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Landgericht Ravensburg Urteil vom 16.04.2021 - 2 O 317/20 - Treuwidrige Erhebung der Verjährungseinrede durch den Hersteller eines Dieselskandal-Kfz nach Software-Update

LG Ravensburg v. 16.04.2021: Treuwidrige Erhebung der Verjährungseinrede durch den Hersteller eines Dieselskandal-Kfz nach Software-Update




Das Landgericht Ravensburg (Urteil vom 16.04.2021 - 2 O 317/20) hat entschieden:

  1.  Der nach § 826 BGB wegen Inverkehrbringens eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung haftende Autohersteller verstößt gegen seine Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem Geschädigten aus dem gesetzlichen Schuldverhältnis gem. § 241 Abs. 2 BGB, wenn er ein Update zur Behebung des regelwidrigen Zustands in Verkehr bringt, ohne darauf hinzuweisen, dass bei dem Fahrzeug auch nach Aufspielen des Updates eine möglicherweise unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters vorhanden sein wird.

  2.  Wird durch ein objektiv pflichtwidriges Verhalten des Schädigers im Rahmen der Schadensbehebung bewirkt, dass der Schadenersatzanspruch nicht innerhalb der Verjährungsfrist geltend gemacht wird, kann der Erhebung der Einrede der Verjährung der Arglisteinwand entgegengesetzt werden. Es kommt dabei nicht darauf an, ob der Schädiger darüber hinaus schuldhaft und sittenwidrig gehandelt hat.


Siehe auch
Dieselskandal - Software-Update
und
Rechtsprechung zum Themenkomplex „Schummelsoftware“ - Diesel-Abgasskandal

Tatbestand:


Die Klägerin kaufte bei einem Autohaus mit Kaufvertrag vom 25. Februar 2014 ein Kraftfahrzeug der Marke Audi A4 Avant 2.0 TDI mit dem Motor EA189 mit einem Kilometerstand von 59.295 km zu einem Kaufpreis von 30.500,-​- €. Das Kraftfahrzeug hat die Fahrzeugidentifikationsnummer W... und wurde erstmals am 11. Mai 2012 zugelassen.

Das von der Beklagten in Verkehr gebrachte Fahrzeug ist mit einem Motor des Typs EA 189 EU 5 ausgestattet. Diesen Motor hat die Beklagte entwickelt. Das Abgasrückführsystem des Fahrzeugs arbeitete bei Auslieferung auf die Weise, dass sich der Betriebsmodus danach richtete, ob die eingebaute Software den Betrieb als Prüfungssituation oder als normalen Fahrbetrieb beurteilte. Im „NOx-​optimierten Modus“ (der dann aktiv ist, wenn die Software den Betrieb als Prüfungssituation einschätzt), kam es zu einer höheren Abgasrückführungsrate (und damit zu geringeren NOx-​Emissionen) als dann, wenn die Software von normalem Straßenbetrieb ausging.

Das Kraftfahrt-​Bundesamt (im Folgenden: KBA) verpflichtete die Beklagte mit Bescheid vom 14.10.2015, bei allen betroffenen Fahrzeugen mit dem Aggregat EA 189 EU5 die unzulässige Abschalteinrichtung zu entfernen. Weiterhin wurde die Beklagte verpflichtet, den Nachweis zu führen, dass nach Entfernen der unzulässigen Abschalteinrichtung alle technischen Anforderungen der relevanten Einzelrechtsakte der Richtlinie 2007/46/EG erfüllt werden. Das KBA informierte die Fahrzeughalter von dieser Verpflichtung der Beklagten.

Die Beklagte hat, um diesem Bescheid des KBA gerecht zu werden, ein Software-​Update entwickelt, das das KBA freigegeben hat. Seit Juli 2017 kündigte das KBA gegenüber den vom Abgasskandal betroffenen Autohaltern (in Anwendung von § 5 Abs. 1 Fahrzeug-​Zulassungsverordnung) die Zwangsstilllegung der Fahrzeuge an, sollte das von der Beklagte angebotene Update zur Mangelbeseitigung nicht aufgespielt werden.

Unstreitig liegt bei dem Fahrzeug im aktuellen Zustand – also nach Aufspielen des Updates – ein Thermofenster vor. Das bedeutet, dass die Abgasrückführung bei sinkenden Temperaturen reduziert wird und dadurch der Schadstoffausstoß größer ist als bei gleichbleibender Abgasrückführung.

Außergerichtlich hat die Klägerin die Beklagte mit Anwaltsschreiben vom 28.08.2020 unter Fristsetzung bis 11.09.2020 zur Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich Nutzungsentschädigung aufgefordert.




Die Klägerin meint, dass die Beklagte durch die Auslieferung eines Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung vorsätzlich sittenwidrig gehandelt habe, sodass ihr ein Schadensersatzanspruch gemäß. § 826 BGB zustehe. Außerdem beruft die Klägerin sich darauf, dass das Update entgegen der Ankündigung der Beklagten das Vorliegen einer Abschalteinrichtung nicht beseitigt habe. Die Klägerin hält das Thermofenster für eine gem. Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 VO 715/2007 (EG) unzulässige Abschalteinrichtung. Die Klägerin behauptet hierzu, dass sich bei Außentemperaturen unter 17 °C die Wirkung des Abgasrückführungssystems zumindest um 33 Prozent vermindert. Ihren Schaden sieht die Klägerin darin, dass sie ein Fahrzeug mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung gekauft hat.

Die Klägerin lässt sich auf den Kaufpreis eine Nutzungsentschädigung anrechnen, die ausgehend von einer anzunehmenden Gesamtlaufleistung von 300.000 km errechnet werden soll. Ausgehend von einem Kilometerstand von 166.125 km hat die Klägerin mit ihrem ursprünglichen Klagantrag Ziff. 1 gem. Klagschrift vom 15.09.2020 eine Forderung von 16.963,45 errechnet.

Die Klägerin beantragt zuletzt:

  1.  Die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 16.475,87 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 12. September 2020, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeuges Audi A4 Avant 2.0 TDI mit der Fahrzeugidentifikationsnummer W... zu zahlen.

  2.  Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des in Ziffer 1. genannten Fahrzeuges seit dem 12. September 2020 in Annahmeverzug befindet.

  3.  Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.072,77 EUR gegenüber der R. Rechtsanwaltsgesellschaft freizustellen.

  4.  Die Klägerin erklärt außerdem die Klage in Höhe des Ermäßigungsbetrages des Klageantrages Ziff. 1 von 487,58 € gegenüber dem ursprünglichen Antrag Ziff. 1 teilweise für erledigt.

Die Beklagte stimmt der Erledigungserklärung nicht zu und beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Die Beklagte beruft sich auf die Einrede der Verjährung, da die Klägerin schon im Jahr 2015 Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen gehabt habe oder jedenfalls angesichts der umfangreichen Berichterstattung haben musste.

Die Beklagte hält den Klagantrag Ziff. 1 für unbegründet. Sie ist der Ansicht, dass ein Anspruch aus § 826 BGB nicht bestehe, da der Klägerin durch den Vertragsschluss über das streitgegenständliche Fahrzeug kein kausaler Schaden entstanden sei. Es fehle an der erforderlichen individuellen Kausalität zwischen dem Schädigungsvorwurf und der Entscheidung der Klagepartei zum Abschluss des Vertrags. Jedenfalls fehlt es aus Sicht der Beklagten am Schädigungsvorsatz; die Klägerin trage nicht substantiiert vor, dass der Vorstand der eine Schädigung des Vermögens des Klägers für möglich gehalten oder gar billigend in Kauf genommen habe. Die Beklagte behauptet, dass ihr derzeit keine Erkenntnisse dafür vorlägen, dass einzelne Vorstandsmitglieder an der Entwicklung oder Verwendung der Software des Dieselmotors EA 189 EU5 beteiligt waren oder diese gebilligt haben.

Außerdem verneint die Beklagte einen Schaden der Klägerin; ein softwarebedingter Minderwert sei nicht festzustellen. Die öffentlich-​rechtliche Vorschriftsmäßigkeit des Fahrzeugs sei durch das Aufspielen des Software-​Updates sichergestellt worden, und dieses Update habe auch keine negativen Auswirkungen auf das Fahrzeug. Die Beklagte meint, dass das bei dem Fahrzeug vorhandene Thermofenster eine zulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a) VO (EG) 715/2007 sei. Sie behauptet hierzu, bei kalten Temperaturen könne es ansonsten zu Schäden am Abgasrückführungssystem durch Ablagerungen (sog. Versottung) kommen, während bei extrem hohen Außentemperaturen die Gefahr bestehe, dass die dadurch zusätzlich erhöhten Abgastemperaturen Teile des Abgasrückführungssystems beschädigen.

Die Beklagte ist zur Berechnung der Nutzungsentschädigung der Ansicht, dass von einer voraussichtlichen Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs von 200.000 km - 250.000 km auszugehen sei.

Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien im Prozess verwiesen.





Entscheidungsgründe:


I.

Der Klägerin hat einen Anspruch aus §§ 826, 31 (analog), 249 ff. BGB auf Schadensersatz in Höhe von 16.475,87 € (30.500,-​- € abzüglich der anzurechnenden Nutzungsentschädigung bis zum Kilometerstand von 169.964 von 14.024,13 €) abzüglich eines Betrages, der sich wie folgt errechnet:

   0,127 € x (Kilometerstand im Zeitpunkt der Rückgabe abzüglich Kilometerstand von 169.964 km),

Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Fahrzeugs.

1. Die die Klägerin schädigende rechtswidrige Handlung liegt im Inverkehrbringen des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 Abs. 2, Art. 3 Abs. 10 der VO (EG) Nr. 715/2007. Nach der genannten Vorschrift liegt eine Abschalteinrichtung u. a. dann vor, wenn es sich um ein Konstruktionsteil handelt, das sonstige Parameter ermittelt, um die Funktion eines beliebigen Teils des Emissionskontrollsystems zu aktivieren, zu verändern, zu verzögern oder zu deaktivieren, wodurch die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird.

Bei der im vorliegenden Fahrzeug ursprünglich eingebauten Software handelte es sich um ein derartiges Konstruktionsteil. Denn die Software ermittelt Parameter zum Unterscheiden des Prüf- und Straßenbetriebs und schaltet im Straßenbetrieb die Abgasrückführung zumindest zeitweise ab, so dass weniger Abgase wieder in den Ansaugbereich des Motors gelangen. Auf diese Weise wird die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert, denn auch die Abgasrückführung ist Teil der Abgasreinigungsanlage und damit des Emissionskontrollsystems, da sie geeignet ist, die Abgasemissionen zu regeln (vgl. auch BGH, Urteil v. 25.05.2020 - IV ZR 252/19 -, juris Rn. 52).

2. Die schädigende Handlung ist der Beklagten gem. § 31 BGB (analog) zuzurechnen. Zwar setzt die Haftung einer juristischen Person aus §§ 826, 31 (analog) BGB voraus, dass ein Vorstand oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter im Sinne des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat. Im vorliegenden Fall ist jedoch davon auszugehen, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Beklagten i. S. des § 31 BGB Kenntnis vom Einbau der Software Kenntnis hatte. Denn die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast zu der Frage, welcher ihrer Mitarbeiter Kenntnis von der Manipulation der unzulässigen Motorsteuerungssoftware hatte, nicht ausreichend nachgekommen.

Eine sekundäre Darlegungslast besteht, wenn die bestreitende Partei alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihr daher zumutbar ist, nähere Angaben zu machen, während der beweisbelasteten Partei näherer Vortrag nicht möglich oder zumutbar ist, da sie außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt (BGH, Urteil v. 25.05.2020 - IV ZR 252/19 - juris Rn. 37f.).

Das ist hier der Fall: Die Klägerin hat keinerlei Einblick in die internen Entscheidungsvorgänge bei der Beklagten und ist auf Veröffentlichungen der Medien und auf Vermutungen angewiesen. Die Beklagte hingegen hat die Möglichkeit die in ihrem Unternehmen im Zusammenhang mit der Programmierung und Implementierung der streitgegenständlichen Software abgelaufenen Vorgänge und Entscheidungsprozesse aufzuklären.




Der Vortrag der Beklagten ist nach diesen Maßstäben unzureichend. Was die Beklagte unternommen hat, um die Initiatoren, Täter und Mitwisser der Manipulation innerhalb des Kreises des Vorstands oder anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter i. S. des § 31 BGB namhaft zu machen, ist nicht konkret vorgetragen, ebensowenig die Ergebnisse bisheriger interner Untersuchungen.

3. Die Beklagte hat der Klägerin den Schaden auch vorsätzlich zugefügt. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte muss davon ausgegangen werden, dass den Organen der Beklagten völlig klar war, dass die Käufer infolge des Einbaus der unzulässigen Software in die Fahrzeuge und des anschließenden Vertriebs der Fahrzeuge wirtschaftlich nachteilige Kaufverträge abschlossen. Mit einer Entdeckung des Softwaremangels, wodurch sich dann der wirtschaftliche Schaden für die Käufer tatsächlich realisieren würde, musste gerechnet werden.

4. Das Verhalten der Beklagten verstieß gegen die guten Sitten. Objektiv sittenwidrig ist eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, d.h. mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Hinzutreten muss zu der objektiven Sittenwidrigkeit eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (Palandt/Sprau, BGB, 78. Aufl. 2019, § 826 Rn. 4).

Nach diesen Grundsätzen muss das Verhalten der Beklagten als objektiv und subjektiv sittenwidrig angesehen werden. Die Täuschung durch die Beklagte diente offenbar dem Zweck, zur Kostensenkung (und möglicherweise zur Umgehung technischer Probleme) rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mit Hilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen. Dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von ahnungslosen Kunden gibt dem Handeln der Beklagten das Gepräge der Sittenwidrigkeit (vgl. BGH, Urteil v. 25.05.2020 - IV ZR 252/19 - juris Rn. 16ff.; LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017 - 3 O 139/16 -, juris Rn. 47).

5. Der Schaden der Klägerin liegt im Abschluss eines nachteiligen Vertrages. Das Gericht ist überzeugt davon, dass die Klägerin das Fahrzeug bei wahrheitsgemäßem Hinweis der Verkäuferin auf eine nach EU-​Recht unzulässige Abschalteinrichtung nicht gekauft hätte, sondern ein mangelfreies (anderes) Fahrzeug erworben hätte.

6. Die Klägerin muss sich vom Kaufpreis eine Nutzungsvergütung für die von ihr gefahrenen Kilometer im Wege der Vorteilsausgleichung abziehen lassen.



Die Nutzungsentschädigung bis zum 12.09.2020 errechnet sich aus den von der Klägerin gefahrenen 106.830 Kilometern (Kilometerstand am 12.09.2020 von 166.125 km abzüglich Kilometerstand beim Kauf von 59.295 km) dividiert durch die beim Kauf zu erwartende Restlaufleistung von 240.705 km (300.000 km abzüglich 59.295 km), multipliziert mit dem Kaufpreis von 30.500,-​- €. Bei der obenstehenden Berechnung wurde die erwartete Gesamtlaufleistung von 300.000 km gem. § 287 ZPO geschätzt (so auch für ein vergleichbares Fahrzeug OLG Stuttgart, Urteil vom 06.09.2017 - 4 U 105/17 –, juris Rn. 79, 89).

Die Nutzungsentschädigung bis zum km-​Stand von 166.125 km beträgt daher:

   106.830 km : 240.705 km x 30.500,-​- € = 13.536,55 € (so wie vom Kläger in der Klagschrift auch abgezogen)

Nachdem die Klägerin sich einen weiteren Nutzungsvorteil von 487,58 € anrechnen lässt, beträgt die Nutzungsentschädigung insgesamt 14.024,13 €.

Mit dem Betrag von 487,58 € sind seit dem Kilometerstand von 166.125 km weiter gefahrene 3.839 km (487,58 € : 0,127 € = 3.839) abgedeckt. Denn der Nutzungsvorteil pro Kilometer beträgt ausgehend von dem Kilometerstand beim Kauf von 59.295 km und einer erwarteten Gesamtlaufleistung von 300.000 km (so auch für ein vergleichbares Fahrzeug OLG Stuttgart, Urteil vom 06.09.2017 - 4 U 105/17 –, juris Rn. 79, 89) linear 0,127 € (30.500 € : 240.705 km = 0,127 €).

Ab dem Kilometerstand von 169.964 km (166.125 km + 3.839 km) bis zur Rückgabe schuldet die Klägerin dann den Kilometersatz wie vorstehend errechnet von 0,127 €.

7. Der Schadenersatzanspruch ist nicht verjährt. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Verjährung gem. §§ 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres 2015 begonnen hat und die dreijährige Verjährungsfrist damit bei Klagerhebung bereits abgelaufen gewesen wäre.

Denn der Erhebung der Einrede der Verjährung steht der Einwand des treuwidrigen Verhaltens der Beklagten entgegen (§ 242 BGB).

Auf die Einrede der Verjährung kann sich ein Schuldner nicht berufen, wenn die Erhebung der Einrede gegen das Verbot der unzulässigen Rechtsausübung verstößt. Das ist etwa dann der Fall, wenn der Schuldner den Gläubiger von der rechtzeitigen Geltendmachung seines Anspruchs abhält oder ihn zur Annahme veranlasst hat, er werde ihn ohne Rechtsstreit vollständig befriedigen (BGH, Urteil vom 1.10.1987 - IX ZR 202/86 -, juris; Palandt/Ellenberger, BGB, 80. Aufl. 2021, vor § 194 Rn. 16 ff.). Diese Voraussetzungen liegen hier vor:

a) Die Beklagte hat durch ihr Verhalten bewirkt, dass die Klägerin nicht rechtzeitig mit einer Klage gegen sie vorgegangen ist.

Die Beklagte hat durch das nach Genehmigung des KBA erfolgte Aufspielen des Updates bei den Fahrzeugeigentümern den Eindruck erweckt, dass die im Fahrzeug installierte Abschalteinrichtung beseitigt wird und das Fahrzeug und insbesondere dessen Emissionsminderungssystem anschließend den EU-​Vorschriften entspricht.

Tatsächlich wurde durch das Update zwar eine Abschalteinrichtung in Form der Prüfstandserkennung beseitigt. Trotz Aufspielen des Updates liegt aber weiterhin eine unzulässige Abschalteinrichtung vor, nämlich nunmehr in Form eines Thermofensters.

Ein Thermofenster erfüllt die Voraussetzungen einer Abschalteinrichtung nach Art. 3 Nr. 10, Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 (vgl. die Definition oben unter 1.). Anhand des Parameters der Temperatur wird die Abgasrückführung teilweise deaktiviert, wodurch sich der Schadstoffausstoß erhöht, so dass die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Nach dem Urteil des EuGH vom 17.12.2020 (- C-​693/18 –, Rn. 96) muss ein AGR-​System, das geschaffen wurde, um für eine mit der Verordnung Nr. 715/2007 im Einklang stehende Begrenzung der Emissionen zu sorgen, sowohl während der Zulassungstests im Labor als auch unter normalen Nutzungsbedingungen des Fahrzeugs betriebsbereit sein. Eine Abschaltung oder Reduzierung der Abgasrückführung durch das Thermofenster in einem bei normaler Nutzung zu erwartenden Temperaturbereich ist hiernach also unzulässig.

Im vorliegenden Fall räumt die Beklagte ein, dass die Abgasrückführung bei kalten Temperaturen reduziert wird. Die Beklagte hat auch den Vortrag der Klägerin, dass bereits bei Temperaturen über 0 °C die Wirkung des Abgasrückführungssystems signifikant vermindert wird, nicht qualifiziert bestritten, so dass von der Richtigkeit dieses Vortrags auszugehen ist ( § 138 Abs. 3 ZPO). Eine Abschalteinrichtung liegt damit vor.

Die Beklagte kann sich auch nicht darauf berufen, das streitgegenständliche Thermofenster sei ausnahmsweise nach Art. 5 Abs. 2 Satz 2 lit. a) VO (EG) Nr. 715/2007 zulässig.

Der EuGH legt diese Ausnahmevorschrift dahingehend aus, dass nur unmittelbare Beschädigungsrisiken, die zu einer konkreten Gefahr während der Fahrt mit dem Fahrzeug führen, geeignet sind, die Nutzung einer Abschalteinrichtung zurechtfertigen (Urteil vom 17.12.2020 – C-​693/18 - Rn. 109 ff.).

Im vorliegenden Fall dient das Thermofenster nach Angaben der Beklagten der Verhinderung von Ablagerungen in Bauteilen, es soll also der Verschleiß dieser Bauteile verhindert werden. Es ist somit nach dem Vortrag der darlegungspflichtigen Beklagten nicht erkennbar, dass die vom EuGH genannten strengen Anforderungen an eine zulässige Abschalteinrichtung bei dem streitgegenständlichen Thermofenster erfüllt werden. Auch wenn fortschreitende Ablagerungen im Extremfall ein Sicherheitsrisiko darstellen können, wird nicht behauptet, dass dieses Risiko nicht durch rechtzeitigen Austausch der Bauteile, in denen Ablagerungen stattfinden (oder von Vornherein durch eine bessere Konstruktion der Bauteile), ausgeschlossen werden könnte.


b) Die Beklagte hat bezüglich der vorhandenen Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters pflichtwidrig gehandelt, denn zwischen der Klägerin und der Beklagten bestand ein gesetzliches Schuldverhältnis, wonach die Beklagte der Klägerin wegen der ursprünglich in Verkehr gebrachten Abschalteinrichtung zum Schadenersatz verpflichtet war. Aus diesem Schuldverhältnis ergibt sich gem. § 241 BGB die Pflicht, auf die Rechtsgüter der Klägerin Rücksicht zu nehmen und bei der Schadensbeseitigung kein Update aufzuspielen, das erneut gegen die unionsrechtlichen Vorschriften verstößt.

c) Auf die Frage, ob die Beklagte im Hinblick auf die Unionsrechtswidrigkeit des Thermofensters schuldhaft und sittenwidrig gehandelt hat, kommt es nicht an. Der Arglisteinwand kann der Einrede der Verjährung (§ 214 Abs. 1 BGB) nicht nur dann entgegengesetzt werden, wenn der Schuldner den Gläubiger absichtlich von der Erhebung der Klage abgehalten hat. Vielmehr reicht es aus, dass der Schuldner durch sein Verhalten objektiv - sei es auch unabsichtlich - bewirkt, dass die Klage nicht rechtzeitig erhoben wird, und die spätere Verjährungseinrede unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles mit dem Gebot von Treu und Glauben unvereinbar wäre (BGH, Urteil vom 17.06.2008 - VI ZR 197/07, juris Rn. 31; BGH, Urteil vom 14.11.2013 - IX ZR 215/12 -, juris Rn. 14).

So liegt es hier. Die Beklagte hat durch ihr Verhalten den Eindruck erweckt, dass die vom KBA beanstandete Abschalteinrichtung restlos beseitigt wird. Aufgrund dieses Verhaltens der Beklagten als Fahrzeugherstellerin konnten die Fahrzeugeigentümer darauf vertrauen, dass dies auch geschehen wird, und hatten deshalb keinen Anlass, zivilrechtlich gegen die Beklagte prozessual vorzugehen. Wenn die angebliche Mangelbeseitigung sich nun nachträglich als falsch herausstellt, und zwar aus Gründen, die allein in der Sphäre der Beklagten liegen (denn ausschließlich sie als Herstellerin trägt die Verantwortung für die die Funktionsweise des Updates und die unionsrechtliche Konformität ihrer Fahrzeuge), dann erscheint die Berufung auf die Verjährungseinrede als treuwidrig.

d) Auch wenn es nur auf das objektive Verhalten der Beklagten ankommt, fällt der Beklagten subjektiv auch mindestens Fahrlässigkeit (§ 276 Abs. 2 BGB) in zweifacher Hinsicht zur Last:

aa) Die Beklagte musste bei Anwendung der verkehrsüblichen Sorgfalt damit rechnen, dass das Thermofenster nicht unionsrechtskonform ist. An der Fahrlässigkeit des Verhaltens ändert auch die Genehmigung des Updates durch das KBA nichts.

Der Schuldner darf das Risiko einer zweifelhaften Rechtslage nicht dem Gläubiger zuschieben. Entscheidet er sich bei einer unsicheren Rechtslage dafür, die von ihm geforderte Leistung nicht zu erbringen, geht er – von besonderen Sachlagen abgesehen - das Risiko, dass sich seine Einschätzung später als falsch erweist, zumindest fahrlässig ein und hat deshalb seine Nichtleistung zu vertreten, wenn in einem späteren Rechtsstreit festgestellt wird, dass er zur Leistung verpflichtet war (BGH, Urteil vom 11.6.2014 – VIII ZR 349/13, juris Rn. 34-36; Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl. 2021, § 276 Rn. 22).

Daher ist fahrlässiges Handeln auch dann zu bejahen, wenn man zugunsten der Beklagten unterstellt, dass das KBA das Update trotz voller Kenntnis der Funktionsweise des Thermofensters genehmigt hat, und sich nunmehr im Nachhinein herausstellt, dass diese Einschätzung des KBA falsch war und die rechtlichen Voraussetzungen für die Genehmigung nicht vorgelegen haben.

bb) Die Beklagte hat den Fahrzeugeigentümern außerdem zumindest fahrlässig entscheidende - nur ihr selbst und allenfalls noch dem KBA - bekannte Informationen vorenthalten, indem sie bei Durchführung des Updates nicht offengelegt hat, dass ein Thermofenster vorliegt, das möglicherweise gegen EU-​Vorschriften verstößt. Aufgrund des gesetzlichen Schuldverhältnisses (§ 241 Abs. 2 BGB) hätte die Beklagte die Geschädigten vor Aufspielen des Updates umfassend aufklären müssen, da es sich bei der unionsrechtlichen Konformität des Updates um eine für den Eigentümer ganz wesentliche Frage handelt.

8. Eine Verzinsung des Klaganspruchs Ziff. 1 gem. §§ 291, 288 BGB ist ab dem 12.09.2020 geschuldet. Denn mit dem Ablauf der außergerichtlich gesetzten Frist und der damit verbundenen konkludenten Ablehnung der Ansprüche des Klägers wurde der Anspruch durchsetzbar. Angesichts der Ablehnung dieses Angebots durch die Beklagte war ein wörtliches Angebot ausreichend (§ 295 BGB).




II.

Auf den Klageantrag Ziff. 2 war festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Annahme der Gegenleistung in Annahmeverzug befindet (zur Begründung siehe oben I. 8).

III.

Die Klägerin hat außerdem einen Anspruch gem. Klagantrag Ziff. 3 auf Freistellung von ihren außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Zuzüglich Unkostenpauschale und MwSt. beträgt die 1,3-​Gebühr aus einem Streitwert bis 19.000,-​- € wie beantragt 1.072,77 € (mit dem ermäßigten MwSt.-​Satz von 16 %).

IV.

Der Rechtsstreit hat sich hinsichtlich eines Ermäßigungsbetrages von 487,58 gegenüber dem ursprünglichen Antrag Ziff. 1 in der Hauptsache erledigt, da sich die Klägerin diesen Betrag als Nutzungsentschädigung im Rahmen der Rückgabe des Fahrzeugs anrechnen lässt (für die seit dem Kilometerstand von 166.125 km gefahrene Strecke).

V.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 91a ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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