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Bundesverfassungsgericht Urteil vom 11.11.1986 - 1 BvR 713/83 - Zur verfassungsmäßiger Auslegung von § 240 StGB - Sitzblockade I

BVerfG v. 11.11.1986: Zur verfassungsmäßiger Auslegung von § 240 StGB bei der strafrechtlichen Beurteilung (Sitzblockade I)




Das Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 11.11.1986 - 1 BvR 713/83) hat entschieden:

  1.  Soweit in § 240 StGB Nötigungen mit dem Mittel der Gewalt unter Strafe gestellt werden, genügt die Normierung durch den Gesetzgeber dem aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Bestimmtheitsgebot.

Infolge Stimmengleichheit kann nicht festgestellt werden, dass das aus Art. 103 Abs. 2 GG herleitbare Analogieverbot verletzt wird, wenn Gerichte die Gewaltalternative des StGB § 240 auf Sitzdemonstrationen erstrecken, bei denen die Teilnehmer Zufahrten zu militärischen Einrichtungen ohne gewalttätiges Verhalten durch Verweilen auf der Fahrbahn versperren.

  2.  Die Verfassung gebietet nicht, die Teilnahme an derartigen Sitzdemonstrationen sanktionslos zu lassen. § 240 StGB ist jedoch in dem Sinne verfassungskonform auszulegen und anzuwenden, dass die Bejahung nötigender Gewalt im Falle einer Erstreckung dieses Begriffs auf solche Sitzdemonstrationen nicht schon zugleich die Rechtswidrigkeit der Tat indiziert.

Infolge Stimmengleichheit kann nicht festgestellt werden, dass es von Verfassungs wegen in der Regel zu beanstanden ist, wenn Strafgerichte Sitzdemonstrationen der genannten Art unter Würdigung der jeweiligen Umstände als verwerflich im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB beurteilen.

Gleichlautend für folgende weitere Verfahren:
1 BvR 921/84, 1 BvR 1190/84, 1 BvR 333/85, 1 BvR 248/85


Siehe auch
Blockade-Aktionen / Protestblockaden / Sitzblockaden
und
Nötigung im Straßenverkehr

Gründe:


A.

Die Beschwerdeführer wenden sich dagegen, dass ihre Teilnahme an Sitzblockaden, die vor militärischen Einrichtungen stattfanden und sich gegen die Nachrüstung richteten, als strafbare Nötigung beurteilt worden ist.

I.

1. Am 12. Dezember 1979 hatten die Außenminister und Verteidigungsminister von Mitgliedstaaten der NATO in Brüssel einen "Doppelbeschluss" gefasst, wonach einerseits in bestimmten europäischen Staaten Mittelstreckenraketen mit nuklearen Gefechtsköpfen stationiert und andererseits Verhandlungen der Vereinigten Staaten mit der Sowjetunion über eine Rüstungsbegrenzung auf dem Gebiet dieser Waffen unterstützt werden sollten. Als sich Mitte November 1983 die Genfer Rüstungskontrollverhandlungen nach zwei Jahren als ergebnislos erwiesen, begann in der Bundesrepublik die hier vorgesehene Stationierung von 108 Abschussvorrichtungen für Pershing II-Raketen und von 96 bodengestützten Marschflugkörpern (vgl. im einzelnen BVerfGE 66, 39 ff.).

Der NATO-Doppelbeschluß war innerhalb und außerhalb des Parlaments umstritten. Nach Meinung der Kritiker werde der ohnehin bedrohliche Rüstungswettlauf mit atomaren Waffen durch die Stationierung von Mittelstreckenraketen in gefährlicher Weise fortgesetzt. Diese wiesen eine veränderte Qualität mit destabilisierender Wirkung auf, die durch das Risiko technischen und menschlichen Versagens noch erhöht werde. Wegen der hohen Zielgenauigkeit, der kurzen Flugzeiten und Vorwarnzeiten und der Fähigkeit, das gegnerische Abwehrsystem zu unterlaufen, seien sie als Erstschlagwaffen geeignet; ihre Stationierung in Reichweite des Territoriums der Sowjetunion könne diese im Krisenfalle zu Präventivschlägen verleiten, wobei die Stationierungsgebiete als Zielscheiben besonders gefährdet seien.

2. Am Protest gegen die atomare Rüstung beteiligten sich zahlreiche Gruppen und Anhänger der Friedensbewegung. Sie veranstalteten Demonstrationen, Mahnwachen, Fastenaktionen, Gottesdienste, Unterschriftssammlungen und auch bundesweite Massenaktionen wie beispielsweise die Bonner Friedensdemonstration im Herbst 1981, die süddeutsche Menschenkette im Oktober 1983 sowie die Ostermärsche des Jahres 1983.

Als sich dieser Protest als wirkungslos zu erweisen schien, kam es zunehmend zu Protestdemonstrationen, die in Gestalt von Straßensperren vor militärischen Einrichtungen durchgeführt wurden, wobei sich die Teilnehmer um die Vermeidung jeglicher Gewalttätigkeiten bemühten. Während die Demonstranten diese Aktionen als "gewaltfreie symbolische Blockaden" verstanden, wurden sie in zahlreichen Verfahren als Nötigung mit dem Mittel der Gewalt beurteilt und aufgrund folgender Strafvorschrift angeklagt:

   "§ 240 StGB

(1) Wer einen anderen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe, in besonders schweren Fällen mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.

(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.

(3) Der Versuch ist strafbar."

Die Beurteilung der Blockaden als Nötigung knüpfte an die Rechtsprechung an, die den in dieser Strafvorschrift verwendeten Gewaltbegriff schrittweise ausgeweitet hatte: Anfangs hatten die Gerichte bevorzugt auf die Entfaltung körperlicher Kraft durch den Täter abgestellt, später mehr auf eine Einwirkung auf den Körper des Opfers und schließlich allgemein auf das Merkmal der Zwangseinwirkung, das der Bundesgerichtshof bereits im Jahre 1969 im Laepple-Urteil (BGHSt 23, 46) anlässlich von Protesten gegen Fahrpreiserhöhungen herausgearbeitet hatte. Danach nötigt auch derjenige mit Gewalt, der psychischen Zwang ausübt, indem er auf den Gleiskörper einer Straßenbahn tritt und dadurch den Wagenführer zum Anhalten veranlasst (vgl. unten B II 3a).




II.

1. Die Sitzblockaden, deren Bestrafung Gegenstand der Verfassungsbeschwerden ist, haben sich in der Zeit zwischen Mitte 1981 bis Anfang 1984 zugetragen. In allen Fällen wurden Zufahrtsstraßen zu militärischen Einrichtungen durch mehrere, auf der Fahrbahn befindliche Personen versperrt, die von der Polizei nach vergeblicher Aufforderung zur Räumung ohne Gegenwehr fortgeschafft wurden. Zu Gewalttätigkeiten kam es nirgends. Art und Dauer der Blockaden sowie die dadurch verursachten Behinderungen waren im übrigen unterschiedlich.

a) Das Verfahren 1 BvR 713/83 betrifft eine der ersten Blockadeaktionen am 13. Juli 1981 in Großengstingen, wo bereits damals amerikanische Lance-Raketen lagerten. Die beiden beschwerdeführenden Studenten zu 1) und 2) sowie elf weitere Angehörige einer Friedensgruppe ließen sich nach vorheriger öffentlicher Ankündigung auf einer Zufahrtsstraße zur Eberhard-Finckh-Kaserne etwa sieben Meter vor dem Haupteingang auf der gesamten Fahrbahnbreite zu einer unbefristeten Aktion nieder, nachdem sie sich zuvor untereinander und an Pfosten auf beiden Straßenseiten angekettet hatten. Der Kommandeur der Kaserne ließ nach erfolgloser Aufforderung zur Räumung den Verkehr durch ein Seitentor umleiten. Die Demonstranten veranstalteten mit den anwesenden Journalisten eine Pressekonferenz, diskutierten mit Soldaten und setzten ihre Aktion bis zum folgenden Tag fort. Die vom Kommandeur herbeigeholte Polizei forderte schließlich die Demonstranten vergeblich zur Räumung auf und trug sie nach Durchschneiden der Kette zur Fahrbahnseite.

Das Amtsgericht - Jugendschöffengericht - Reutlingen sprach die Beschwerdeführer von der Anklage der gemeinschaftlichen Nötigung frei, das Landgericht Tübingen verurteilte sie zu einer Geldstrafe von je 30 Tagessätzen zu 20 DM. Das Oberlandesgericht Stuttgart verwarf die Revision.

b) Bei dem Verfahren 1 BvR 921/84 handelt es sich ebenfalls um eine vorher der Polizei und dem Kasernenkommandeur mitgeteilte Aktion in Großengstingen, und zwar vor dem Sondermunitionslager für atomare Kurzstreckenraketen. Die für die Zeit vom 1. bis 8. August 1982 geplante Aktion mit etwa 700 Teilnehmern war durch ein Training zur Gewaltfreiheit in Bezugsgruppen vorbereitet worden. Der Beschwerdeführer zu 3), wissenschaftlicher Mitarbeiter an einer Universität, beteiligte sich am 2. August 1982 zweimal daran, dass sich einander planmäßig ablösende Gruppen von 10 bis 50 Personen jeweils in Querreihen auf der einzigen Zufahrtsstraße niederließen. Einfahrende und ausfahrende Fahrzeuge der Bundeswehr konnten jeweils erst nach 10 bis 20 Minuten weiterfahren, nachdem Polizeibeamte in insgesamt 16 Einsätzen die Demonstranten weggetragen hatten.

Das Amtsgericht Münsingen verurteilte den Beschwerdeführer wegen gemeinschaftlicher Nötigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 20 DM. Das Landgericht Tübingen verwarf die Berufung und das Oberlandesgericht Stuttgart die Revision.

c) Die Verfahren 1 BvR 1190/84 und 333/85 betreffen Sitzblockaden zum dritten Jahrestag des NATO-Doppelbeschlusses, die nach vorheriger Ankündigung bei der Polizei und den amerikanischen Streitkräften am Sonntag, dem 12. Dezember 1982, auf der Zufahrt zu den Patch-Barracks in Stuttgart-Vaihingen, der Kommandozentrale aller US-Streitkräfte in Europa, stattfanden. Die etwa 250 Teilnehmer wollten in der Zeit von 8.00 Uhr bis 17.00 Uhr jeweils zur vollen Stunde in dicht gedrängten Gruppen von 30 oder mehr Personen für die Dauer von zwölf Minuten die Straße sperren, deren eine Hälfte der Jungen Union für eine angemeldete Gegendemonstration zwischen 10.00 Uhr und 12.00 Uhr vorbehalten war. Die beiden Beschwerdeführer zu 4) und 5), ein Student und ein Arbeitsrichter, beteiligten sich an den Straßensperren um 9.00 Uhr bzw. 12.00 Uhr; sie wurden von der Polizei nach vergeblicher Aufforderung zur Räumung schon nach etwa fünf Minuten fortgetragen. Während der gesamten Aktion wurden etwa 150 Fahrzeuge von der deutschen Polizei oder der amerikanischen Militärpolizei vorübergehend angehalten, darunter auch ein Taxifahrer; es stand noch eine weitere, jedoch verschlossene Zufahrt zum Kasernengelände zur Verfügung.

Das Amtsgericht Stuttgart sprach die Beschwerdeführer frei. Das Landgericht Stuttgart verurteilte sie wegen gemeinschaftlicher versuchter bzw. vollendeter Nötigung zu Geldstrafen von 10 Tagessätzen zu 10 DM bzw. von acht Tagessätzen zu 80 DM. Das Oberlandesgericht Stuttgart verwarf die Revisionen unter Bezugnahme auf einen bereits veröffentlichten, näher begründeten Beschluss, der ebenfalls die Sitzblockade in Stuttgart-Vaihingen betrag (NJW 1984, S. 1909).

d) Gegenstand des Verfahrens 1 BvR 248/85 ist eine Demonstration am Ostersonntag, dem 3. April 1983, vor der amerikanischen Kaserne in Neu-Ulm. Der beschwerdeführende Sozialpädagoge zu 6) saß gemeinsam mit etwa 200 Teilnehmern über einen nicht genau feststellbaren Zeitraum von wenigen Minuten vor dem Haupteingangstor, bis die Polizei die Straße nach vergeblicher dreifacher Aufforderung räumte. Der zuständige amerikanische Offizier hatte schon vor der Demonstration Maßnahmen zur Verkehrsabwicklung getroffen und empfohlen, das Haupttor nicht zu benutzen; ein Fahrzeug wurde nicht behindert.

Das Amtsgericht Neu-Ulm verurteilte den Beschwerdeführer wegen versuchter gemeinschaftlicher Nötigung zu eine Geldstrafe von acht Tagessätzen zu 25 DM (vgl. im einzelnen A II 2b). Das Bayerische Oberste Landesgericht verwarf die Revision.

Die Verfahren 1 BvR 306/85 und 497/85 betreffen Blockaden, die seit Herbst 1983 regelmäßig durch Mitglieder der Friedensbewegung vor dem amerikanischen Militärlager Mutlangen erfolgen, das als Stationierungsort für Mittelstreckenraketen vorgesehen war und das damals über nur eine uneingeschränkt benutzbare Zufahrtsstraße verfügte. Wenn Fahrzeuge in das Lager einfahren oder dieses verlassen wollten, setzten oder stellten sich Teilnehmer in enger körperlicher Verbundenheit auf die Fahrbahn, bis diese durch die Polizei nach vergeblicher Aufforderung geräumt wurde. Der Beschwerdeführer zu 7), ein Kreisamtmann, nahm am 11. Dezember 1983 gegen 19.30 Uhr zusammen mit rund 70 Personen an einer solchen Aktion teil, die etwa 15 Minuten dauerte und zur Behinderung eines Konvois von fünf amerikanischen Militärfahrzeugen führte. Die Beschwerdeführerin zu 9), eine Bilanzbuchhalterin, beteiligte sich am 12. Dezember 1983, dem vierten Jahrestag des Doppelbeschlusses, zusammen mit 13 anderen Personen gegen 9.45 Uhr an einer entsprechenden Aktion und behinderte für die Dauer von etwa 15 Minuten ein amerikanisches Fahrzeug. Die Beschwerdeführerin zu 8), eine Bildhauerin, stellte sich am 7. Februar 1984 um 22.37 Uhr zusammen mit neun weiteren Personen einem Konvoi von zwei amerikanischen Militärfahrzeugen entgegen, so dass diese erst nach fünf bis zehn Minuten weiterfahren konnten.

Das Amtsgericht Schwäbisch Gmünd verurteilte die Beschwerdeführer wegen Nötigung zu Geldstrafen, und zwar den Beschwerdeführer zu 7) zu 20 Tagessätzen von 75 DM, die Beschwerdeführerin zu 8) zu 20 Tagessätzen und die Beschwerdeführerin zu 9) zu 25 Tagessätzen von je 20 DM. Das Landgericht Ellwangen verwarf die Berufungen und das Oberlandesgericht Stuttgart die Revisionen; im Falle des Beschwerdeführers zu 7) begründete das Oberlandesgericht seine Entscheidung ausführlicher.

2. a) Die Strafsenate des Oberlandesgerichts Stuttgart gehen zur Begründung der Verurteilungen im Anschluß an die Laepple-Entscheidung des Bundesgerichtshofs davon aus, dass auch das Versperren eines Weges durch körperlichen Einsatz Nötigung durch Gewalt sei. Schon in seinem früher veröffentlichten Beschluss über die Sitzblockade in Stuttgart-Vaihingen (NJW 1984, S. 1909) hatte der erste Strafsenat dargelegt, an dieser Beurteilung ändere sich auch nichts durch das Vorhandensein anderer Kasernenzugänge sowie dadurch, dass die Straßensperren lediglich auf zwölf Minuten angelegt gewesen und die Blockierer teilweise schon nach wenigen Minuten von der Polizei entfernt worden seien. Die Blockierer könnten sich nicht auf den Grundrechtsschutz der Demonstrationsfreiheit nach Art. 5 und 8 GG berufen. Zwar werde eine Versammlung nicht schon deshalb unfriedlich im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG, weil das Tatbestandsmerkmal der Gewalt nach § 240 StGB erfüllt werde; denn unfriedlich im Sinne dieses Grundrechts heiße gewalttätig. Die Versammlungsfreiheit stehe jedoch unter Gesetzesvorbehalt; eine nicht angemeldete und von der Polizei jeweils aufgelöste Demonstration bleibe nicht in den vom Versammlungsgesetz gezogenen verfassungsmäßigen Schranken. Soweit das Grundrecht der Demonstrationsfreiheit zugleich eine Wertentscheidung enthalte, sei deren rechtliches Gewicht bei der Güterabwägung im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung nach Absatz 2 des § 240 StGB zu berücksichtigen. Das Tatbestandsmerkmal der Gewalt indiziere die Verwerflichkeit, lasse aber gleichwohl Raum für eine andere Beurteilung. Die Güterabwägung ergebe - wie im Beschluss näher dargelegt wird - im Falle der Blockade in Stuttgart-Vaihingen insgesamt keinen berechtigten Grund, den durch Gewalt ausgeübten Zwang auf die Entschlussfreiheit anderer Personen als nicht verwerflich zu beurteilen. Für diese Güterabwägung sei es ohne Bedeutung, welche Ziele mit der Protestaktion verfolgt würden; denn dem Gericht stehe eine inhaltliche Bewertung von Meinungsäußerungen als mehr oder weniger schützenswert nicht zu.

Der dritte Strafsenat hat im Revisionsverfahren des Beschwerdeführers zu 7) betreffend eine Sitzblockade in Mutlangen ebenfalls entschieden, es könne nicht Aufgabe des Gerichts sein, die Gedankeninhalte zu bewerten, die durch die Protestaktion ins allgemeine Bewusstsein gerückt werden sollten. Auch nach seiner Meinung läßt sich der Beurteilung von Blockaden als Nötigung weder das Grundrecht der Versammlungsfreiheit noch die Erwägung entgegenhalten, das Ausmaß der Behinderung sei so gering gewesen, dass sie nicht die Bezeichnung Gewalt verdiene. Zwar müsse jeder sozial-übliche Belästigungen hinnehmen. Das gelte auch für die typischen Behinderungen, die von einer friedlichen Demonstration ausgingen, solange die Demonstranten die sozial-üblichen Ziele einer Demonstration verfolgten. Die zulässige Grenze werde aber überschritten, wenn Demonstranten gezielt in die freie Willensbetätigung Unbeteiligter eingriffen und die Öffentlichkeit gerade mit Hilfe der absichtlich hervorgerufenen Behinderungen auf ihr Anliegen aufmerksam machen wollten. Ein solches Verhalten sei nötigende Gewalt und als verwerflich zu beurteilen. Dagegen könne nicht eingewandt werden, die relativ milde Form der Gewalt und die mit der Nötigung verfolgten Zwecke ließen ausnahmsweise die Zwangshandlung als zulässig erscheinen. Die Einzeltaten der Beschwerdeführer seien Bestandteil einer seit Herbst 1983 stattfindenden Langzeitaktion, durch die der Dienstbetrieb der US-Armee erheblich gestört werde. Das Motiv des Beschwerdeführers möge für sich gesehen durchaus billigenswert gewesen sein; dies ermächtige ihn jedoch nicht, seiner Meinung dadurch besonderen Nachdruck zu verleihen, dass er sie mit weitreichenden Eingriffen in die Rechte Dritter verbinde. Das im Grundgesetz verankerte Prinzip eines freien öffentlichen Meinungsbildungsprozesses eröffne jedem Bürger viele andere Möglichkeiten, sein Anliegen öffentlich vorzutragen.




b) Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die Revision des Beschwerdeführers zu 6) gegen das amtsgerichtliche Urteil ohne Begründung durch einstimmigen Beschluss verworfen.

Das Amtsgericht seinerseits hatte zur Teilnahme des Beschwerdeführers an der Sitzblockade von Neu-Ulm ausgeführt, dieser habe begonnen, psychische Gewalt anzuwenden, indem er durch den Einsatz seines Körpers gemeinsam mit anderen ein Einfahren oder Ausfahren von Fahrzeugen unmöglich gemacht habe. Der Beschwerdeführer habe vorsätzlich und rechtswidrig gehandelt. Er habe gewusst und gewollt, dass durch sein und der Mitdemonstranten Verhalten die beschriebene Zwangseinwirkung habe eintreten können. Die Gewaltanwendung zu dem erstrebten Zweck sei als verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB anzusehen. Der erstrebte Zweck, nämlich die Bevölkerung eindringlich auf Gefahren und Folgen der atomaren Rüstung und der Stationierung von Pershing II-Raketen hinzuweisen, sei achtenswert und für sich gesehen nicht verwerflich. Zur Erreichung des genannten Ziels seien jedoch nicht alle Mittel erlaubt. Gewaltanwendung als Mittel der Überzeugung und des Hinweises auf ein berechtigtes und achtenswertes Anliegen sei nicht zulässig und wegen des damit verbundenen Eingriffs in Rechte anderer nicht hinnehmbar; sie könne auch nicht durch die Grundrechte aus Art. 5, 8 und 2 GG gerechtfertigt werden. Maß und Gewicht der Gewaltanwendung und der hierdurch hervorgerufenen Zwangswirkungen sowie die Motivation des Beschwerdeführers seien bei der Strafbemessung zu berücksichtigen.

3. Die Beschwerdeführer haben gegen ihre Verurteilungen Verfassungsbeschwerden eingelegt. Alle rügen eine Verletzung des Art. 103 Abs. 2 GG. Ferner wird - teils vorrangig - ein Verstoß gegen die Grundrechte aus Art. 5 und 8 GG geltend gemacht; einige halten auch den Gleichheitssatz für verletzt.

Die Beschwerdeführer heben hervor, sie hätten in einer Frage von elementarem Allgemeininteresse völlig gewaltfrei gegen die unabsehbaren Risiken der weiteren atomaren Aufrüstung protestiert. Anders als bei Sitzblockaden gegen Preiserhöhungen, über die der Bundesgerichtshof im Laepple-Fall entschieden habe, sei es nicht um eine effektive Lahmlegung des Verkehrs als Druckmittel gegangen. Angesichts der konkreten Kräfteverhältnisse seien die vorher angekündigten Blockaden von vornherein ungeeignet gewesen, den militärischen Betrieb auch nur vorübergehend zu verhindern. Die Beschwerdeführer hätten sich vielmehr in einer symbolischen Handlung mit ihren Körpern wehrlos und hilflos der überlegenen Militärmaschine in den Weg stellen wollen, um an die Politiker zu appellieren und bildhaft die physische Unterlegenheit der Bevölkerung gegenüber der Rüstungspolitik zum Ausdruck zu bringen; eine geringfügige Behinderung der Fahrzeugführer habe dabei in Kauf genommen werden müssen, sei aber nicht das eigentliche Ziel gewesen. Ein solcher Appell an die Gewissen möge - so meinen einige Beschwerdeführer - als Zuwiderhandlung gegen das Versammlungsgesetz oder gegen Verkehrsvorschriften zu beurteilen sein; wenn es aber als eine mit dem Mittel der Gewalt begangene verwerfliche Nötigung kriminalisiert werde, dann sei dies nicht nur eine unerträgliche moralische Disqualifizierung, sondern rechtsfehlerhaft und unvereinbar mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

Der in § 240 StGB verwendete Gewaltbegriff sei durch die Gerichte zunehmend ausgeweitet und "vergeistigt" worden. Der Bundesgerichtshof habe zwar das Element der Kraftentfaltung für entbehrlich erachtet, aber immerhin ein gewisses Maß an körperlicher Einwirkung gefordert. Wenn nunmehr allein auf das Element der Zwangseinwirkung durch psychischen Druck abgestellt und jede Beeinträchtigung der Bewegungsfreiheit anderer durch passives Verhalten als Gewalt aufgefasst werde, dann sei das weder mit dem Wortsinn noch damit vereinbar, dass der Strafgesetzgeber aus guten Gründen und in Einklang mit den Wertentscheidungen der Verfassung gerade nicht jede Zwangseinwirkung auf die Freiheit der Willensentscheidung unter Strafe gestellt habe und dass die Strafvorschrift eine weitere Begehungsform vorsehe, die durch die Ausweitung des Gewaltbegriffs ihre eigenständige Bedeutung verliere. Die neuerliche richterliche Rechtsfortbildung könne sich nicht etwa auf eine hergebrachte und gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung berufen. Sie sei unvereinbar mit Art. 103 Abs. 2 GG; denn danach sei es unzulässig, eine Strafnorm auf einen Sachverhalt anzuwenden, der von ihrem Wortsinn nicht erfasst werde.

Werde gleichwohl der ausgeweitete Gewaltbegriff zugrunde gelegt, müsse die Rechtswidrigkeit besonders sorgfältig geprüft werden. Der Gesetzgeber habe das unter Strafe gestellte Verhalten nur teilweise definiert und in § 240 Abs. 2 StGB die Grenzziehung zwischen Strafbarem und Straflosem durch eine Verweisung auf die Normen der Ethik ersetzt. Daraus ergäben sich weitere verfassungsrechtliche Bedenken wegen mangelnder Bestimmtheit mit der Folge, dass die Norm auf eine Nötigung mittels Gewalt im engsten Sinne (Entfaltung körperlicher Kraft zur Einwirkung auf den Körper des Opfers) zu beschränken sei. Keinesfalls dürfe es als verwerflich angesehen werden, wenn mit dem symbolischen Mittel öffentlich angekündigter gewaltfreier Sitzblockaden gegen die bisher tödlichsten Waffen der Menschheitsgeschichte demonstriert werde. Die von den Demonstranten verfolgten Zwecke seien höherwertig als die nur kurzfristige Behinderung von Militärfahrzeugen. Es gehe jedenfalls nicht an, einerseits den Gewaltbegriff zu vergeistigen und sich andererseits mit der Feststellung zu begnügen, Gewaltanwendung indiziere die Rechtswidrigkeit. Das laufe auf eine gesetzwidrige Abschaffung des § 240 Abs. 2 StGB hinaus. Nach der Rechtsprechung dürfe ein Verhalten erst dann als verwerflich eingestuft werden, wenn ihm in erhöhtem Maße der Makel des sittlich Anstößigen und sozial Unerträglichen anhafte. Dabei sei darauf abzustellen, was nach allgemeinem Urteil missbilligt werde. Die ethische Bewertung der Blockaden durch die Friedensbewegung sei aber gerade umstritten; dass sie nicht verwerflich sein könnten, werde durch die Beteiligung zahlloser Personen von unbestreitbarer moralischer Integrität und dadurch bestätigt, dass die vielen namenlosen Teilnehmer in aller Regel loyale, überdurchschnittlich gut informierte und engagierte Bürger gewesen seien, die aus gewissenhafter Überzeugung handelten. Als verwerflich könnten die gewaltfreien Blockaden um so weniger missbilligt werden, als die Stationierung der Mittelstreckenraketen - wie der Beschwerdeführer zu 6) näher darlegt - das Recht auf Leben gefährde und verfassungswidrig sei; sie sei zudem von der Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt worden.




Bei der Beurteilung der Sitzblockaden als Nötigung hätten die Gerichte die Tragweite der Art. 5 und 8 GG verkannt, die dem Bürger ein Recht auf Einflussnahme auf den ständigen Prozess der politischen Meinungsbildung und Willensbildung gewährleisteten. Nicht schon jede Rechtsverletzung führe automatisch zur Unfriedlichkeit einer Versammlung und damit zum Wegfall grundrechtlicher Sicherungen. Beide hochrangigen Grundrechte verkörperten Wertentscheidungen, in deren Licht die grundrechtsbeschränkenden Vorschriften auszulegen und die insbesondere bei der Güterabwägung im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung zu berücksichtigen seien. Dies begründe im Ergebnis einen Vorrang der Demonstrationsfreiheit und der mit Einsatz des Körpers bewirkten Meinungskundgabe gegenüber einer kurzzeitigen symbolischen Behinderung des Militärverkehrs. Die Wahl des Demonstrationsortes und die Art der Gestaltung seien wesentliche Bestandteile der durch die Freiheitsrechte geschützten Meinungskundgabe; die damit verbundene geringfügige Beschränkung in der Fortbewegungsfreiheit einzelner Verkehrsteilnehmer sei als unvermeidliche Auswirkung sinnvoller Grundrechtsausübung in Kauf zu nehmen. Die widerstreitenden Interessen müssen nach dem Grundsatz praktischer Konkordanz miteinander in Einklang gebracht werden mit der Folge, dass kein Beteiligter seine Freiheiten schrankenlos ausüben könne. Mit dem Gleichheitssatz sei es unvereinbar, dass in anderen Fällen Sitzdemonstrationen lediglich als Ordnungswidrigkeit behandelt und gegen die Teilnehmer der sogenannten Prominentenblockade und der Lkw-Blockade am Brenner keine Strafverfahren eingeleitet worden seien.




III.

Zu den Verfassungsbeschwerden haben der Bundesminister der Justiz namens der Bundesregierung, der Bayerische Ministerpräsident und das Justizministerium des Landes Baden-Württemberg Stellung genommen. Im ersten Verfahren haben sich ferner die Strafsenate des Bundesgerichtshofs, die Gewerkschaft der Polizei und vier Institute für Konfliktforschung und Friedensforschung geäußert.

Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat Äußerungen der zuständigen Strafsenate zur Anwendung des § 240 StGB in ihrer Rechtsprechung und zur Vereinbarkeit der Vorschrift mit dem Grundgesetz übersandt:

a) Nach Ansicht des 1. Strafsenats, der ebenso wie der 5. Strafsenat bislang mit entsprechenden Rechtsfragen nicht befasst war, genügt der von der Rechtsprechung entwickelte Gewaltbegriff, der entscheidend auf die Zwangswirkung des Täterverhaltens auf den Genötigten abhebe, dem Bestimmtheitserfordernis des Art. 103 Abs. 2 GG. Für die Verwerflichkeit der Nötigung sei Gewaltanwendung indiziell. Es sei rechtsstaatlich nicht geboten, durch Einschränkung des Gewaltbegriffs oder durch Anerkennung von Demonstrationszwecken als Rechtfertigungsgrund Verhaltensweisen zu ermöglichen, die nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Gewalt im Sinne des § 240 StGB seien.

b) Der 2. Strafsenat verweist auf seine bisherige Rechtsprechung, insbesondere die Laepple-Entscheidung (BGHSt 23, 46), zu deren Tragweite er sich inzwischen im Beschluss vom 24. April 1986 (NJW 1986, S. 1883) geäußert hat. An der Definition der "Gewalt" als einer durch physische Kraftentfaltung erzielten Zwangswirkung auf das Opfer habe der Senat auch in anderem Zusammenhang bei sexueller Nötigung festgehalten. Als verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB sei eine Nötigung dann anzusehen, wenn die Verquickung des Mittels der Gewalt (oder der Drohung) mit dem jeweils angestrebten Zweck nach allgemeinem Urteil sittlich zu missbilligen sei. Es bestehe kein Zweifel, dass § 240 StGB dem Gebot der Bestimmtheit strafrechtlicher Tatbestände genüge. Dem Vorrang grundrechtlicher Gewährleistungen könne erforderlichenfalls mit dem Mittel verfassungskonformer Auslegung Rechnung getragen werden.

c) Der 3. Strafsenat verweist auf seine Entscheidung zur Nötigung bei Vorlesungsstörungen (NJW 1982, S. 189). Ein weiteres Urteil, dem eine Flughafenblockade (Großdemonstration) zugrunde gelegen habe und in dem zum Gewaltbegriff in anderen Strafvorschriften Stellung genommen worden sei (BGHSt 32, 165), habe offengelassen, ob Demonstrationen, die um der größeren Öffentlichkeitswirkung darauf angelegt seien, die Bewegungs- und Handlungsfreiheit anderer durch Gewalt zu beeinträchtigen, stets oder nur unter zusätzlichen Voraussetzungen nach § 240 StGB strafbar seien.




d) Der 4. Strafsenat hat sich zuletzt 1969 in einer Entscheidung zur räuberischen Erpressung mit dem Gewaltbegriff befasst (BGHSt 23, 126). Soweit in der Folgezeit in Verwerfungsbeschlüssen § 240 StGB anzuwenden gewesen sei, habe der Senat die Rechtsprechung des 2. Senats im Laepple-Fall zugrunde gelegt. Von einer Stellungnahme zur Vereinbarkeit der Strafvorschrift mit dem Grundgesetz werde abgesehen.

2. Der Bundesminister der Justiz meint, eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts durch die angegriffenen Entscheidungen sei nicht erkennbar. Der Bayerische Ministerpräsident, der sich schriftsätzlich zu den Verfahren der Beschwerdeführer zu 1) und 2) sowie zu 6) geäußert hat, und das Justizministerium Baden-Württemberg, das zu den in diesem Land begangenen Aktionen Stellung genommen hat, halten die Verfassungsbeschwerden ebenfalls für unbegründet.

a) Nach ihrer überstimmenden Auffassung wird die Strafvorschrift des § 240 StGB den aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Anforderungen gerecht, und zwar auch in der Auslegung, welche die Gerichte in Übereinstimmung mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung vertreten. Die Verfassung untersage nicht die Verwendung unbestimmter, wertausfüllungsbedürftiger Begriffe. Der Begriff der Verwerflichkeit überlasse es zwar - so räumt das Justizministerium Baden-Württemberg ein - weithin der Wertung der Gerichte, ob eine tatbestandliche Nötigung rechtswidrig sei; gleichwohl seien die Grenzen der Anwendbarkeit des § 240 StGB durch die strafgerichtliche Rechtsprechung derart konkretisiert, dass dem Bestimmtheitsgrundsatz so weit wie möglich Rechnung getragen werde.

Wesensmerkmal des Gewaltbegriffs ist nach Ansicht des Justizministeriums, die der Bayerische Ministerpräsident im wesentlichen teilt, die durch physische Kraftentfaltung erzielte, maßgeblich an ihrer Intensität im Einzelfall zu messende Zwangswirkung auf das Opfer. Das Erfordernis einer - wenn auch geringen - körperlichen Kraftentfaltung als auslösender Faktor eines im übrigen psychisch determinierten Prozesses wahre die Grenze einer vom Wortlaut noch gedeckten Auslegung. Es sei nicht ersichtlich, dass diese nicht mit der allgemeinen Vorstellung von Gewalt übereinstimme.

Die Gleichsetzung der psychischen mit der physischen Gewalt ist nach Ansicht des Bundesministers der Justiz angesichts des Gesetzeszweckes, die freie Willensbetätigung zu schützen, gerechtfertigt; sie entspreche der heute herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Schrifttum. Diese Rechtsprechung könne unbeschadet der teils heftigen Kritik, die sie aus strafrechtlicher Sicht erfahren habe, nicht als verfassungswidrig bezeichnet werden. Eine Entscheidung für einen bestimmten Gewaltbegriff sei dem Grundgesetz nicht zu entnehmen. Das Abstellen auf die körperliche Zwangswirkung beim Opfer und nicht auf das Angriffsverhalten des Täters sei eine von mehreren Auslegungsmöglichkeiten, die durch das Bestreben bestimmt sei, alle gleich strafwürdigen Fälle zu erfassen. Diese Auslegung bedeute keine verbotene Analogie, da der Begriff der Gewalt nicht nur durch das Verhalten des Täters, sondern auch durch die Wirkung dieses Verhaltens beim Opfer geprägt sei.

b) Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen nach übereinstimmender Auffassung der genannten Verfassungsorgane auch nicht gegen die Art. 5 und 8 GG; die Verfassung gebiete nicht, Sitzblockaden, wie sie von den Beschwerdeführern durchgeführt worden seien, als rechtmäßig anzusehen.

Nach Ansicht des Bayerischen Ministerpräsidenten verleihen die genannten Grundrechte ihrem Träger nicht das Recht, bei der Ausübung der Meinungsfreiheit und Demonstrationsfreiheit mit Gewalt auf andere einzuwirken. In seinem Brokdorf-Beschluss habe das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich hervorgehoben, dass sich Personen, die bei Demonstrationen Gewalt anwendeten, nicht auf Art. 8 GG berufen könnten. Die Wechselwirkung zwischen den Grundrechten und § 240 StGB gebiete keine einschränkende Auslegung des Gewaltbegriffs bei Demonstrationen, da die Anwendung von Gewalt im Sinne der herrschenden Rechtsprechung kein notwendiges Mittel zur Wahrung der in Art. 5 und 8 GG gewährten Freiheiten sei.

Der Bundesminister der Justiz betont ebenfalls, dass Art. 5 und 8 GG nur die geistige Auseinandersetzung, nicht hingegen gewaltsames Verhalten schützten. Es erscheine bereits fraglich, ob die aus Protest gegen die atomare Rüstung veranstalteten Sitzblockaden vor militärischen Einrichtungen als "friedliche" Versammlungen im Sinne von Art. 8 Abs. 1 GG anzusehen seien. Zwar könne der von der Rechtsprechung entwickelte strafrechtliche Gewaltbegriff nicht ohne weiteres mit dem verfassungsrechtlichen Begriff der Unfriedlichkeit gleichgesetzt werden. Im Bereich des Versammlungsrechts könne sich jedoch auch psychischer Zwang als ein Verhalten darstellen, das außerhalb des Rahmens eines zulässigen geistigen Meinungskampfes liege. Letztlich könne diese Problematik aber dahingestellt bleiben, da die Bestrafung wegen Nötigung jedenfalls aufgrund des Gesetzesvorbehalts in Art. 8 Abs. 2 GG zulässig sei. Die Vorschrift des § 240 Abs. 1 StGB schütze die Freiheit der Willensentschließung und der Willensbetätigung, richte sich somit nicht gegen die Versammlungsfreiheit und entspreche den Anforderungen, die das Bundesverfassungsgericht im Brokdorf-Beschluss an normative, die Versammlungsfreiheit beschränkende Regelungen gestellt habe.

Nach Ansicht des Justizministeriums Baden-Württemberg ermöglicht es die Verwerflichkeitsregel den Gerichten, den Grundrechtsverbürgungen der Art. 5 und 8 GG bei der Güterabwägung Rechnung zu tragen. Dass Art. 8 GG nicht schon mangels Friedlichkeit als Prüfungsmaßstab auszuscheiden habe, werde vom Oberlandesgericht Stuttgart in einigen Entscheidungen ausdrücklich dargelegt. Aus den in den Schranken der allgemeinen Gesetze gewährleisteten oder unter Gesetzesvorbehalt stehenden Grundrechten der Art. 5 und 8 GG lasse sich aber nicht die Befugnis entnehmen, die Wirkung von Demonstrationen dadurch erhöhen zu dürfen, dass mittels gewaltsamer Nötigung Verkehrsbehinderungen zu Zweck und Ziel einer öffentlichen Aktion gemacht würden. Werde durch eine Fahrbahnblockade konkret auf Kraftfahrer ein unwiderstehlicher Zwang zum Halten ausgeübt, so sei die damit angewandte Gewalt auch unter Berücksichtigung des Grundrechts der Demonstrationsfreiheit in aller Regel rechtswidrig; nur besondere Umstände des Einzelfalles könnten ausnahmsweise das Verwerflichkeitsurteil ausschließen. Selbst wenn ferner berücksichtigt werde, dass die Demonstranten das Interesse einer breiten Öffentlichkeit auf ein wichtiges und sie wesentlich berührendes Problem richten wollten, könne bei der Güterabwägung nicht davon ausgegangen werden, dass der Ausübung ihrer Grundrechte der Vorrang gegenüber den durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Rechtspositionen der Betroffenen zukomme. In der repräsentativen Demokratie müßten im übrigen Entscheidungen in öffentlichen Angelegenheiten in den Händen der durch Verfassung und Gesetz dazu legitimierten und durch den demokratischen Willensbildungsprozess berufenen Organe liegen. Hiermit wäre es unvereinbar, wollten die Strafgerichte das Verwerflichkeitsurteil von den inhaltlichen Zielsetzungen einer Protestaktion abhängig machen.

c) In den Stellungnahmen wird ferner dargelegt, dass auch die Anwendung der gesetzlichen Regelung in den konkreten Einzelfällen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei, wenn dabei berücksichtigt werde, dass das Bundesverfassungsgericht fachgerichtliche Entscheidungen nur auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts zu überprüfen habe.




Nach Ansicht des Bundesministers der Justiz haben die Strafgerichte bei der Anwendung der Verwerflichkeitsklausel zutreffend berücksichtigt, dass der unmittelbare Zweck der Aktionen der Beschwerdeführer in der Blockade der betroffenen militärischen Einrichtungen bestanden habe. Dies sei keine bloße Belästigung gewesen, die sich zwangsläufig aus der Grundrechtsausübung ergeben habe und ohne Nachteile für den Veranstaltungszweck nicht vermeidbar gewesen wäre, sondern eine gezielte Beeinträchtigung zumindest gleichwertiger Rechtsgüter Dritter. Daher genieße die Versammlungsfreiheit der Beschwerdeführer keinen Vorrang vor den durch sie beeinträchtigten Rechten der betroffenen Kraftfahrer. Da die Strafgerichte das Anliegen der Beschwerdeführer nicht zu bewerten hätten, sei dieses zu Recht außer acht geblieben. Andererseits hätten die Gerichte berücksichtigen dürfen, dass die Versammlungen pflichtwidrig nicht angemeldet worden und daher insoweit gegen die Rechtsordnung verstoßende Nötigungsmittel gewesen seien. Schließlich sei es auch nicht zu beanstanden, wenn die Strafgerichte den Sitzblockaden keinen Bagatellcharakter beigemessen hätten. Zwar möge der hohe Rang der Versammlungsfreiheit dazu führen, dass eine tatsächlich nur symbolische Beeinträchtigung der Willensfreiheit eines anderen nicht als verwerflich im Sinne des § 240 Abs. 2 StGB anzusehen sei und daher auch strafrechtlich nicht geahndet werden dürfe; ein derart symbolischer Charakter komme den Sitzblockaden der Beschwerdeführer jedoch in keinem Falle zu.

Nach Meinung des Bayerischen Ministerpräsidenten haben die an der Ankettungsaktion in Großengstingen und bei der Blockade in Neu-Ulm beteiligten Beschwerdeführer, die mit ihren Körpern die Kasernenzufahrt verstellt hätten, unter physischer Kraftentfaltung eine, wenn auch psychisch vermittelte Zwangswirkung auf jene hervorgerufen, welche die Zufahrt hätten passieren wollen. Die Zwangswirkung sei durch die Anzahl der Teilnehmer und im ersten Fall durch das Anketten noch gesteigert worden. Am Vorliegen einer Gewaltanwendung könnten der symbolische Charakter der Aktion, deren Vorankündigung und die politische Motivation nichts ändern. Diese Motivation könne allenfalls im Rahmen der Rechtswidrigkeitsprüfung bedeutsam werden. Die Verwerflichkeit werde indessen in aller Regel durch die Anwendung von Gewalt indiziert. Jedenfalls sei der auf Dritte ausgeübte Zwang, die Weiterfahrt zu unterbrechen, anderenfalls ein Verbrechen zu begehen, nach allgemeiner Ansicht in erhöhtem Grade sittlich zu missbilligen. Diese Beurteilung gelte auch im Falle von Friedensdemonstrationen, zumal vielfältige andere Formen für die Verwirklichung von Meinungsfreiheit und Demonstrationsfreiheit bestünden.

Das Justizministerium Baden-Württemberg legt näher dar, dass die Verurteilung der Beschwerdeführer zu 1) und 2), 4) und 5) sowie zu 7), die an der Ankettungsaktion in Großengstingen oder an den Blockaden in Stuttgart-Vaihingen und Mutlangen beteiligt waren, eine Verletzung spezifischen Verfassungsrechts nicht erkennen lasse. Die Rechtsanwendung halte sich im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten verfassungsrechtlich unbedenklichen Kriterien. Die Gerichte hätten nicht verkannt, dass es für das Merkmal der Gewalt entscheidend sein müsse, welches Gewicht der ausgeübten psychischen Einwirkung zukomme. Ihre an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs anknüpfende Beurteilung sei auf der Ebene des einfachen Rechts zumindest vertretbar. Das gelte auch für die Prüfung der Verwerflichkeit, die durch die Anwendung gewaltsamer Mittel grundsätzlich indiziert werde und die dann zu bejahen sei, wenn ein Verhalten in so hohem Maße missbilligenswert erscheine, dass es sich - weil sozial unerträglich - als strafwürdiges Unrecht darstelle.

d) In den Stellungnahmen zum ersten Verfahren wird schließlich noch dargelegt, dass sich die Stationierung von Atomraketen im Rahmen der verfassungsrechtlichen Grundentscheidung für eine militärische Selbstverteidigung halte. Ein Recht zum Widerstand im Sinne des Art. 20 Abs. 4 GG gegen die zulässige Rüstungspolitik sei nicht gegeben.

3. Die Gewerkschaft der Polizei hält eine verfassungsgerichtliche Klärung der Grenzen des Nötigungstatbestandes im Interesse der Polizei wie der Demonstranten und der Betroffenen für dringend erwünscht. Wegen der Ausweitung des Gewaltbegriffs und der Unsicherheiten in der Anwendung der Verwerflichkeitsklausel lasse es sich nicht von der Hand weisen, dass eine Bestrafung wegen Nötigung für die Beschwerdeführer nicht vorhersehbar gewesen sei. Die Ausdehnung des Gewaltbegriffs in der neueren Rechtsprechung bedürfe der Überprüfung im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an die rechtsfortbildende Tätigkeit des Richters bei der Verhängung von Strafen zu stellen seien, bei der - wie Art. 103 Abs. 2 GG belege - die Gesetzesbindung mit besonderer Strenge zu handhaben sei. Die Begriffsbildung des Reichsgerichts habe mit dem Wortlaut des § 240 Abs. 1 StGB noch in Einklang gestanden. Danach liege Gewalt jedenfalls dann vor, wenn der Täter einen Angriff gegen den Körper des Opfers richte und dabei selbst erhebliche Körperkräfte aufwende (Verprügeln) oder - im weitesten Sinne - technische Einrichtungen benutze (Gewehrschuss). Fehle es an einer derartigen mechanischen Einwirkung, so könne Gewalt nur dann angenommen werden, wenn einzelne Körperfunktionen beim Opfer vorübergehend lahmgelegt würden, etwa durch "gewaltlose" Beibringung narkotisierender Mittel oder durch Einsperren oder bewußte Verursachung eines Nervenschocks. Anders verhalte es sich, wenn nicht die Bewegungsfähigkeit schlechthin, sondern nur die Fortbewegung in bestimmten Formen (mit Auto oder Straßenbahn) oder in bestimmte Richtung (Verkehrsblockade) unmöglich gemacht werde. Ebensowenig reiche die bloße Beeinträchtigung des Nervensystems als Anlass zur Bestrafung aus. Die Rückkehr zum traditionellen Gewaltbegriff werde nicht etwa dazu führen, Tatbestände für rechtmäßig zu erklären, die heute durch § 240 StGB erfasst würden. Es entfalle lediglich eine Bestrafung wegen Nötigung, jedoch blieben Sanktionen nach dem Versammlungsgesetz und der Straßenverkehrsordnung möglich.

Die angefochtenen Entscheidungen hätten ferner die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 und 8 Abs. 1 GG nicht hinreichend beachtet. Die Blockade einer Kasernenzufahrt sei zweifelsfrei als Versammlung im Sinne des Art. 8 GG und des Versammlungsgesetzes anzusehen: Die Teilnehmer seien zusammengekommen, um gemeinsam in öffentlichen Angelegenheiten durch Demonstration eine Aussage zu machen. Ihre Handlungsweise werde nicht dadurch zu einer unfriedlichen, dass die Gerichte ihr Handeln als "Gewalt" angesehen hätten. Da eine grundrechtsbeschränkende Norm im Lichte der eingeschränkten Grundrechte zu interpretieren sei, müsse das Recht der Beschwerdeführer, gemeinsam ihre Meinung zu bekunden, zu der durch § 240 StGB geschützten Bewegungsfreiheit der Militärangehörigen in Bezug gesetzt werden. Maßstäbe für eine verhältnismäßige Zuordnung der beiden Rechtsgüter ließen sich aus der Praxis unzweifelhaft legaler Demonstrationen ableiten. Bei diesen werde es ersichtlich nicht beanstandet, dass Verkehrsteilnehmer zu einem Umweg gezwungen würden oder dass bestimmte Plätze nicht mit Autos passierbar seien. Die Grenzen des Legalen wären erst dann überschritten, wenn beispielsweise die Bewegungsfreiheit eines Unbeteiligten vorübergehend völlig beseitigt wäre und er auch nicht mehr die Möglichkeit habe, zu Fuß zu seiner Wohnung oder zu seinem Arbeitsplatz zu gelangen oder bestimmte Stadtviertel mit einem Kraftfahrzeug zu erreichen. An diesen Maßstäben ändere sich nichts, wenn eine nicht angemeldete Demonstration vorliege; auch sie sei eine Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes mit der Folge, dass als denkbare Eingriffe lediglich ein Ausschluss gemäß § 18 Abs. 3 VersG, eine Platzverweisung sowie eine Auflösung in Betracht kämen. Solange die zuständige Behörde keinen dieser auf Entfernung der Teilnehmer gerichteten Eingriffe verfüge, sei die Berufung auf Art. 8 GG zulässig; bis dahin könne die Teilnahme an der Blockade auch keine Nötigung sein. Im übrigen müsse sich die wertsetzende Bedeutung des eingeschränkten Grundrechts auch auf die Sanktionen auswirken, die bei Verstößen verhängt würden.

4. Von den vier Instituten für Friedensforschung und Konfliktforschung hat das Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik Veröffentlichungen zur verfassungsrechtlichen Beurteilung von Nuklearwaffen übersandt. Zu verfassungsrechtlichen, verteidigungspolitischen und militärtechnischen Problemen der Stationierung haben sich ferner die Hessische Stiftung Friedensforschung und Konfliktforschung sowie das Starnberger Forschungsinstitut für Friedenspolitik geäußert. In allen Beiträgen, die vor den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Nachrüstung (BVerfGE 66, 39 und insbesondere 68, 1) eingingen, wird deren Verfassungsmäßigkeit angezweifelt. Die beiden zuletzt genannten Institute und ebenfalls die Berghof-Stiftung für Konfliktforschung haben zur Problematik symbolischer Aktionen des zivilen Ungehorsams in parlamentarischen Demokratien Stellung genommen. Übereinstimmend warnen sie davor, solche Aktionen als Nötigung mit dem Mittel verwerflicher Gewalt zu beurteilen; dadurch werde das Bemühen um Abbau von Gewalt und um differenzierte Möglichkeiten zur Konfliktaustragung unterlaufen.

In den Stellungnahmen wird ausgeführt, es gebe auch in der parlamentarischen Demokratie Streitpunkte, welche von Minderheiten für nicht kompromissfähig oder für unbestimmbar gehalten würden. In der Bundesrepublik richteten sich Aktionen zivilen Ungehorsams in erster Linie gegen Mehrheitsentscheidungen, bei denen die Minderheit fatale, nicht wieder gutzumachende Konsequenzen befürchte. So werde der Mehrheit das Recht bestritten, Abschreckungsstrategien zu verfolgen, die im Falle des Versagens zum Ende der Bundesrepublik als lebensfähiger Industriegesellschaft führen müssten. Für derartige Konfliktfälle, in denen sich die Minderheit aus Gewissensgründen zum Widerstehen verpflichtet fühle, müsse es einen Weg geben, Alarmzeichen zu setzen und die Mehrheit zu überzeugen, ohne dass es über diesen Konflikt zu einer Lähmung anderer lebensnotwendiger Funktionen des Gemeinwesens komme. Dabei gehe es nicht um die Ausübung eines unwiderstehlichen Zwanges auf staatliche Organe, sondern darum, den Konfliktgegenstand so zu dramatisieren, dass er nicht länger ignoriert werden könne. Die Kollision mit der Rechtsordnung werde bei Aktionen zivilen Ungehorsams begrenzt. Diesem Ziel dienten die politische Begründung der Aktion und die sie kalkulierbar machenden Angaben über den Verlauf, so dass es sich nicht um eine chaotische, sondern um eine in sich geordnete Aktion handele, deren Verlauf häufig auch mit staatlichen Organen besprochen werde. Die Selbstverpflichtung zu gewaltfreiem Verhalten sei ausschlaggebendes Merkmal für die Beurteilung von zivilem Ungehorsam; die Honorierung derartiger Selbstverpflichtungen liege im Interesse einer freiheitichen demokratischen Grundordnung. Wenn derartige Aktionen die Anwendung psychischer Gewalt vorgeworfen werde, um § 240 StGB anwenden zu können, dann werde die für das Zusammenleben außerordentlich bedeutsame Grenze zwischen violenten und nicht violenten Aktionen verwischt. Es sei auch unangemessen, hier von "psychischer Gewalt" zu sprechen, weil die Willensfreiheit der Herausgeforderten in Wahrheit nicht beeinträchtigt werde. Richtig sei, dass es kein Grundrecht auf zivilen Ungehorsam geben könne; politische Weisheit und der Respekt vor dem gewissenhaften Bürger geböten aber Mäßigung und Toleranz. Diese seien für das Gemeinwesen weniger gefährlich als rigide Überreaktionen bei der Strafverfolgung.


IV.

In der mündlichen Verhandlung am 15. und 16. Juli 1986 haben sich geäußert:

Für die Beschwerdeführer die Professoren Dr. Däubler und Dr. Grünwald sowie die Rechtsanwälte Hemeyer, Leyrer, Niepel und Schmid; der Beschwerdeführer zu 7) persönlich; für die Bundesregierung Bundesminister der Justiz Engelhard sowie die Ministerialdirektoren Dr. Bülow und Schneider und der Ministerialrat Dr. Kammerloher; für die Bayerische Staatsregierung Staatsminister der Justiz Lang und Prof. Dr. Isensee; für das Justizministerium Baden-Württemberg Justizminister Dr. Eyrich; für die Gewerkschaft der Polizei deren Vorsitzender Schröder und Gewerkschaftssekretär Heyn; als Sachverständige die Professoren Dr. Calliess und Präsident des Landgerichts a.D. Dr. Tröndle.




B.

Die Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 6), welche die Sitzdemonstration in Neu-Ulm betrifft, ist zulässig und begründet. Die übrigen zulässigen Verfassungsbeschwerden waren zurückzuweisen; insoweit konnte infolge Stimmengleichheit ein Verstoß gegen das Grundgesetz nicht festgestellt werden (§ 15 Abs. 3 Satz 3 BVerfGG).

I.

In Rechtsprechung und Literatur ist nicht nur die verfassungsrechtliche, sondern vor allem die strafrechtliche Beurteilung von Sitzdemonstrationen der vorliegenden Art umstritten. Solche Aktionen sind dadurch gekennzeichnet, dass Zufahrten zu militärischen Einrichtungen ohne jedes gewalttätige Verhalten und zumeist nach vorheriger öffentlicher Ankündigung durch Verweilen auf der Fahrbahn versperrt werden und dass die Teilnehmer ein polizeiliches Einschreiten widerstandslos über sich ergehen lassen. Dass derartige Demonstrationen jedenfalls nach rechtmäßiger Auflösung als Ordnungswidrigkeiten, nämlich als Zuwiderhandlungen gegen versammlungsrechtliche und verkehrsrechtliche Vorschriften geahndet werden können, wird - soweit ersichtlich - nicht in Zweifel gezogen. Zahlreiche Strafgerichte haben sie im Anschluss an das Laepple-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGHSt 23, 46) darüber hinaus als verwerfliche Nötigung mit dem Mittel der Gewalt beurteilt (vgl. neben OLG Stuttgart, NJW 1984, S. 1909 insbesondere KG, NJW 1985, S. 209; OLG Düsseldorf, NJW 1986, S. 942; BayObLG, JZ 1986, S. 404), während andere Gerichte insoweit zum Freispruch oder zur Einstellung gelangten (vgl. die Nachweise in den Rechtsprechungsübersichten, Leb, KJ 1984, S. 202 und Frankenberg, KJ 1985, S. 301). Das Oberlandesgericht Köln schließlich hat dem Bundesgerichtshof im Anschluss an dessen Ausführungen in einem anderen Urteil (BGHSt 32, 165) die Frage vorgelegt, ob Demonstrationen, die um der größeren Öffentlichkeit willen auf eine Behinderung der Bewegungsfreiheit und Handlungsfreiheit anderer angelegt seien, stets rechtswidrig im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB seien oder ob aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalles eine Verwerflichkeit entfallen könne (NStZ 1986, S. 30; zurückhaltend auch OLG Koblenz, NJW 1985, S. 2432 bei kurzfristigen Behinderungen und OLG Zweibrücken, NJW 1986, S. 1055 für den Fall polizeilicher Umleitungen). Der Bundesgerichtshof hat daraufhin nach Erlass der angegriffenen Entscheidungen durch Beschluss vom 24. April 1986 (NJW 1986, S. 1883) klargestellt, der Sachverhalt, welcher der Laepple-Entscheidung zugrunde gelegen habe, weiche in wesentlichen Punkten von Sitzblockaden der strittigen Art ab; der Umstand, dass Demonstranten die von ihnen verursachte Verkehrsbehinderung von vornherein bezweckten, sei nicht stets eine hinreichende Bedingung für das Verwerflichkeitsurteil im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB.

Im Schrifttum hatte bereits die Laepple-Entscheidung eine kritische Diskussion ausgelöst. Gleichwohl hat die Beurteilung der Sitzblockaden als Nötigung unbeschadet gewisser Bedenken Zustimmung gefunden. Jedoch hat die Kritik an dieser Beurteilung in jüngster Zeit zugenommen, wobei sowohl die Einstufung passiver Resistenz als Gewalt als auch die Bewertung als verwerflich beanstandet werden. Teilweise werden auch verfassungsrechtliche Gesichtspunkte sowie Probleme des "zivilen Ungehorsams" erörtert:

Bergmann, Zur strafrechtlichen Beurteilung von Straßenblockaden als Nötigung, Jura 1985, S. 457; Blumenwitz, Versammlungsfreiheit und polizeiliche Gefahrenabwehr bei Demonstrationen, in: Festschrift für Samper, 1982, S. 131; Brink/Keller, Politische Freiheit und strafrechtlicher Gewaltbegriff, KJ 1983, S. 107; Brohm, Demonstrationsfreiheit und Sitzblockaden, JZ 1985, S. 501; Calliess, Der strafrechtliche Nötigungstatbestand und das verfassungsrechtliche Gebot der Tatbestandsbestimmtheit, NJW 1985, S. 1056; Eser, in: Schönke/Schröder, StGB, 22. Auflage, 1985, Rdnr. 26 ff. zu § 240; Giehring, Verkehrsblockierende Demonstration und Strafrecht, in: Lüderssen/Sack, Vom Nutzen und Nachteil der Sozialwissenschaften für das Strafrecht, Band 2, 1980, S. 513; Kaufmann, Gerechtigkeit - der vergessene Weg zum Frieden, 1986, S. 86; Kniesel, Polizeiliche Lagebeurteilung bei Sitzblockaden nach Maßgabe der Versammlungsfreiheit, Die Polizei, 1986, S. 217; Kostaras, Zur strafrechtlichen Problematik der Demonstrationsdelikte, 1982; Krauß, Die Beurteilung "passiver Resistenz" - restriktive oder extensive Auslegung der Gewaltnötigung?, NJW 1984, S. 905; Marxen, Demonstrationsfreiheit und strafrechtlicher Gewaltbegriff, KJ 1984, S. 54; Offenloch, Geforderter Rechtsstaat, JZ 1986, S. 11; Ott, Rechtsprobleme bei der Auflösung einer Versammlung in Form eines Sitzstreiks, NJW 1985, S. 2384; Preuß, Nötigung durch Demonstration?, Zur Dogmatik des Art. 8 GG, in: Festschrift für R. Schmid, 1985, S. 419; Rinken, Sitzblockaden gegen Raketenstationierung, KJ 1984, S. 44; Schäfer, in: Leipziger Kommentar, 10. Auflage, 1986, Rdnr. 17 ff., 61 ff., 97 ff. zu § 240 StGB; Schmitt, Der Anwendungsbereich von § 1 Strafgesetzbuch (Art. 103 Abs. 2 Grundgesetz), in: Festschrift für Jescheck, 1985, S. 223; Schüler-Springorum, Strafrechtliche Aspekte zivilen Ungehorsams, in: Glotz, Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, 1983, S. 76; Schroeder, Widerstand gegen Willensmittler als Nötigung?, NJW 1985, S. 2392; Sommer, Lücken im Strafrechtsschutz des § 240 StGB?, NJW 1985, S. 769; Wolter, Verfassungskonforme Restriktion und Reform des Nötigungstatbestandes, NStZ 1986, S. 241.

Zur Diskussion über zivilen Ungehorsam: Brieskorn, Der zivile Ungehorsam, in: Stimmen der Zeit, 1984, S. 28; Doehring, Staatsräson, Legalität und Widerstandsrecht, in: Festschrift für Karl Carstens, 1984, S. 527; Dreier, Widerstandsrecht und ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat; in: Glotz, Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, 1983, S. 54; Eckertz, Geburtshelfer des Rechts - Ziviler Ungehorsam im Meinungsstreit, Evangelische Kommentare, 1984, S. 553; Engelhard, Rechtsbewußtsein der Bürger und demokratische Legitimität, Recht 1984, S. 89; Frankenberg, Ziviler Ungehorsam und Rechtsstaatliche Demokratie, JZ 1984, S. 266; Habermas, Ziviler Ungehorsam, in: Glotz, Ziviler Ungehorsam im Rechtsstaat, 1983, S. 29; Hassemer, Ziviler Ungehorsam - ein Rechtfertigungsgrund?, in: Festschrift für Wassermann, 1985, S. 325; Isensee, Ein Grundrecht auf Ungehorsam gegen das demokratische Gesetz? - Legitimation und Perversion des Widerstandsrechts, in: Streithofen (Hrsg.), Frieden im Lande, 1983, S. 155; Karpen, "Ziviler Ungehorsam" im demokratischen Rechtsstaat, JZ 1984, S. 249; Strecker, Ziviler Ungehorsam als Herausforderung an die drei Gewalten, in: Festschrift für R. Schmid, 1985, S. 353; Wassermann, Zur Rechtsordnung des politischen Kampfes in der verfassungsstaatlichen Demokratie, JZ 1984, S. 263.




II.

In den Ausgangsverfahren haben die Gerichte die Beschwerdeführer wegen Nötigung gemäß § 240 StGB bestraft. Soweit durch diese Vorschrift Nötigungen mit dem Mittel der Gewalt unter Strafe gestellt werden, ergibt die verfassungsgerichtliche Überprüfung, dass die Normierung des § 240 StGB durch den Gesetzgeber dem aus Art. 103 Abs. 2 GG folgenden Bestimmtheitsgebot für Strafbestimmungen genügt. Auch die weite Interpretation des Gewaltbegriffes in der Rechtsprechung überschreitet nach Meinung von vier Richtern nicht die Grenzen, die das Grundgesetz für die Auslegung strafrechtlicher Vorschriften zieht; nach Meinung der vier anderen Richter ist es hingegen mit dem aus Art. 103 Abs. 2 GG herleitbaren Analogieverbot unvereinbar, wenn Gerichte die Gewaltalternative des § 240 StGB auf Handlungen der vorliegenden Art erstrecken.

1. Art. 103 Abs. 2 GG gewährleistet, dass eine Tat nur bestraft werden kann, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mit dieser Verfassungsnorm in zahlreichen Entscheidungen befasst und schon früh klargestellt, dass sich ihre Bedeutung nicht im Verbot der gewohnheitsrechtlichen oder rückwirkenden Strafbegründung erschöpft (BVerfGE 14, 174 [185]; ständige Rechtsprechung). In späteren Entscheidungen ist herausgearbeitet worden, dass Art. 103 Abs. 2 GG ein für die Gesetzgebung wesentliches Bestimmtheitsgebot sowie ein damit korrespondierendes, an die Rechtsprechung gerichtetes Verbot strafbegründender Analogie enthält. Aus Anlass eines Falles, in dem Art. 103 Abs. 2 GG durch unzulässige Auslegung der angewandten Strafnorm verletzt worden war, hat das Bundesverfassungsgericht die Grundsätze seiner bisherigen Rechtsprechung wie folgt zusammengefasst (BVerfGE 71, 108 [114 ff.]; vgl. auch BVerfGE 47, 109 [123 ff.]; 64, 389 [393 ff.]):

Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet den Gesetzgeber - neben dem hier nicht zu erörternden Rückwirkungsverbot -, die Voraussetzungen der Strafbarkeit so konkret zu umschreiben, dass Tragweite und Anwendungsbereich der Straftatbestände zu erkennen sind und sich durch Auslegung ermitteln lassen. Diese Verpflichtung dient einem doppelten Zweck. Es geht einerseits um den rechtsstaatlichen Schutz des Normadressaten: Jedermann soll vorhersehen können, welches Verhalten verboten und mit Strafe bedroht ist. Im Zusammenhang damit soll andererseits sichergestellt werden, dass der Gesetzgeber über die Strafbarkeit entscheidet. Insoweit enthält Art. 103 Abs. 2 GG einen strengen Gesetzesvorbehalt, der es der vollziehenden und der rechtsprechenden Gewalt verwehrt, über die Voraussetzungen eine Bestrafung selbst zu entscheiden.

Wenn hiernach Strafvorschriften in der dargelegten Weise bestimmt sein müssen, so schließt dies nicht eine Verwendung von Begriffen aus, die in besonderem Maße der Deutung durch den Richter bedürfen. Auch im Strafrecht steht der Gesetzgeber vor der Notwendigkeit, der Vielgestaltigkeit des Lebens Rechnung zu tragen. Auch ist es wegen der Allgemeinheit und Abstraktheit von Strafnormen unvermeidlich, dass in Grenzfällen zweifelhaft sein kann, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht. Jedenfalls im Regelfall muss der Normadressat aber anhand der gesetzlichen Regelung voraussehen können, ob ein Verhalten strafbar ist. In Grenzfällen ist auf diese Weise für ihn wenigstens das Risiko einer Bestrafung erkennbar. Unter diesem Aspekt ist für die Bestimmtheit einer Strafvorschrift in erster Linie der für den Adressaten erkennbare und verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Tatbestandes maßgebend.

Das Erfordernis gesetzlicher Bestimmtheit schließt nach der Rechtsprechung eine analoge oder gewohnheitsrechtliche Strafbegründung aus. Dabei ist "Analogie" nicht im engeren technischen Sinne zu verstehen; ausgeschlossen ist vielmehr jede Rechts-"Anwendung", die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgeht. Art. 103 Abs. 2 GG zieht der Auslegung von Strafvorschriften eine verfassungsrechtliche Schranke. Da Gegenstand der Auslegung gesetzlicher Bestimmungen immer nur der Gesetzestext sein kann, erweist dieser sich als maßgebendes Kriterium: Der mögliche Wortsinn des Gesetzes markiert die äußerste Grenze zulässiger richterlicher Interpretation. Wenn, wie gezeigt, Art. 103 Abs. 2 GG Erkennbarkeit und Vorhersehbarkeit der Strafandrohung für den Normadressaten verlangt, so kann das nur bedeuten, dass dieser Wortsinn aus der Sicht des Bürgers zu bestimmen ist.

Daraus folgt: Der Gesetzgeber hat zu entscheiden, ob und in welchem Umfang er ein bestimmtes Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich (und notwendig) erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts verteidigen will. Den Gerichten ist es verwehrt, seine Entscheidung zu korrigieren. Führt erst eine über den erkennbaren Wortsinn der Vorschrift hinausgehende "Interpretation" zu dem Ergebnis der Strafbarkeit eines Verhaltens, so darf dies nicht zu Lasten des Bürgers gehen. Die Gerichte müssen daher in Fällen, die vom Wortlaut einer Strafnorm nicht mehr erfasst sind, zum Freispruch gelangen. Dies gilt auch dann, wenn als Folge der wegen des Bestimmtheitsgebots möglichst konkret abzugrenzenden Strafnorm besonders gelagerte Einzelfälle aus dem Anwendungsbereich eines Strafgesetzes herausfallen, mag auch das Verhalten in ähnlicher Weise strafwürdig erscheinen. Insoweit muss sich der Gesetzgeber beim Wort nehmen lassen. Es ist seine Sache zu entscheiden, ob er die sich aus einer möglichen Strafbarkeitslücke ergebende Lage bestehen lassen oder eine neue Regelung schaffen will. Den Gerichten jedenfalls ist es durch Art. 103 Abs. 2 GG verboten, dieser Entscheidung vorzugreifen.




An dieser Rechtsprechung ist festzuhalten. Auch im Schrifttum wird ihr - abgesehen von hier nicht interessierenden Einzelheiten - weitgehend zugestimmt (vgl. die Nachweise bei Krahl, Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zum Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht [Art. 103 Abs. 2 GG], 1986, S. 220 ff.). Gewarnt wird allerdings vor der Gefahr, die Rechtsprechung könne zu einem Verbalbekenntnis werden, da sie dazu neige, die Möglichkeit von Verletzungen des Bestimmtheitsgebots und des Analogieverbots im Einzelfall allzu großzügig zu beurteilen (Krahl, a.a.O., S. 412).

2. Eine Prüfung des § 240 StGB am Maßstab des Art. 103 Abs. 2 GG ergibt unter Anwendung der dargelegten Grundsätze zunächst, dass jedenfalls die Normierung der Gewaltalternative durch den Gesetzgeber nicht zu beanstanden ist.

Schutzgut des Nötigungstatbestandes ist erkennbar die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung (vgl. etwa Eser, a.a.O., § 240 Rdnr. 1). Der Gesetzgeber hat indessen nicht jede Zwangseinwirkung auf diese Freiheit unter Strafe gestellt, sondern aus der Fülle zwischenmenschlicher Einwirkungsmöglichkeiten diejenigen als sozialschädlich herausgegriffen, bei denen mit bestimmten Mitteln genötigt wird: durch Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel. Die vorliegenden Verfahren geben keinen Anlass, auf das nicht ganz unstreitige Verhältnis der beiden Tatbestandsalternativen zueinander näher einzugehen (kritisch dazu insbesondere Sommer, a.a.O.). Jedenfalls ist erkennbar, dass der Gesetzgeber mit der Gewaltalternative die gegenwärtige Zufügung einer Beeinträchtigung unter Strafe stellt, während die Drohungsalternative den Fall der bloßen Ankündigung eines künftigen Übels erfasst. Dabei verwendet er mit dem Begriff der Gewalt ein sprachlich verständliches Merkmal, das auch in zahlreichen anderen Strafvorschriften vorkommt, das zwar für eine Auslegung offen sein mag, dessen Tragweite sich aber durch eine an Wortlaut und Gesetzeszweck orientierte Auslegung in einer für den Bürger hinreichend vorhersehbaren Weise ermitteln lässt.

Für die verfassungsrechtliche Beurteilung des Nötigungstatbestandes ist weiter bedeutsam, dass nach der gesetzlichen Regelung auch eine Nötigung mit dem Mittel der Gewalt nur dann strafbar sein soll, wenn sie rechtswidrig erfolgt. Zur näheren Bestimmung der Rechtswidrigkeit wurde im Jahre 1943 zugleich mit der Ausweitung der Drohungsalternative (ursprünglich: "Bedrohung mit einem Verbrechen oder Vergehen") eine Regel in Gestalt des § 240 Abs. 2 StGB eingeführt, wonach sich die Strafwürdigkeit einer Tat nicht schon aus dem angewandten Mittel, sondern erst aus einer missbilligenswerten Verbindung von Mittel und Zweck ergibt. Nach der bereinigten Fassung der Regel durch das Dritte Strafrechtsänderungsgesetz vom 4. August 1953 (BGBl. I S. 735) ist die Tat dann rechtswidrig, "wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist". Die Beurteilung als verwerflich knüpft nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an sozialethische Wertungen an; sie wird bejaht, wenn das Verhalten nach allgemeinem Urteil sittlich in so hohem Maße missbilligenswert erscheint, dass es sich als strafwürdiges Unrecht darstellt (vgl. etwa BGHSt 17, 328 [332]; 18, 389 [391]; 19, 263 [268]; BGH, VRS 40, 104 [107]; ebenso OLG Koblenz, NJW 1985, S. 2432 [2433]; OLG Köln, NStZ 1986, S. 30 [32] und BayObLG, JZ 1986, S. 404 [405] in Verfahren betreffend Sitzblockaden). Um einen Rückgriff auf außerrechtliche Wertungsmaßstäbe zu vermeiden, wird demgegenüber im Schrifttum versucht, die Beurteilung mehr auf den Gesichtspunkt der sozialen Unerträglichkeit abzustellen (vgl. etwa Welzel, Das Deutsche Strafrecht, 11. Aufl., 1969, S. 327).

Wie immer der Begriff der Verwerflichkeit zu verstehen sein mag: Es ist nicht zu verkennen, dass durch die Verwerflichkeitsregel des § 240 Abs. 2 StGB die Entscheidung darüber, was im Einzelfall als Nötigung zu bestrafen ist, in erheblichem Umfang auf den Richter verlagert wird. Damit entsteht die Gefahr, dass nicht mehr die vor der Tat getroffene Konfliktsregelung des Gesetzgebers, sondern die nach der Tat vom Richter empfundene Strafwürdigkeit zur Grundlage der Bestrafung wird. Demgemäß wird im Schrifttum bezweifelt, ob die Regelung hinreichend bestimmt im Sinne der Rechtsprechung zu Art. 103 Abs. 2 GG ist (vgl. die Nachweise bei Schäfer, a.a.O., Rdnr. 60). Die Bedenken werden gefördert durch eine Formulierung des Großen Senats des Bundesgerichtshofs für Strafsachen, der dem Richter bei der Anwendung des § 240 StGB ausdrücklich Wertungen anstelle des Gesetzgebers zuerkannte (BGHSt 2, 194 [195 ff.]). Bei diesen Bedenken bleibt indessen außer acht, dass es sich bei der strittigen Verwerflichkeitsregel - unabhängig von ihrer strafrechtlichen Einordnung - um ein tatbestandsregulierendes Korrektiv handelt, das die Strafbarkeit der durch andere Merkmale umschriebenen Nötigungshandlung beschränkt und dessen Anwendung sich insoweit zugunsten des Täters auswirkt. Da diese Einschränkung von den Umständen des jeweiligen Falles abhängt, entzieht sie sich einer im voraus bestimmbaren normativen Umschreibung in ähnlicher Weise wie die Güterabwägung im Falle des Notstandes (§ 34 StGB) oder der Wahrnehmung berechtigter Interessen (§ 193 StGB). In derartigen Fällen ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Gesetzgeber sich mit sprachlich verständlichen wertungsabhängigen Begriffen begnügt und deren Anwendung im Einzelfall dem Richter überträgt (vgl. auch Schäfer, a.a.O., Rdnr. 65; Eser, a.a.O., Rdnr. 18).

3. Verfassungsrechtlich zweifelhaft kann nach alledem nicht schon die normative Regelung durch den Gesetzgeber, sondern allenfalls deren Auslegung durch die Gerichte sein, welche 28 Professoren des Strafrechts veranlaßt hat, in Eingaben an das Bundesverfassungsgericht grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen § 240 StGB anzumelden.

a) Die Tragweite der Gewaltalternative des § 240 StGB ist von den Gerichten im Laufe der Zeit in einer Weise verbreitert worden, die als "Vergeistigung" oder "Entmaterialisierung" des Gewaltbegriffs kritisiert wird. Damit sollte dem Bedürfnis entsprochen werden, strafwürdiges Verhalten ausreichend zu ahnden und mögliche Strafbarkeitslücken zu vermeiden. Anlaß dazu gaben Fälle wie die Abgabe von Schreckschüssen (RGSt 60, 157; 66, 353), das Versperren des Weges durch eine bedrohliche Menschenmenge (RGSt 45, 153), das Verschließen von Türen (RGSt 69, 327), die listige Beibringung von Betäubungsmitteln (BGHSt 1, 145), das Bedrängen auf der Autobahn (BGHSt 19, 263) und schließlich Vorlesungsstörungen (BGH, NJW 1982, S. 189) sowie Sitzblockaden (BGHSt 23, 46).




Die Ausweitung des Gewaltbegriffs ist im wesentlichen in drei Schritten verlaufen, die sich allerdings nicht genau voneinander trennen lassen (vgl. dazu den Überblick bei Blei, Die Auflösung des strafrechtlichen Gewaltbegriffs, JA 1970, S. 19; Schäfer, a.a.O., Rdnr. 7 ff.; Keller, Die neue Entwicklung des strafrechtlichen Gewaltbegriffs in der Rechtsprechung, JuS 1984, S. 109 ff.). Das Reichsgericht verstand ursprünglich unter Gewalt die Entfaltung von körperlicher Kraft durch den Täter zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstands (vgl. etwa RGSt 56, 87 für den Fall eines Raubes und RGSt 64, 113 für den Fall eines Sittlichkeitsdelikts). Nachdem schon das Reichsgericht die Anforderungen an die Kraftentfaltung durch den Täter mitunter recht niedrig angesetzt hatte, hielt der Bundesgerichtshof auf der zweiten Stufe die Einwirkung auf den Körper des Opfers für entscheidend; Gewalt liege auch vor, wenn der Täter durch körperliche Handlungen die Ursache dafür setze, dass der wirkliche oder erwartete Widerstand des Angegriffenen durch ein unmittelbar auf dessen Körper einwirkendes Mittel gebrochen oder verhindert werde, gleichviel, ob der Täter dazu größere oder nur geringere Körperkraft brauche (BGHSt 1, 145 für den Fall der heimlichen Beibringung eines Betäubungsmittels). Auf der dritten Stufe schließlich stellte der Bundesgerichtshof allgemein auf eine die Freiheit der Willensentschließung oder Willensbetätigung beeinträchtigende Zwangswirkung ab (BGHSt 8, 102 - Massenstreik; 19, 263 - Bedrängen auf der Autobahn; vgl. auch BGHSt 23, 126 - Vorhalten einer Schußwaffe). Am weitesten ging das Laepple-Urteil aus dem Jahre 1969 (BGHSt 23, 46 [53 ff.]), das den Protest gegen Fahrpreiserhöhungen durch Sitzblockaden auf Straßenbahnschienen betraf. Sowohl das Erfordernis körperlichen Kraftaufwandes des Täters als auch die Einwirkung auf den Körper des Opfers verloren nunmehr ihre maßgebliche Bedeutung; es genüge, dass der Täter mit nur geringem Kraftaufwand einen lediglich psychisch determinierten Prozess in Lauf setze und dadurch einen unwiderstehlichen Zwang auf den Genötigten ausübe.

An diese Rechtsprechung haben die Gerichte in den Ausgangsverfahren angeknüpft, wenn sie Sitzdemonstrationen, bei welchen Zufahrten zu militärischen Einrichtungen ohne gewalttätiges Verhalten durch Niedersetzen und Verharren auf der Fahrbahn versperrt wurden, als Nötigung mit dem Mittel der Gewalt beurteilen. Nach Ansicht des ersten Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart haben die an der Sitzblockade in Stuttgart-Vaihingen beteiligten Demonstranten nötigende Gewalt angewandt, indem sie sich auf der Fahrbahn für einige Zeit so niedergelassen hätten, dass die gesamt Fahrbahn versperrt gewesen sei und Kraftfahrer zum Halten gezwungen worden seien; durch den massierten körperlichen Einsatz sei auf Fahrzeugführer ein unwiderstehlicher Zwang ausgeübt worden, der sie an der Weiterfahrt auf einer öffentlichen Straße gehindert habe (NJW 1984, S. 1909 [1910]). Dieses Verständnis wird nach Meinung des dritten Strafsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart nicht nur vom Wortlaut des § 240 StGB, sondern auch von dessen Sinn gedeckt. Gemessen am Schutzzweck sei mindestens eine in Nötigungsabsicht errichtete körperliche Sperre, die - wenn der Genötigte sich nicht beuge - notwendigerweise zum unmittelbaren Zusammenstoß zwischen Täter und Opfer führe und die nur durch Gegengewalt des Genötigten überwunden werden könne, ebenso zu bewerten wie ein direkter, zum Zwecke der Nötigung vorgetragener körperlicher Angriff. Sehe sich der Genötigte aus Gewissensgründen oder zumindest aus Furcht vor strafrechtlichen Konsequenzen daran gehindert, gegen den Täter mit überlegener Gegengewalt vorzugehen, wirke eine von Menschen gebildete Sperre auch seelisch auf den Genötigten. Demgemäß könne eine Menschenkette ein Hindernis bilden, so dass auch hier die durch den körperlichen Einsatz der Blockierer erzwungene Verhaltensweise aufgrund der Wechselwirkung körperlicher und seelischer Funktionen zustande komme. Auch das Amtsgericht Neu-Ulm hat einen Zwang zum Anhalten darin erblickt, dass die Genötigten im Falle des Weiterfahrens die Demonstranten gefährdet und sich selbst strafbar gemacht hätten. Im übrigen hat es sich mit der Feststellung begnügt, der Beschwerdeführer zu 6) habe bei seiner Teilnahme an der Sitzblockade in Neu-Ulm damit begonnen, psychische Gewalt anzuwenden, indem er durch den Einsatz seines Körpers gemeinsam mit den anderen Demonstranten ein Einfahren und Ausfahren von Fahrzeugen unmöglich gemacht habe. Diese Auffassung hat das Bayerische Oberste Landesgericht durch Verwerfung der Revision gebilligt. In einem späteren Urteil über Sitzblockaden (JZ 1986, S. 404) hat es ausgeführt, die heutige Rechtsprechung lasse gegenüber der früheren einen gewissen Wandel erkennen, da der Gewaltbegriff ausgedehnt und der Schwerpunkt auf die beim Opfer eingetretene Zwangswirkung verlagert worden sei; dies trage den subtilen und sublimen Formen von Zwangseinwirkungen zwischen Menschen Rechnung und dem Umstand, dass sich die Auslösung psychischer Hemmungen des Opfers ebenso auswirken könne wie körperlicher Zwang.

b) Anders als bei der verfassungsrechtlichen Würdigung der vom Gesetzgeber getroffenen normativen Regelung besteht im Senat über die Beurteilung der geschilderten Auslegung keine Übereinstimmung.


aa) Nach Meinung von vier Richtern, deren Auffassung das Urteil trägt, ist die Ausweitung der Gewaltalternative durch die Gerichte mit Art. 103 Abs. 2 GG zu vereinbaren, da sie die Grenzen zulässiger Auslegung nicht überschreitet. Diese Richter folgen im Ergebnis der bisherigen Rechtsprechung, die namentlich in der Kommentarliteratur unbeschadet gewisser Bedenken Zustimmung gefunden hat (vgl. etwa Eser, a.a.O., Vorbem. § 234 Rdnr. 6 ff.; Schäfer, a.a.O., Rdnr. 28 ff.; Dreher/Tröndle, StGB, 42. Auflage, 1985, § 240 Rdnr. 3f.) und die in der mündlichen Verhandlung von Prof. Dr. Tröndle zustimmend erläutert wurde.

Durch die weite Auslegung des Gewaltbegriffs wird die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung, die das Gesetz mit der Nötigungsvorschrift bezweckt, in wirksamer Weise auch gegenüber solchen strafwürdigen Einwirkungen geschützt, die zwar sublimer, aber ähnlich wirksam wie körperlicher Kraftaufwand sind. Die Ausweitung hält sich innerhalb der vom möglichen Wortsinn markierten Grenzen richterlicher Auslegung. Denn der Gewaltbegriff ist nicht völlig eindeutig und daher auslegungsfähig. Nicht nur wird er für unterschiedliche Bedeutungen verwendet, für welche andere Sprachen verschiedene Worte vorsehen, nämlich einmal als Bezeichnung für gewaltsame Kraftanwendung (violence), ferner als Umschreibung für Herrschaftsmacht (pouvoir, power) und schließlich als Metapher für besonders intensive oder elementare Vorgänge (z.B. gewaltige Rede). Sogar im Zusammenhang mit der zuerst genannten Bedeutung wird nicht ausschließlich die Anwendung physischer Kraft als Gewalt umschrieben, sondern auch allgemein ein unrechtmäßiges Vorgehen, durch das ein anderer zu etwa gezwungen wird (Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 1977, Bd. 3, S. 1027). Die der Auslegung vom Wortsinn gezogene Grenze wird demgemäß jedenfalls dann eingehalten, wenn die auf das Opfer ausgeübte unausweichliche Zwangswirkung den Einsatz einer gewissen, wenn auch geringfügigen körperlichen Kraft durch den Täter (hier: Bildung einer lebenden Barriere durch Niederlassen auf der blockierten Zufahrt) einschließt. Unter dieser Voraussetzung stellt die Gewaltalternative als gegenwärtige Zufügung eines empfindlichen Übels auch in ihrer erweiterten Auslegung eine durchaus eigenständige Ergänzung zu der zweiten Begehungsform des § 240 StGB dar, bei der es um die künftige Androhung eines solchen Übels geht.

Verfassungsrechtliche Bedenken greifen nach Ansicht der vier Richter auch dann nicht durch, wenn der doppelte Regelungszweck des Analogieverbots berücksichtigt wird. Zwar mag es sich um einen jener Grenzfälle handeln, in denen zweifelhaft sein könnte, ob ein Verhalten noch unter den gesetzlichen Tatbestand fällt oder nicht. Das Risiko einer Bestrafung war aber für den Staatsbürger zumindest aufgrund der im Schrifttum weithin anerkannten Rechtsprechung vorhersehbar (zu deren Beachtung vgl. BVerfGE 14, 245 [253]; 28, 175 [183]; 37, 201 [208]; 26, 41 [42 f.]; 57, 250 [262]); die Beschwerdeführer behaupten selbst nicht, sie hätten mit einer Bestrafung nicht gerechnet. Mit dem anderen Regelungszweck des Analogieverbots - der Sicherung der gesetzgeberischen Verantwortung - ist die weite Auslegung des Gewaltbegriffs schon deshalb nicht unvereinbar, weil der Gesetzgeber durch Verwendung des Begriffs "Gewalttätigkeit" - ähnlich wie bei anderen Strafvorschriften (vgl. §§ 113 BVerfGE 73, 206 (243)BVerfGE 73, 206 (244)Abs. 2 Nr. 2, 124 ff. StGB) - einen engeren Anwendungsbereich der Nötigungsvorschrift hätte sicherstellen können. Er hat aber nicht einmal bei Novellierungen die dargestellte Rechtsprechung als Anlaß zum Einschreiten genommen, sondern sich damit begnügt, an der Verwerflichkeitsklausel des Absatzes 2 als Korrektiv für die Ausweitung des Gewaltbegriffs festzuhalten.

bb) Die vier anderen Richter stimmen demgegenüber im Ergebnis denjenigen Kritikern zu, welche die Ausweitung des Gewaltbegriffs für unvereinbar mit dem Analogieverbot halten (vgl. im einzelnen etwa Calliess, a.a.O., S. 1509 ff.; Wolter, a.a.O., S. 246 ff. - beide m.w.N.; ferner Kaufmann, a.a.O. und Giehring, a.a.O., S. 517 ff.). Auch nach Ansicht dieser Richter sind Sitzdemonstrationen der vorliegenden Art nicht rechtmäßig, sondern schon nach geltendem Recht als Verletzung versammlungsrechtlicher und verkehrsrechtlicher Vorschriften zu beurteilen. Nötigende Gewalt im Sinne des § 240 StGB kann den Teilnehmern hingegen nicht zur Last gelegt werden; diese haben sich vielmehr - abgesehen von strafrechtlich irrelevanten Vorbereitungshandlungen (Betreten und Niederlassen auf der freien Fahrbahn) - völlig passiv, also gerade nicht gewaltsam verhalten. Tatsächlich ist in den Ausgangsverfahren nicht festgestellt worden, dass sich die behinderten Fahrer durch Gewalt genötigt gefühlt hätten. Diese haben auf Anordnung der Polizei und ihrer Vorgesetzten angehalten oder aber aus Respekt vor der geltenden Wertordnung, der sie an einer Gefährdung der Demonstranten durch Erzwingung der Weiterfahrt hinderte und der ihnen von den Demonstranten gerade durch das Mittel der Wehrlosigkeit und Gewaltlosigkeit abgenötigt wurde.

Die Erstreckung des Gewaltbegriffs auf ein solches Verhalten war für den Staatsbürger schon nicht vorhersehbar, wenn dabei auf den für die Vorhersehbarkeit maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes abgestellt wird. Immerhin hatte das Reichsgericht noch im Jahre 1921 ausdrücklich hervorgehoben, das geltende deutsche Recht verstehe in Übereinstimmung mit dem gewöhnlichen Sprachgebrauch bis zur Gegenwart unter Gewalt ausschließlich die durch Anwendung körperlicher Kraft erfolgte Beseitigung eines Widerstandes (RGSt 56, 87 [88]). Auch die Große Strafrechtskommission hatte eingeräumt, der Sprachgebrauch verbinde mit dem Begriff der gegen eine bestimmte Person gerichteten Gewalt nun einmal die Vorstellung einer nicht unerheblichen Kraftentfaltung; der Gewaltbegriff dürfe nicht auf einen Umfang ausgedehnt werden, der mit diesem Sprachgebrauch nicht mehr vereinbar erscheine (Entwurf 1960, S. 114). Als demgegenüber der Bundesgerichtshof zu einer Auslegung überging, für die es vor 1945 einer damals zulässigen, aber rechtsstaatswidrigen Analogie zu Lasten von Straftätern bedurfte (vgl. RGSt 72, 349 [351] - zur Anwendung von Betäubungsmitteln), und dann im Laepple-Urteil sogar die Verursachung einer unausweichlichen Zwangswirkung durch einen psychisch determinierten Prozeß als Gewalt einstufte (BGHSt 23, 46 [54]), hat sich dagegen alsbald Kritik gemeldet; eine für die Vorhersehbarkeit durch den Staatsbürger wesentliche und für den polizeilichen Einsatz wünschenswerte gefestigte Rechtsauffassung konnte sich daher nicht bilden, und zwar um so weniger als auch der Bundesgerichtshof an den Gewaltbegriff im Falle von Vergewaltigungen erheblich strengere Anforderungen stellte und nicht einmal ein Einschließen in einem umschlossenen Raum als Gewaltanwendung genügen ließ (NJW 1981, S. 2204).



Dass die Ausweitung des Gewaltbegriffs auf Sitzdemonstrationen der vorliegenden Art die Grenzen der nach anerkannten Regeln zulässigen Auslegung überschreitet, ergibt sich nach Ansicht der vier Richter insbesondere aus der Gesetzessystematik des § 240 StGB. Diese lässt - wie bereits erwähnt - unmissverständlich erkennen, dass der Gesetzgeber nicht jede Zwangseinwirkung auf die Freiheit der Willensentschließung und Willensbetätigung unter Strafe gestellt, sondern einen numerus clausus der Zwangsmittel vorgesehen hat. Hätte ihm die Verursachung einer unausweichlichen Zwangswirkung genügt, dann hätte er auf die Nennung dieser Zwangsmittel verzichten können; denn das Bewirken von Zwang folgt bereits aus dem Begriff "nötigen". Zudem wird - wie bereits das Reichsgericht dargelegt hat (RGSt 64, 113) - durch die "Vergeistigung" des Gewaltbegriffs dessen Abgrenzung zur "Drohung mit einem empfindlichen Übel" verwischt, so dass die Drohungsalternative im wesentlichen in der Gewaltalternative aufgeht und beide entgegen der klaren gesetzlichen Regelung ihre eigenständige Bedeutung verlieren. Wenn aber der Gesetzgeber zur Eingrenzung der Strafbarkeit einen numerus clausus bestimmter Nötigungsmittel für erforderlich hält, dann gebietet es die Verfassungsnorm des Art. 103 Abs. 2 GG, ihn an dieser Entscheidung auch dann festzuhalten, wenn die Rechtsanwendung Lücken hinterlassen sollte; es kann nicht Sache der Rechtsprechung sein, solche Lücken dadurch zu schließen, dass der Wortsinn der Tatbestandsmerkmale entleert und die vom Gesetzgeber vorgesehenen Grenzen der Strafbarkeit unter Rückgriff auf den Strafzweck unterlaufen werden. Dies führt im übrigen zu dem schwer verständlichen Ergebnis, dass praktisch jede Verkehrsbehinderung durch Demonstrationen und ähnliche Menschenansammlungen - auch bei unbezweifelbar rechtmäßigen Veranstaltungen - tatbestandsmäßig als Gewalt im Sinne der Nötigungsvorschrift angesehen werden müsste.

Eine strikte Befolgung des Analogieverbots ist um so unerlässlicher, als es sich in den Ausgangsverfahren nicht um die Bekämpfung eigennütziger Kriminalität, sondern um die Strafverfolgung in einem Lebensbereich handelt, dessen Ordnung in besonderem Maße verantwortliche gesetzgeberische Entscheidungen erfordert. Die Teilnehmer von Sitzblockaden verstehen diese als Teil der Auseinandersetzungen über hochpolitische Streitfragen. Wie immer ihr Verhalten zu beurteilen sein mag: Es liegt in hohem Maße im Allgemeininteresse, dass solche Auseinandersetzungen frei von Gewalttätigkeiten bleiben und dass die Grenze zwischen gewalttätigem und gewaltlosem Verhalten klare Konturen behält. Die anderweitig zu Recht beklagte begriffliche Verwirrung wird von den staatlichen Organen selbst begünstigt, wenn psychische Zwangswirkungen durch friedliche Sitzblockaden ebenso als Gewalt behandelt werden wie eine Nötigung durch körperliche Gewalttätigkeit. Soll dies geschehen, dann muss dies jedenfalls vom Gesetzgeber verantwortet werden. Dies sicherzustellen, ist einer der beiden Regelungszwecke des Analogieverbots, das die Normierung von Straftatbeständen strikt dem Gesetzgeber vorbehält und in dieser Bedeutung nicht allein auf der rechtsstaatlichen Forderung nach Vorhersehbarkeit beruht, sondern zugleich auf dem Demokratieprinzip und der daraus folgenden besonderen Verantwortung des Gesetzgebers, ferner auf dem Grundsatz der Gewaltenteilung und der damit bezweckten Mäßigung der Staatsgewalt und schließlich auf dem Gedanken, dass das Strafrecht zum Schutz der persönlichen Freiheit notwendig fragmentarisch bleiben muss (vgl. auch von Münch, GG, 2. Auflage, 1983, Art. 103 Rdnr. 17).




III.

Die Verfassung gebietet es nach übereinstimmender Ansicht des Senats nicht, Sitzdemonstrationen der vorliegenden Art sanktionslos zu lassen. Geboten ist jedoch eine verfassungskonforme Auslegung und Anwendung des § 240 StGB in dem Sinne, dass die Bejahung nötigender Gewalt im Falle einer Ausweitung dieses Begriffes nicht schon zugleich die Rechtswidrigkeit der Tat indiziert, dass vielmehr die vom Gesetzgeber als Korrektiv vorgesehene Verwerflichkeitsklausel des Absatzes 2 unter Berücksichtigung aller Umstände heranzuziehen ist. Da dies bei der Beurteilung der Sitzblockade in Neu-Ulm unterblieben ist, musste der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 6) stattgegeben werden. Auch in den anderen Fällen müsste nach Meinung von vier Richtern eine verfassungskonforme Auslegung und Anwendung des § 240 StGB zur Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen führen, da Handlungen der vorliegenden Art bei Berücksichtigung aller Umstände einschließlich der von den Demonstranten verfolgten Protestziele in der Regel nicht als verwerflich zu qualifizieren sind, sofern nicht besondere Umstände hinzutreten. Nach der das Urteil tragenden Meinung der vier anderen Richter ist die Beurteilung der für die Verwerflichkeit maßgebenden Umstände Sache der Strafgerichte, deren Entscheidungen in den Ausgangsverfahren keine Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen.

1. Wenn der Gesetzgeber Sitzdemonstrationen der vorliegenden Art als Ordnungswidrigkeit oder auch als strafwürdiges Unrecht einstuft, dann ist das verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Die Beschwerdeführer verstehen ihre Aktionen als kollektive Kundbarmachung von Meinungen durch symbolische Handlungen, nämlich als zwar ohnmächtigen, aber aufsehenerregenden Protest gegen den lebensgefährlichen atomaren Rüstungswettlauf und damit als Ausübung des Grundrechts der Versammlungsfreiheit (vgl. dazu BVerfGE 69, 315 [343]). Ihre Sitzblockaden fallen nicht schon deshalb aus dem Geltungsbereich dieses Grundrechts heraus, weil ihnen eine mit dem Mittel der Gewalt begangene Nötigung zur Last gelegt wird. Zwar gewährleistet Art. 8 GG nur das Recht, sich "friedlich" zu versammeln (vgl. dazu BVerfG, a.a.O., S. 359 f.). Der verfassungsrechtliche Begriff der Unfriedlichkeit kann aber nicht mit dem von der Rechtsprechung entwickelten weiten Gewaltbegriff des Strafrechts gleichgesetzt werden. Dagegen spricht bereits, dass die Verfassung die Unfriedlichkeit in gleicher Weise wie das Mitführen von Waffen bewertet, also ersichtlich äußerliche Handlungen von einiger Gefährlichkeit wie etwa Gewalttätigkeiten oder aggressive Ausschreitungen gegen Personen oder Sachen meint und die Anwendbarkeit des Grundrechts nicht davon abhängig macht, ob eine Behinderung Dritter gewollt ist oder nur in Kauf genommen wird. Jedenfalls besteht angesichts der weiten Fassung des Gesetzesvorbehalts in Absatz 2 des Art. 8 GG keine Notwendigkeit, den Begriff der Friedlichkeit eng zu verstehen und damit den Geltungsbereich der Grundrechtsgewährleistung von vornherein derart einzuschränken, dass der Gesetzesvorbehalt weitgehend funktionslos wird (in diesem Sinne auch Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, 1981, Art. 8 Rdnr. 58 ff.; Hoffmann-Riem, in: Wassermann (Hrsg.), GG (Reihe Alternativkommentare), Art. 8 Rdnr.17f; von Münch, GG, 3. Aufl., Art. 8 Rdnr. 19; Erichsen, Zu den Grenzen der Demonstrationsfreiheit, VerwArch Bd. 64, S. 197 (200); Rinken, a.a.O., S. 47; Preuß, a.a.O., S. 429 und 444; Kostaras, a.a.O., S. 166 ff.; Ott, a.a.O., S. 2384; Blumenwitz, a.a.O., S. 139f; Kniesel, a.a.O., S. 219 ff.; Giehring, a.a.O., S. 533f; Schwäble, Das Grundrecht der Versammlungsfreiheit, 1975, S. 118 ff.). Sofern sich die Teilnehmer auf passive Resistenz beschränken und insoweit friedlich bleiben, wird auch im Schrifttum überwiegend davon ausgegangen, dass Sitzblockaden als Versammlungen im Sinne von Art. 8 GG behandelt werden können. Damit steht in Einklang, dass auch das Versammlungsgesetz nur Versammlungen mit gewalttätigem oder aufrührerischem Verlauf als unfriedlich behandelt (§§ 5 Nr. 3, 13 Abs. 1 Nr. 2).

Die Heranziehung des Art. 8 GG führt indessen nicht dazu, die Sitzblockaden der Beschwerdeführer als rechtmäßig einzustufen. Der erwähnte Absatz 2 des Art. 8 GG sieht ausdrücklich vor, dass der Gesetzgeber das Grundrecht für Versammlungen unter freiem Himmel beschränken darf. Im Rahmen dieser Regelungsbefugnis darf er auch Sanktionen gegen gezielte Verkehrsbehinderungen anordnen. Jedenfalls gehört zu den grundrechtsbeschränkenden und verfassungsrechtlich zulässigen Einschränkungen die Vorschrift des § 15 VersG, wonach eine Versammlung bei einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit aufgelöst werden darf (vgl. dazu BVerfG, a.a.O., S. 352 f.). Eine solche Auflösung ist in Fällen der vorliegenden Art auch dann statthaft, wenn § 15 VersG in der gebotenen Weise im Lichte der grundlegenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit angewendet wird. Dabei kann davon ausgegangen werden, dass die Versammlungsfreiheit grundsätzlich die Selbstbestimmung über Art und Ort der Veranstaltung umfasst (BVerfG, a.a.O., S. 343) und insoweit ein Recht zur Mitbenutzung der im Allgemeingebrauch stehenden Straße einschließt. Auch trifft der Hinweis der Beschwerdeführer zu, dass mit jeder Inanspruchnahme der Versammlungsfreiheit unvermeidbar gewisse nötigende Wirkungen in Gestalt von Behinderungen verbunden sind, da Dritte am Versammlungsort durch das körperliche Verweilen von Demonstranten zwangsläufig verdrängt werden. Derartige Behinderungen und Zwangswirkungen werden aber nur so weit durch Art. 8 GG gerechtfertigt, wie sie als sozial-adäquate Nebenfolge mit rechtmäßigen Demonstrationen verbunden sind und sich auch durch zumutbare Auflagen nicht vermeiden lassen. An dieser Voraussetzung fehlt es, wenn die Behinderung Dritter nicht nur als Nebenfolge in Kauf genommen, sondern beabsichtigt wird, um die Aufmerksamkeit für das Demonstrationsanliegen zu erhöhen. Insoweit hat der Bundesgerichtshof schon im Laepple-Urteil zutreffend dargelegt, dass die Verfassung zwar breiten Spielraum für öffentliche Einflussnahmen eröffnet, dass aber niemand befugt sei, die öffentliche Aufmerksamkeit durch gezielte und absichtliche Behinderung zu steigern (BGHSt 23, 46 [56f]). Dies berechtigt vielmehr die Polizei zum Einschreiten gegen die Störer und zur Auflösung der Versammlung, um den Rechten der behinderten Dritten Geltung zu verschaffen, wenn deren Behinderung über eine Geringfügigkeit hinausgeht. Jedenfalls mit dieser rechtmäßigen Auflösung, die auch in den vorliegenden Fällen angeordnet worden ist, entfällt Art. 8 GG als denkbarer Rechtfertigungsgrund für die Durchführung von Sitzblockaden.

b) Diese Sitzblockaden lassen sich auch nicht unter dem Gesichtspunkt des zivilen Ungehorsams als zulässige Ausübung staatsbürgerlicher Rechte bewerten.

Unter zivilem oder bürgerlichem Ungehorsam wird - im Unterschied zum Widerstandsrecht gegenüber einem Unrechtssystem - ein Widerstehen des Bürgers gegenüber einzelnen gewichtigen staatlichen Entscheidungen verstanden, um einer für verhängnisvoll und ethisch illegitim gehaltenen Entscheidung durch demonstrativen, zeichenhaften Protest bis zu aufsehenerregenden Regelverletzungen zu begegnen (vgl. die Denkschrift "Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie", 1985, S. 21 f.). In den Stellungnahmen der Friedens- und Konfliktforschungsinstitute sowie in der Literatur ist ausgeführt worden, dass Anlaß zu solchen Aktionen nur eine Angelegenheit von wesentlicher allgemeiner Bedeutung, insbesondere die Abwendung schwerer Gefahren für das Gemeinwesen sein könne; dabei gehe es in Fällen der vorliegenden Art nicht um eine faktische Verhinderung des Protestanlasses, insbesondere nicht um eine effektive Lähmung staatlicher Funktionen, sondern um ein dramatisches Einwirken auf den Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung; kennzeichnend sei stets, dass der Ungehorsam unbedingt gewaltfrei und damit unter Ausschluss jeden Risikos für andere auszuüben sei, ferner öffentlich und demgemäß prinzipiell kalkulierbar und im übrigen zeitlich und örtlich verhältnismäßig im Sinne praktischer Konkordanz unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände.

Die Respektierung derartiger Aktionen hat der Bundesgerichtshof in der Laepple-Entscheidung als unvereinbar mit den Grundprinzipien des demokratischen Rechtsstaats abgelehnt (BGHSt 23, 46 [56 ff.]). Dem ist im Schrifttum zugestimmt worden mit der Begründung, ziviler Ungehorsam sei Rechtsbruch, verletze die innerstaatliche Friedenspflicht, verstoße gegen das Prinzip der Gleichheit aller vor dem Gesetz und setze sich über das Mehrheitsprinzip hinweg, das für ein demokratisch verfasstes Gemeinwesen konstituierend sei (vgl. etwa Karpen, a.a.O. m.w.N.; ferner Isensee, a.a.O.; Doehring, a.a.O.; Engelhard, a.a.O.). Demgegenüber wird seitens der Friedensforschungsinstitute und Konfliktforschungsinstitute darauf verwiesen, das Konzept des zivilen Ungehorsams sei in den gereifteren angelsächsischen Demokratien im Bewusstsein der Unvollkommenheiten des demokratischen Willensbildungsprozesses als eines Prozesses von trial and error entwickelt worden. Die erwähnte Denkschrift der EKD, die in anderem Zusammenhang entschieden für eine Ethik der Rechtsbefolgung durch Bürger und Amtsinhaber eintritt (a.a.O., S. 21, 24 f.), warnt davor, die Ernsthaftigkeit und Herausforderung, die in Aktionen des zivilen Ungehorsams liege, durch Hinweise auf die Legalität und Legitimität des parlamentarischen Regierungssystems und seiner Mehrheitsentscheidungen abzutun; auch wenn die Aktionen rechtswidrig seien und den dafür vorgesehenen Sanktionen unterlägen, seien sie als Anfrage an Inhalt und Form demokratischer Entscheidungen ernst zu nehmen (a.a.O., S. 22).




Im vorliegenden Zusammenhang besteht kein Anlass, auf diese Problematik näher einzugehen. Ob die erwähnten strengen Voraussetzungen für Aktionen des zivilen Ungehorsams eingehalten worden sind, ist nach Meinung von vier Richtern für die Prüfung bedeutsam, welche Sanktion angemessen ist und ob eine Nötigungshandlung als verwerflich zu beurteilen ist (vgl. unten III 2b aa). Keinesfalls reicht dies aber aus, um gezielte und bezweckte Verkehrsbehinderungen durch Sitzblockaden als rechtmäßig zu legitimieren und es den staatlichen Organen zu verwehren, sie als ordnungswidrig oder strafbar zu behandeln. Das kann zumindest dann nicht in Betracht kommen, wenn Aktionen des zivilen Ungehorsams wie bei Verkehrsbehinderungen in die Rechte Dritter eingreifen, die ihrerseits unter Verletzung ihres Selbstbestimmungsrechts als Instrument zur Erzwingung öffentlicher Aufmerksamkeit benutzt werden. Dabei bliebe zudem außer acht, dass zum Wesen des zivilen Ungehorsams nach der Meinung seiner Befürworter die Bereitschaft zu symbolischen Regelverletzungen gehört, dass er also per definitionem Illegalität mit dem Risiko entsprechender Sanktionen einschließt als Mittel, auf den öffentlichen Willensbildungsproze einzuwirken. Angesichts dieser Zielrichtung erschiene es widersinnig, den Gesichtspunkt des zivilen Ungehorsams als Rechtfertigungsgrund für Gesetzesverletzungen geltend zu machen. Das haben in der mündlichen Verhandlung auch die Beschwerdeführer zu Recht nicht versucht.

2. Für die weitere Überprüfung der angegriffenen Entscheidungen ist bedeutsam, dass der Gesetzgeber durch die Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB Vorsorge gegen unangemessene Sanktionen getroffen hat. Diese gesetzgeberische Regelung ist - sofern § 240 StGB auf Sitzblockaden der strittigen Art angewendet wird - auch verfassungsrechtlich relevant.

a) Durch das tatbestandsregulierende Korrektiv der Verwerflichkeitsklausel hat der Gesetzgeber die Strafbarkeit wegen Nötigung auf Handlungen beschränkt, bei denen die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem vom Täter angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist. Diese Klausel ist Ausdruck des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, der übermäßige Sanktionen untersagt, und steht in Einklang mit dem Gebot schuldangemessenen Strafens. Auf diese verfassungsrechtlichen Grundsätze können sich auch die Teilnehmer von Sitzdemonstrationen berufen. Dabei ist es im Ergebnis ohne Belang, ob als Prüfungsmaßstab Art. 8 oder Art. 2 Abs. 1 GG zugrunde zu legen ist. Ein verfassungsrechtlicher Schutz vor unverhältnismäßigen Sanktionen wird auch dann gewährleistet, wenn Art. 2 Abs. 1 GG als Prüfungsmaßstab in solchen Fällen herangezogen wird, in denen die rechtmäßige Auflösung einer Demonstration zur Unabwendbarkeit des speziellen Grundrechts der Versammlungsfreiheit für diejenigen geführt hat, die als Störer Anlass zur Auflösung gegeben haben (vgl. auch BVerfGE 19, 206 [215 f., 225]).

Das Gebot schuldangemessenen Strafens hat das Bundesverfassungsgericht schon in früheren Entscheidungen als verfassungsrechtliche Pflicht der staatlichen Organe herausgearbeitet. Danach folgt aus den allgemeinen Prinzipien des Grundgesetzes, dass die angedrohte Sanktion im gerechten Verhältnis zur Schwere der Tat und zum Verschulden des Täters stehen muss (BVerfGE 6, 389 [439]; ständige Rechtsprechung). Insoweit deckt sich der Schuldgrundsatz in seinen die Strafe begrenzenden Auswirkungen mit dem Übermaßverbot (BVerfGE 50, 205 [215]). Demgemäß hat das Bundesverfassungsgericht wiederholt geprüft, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Strafandrohung mit diesem Verbot vereinbar ist oder ob sie gegen das verfassungsrechtliche Gebot des sinnvollen und maßvollen Strafens verstößt (vgl. BVerfGE 45, 187 [253 ff.]; 64, 261 [270 f.]).

Zur Vermeidung unverhältnismäßiger Sanktionen wird es in der Regel genügen, dass der Gesetzgeber dem Richter die Verhängung schuldangemessener Strafen innerhalb eines entsprechenden Strafrahmens bei der Strafzumessung ermöglicht. Davon kann namentlich dort ausgegangen werden, wo der Deliktstatbestand präzise unzweifelhaft strafwürdiges Unrecht umschreibt und die Strafe nur noch vom Maß der individuellen Schuld im Einzelfall abhängt. Die Möglichkeit zur Verhängung milder Strafen würde aber dann nicht ohne weiteres genügen, wenn die weite Fassung eines Straftatbestandes zur Folge hätte, dass auch solche Verhaltensweisen pönalisiert würden, für welche die angedrohte Sanktion nach Art und Maß unverhältnismäßig wäre. Diese Gefahr hat der Gesetzgeber gerade auch beim Schutz der Willensentschließungsfreiheit und Willensbetätigungsfreiheit durch den Nötigungstatbestand erkannt, der in seiner Weite mancherlei höchst unterschiedliche Verhaltensweisen erfasst, vom schweren kriminellen Unrecht bis hin zu rechtmäßigen Behinderungen, die erst mit Hilfe der Verwerflichkeitsklausel des Absatzes 2 aus dem Geltungsbereich des § 240 StGB ausgeschieden werden. Zur Sicherung sinnvollen und maßvollen Strafens gewinnt diese Klausel erhöhte Bedeutung, wenn der Anwendungsbereich der Gewaltalternative des § 240 StGB durch Ausweitung des Gewaltbegriffs ähnlich korrekturbedürftig wird wie derjenige der Drohungsalternative nach deren Neufassung im Jahre 1943.

Hat aber der Gesetzgeber im Gefolge verfassungsrechtlicher Gebote und Verbote ein Korrektiv zur Begrenzung der Strafbarkeit eingeführt, dann darf der an Gesetz und Recht gebundene Richter diese Regelung nicht unterlaufen (vgl. auch BVerfGE 49, 304 [320]). Dies geschieht, wenn die Gerichte der Feststellung, dass die Teilnehmer einer Sitzblockade den Tatbestand nötigender Gewalt erfüllt haben, zugleich eine Indizwirkung für die Bewertung als rechtswidrig beimessen und damit die Verwerflichkeitsklausel praktisch gegenstandslos machen. Der Bundesgerichtshof hatte dies im Laepple-Urteil (BGHSt 23, 46 [54f]) damit begründet, dass der Absatz 2 des § 240 StGB erst durch die tatbestandliche Erweiterung des Absatzes 1 notwendig geworden sei, dass diese nur die Drohungsalternative betroffen habe und dass bei Gewaltanwendung nur besondere Umstände das Verwerflichkeitsurteil ausschließen könnten. Die Annahme einer solchen Indizwirkung erscheint aber nur dann vertretbar, wenn Gewalt im Sinne der früheren Rechtsprechung des Reichsgerichts ausgeübt und damit ein Delikt begangen wird, das in aller Regel als rechtswidrig gelten kann. Wird der Gewaltbegriff hingegen "entmaterialisiert" und bis hin zu psychischen Zwangswirkungen erstreckt, dann fehlt jeder innere Grund dafür, bei der Anwendung der Strafnorm die gesetzlich als Korrektiv vorgesehene Verwerflichkeitsklausel außer acht zu lassen. Gerade im Falle einer solchen Erweiterung ist eine Abwägung unter Berücksichtigung aller Umstände ebenso unerlässlich wie bei der Drohungsalternative. Wenn sich der Richter hier damit begnügt, ein entsprechendes Verhalten als Gewalt zu qualifizieren und sodann die Verwerflichkeit mit der Begründung zu bejahen, Gewaltanwendung sei in aller Regel verwerflich und indiziere daher die Rechtswidrigkeit, dann wird die erforderliche wirklichkeitsnahe Würdigung einer konkreten Tat in unstatthafter Weise durch semantische Abstraktionen ersetzt.

Diese Auffassung hat sich inzwischen auch der Bundesgerichtshof unter Abwendung vom Laepple-Urteil im Beschluss vom 24. April 1986 (NJW 1986, S. 1883) zu eigen gemacht. Danach ist die Verwerflichkeitsklausel des § 240 Abs. 2 StGB Ausdruck der Erkenntnis, dass sich im Einzelfall die Grenzen des vom Gesetz geschützten Freiheitsraums erst ergeben könnten, wenn Nötigungsmittel und Nötigungszweck zueinander in Beziehung gesetzt würden. Erforderlich sei daher in Erfassung aller für die Mittel-Zweck-Relation wesentlichen Umstände und Beziehungen eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Rechte, Güter und Interessen nach ihrem Gewicht in der sie betreffenden Situation. Das gelte namentlich in Fällen, in denen der Täter mit nur geringem körperlichen Kraftaufwand einen psychisch determinierten Prozeß in Lauf gesetzt habe. Demgemäß sei der Umstand, dass Demonstranten die von ihnen verursachte Verkehrsbehinderung von vornherein bezweckt hätten, nicht stets eine hinreichende Bedingung für das Verwerflichkeitsurteil. Diesen Erwägungen ist zuzustimmen mit der Maßgabe, dass die Verwerflichkeitsklausel im Falle der Erstreckung des Gewaltbegriffs auf Sitzdemonstrationen der vorliegenden Art nicht nur im Rahmen der Anwendung des einfachen Rechts herangezogen werden kann , sondern aus verfassungsrechtlichen Gründen herangezogen werden muss (vgl. auch Eser, a.a.O., Vorbem. §§ 234 ff. Rdnr. 10; Brohm, a.a.O., S. 505; Kostaras, a.a.O., S. 173; wohl auch Wolter, a.a.O., S. 247 und 249; ferner Janknecht, Verfassungsrechtliche und strafrechtliche Fragen zu "Sitzstreiks", Goltdammer's Archiv für Strafrecht, 1969, S. 33 [37]).

Eine derartige verfassungskonforme Auslegung und Anwendung des § 240 StGB ist bei der Entscheidung über die Aktion in Neu-Ulm im Falle des Beschwerdeführers zu 6) unterblieben. Gerade hier hätte Anlaß zu einer näheren Prüfung bestanden, ob die Teilnehmer der Sitzdemonstration verwerflich gehandelt haben. Nach den Feststellungen des Strafgerichts hatte der Beschwerdeführer bis zur polizeilichen Räumung der Zufahrt lediglich über einen Zeitraum von wenigen Minuten vor dem Haupteingangstor der Kaserne gesessen; ein Fahrzeug war tatsächlich nicht behindert worden, da der zuständige amerikanische Offizier schon vor der Demonstration Maßnahmen zur Verkehrsabwicklung getroffen und empfohlen hatte, das Haupttor nicht zu benutzen. Im Zusammenhang mit der Strafzumessung führt das Gericht selbst aus, dass die Gewaltanwendung an der untersten Grenze gelegen und zu keinen empfindlichen Einschränkungen für den Kasernenbetrieb geführt habe; der vom Beschwerdeführer erstrebte Zweck, die Bevölkerung eindringlich auf Gefahren und Folgen der atomaren Rüstung und der Raketenstationierung hinzuweisen, sei achtenswert und für sich gesehen nicht verwerflich. Gleichwohl begnügt es sich mit der Aussage, die Anwendung des Mittels der Gewalt zu dem erstrebten Zweck sei verwerflich; es bewertet also - zwar nicht ausdrücklich, wohl aber im Ergebnis - die Gewaltanwendung als indiziell für die Rechtswidrigkeit. Soweit das Gericht auf die näheren Umstände (Durchführung am Ostersonntag und damit an einem Tag mit wenig Dienstbetrieb, geringe Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten über andere Zufahrten und demgemäß lediglich Bewirken eines Zwanges zum Umweg, und zwar im wesentlichen für Personen mit einem besonderen Sachbezug zum Protestgegenstand) überhaupt eingeht, geschieht das nicht zur Prüfung der Verwerflichkeit, sondern erst bei der Strafzumessung. Da schon aus diesen Gründen das Strafurteil gegen den Beschwerdeführer zu 6) sowie die Verwerfung seiner Revision aufgehoben werden mussten, erübrigt sich ein Eingehen auf die von diesem Beschwerdeführer erhobenen sonstigen Rügen.

b) In einigen der von den anderen Beschwerdeführern angegriffenen Entscheidungen wird zwar ebenfalls die indizielle Bedeutung der Gewaltanwendung für die Rechtswidrigkeit erwähnt; darauf beruht indessen die Bestrafung nicht, da die Gerichte zusätzlich die Verwerflichkeitsklausel unter Erörterung der näheren Umstände angewendet haben, mag dies auch in einigen Fällen nicht mit der wünschenswerten Klarheit zum Ausdruck gekommen sein. Die anderen Entscheidungen können daher verfassungsrechtlich nur aus sonstigen Gründen beanstandet werden. Insoweit kann indessen ein Verstoß gegen das Grundgesetz infolge Stimmengleichheit nicht festgestellt werden.

aa) Wird bei der Anwendung der Verwerflichkeitsklausel in der gebotenen Weise auf die näheren Umstände abgestellt, dann dürfen dabei nach Ansicht von vier Richtern die von den Demonstranten verfolgten Ziele nicht außer acht bleiben. Zwar kommt es bei der Abwägung von Gewaltanwendung und verfolgtem Zweck zunächst auf die Nötigungsfolgen, nämlich auf die durch die Sitzblockaden verursachten Behinderungen an. Diese lassen sich aber nicht isoliert betrachten, da sie für sich allein überhaupt nicht stattgefunden hätten, sondern nur als unselbständige Zwischenschritte zur Erreichung der eigentlichen Demonstrationsziele dienen, nämlich des unmittelbaren Nötigungsziels (Erzwingung erhöhter Aufmerksamkeit für Meinungsäußerungen) und des Fernziels (Protest gegen die als gefährlich beurteilte atomare Aufrüstung). Entgegen der in einigen Ausgangsverfahren vertretenen Ansicht können sich die Gerichte einer Berücksichtigung auch dieses Fernziels nicht mit der Begründung entziehen, sie dürften keine Meinungen bewerten. Die Problematik ist hier nicht grundsätzlich anders als bei Auseinandersetzungen um die Verletzung der Meinungsfreiheit. Auch dort steht dem Richter kein Urteil darüber zu, ob die vertretene Meinung richtig oder falsch ist. Jedoch kommt der Meinungsfreiheit im Konfliktsfall nach ständiger Rechtsprechung um so größeres Gewicht zu, je weniger es sich um unmittelbar gegen ein privates Rechtsgut gerichtete Äußerungen im privaten, namentlich im wirtschaftlichen Verkehr und in Verfolgung eigennütziger Zwecke und je mehr es sich um einen Beitrag zum Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage handelt (vgl. BVerfGE 66, 116 [139] m.w.N.). Das muss auch und erst recht für die Prüfung gelten, ob eine Nötigungshandlung als verwerflich zu missbilligen ist. Hier werden die der Verwerflichkeitsklausel inhärenten Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des schuldangemessenen Strafens verletzt, wenn der Richter die Augen vor dem wesentlichen Unterschied zwischen eigennützigem und gemeinwohlorientiertem Handeln verschließt. Wenn der Gesetzgeber die Strafbarkeit in § 240 Abs. 2 StGB von sittlichen Wertungen abhängig macht, dann darf der Richter bei der konkreten Abwägung den eigentlichen Anlaß und das alleinige Motiv der Tat als einen der wichtigsten Umstände für eine solche Wertung nicht außer acht lassen.

Wird in der sonach gebotenen Weise unter Berücksichtigung aller Umstände auch das Demonstrationsziel in die Abwägung einbezogen, dann führt eine am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierte verfassungskonforme Anwendung des § 240 StGB nach Ansicht dieser vier Richter dazu, dass die Strafgerichte Handlungen der vorliegenden Art in der Regel nicht als verwerfliche Nötigung qualifizieren dürfen, sofern nicht erschwerende Umstände (z.B. Behinderung von Krankentransporten, Einkesseln Dritter oder andere besonders intensive Behinderungen) hinzutreten. Das muss jedenfalls gelten, wenn und soweit die erwähnten strengen Voraussetzungen für zivilen Ungehorsam eingehalten werden und wenn die Verwerflichkeitsklausel im Licht der grundlegenden Bedeutung des Art. 8 GG ausgelegt und angewendet wird. Von kriminell motivierten Nötigungen unterscheiden sich die hier zu beurteilenden Sitzblockaden bereits dadurch charakteristisch, dass die Teilnehmer - wie erwähnt - nicht eigennützig handeln und dass ihre Gewaltanwendung - sofern die Aktionen überhaupt als Nötigung mit dem Mittel der Gewaltanwendung beurteilt werden können - an der untersten Grenze bleibt; teils wird die Fähigkeit zu "Gewaltfreiheit" eigens in Bezugsgruppen trainiert. Kennzeichnend ist ferner, dass die Aktionen Angelegenheiten von wesentlicher allgemeiner Bedeutung und nicht bloße gruppenspezifische oder finanzielle Interessen zum Gegenstand haben, dass sie sich nach vorheriger Ankündigung in aller Öffentlichkeit abspielen, dass die Teilnehmer im Prozeß der öffentlichen Meinungsbildung durch symbolische Handlungen im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung beziehen wollen und nicht - wie etwa bei Lkw-Blockaden an Grenzübergängen oder bei den Frankfurter Theaterbesetzungen - eine effektive Zwangswirkung auf einen Entscheidungsträger anstreben und dass sie ein polizeiliches Eingreifen widerstandslos über sich ergehen lassen. Werden diese Anforderungen eingehalten und bleibt die Verkehrsbehinderung nach Dauer und Intensität in erträglichen Grenzen, dann kann der bloße Umstand, dass die Behinderung als Mittel zum aufklärenden Protest beabsichtigt und nicht als bloße unvermeidbare Nebenfolge in Kauf genommen wird, nicht ausreichen, um eine Sitzblockade nicht allein als auflösbar anzusehen, sondern sogar als verwerfliche Nötigung zu mißbilligen (vgl. auch BGHSt 18, 389 [392] - für Behinderungen beim Überholen). Demgemäß mussten nach Meinung der vier Richter alle Verfassungsbeschwerden zur Zurückverweisung der Sachen an die Strafgerichte führen, damit diese die ihnen obliegende Prüfung nachholen, ob jeweils ein Regelfall vorliegt oder ob die Verwerflichkeit wegen besonderer Umstände ausnahmsweise zu bejahen ist.



bb) Eine Aufhebung der angegriffenen Entscheidungen hat jedoch zu unterbleiben, da diese nach der für das Urteil maßgebenden Meinung der vier anderen Richter verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind. Diese Richter gehen von der ständigen Rechtsprechung aus, dass Auslegung und Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Vorschriften des einfachen Rechts grundsätzlich Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte sind und verfassungsgerichtlich nur auf Auslegungsfehler zu überprüfen sind, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsstreit von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 18, 85 [92 f.]; 42, 143 [148 f.]; 66, 116 [131]). Ein derartiger verfassungsrechtlich erheblicher Fehler liegt zwar aus den bereits erörterten Gründen vor, wenn die Strafgerichte im Falle der Erstreckung des Gewaltbegriffs auf Sitzdemonstrationen der vorliegenden Art die Verwerflichkeitsklausel überhaupt ungeprüft lassen und sich damit begnügen, die Gewaltanwendung als indiziell für die Verwerflichkeit zu beurteilen. Die mit der Anwendung der Verwerflichkeitsklausel verbundene Berücksichtigung aller Umstände gehört hingegen zu den typischen Aufgaben, die den Fachgerichten bei der Entscheidung des jeweiligen Falles obliegen. Das Bundesverfassungsgericht kann den Strafgerichten insoweit keine bestimmte Abwägung vorschreiben.

Nach Ansicht dieser vier Richter läßt die strafgerichtliche Würdigung dieser Umstände in den angegriffenen Entscheidungen keine verfassungsrechtlich relevanten Fehler erkennen. Ob die Anwendung der Verwerflichkeitsklausel durch die Strafgerichte in dem einen oder anderen Fall zu Ergebnissen geführt hat, über deren Richtigkeit sich streiten läßt, kann dahingestellt bleiben, da dies für ein verfassungsgerichtliches Eingreifen nicht ausreichen würde. Jedenfalls ist der Strafrichter bei der Verwerflichkeitsprüfung von Verfassungs wegen nicht gehalten, die Fernziele der Demonstranten zu berücksichtigen. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Gebot schuldangemessenen Strafens wird vielmehr auch durch eine Einbeziehung der Fernziele und Tatmotive in die Strafzumessung Genüge getan, wie das in den angegriffenen Entscheidungen geschehen ist und zu niedrigen Strafen geführt hat.

IV.

Nach alledem war lediglich der Verfassungsbeschwerde des Beschwerdeführers zu 6) stattzugeben. Den anderen musste der Erfolg versagt bleiben, da infolge Stimmengleichheit weder bei der Prüfung am Maßstab des Art. 103 Abs. 2 GG noch bei der Auslegung und Anwendung der Verwerflichkeitsklausel ein Verstoß gegen das Grundgesetz festgestellt werden konnte und sonstige Grundrechtsverletzungen nicht erkennbar sind.

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