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Oberlandesgericht Karlsruhe Beschluss vom 05.08.2020 - 1 Rv 34 Ss 406/20 - Merkmal der Rücksichtslosigkeit beim Überholen

OLG Karlsruhe v. 05.08.2020: Zum Merkmal der Rücksichtslosigkeit beim Überholen




Das Oberlandesgericht Karlsruhe (Beschluss vom 05.08.2020 - 1 Rv 34 Ss 406/20) hat entschieden:

  1.  Rücksichtslos handelt, wer sich zwar seiner Pflichten als Verkehrsteilnehmer bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen, etwa seines ungehinderten Fortkommens wegen, darüber hinwegsetzt, mag er auch darauf vertraut haben, dass es zu einer Beeinträchtigung anderer Personen nicht kommen werde oder wer sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten besinnt und Hemmungen gegen seine Fahrweise gar nicht erst aufkommen lässt und unbekümmert um die Folgen seiner Fahrweise drauflos fährt.

  2.  Die Feststellung des Merkmals der Rücksichtslosigkeit erfordert den Nachweis, dass im konkreten Tatgeschehen eine insb. von Leichtsinn, Eigensucht, Gleichgültigkeit oder unverständlicher Nachlässigkeit geprägte üble Verkehrsgesinnung des Täters zum Ausdruck gelangt ist, wobei der äußere Tathergang ein wichtiges Entscheidungskriterium bei der Prüfung des Merkmals darstellt.

  3.  Von einer sich aus den äußeren Umständen ohne weiteres ergebenden Rücksichtslosigkeit ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung ausgegangen worden, wenn zum Überholen an einer „unübersichtlichen Rechtskurve praktisch blind“ in die Gegenfahrbahn hineinfahren wird (OLG Koblenz, Urt. v. 29.04.1993 - 1 Ss 29/93, NZV 1993, 318).

  4.  Führt die Revision des Angeklagten unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur Rückverweisung der Sache an eine andere Berufungskammer, kann das Revisionsgericht in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 3 StPO die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO aufheben und den Führerschein an den Angeklagten herausgeben, wenn eine die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB tragenden Verurteilung nach Neuverhandlung der Sache eher fernliegt (Abgrenzung zu OLG Jena, Bes. v. 18. März 2019 - 1 OLG 151 Ss 22/19).


Siehe auch
Zum Merkmal der Rücksichtslosigkeit
und
Straßenverkehrsgefährdung / gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr

Gründe:


I.

Der Angeklagten liegt auf Grund der Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom 25.02.2019 im Wesentlichen zu Last, sie habe am 20.12.2018 gegen 16:00 Uhr auf der B 293 bei Bretten an einer unübersichtlichen Stelle mit ihrem Pkw einen Lkw überholt, wobei es beinahe zu einer Frontalkollision mit einem entgegenkommenden Pkw gekommen sei, der habe Bremsen und in die Böschung ausweichen müssen, um einen Zusammenprall zu vermeiden, so dass an dem Fahrzeug ein Sachschaden in Höhe von 3.500 € entstanden sei. Nachdem die Angeklagte ungeachtet dieses Geschehens ihre Fahrt fortgesetzt habe, sei sie von anderen Verkehrsteilnehmern, den Zeugen M. und K., nach ca. 2 km gestoppt und mit dem Unfallgeschehen konfrontiert worden. Hierauf habe die Angeklagte wenden und zurückfahren wollen. Der Zeuge M. habe dies verhindern wollen und sich vor den Pkw der Angeklagten gestellt. Die Angeklagte habe ihn gesehen und sei dennoch auf ihn aufgefahren, wodurch dieser über die Fahrbahn auf den gegenüberliegenden Grünstreifen geschleudert worden sei und eine Hüftprellung erlitten habe, auf Grund derer er bis 24.02.2019 arbeitsunfähig gewesen sei.

Durch Beschluss des Amtsgerichts Bretten vom 28.02.2019, der Angeklagten am 02.03.2019 zugestellt, wurde ihr vorläufig die Fahrerlaubnis entzogen. Durch Beschluss vom 22.03.2019 wurde das Hauptverfahren eröffnet und die Anklage der Staatsanwaltschaft Karlsruhe vom 25.02.2019 zugelassen. Hinsichtlich eines unerlaubten Entfernens um Unfallort wurde das Verfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt.

Durch Urteil des Amtsgerichts Bretten vom 09.09.2019 (2 Ds 120 Js 5027/19) wurde die Angeklagte – unter Freispruch im Übrigen – wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und vorsätzlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Ferner wurde ihr die Fahrerlaubnis entzogen, ihr Führerschein eingezogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, für die Dauer von 13 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Hiergegen legte die Angeklagte unbestimmtes Rechtsmittel und die Staatsanwaltschaft Berufung ein.




Durch Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 10.03.2020 wurde auf die Berufung der Staatsanwaltschaft – unter Verwerfung der weitergehenden Berufung der Staatsanwaltschaft und Verwerfung der Berufung der Angeklagten – das amtsgerichtliche Urteil dahingehend abgeändert, dass die Angeklagte wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs und gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit gefährlichem Eingriff in den Straßenverkehr zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Monaten verurteilt wird, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird. Unter Bestätigung der Entziehung der Fahrerlaubnis und der Einziehung des Führerscheins wurde die Neuerteilungssperre auf nunmehr 6 Monate festgesetzt.

Gegen das Urteil legte die Angeklagte am 17.03.2020 Revision ein, die sie nach Urteilszustellung am 21.04.2020 am 13.05.2020 mit einer Verfahrensrüge sowie mit der Sachrüge begründete.

Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte mit Schrift vom 02.07.2020, die Revision als unbegründet zu verwerfen.





II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten hat Erfolg und führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Strafkammer des Landgerichts (§§ 349 Abs. 4, 354 Abs. 2 StPO), welche auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.

1. Die erhobene Verfahrensrüge bleibt hierbei erfolglos, da sie jedenfalls unbegründet ist.

Die Revision rügt mit dieser, das Landgericht habe zu Unrecht den als Zeugen vernommenen Geschädigten G. nicht nach § 55 StPO belehrt, der sich dadurch, dass er die Angeklagte zum Anhalten gezwungen habe, wegen Nötigung strafbar gemacht haben könnte. Es sei davon auszugehen, dass der Zeuge seine (die Angeklagte belastenden) Angaben nicht gemacht hätte, wenn man ihn belehrt hätte. Im Übrigen habe sich in der Nichtbelehrung eine Vorverurteilung der Angeklagten gezeigt.

Auf das Unterbleiben der Belehrung kann – worauf auch die Generalstaatsanwaltschaft zu Recht hinweist – die Revision nicht gestützt werden, weil § 55 StPO nicht den Schutz des Angeklagten bezweckt (KK-StPO/Bader, 8. Aufl. 2019, StPO § 55 Rn. 19 m.w.N.). Soweit vorgebracht wird, dass die Nichtbelehrung eine Voreingenommenheit zum Nachteil der Angeklagten zum Ausdruck gebracht hätte, wäre dies durch einen Befangenheitsantrag geltend zu machen gewesen.

2. Die gegen die Verurteilung wegen fahrlässiger Gefährdung des Straßenverkehrs durch die Beinahekollision mit einem entgegenkommenden Fahrzeug zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 30 € gerichtete Sachrüge (Feststelllungen gemäß Ziff. III.1. der Gründe des angegriffenen Berufungsurteils), ist erfolgreich.

Soweit die Kammer zu dem Schluss kommt, die Angeklagte habe insoweit im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 b) Abs. 3 Nr. 2 StGB fahrlässig im Straßenverkehr falsch überholt und dadurch Leib oder Leben eines anderen Menschen oder eine fremde Sache von bedeutendem Wert gefährdet, erfolgte dies rechtsfehlerfrei auf Grundlage ebenfalls rechtsfehlerfrei getroffener Feststellungen. Soweit die Kammer jedoch davon ausging, dass die Angeklagte im Sinne der Vorschrift darüber hinaus auch grob verkehrswidrig und rücksichtslos falsch überholte, ist jedenfalls letzteres nicht auf rechtsfehlerfrei getroffene Feststellungen gestützt.




Rücksichtslos handelt, wer sich zwar seiner Pflichten als Verkehrsteilnehmer bewusst ist, sich aber aus eigensüchtigen Gründen, etwa seines ungehinderten Fortkommens wegen, darüber hinwegsetzt, mag er auch darauf vertraut haben, dass es zu einer Beeinträchtigung anderer Personen nicht kommen werde oder wer sich aus Gleichgültigkeit nicht auf seine Pflichten besinnt und Hemmungen gegen seine Fahrweise gar nicht erst aufkommen lässt und unbekümmert um die Folgen seiner Fahrweise drauflos fährt (Schönke/Schröder/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 315c Rn. 28 m.w.N.). Die Feststellung des Merkmals erfordert den Nachweis, dass im konkreten Tatgeschehen eine insb. von Leichtsinn, Eigensucht, Gleichgültigkeit oder unverständlicher Nachlässigkeit geprägte üble Verkehrsgesinnung des Täters zum Ausdruck gelangt ist, wobei der äußere Tathergang ein wichtiges Entscheidungskriterium bei der Prüfung des Merkmals darstellt (Schönke/Schröder/Hecker, a.a.O. m.w.N.).

Von einer sich aus den äußeren Umständen ohne weiteres ergebenden Rücksichtslosigkeit ist in der obergerichtlichen Rechtsprechung ausgegangen worden, wenn zum Überholen an einer „unübersichtlichen Rechtskurve praktisch blind“ in die Gegenfahrbahn hineinfahren wird (OLG Koblenz, Urt. v. 29.04.1993 - 1 Ss 29/93, NZV 1993, 318). Ein derart eindeutiger äußerer Tathergang, aus dem auf die innere Haltung der Angeklagten geschlossen werden könnte, ergibt sich aus den Urteilsgründen nicht. Insoweit ging die Kammer – durch einen Sachverständigen beraten und unter Zugrundelegung der örtlichen Gegebenheiten – davon aus, dass trotz einer leichten Rechtsbiegung der Straße eine Überschaubarkeit von bis zu 250 Metern gegeben war, wobei für den Überholvorgang eine Überschaubarkeit von 320 Metern erforderlich gewesen wäre (UA, S. 10).

Den Schluss, dass die Angeklagte es eilig hatte und daher unter Hintanstellung der Interessen anderer Verkehrsteilnehmer trotz naheliegender Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer den Überholvorgang durchführte (UA S. 12), also aus Gleichgültigkeit handelte, stützte die Kammer maßgeblich auf die Aussage einer Zeugin, die im vierten Fahrzeug hinter dem Lkw gefahren sei, und beobachtet habe, dass die Angeklagte wiederholt bis an die Mittellinie herangefahren sei, als ob sie habe sehen wollen, ob sie an dem Lkw vorbeifahren könne, was ein paar Minuten angedauert habe und der Zeugin sehr nervös vorgekommen sei (UA S. 11). Insoweit zog die Kammer indes nicht in Erwägung, dass die Zeugin als objektiven Vorgang lediglich ein verkehrstypisches Verhalten der Angeklagten beim Überholen eines Lkw beobachtet hat, wenn diese – in ihrer eigenen Fahrbahnhälfte bleibend – sich um bessere Vorbeisicht an dem vorausfahrenden Lkw bemüht hat, um die Möglichkeit eines Überholvorgangs zu prüfen. Soweit die Kammer insoweit ferner darauf abstellte, dass die Zeugin angegeben habe, sie habe selbst nichts sehen können, als die Angeklagte überholt habe (UA S. 11), blieb ungewürdigt, dass die Zeugin sich nach den zu Grunde gelegten Angaben weiter hinten befand und sich daher ihre Wahrnehmungsmöglichkeiten von denen der Angeklagten unterschieden haben könnten.

Soweit die Kammer im weiteren ein Augenblicksversagen der Angeklagten zwar erwogen, jedoch im Ergebnis abgelehnt hat (UA S. 12), ließ sie zu Gunsten der Angeklagten sprechende Gesichtspunkte unberücksichtigt. So hat die Kammer auch festgestellt, dass vor der Angeklagten, die mit ihrem Kompaktklasse-Pkw P. mit 141 PS unterwegs war (UA S. 4, 7), der Zeuge M. zuvor mit einem Kleintransporter den Lkw erfolgreich überholte (UA, S. 4). Insoweit wird nicht in ausreichend Betracht gezogen, dass die noch junge Angeklagte vor diesem Hintergrund situationsbedingt der Fehleinschätzung unterlegen sein könnte, ausreichend stark motorisiert zu sein, um den Überholvorgang kurze Zeit später ebenfalls durchzuführen (UA, S. 11), zumal die Kammer auch keine Feststellungen dazu traf, ob der Angeklagten durch ein angeordnetes Überholverbot die Gefährlichkeit des Überholens an besagter Stelle vor Augen geführt worden war.

3. Soweit die Revision die Beweiswürdigung des Landgerichts hinsichtlich des anschließenden weiteren Tatgeschehens (Feststellungen gemäß Ziff. III.2. der Gründe) angreift, hat sie ebenfalls Erfolg. Die Feststellung, die Angeklagte habe den Geschädigten vor ihrem Pkw stehen sehen, als sie auf ihn zugefahren sei, ihn also vorsätzlich angefahren, beruht ebenfalls auf einer lückenhaften Beweiswürdigung.

Die Kammer folgerte aus den Aussagen der anwesenden Verkehrsteilnehmer, dass der Geschädigte M. deutlich sichtbar vor dem Pkw der Angeklagten gestanden habe, dass die Angeklagte ihn auch wahrgenommen habe (UA S. 14). Dieser Schluss der Kammer wäre ohne Hinzutreten besonderer Umstände auch nicht zu beanstanden, da üblicherweise Personen, die sich direkt vor dem Fahrzeug befinden, vom Fahrzeugführer auch wahrgenommen werden. Dem Urteil lassen sich indes solche Umstände entnehmen, die unberücksichtigt blieben.


So habe sich aus den Angaben Zeugen R. und K. ergeben, dass die Angeklagte einen abwesenden Eindruck gemacht habe und anschließend beim Wendemanöver auch noch rückwärts gegen die Leitplanke gefahren sei (UA, S. 13). Zum Tatgeschehen selbst habe der Geschädigte M. ausgesagt, die Angeklagte habe ein Wendemanöver eingeleitet und er sei ihr dann direkt vor das Auto gelaufen (UA, S. 13).

Insoweit hat die Kammer nicht den naheliegenden Schluss in Erwägung gezogen, dass die unter dem Eindruck der vorherigen Beinahe-Frontalkollision stehende Angeklagte im Rahmen des bereits eingeleiteten Wendemanövers den Geschädigten tatsächlich nicht wahrgenommen hatte. So ergibt sich aus den im Urteil niedergelegten Angaben der Zeugen auch nicht, dass die Angeklagte, als sie auf den Geschädigten zufuhr, in seine Richtung geblickt oder gar ein Blickkontakt zu diesem bestanden habe. Dies gilt umso mehr, da das Motiv der Angeklagten auch aus Sicht der Kammer letztlich ungeklärt geblieben sei (UA, S. 15). Einerseits nahm sie an, die Angeklagte habe irgendwie versucht, sich der Situation zu entziehen (UA, S. 15), stellte an anderer Stelle aber auch fest, die Angeklagte habe wenden und wieder zurückfahren wollen (UA, S. 6), wobei sowohl aus der im Urteil wiedergegebenen Einlassung der Angeklagten als auch den wiedergegebenen Bekundungen der Zeugen entnommen werden kann, dass die Angeklagte zur Unfallstelle zurückgewollt habe, um dort zu helfen, was mit Blick auf ihre Ausbildung zur Kinderkrankenschwester (UA S. 3) auch nicht als von vornherein fernliegend gelten kann.

4. Hinsichtlich der Tat Ziff. III. 1. der Urteilsgründe hält es der Senat mit Blick auf die Anforderungen des Tatbestands für ausgeschlossen, dass eine andere Kammer rechtsfehlerfrei Feststellungen treffen kann, die eine hinreichende Grundlage für eine Verurteilung nach § 315c StGB bieten. Andere Straftatbestände kommen insoweit nicht in Betracht.

Da jedoch nach § 5 Abs. 2 S. 1 StVO – unabhängig von der Anordnung eines Überholverbots – nur überholen darf, wer übersehen kann, dass während des ganzen Überholvorgangs jede Behinderung des Gegenverkehrs ausgeschlossen ist und nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO das Überholen bei unklarer Verkehrslage unzulässig ist, hat die Angeklagte nach § 24 StVG eine fahrlässige Verkehrsordnungswidrigkeit begangen. Diese ist mit Blick auf die Verjährungsfrist von sechs Monaten nach § 31 Abs. 2 Nr. 2 OWiG auch unter Berücksichtigung der Regelung des § 26 Abs. 3 StVG durch die Verjährungsunterbrechungen durch Erhebung der Anklage am 25.02.2019 (§ 33 Abs. 1 Nr. 13 OWiG) und Eröffnung des Hauptverfahrens am 22.03.2019 (§ 33 Abs. 1 Nr. 14 OWiG) sowie durch das Ruhen der Verjährung auf Grund des im ersten Rechtszug ergangenen amtsgerichtlichen Urteil vom 09.09.2019 (§ 32 Abs. 2 OWiG) auch nicht verjährt. Der Senat hat daher auf Grundlage der insoweit fehlerfrei getroffenen Feststellungen den Schuldspruch in entsprechender Anwendung des § 83 Abs. 3 OWiG (vgl. KK-OWiG/Lutz, 5. Aufl. 2018, OWiG § 83 Rn. 12, 13) abgeändert.

Eine eigene Entscheidung des Senats auch über die Rechtsfolge dieser Ordnungswidrigkeit kam schon deshalb nicht in Betracht, da hierfür – mit Blick auf die Frage, ob neben dem fahrlässigen Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO auch gegen Nr. 2 der Vorschrift verstoßen wurde und ob ein Augenblicksversagen anzunehmen ist – ergänzende Feststellungen zu treffen sind.

5. Die Sache war im Übrigen nach § 354 Abs. 2 S. 1 StPO an eine andere Kammer des Gerichtes zurückzuverweisen.



Hinsichtlich des vorgeworfenen Körperverletzungsdelikts wird hinsichtlich der Frage, ob Vorsatz oder (bewusste) Fahrlässigkeit vorliegt, eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände vorzunehmen sein, wobei es vor allem bei der Würdigung des voluntativen Vorsatzelements erforderlich sein dürfte, dass sich der Tatrichter mit der Persönlichkeit der Angeklagten auseinandersetzt und ihre psychische Verfassung bei der Tatbegehung sowie ihre Motivation mit in Betracht zieht (vgl. BGH, Urt. v. 14.01.2016 – 4 StR 84/15, NStZ-RR 2016, 79). Mit Blick auf den von den Zeugen geschilderten psychischen Eindruck von der Angeklagten wird - gegebenenfalls unter Hinzuziehung eines Sachverständigen - auch zu prüfen sein, ob und inwieweit sich dieser auf die Vorwerfbarkeit einer etwaigen Vorsatz- oder Fahrlässigkeitstat auswirken könnte.

Für Frage, ob gegebenenfalls tateinheitlich ein gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr angenommen werden kann, wird ferner festzustellen sein, dass die Angeklagte das Fahrzeug zweckentfremdet zu verkehrsfeindlichen Zwecken entweder in Schädigungsabsicht oder in Nötigungsabsicht einsetzte (Schönke/Schröder/Hecker, 30. Aufl. 2019, StGB § 315b, Rn. 10), wobei ebenfalls von Relevanz ist, ob das Tatgericht die Einlassung der Angeklagten, sie habe zum Unfallort zurückfahren wollen, um dort zu helfen, widerlegt werden kann.

6. Der Senat hält es im vorliegenden Fall mit Blick darauf, dass für die Tat nach Ziff. III.1. lediglich die Verhängung eines Fahrverbots in Betracht kommt und die Möglichkeit einer die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB tragenden Verurteilung für die Tat Ziff. III.2. der Urteilsgründe eher fernliegt, für geboten, in entsprechender Anwendung des § 126 Abs. 3 StPO die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111a StPO aufzuheben (ebenso OLG Jena Beschl. v. 18.03.2019 – 1 OLG 151 Ss 22/19, BeckRS 2019, 7473, wenn eine Fahrerlaubnisentziehung unter keinen Umständen mehr in Betracht kommt). Insoweit ist der Führerschein nach § 111a StPO Abs. 5 S. 1 StPO herauszugeben.

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