Hat das Strafgericht nach einer Trunkenheitsfahrt des Angeklagten mit mehr als 1,6 Promille ohne Ausfallerscheinungen seine Fahrerlaubnis nicht entzogen, ohne Feststellungen zum körperlichen Zustand des Angeklagten und zu seiner Abstinenz zu treffen, so bindet eine solche Entscheidung die Fahrerlaubnisbehörde nicht nach § 3 Abs. 4 StVG. |
„Weiterhin wirkt sich zu seinen Gunsten aus, dass er bereits bei der Diakonie war und zur Vorbereitung auf eine mögliche medizinisch-psychologische Untersuchung an acht Gruppensitzungen teilgenommen hat ... Von einer Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 69 Abs. 1, Abs. 2 StGB hat das Gericht abgesehen, da sich der Angeklagte jedenfalls jetzt nicht mehr als charakterlich unzuverlässig und damit ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Zwar ist bei der vom Angeklagten begangenen Straftat gemäß § 69 Abs. 2 Nr. 2 StGB in der Regel von einer Ungeeignetheit auszugehen, aufgrund des Zeitablaufs, der Teilnahme des Angeklagten an den Veranstaltungen der Diakonie sowie des Eindrucks des Verfahrens auf ihn und der Dauer der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung geht das Gericht davon aus, dass er derzeit nicht mehr ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist.“ |
"...war der Antragsgegner angesichts der erheblichen Alkoholisierung des Antragstellers zur Tatzeit auch fast zwei Jahre nach der Tat gemäß § 13 Satz 1 Nr. 2c) FeV nicht nur berechtigt, sondern verpflichtet, die Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens anzuordnen, um die Frage der derzeitigen Fahreignung des Antragstellers, insbesondere seines nunmehr ggf. vorhandenen hinreichenden Trennungsvermögens, zu klären. Dabei war er – anders als der Antragsteller meint – nicht an eine vermeintliche Eignungsbeurteilung des Amtsgerichts Lingen im Urteil vom 23.03.2021 gebunden. Gemäß § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG darf die Fahrerlaubnisbehörde, wenn sie in einem Entziehungsverfahren einen Sachverhalt berücksichtigen will, der bereits Gegenstand der Urteilsfindung in einem Strafverfahren gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gewesen ist, zwar zu dessen Nachteil vom Inhalt des Urteils nicht insoweit abweichen, als es sich auf die Feststellung des Sachverhalts oder die Beurteilung der Schuldfrage oder die Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen bezieht. Hiermit soll die sowohl dem Strafrichter (vgl. § 69 StGB) als auch der Verwaltungsbehörde (vgl. § 3 Abs. 1 StVG) eingeräumte Befugnis, bei fehlender Kraftfahreignung die Fahrerlaubnis zu entziehen, so aufeinander abgestimmt werden, dass Doppelprüfungen unterbleiben und die Gefahr sich widersprechender Entscheidungen ausgeräumt wird. Eine Bindung der Fahrerlaubnisbehörde in diesem Sinne - und zwar nicht nur hinsichtlich der Maßnahme der Entziehung selbst, sondern auch hinsichtlich der eine solche Entscheidung vorbereitenden Maßnahmen wie der Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens - besteht allerdings nur dann, wenn der Strafrichter eine eigenständige, sich ausdrücklich aus den in den schriftlichen Urteilsgründen getroffenen Feststellungen ergebende Eignungsbeurteilung vorgenommen hat. Demgegenüber entfällt eine Bindungswirkung, wenn das von einer Entziehung der Fahrerlaubnis absehende Strafurteil überhaupt keine Ausführungen zur Fahreignung enthält oder in den schriftlichen Urteilsgründen jedenfalls unklar bleibt, ob der Strafrichter die Fahreignung des Angeklagten eigenständig beurteilt hat (ständige Rechtsprechung des BVerwG, vgl. u. a. - zur Vorgängervorschrift des § 4 Abs. 3 Satz 1 StVG - Urt. v. 15.07.1988 - 7 C 46/87 -, BVerwGE 80, 43; Beschl. v. 20.12.1988 – 7 B 199/88 -, DAR 1989, 153, jeweils m. w. N., s. auch OVG Lüneburg, Beschl. v. 11.08.2005 – 12 LA 347/04 – juris, Rz. 4 zur jetzigen Gesetzesfassung). D. h. eine Bindung nach § 3 Abs. 4 Satz 1 StVG besteht nicht bereits dann, wenn das Strafgericht – wie hier – im Ergebnis von der Entziehung der Fahrerlaubnis abgesehen hat. Sie setzt vielmehr voraus, dass sich klar erkennen lässt, es habe dies auch deshalb getan, weil es den Verurteilten wieder für geeignet gehalten hat, ein Kraftfahrzeug zu führen. Es darf also nicht die Möglichkeit bleiben, das Strafurteil alternativ und vertretbar dahin auszulegen, es hätten noch Zweifel an der Kraftfahreignung des Verurteilten bestanden, die zwar dessen weitere Beurteilung als ungeeigneter Kraftfahrzeugführer nicht mehr gerechtfertigt hätten, denen aber auch nicht unter Ausschöpfung aller dafür heranzuziehender Aufklärungsmittel nachgegangen worden sei, denn dann ist die Frage der Kraftfahreignung im Strafurteil nicht abschließend geklärt und beurteilt, sondern letztlich offengelassen worden (OVG Lüneburg, Beschl. v. 16.11.2021 – 12 ME 152/21 – V. n. b.). Insoweit ergibt sich aus einer Verneinung der Ungeeignetheit des Verurteilten im Strafverfahren nicht zwingend zugleich die positive Feststellung seiner Fahreignung. Vorliegend lässt sich den Urteilsgründen jedoch keine eigenständige abschließende Eignungsbeurteilung des Strafrichters (hier: Jugendrichters) entnehmen. Dieser hat durch die bewusst gewählten unscharfen Formulierungen („…, da sich der Angeklagte jedenfalls jetzt nicht mehr als charakterlich unzuverlässig und damit ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist,“ „...geht das Gericht davon aus, dass er derzeit nicht mehr ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist“) vielmehr zum Ausdruck gebracht, dass er eine abschließende Beurteilung der Fahreignung des Antragstellers gerade nicht vornehmen wollte, sondern dass noch Zweifel an der Kraftfahreignung des Antragstellers bestanden haben. Denn er hat seine Einschätzung durch die gewählten Formulierungen ausdrücklich in zeitlicher Hinsicht („jetzt“, „derzeit“) eingeschränkt und inhaltlich („jedenfalls“ „geht das Gericht davon aus“) relativiert. Hätte er die Fahreignung des Antragstellers positiv feststellen und dem Antragsteller weitere Aufklärungsmaßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde ersparen wollen, hätte er sicherlich eindeutigere Worte gefunden. Zumal kaum davon ausgegangen werden kann, dass sich der Jugendrichter vorliegend die hinreichende Sachkunde, die sich die Fahrerlaubnisbehörde erst durch Einholung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens nach § 13 Satz 1 Nr. 2 c FeV verschaffen muss, zugetraut hat allein auf anderer Grundlage – hier: des Zeitablaufs, der Teilnahme an den Veranstaltungen der Diakonie und des Eindrucks des Verfahrens und der Dauer der vorläufigen Fahrerlaubnisentziehung – die Fahreignung des Antragstellers abschließend positiv zu beurteilen (vgl. OVG Lüneburg, Beschl. v. 16.11.2021 - 12 ME 152/21 - V. n. b.)." |