zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 22. Mai 2017 (BAnz AT vom 29. Mai 2017 B8), an.
[...]
c) Das Vorliegen eines Hinderungsgrunds für das Tragen eines Motorradhelms zieht aber keinen unmittelbaren Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung nach sich; die Entscheidung hierüber steht gemäß § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5b StVO vielmehr im Ermessen der Straßenverkehrsbehörde (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Februar 2017 - 3 B 12.16 [...] - Buchholz 442.151 § 46 StVO Nr. 14 Rn. 3). Wer keinen Schutzhelm tragen kann, soll grundsätzlich auch nicht Motorradfahren.
Ein Anspruch auf Befreiung von der Helmpflicht kann allenfalls dann bestehen, wenn dem Betroffenen der Verzicht auf das Motorradfahren aus besonderen individuellen Gründen nicht zugemutet werden kann (vgl. BGH, Urteil vom 25. Januar 1983 - VI ZR 92/81 - NJW 1983, 1380 Rn. 18 sowie Schweizerisches Bundesgericht, Urteil vom 27. Mai 1993 - 6 S 699/1992 - EuGRZ 1993, 595 ). Die in § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5b StVO vorgesehene Ausnahmemöglichkeit ist primär auf die Gurtpflicht bezogen. Sie dient dazu, den Betroffenen nach Möglichkeit eine hinreichende Mobilität zu gewährleisten. Entsprechendes gilt für die ebenfalls durch § 46 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5b StVO eröffnete Möglichkeit der Befreiung von der Schutzhelmpflicht. Liegt zwar die Unmöglichkeit des Helmtragens vor, ist der Betroffene aber auf die Nutzung eines Motorrades nicht angewiesen, überwiegt sein individuelles Interesse am Motorradfahren das öffentliche Interesse an der Einhaltung der in § 21a Abs. 2 Satz 1 StVO angeordneten Schutzhelmpflicht nicht zwingend (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Dezember 2015 - 1 B 14.13 [...] - juris Rn. 31; VG Augsburg, Urteil vom 27. Juni 2000 - 3 K 00.466 [...] - juris Rn. 21)." BVerwG, Urteil vom 04. Juli 2019 - 3 C 24/17 -, BVerwGE 166, 125-132, juris, Rn. 12 ff. |
So bereits ausdrücklich BVerwG, Beschluss vom 08. Februar 2017 - 3 B 12/16 -, juris, Rn. 3. |
Vgl. nur BVerwG, Beschluss vom 19. Dezember 1984 - GrSen 1/84 -, BVerwGE 70, 356-365, juris, Rn. 22. |
Vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2012 - 5 C 17/11 -, BVerwGE 143, 161-171, juris, Rn. 27; OVG NRW, Urteil vom 14. Juli 2004 - 10 A 4471/01 -, juris, Rn. 83, 89. |
Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. November 2018 - 1 WB 20/18 -, juris, Rn. 22; näher: J. Müller, in: BeckOK VwVfG, Bader/Ronellenfitsch, 52. Edition, Stand: 01.04.2021, § 48 Rn. 87 ff.; Schoch, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsverfahrensgesetz, Stand: Juli 2020, § 48 Rn. 194 f.; Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 52 Rn. 175 ff. |
vgl. BVerfG, Beschluss vom 26. Januar 1982 - 1 BvR 1295/80 -, BVerfGE 59, 275-279, juris, Rn. 19; BVerwG, Urteil vom 04. Juli 2019 - 3 C 24/17 -, BVerwGE 166, 125-132, juris, Rn. 20 ff., |
Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1983 - 8 C 65/81 -, BVerwGE 68, 151-156, juris, Rn. 8. |
So auch: Sachs, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Auflage 2018, § 52 Rn. 15-17. |
Vgl. auch Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Dezember 2015 - OVG 1 B 14.13 -, juris, Rn. 34. |