Das Verkehrslexikon

A     B     C     D     E     F     G     H     I     K     L     M     N     O     P     Q     R     S     T     U     V     W     Z    

Oberlandesgericht Schleswig Urteil vom 20.02.2023 - 7 U 170/22 - Zur Beweislast des Schädigers, dass der vermeintlich Geschädigte in die Beschädigung seines Fahrzeuges eingewilligt hat

OLG Schleswig v. 20.02.2023: Zur Beweislast des Schädigers, dass der vermeintlich Geschädigte in die Beschädigung seines Fahrzeuges eingewilligt hat




Das Oberlandesgericht Schleswig (Urteil vom 20.02.2023 - 7 U 170/22) hat entschieden:

  1.  Grundsätzlich trägt der Schädiger die Beweislast, dass der vermeintlich Geschädigte in die Beschädigung seines Fahrzeuges eingewilligt hat. Die ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen für eine Manipulation kann für die Überzeugungsbildung des Tatrichters genügen. Beweisanzeichen können sich z.B. ergeben aus dem Unfallhergang, der Art der Schäden, der Art der beteiligten Fahrzeuge, dem Anlass der Fahrt, fehlender Kompatibilität, den persönlichen Beziehungen oder wirtschaftlichen Verhältnissen. Ausschlaggebend ist dabei eine Gesamtwürdigung, bei der aus einer Indizienkette auf die planmäßige Vorbereitung und Herbeiführung des vermeintlichen Unfalls geschlossen werden kann. Selbst wenn es für jede einzelne verdächtige Feststellung bei separater Betrachtung eine unverfängliche Erklärung geben mag, kann deren durch Zufall nicht mehr lebensnah erklärbare Häufung die Schlussfolgerung auf ein gemeinsames betrügerisches Vorgehen zu Lasten des gegnerischen Haftpflichtversicherers begründen.

  2.  Maßgeblicher objektiver Umstand für ein manipuliertes Ereignis ist die fehlende Kompatibilität, wenn sich das Schadensbild am Klägerfahrzeug nicht mit dem behaupteten und von dem vermeintlichen Unfallverursacher bekundeten „Unfallhergang“ (hier rückwärtigen Ausparkvorgang) technisch in Einklang bringen lässt.

  3.  Weitere für eine Manipulation sprechende Umstände sind: hochwertiges Geschädigtenfahrzeug der Oberklasse (hier Mercedes-Benz E 250) und Vollkasko versichertes, älteres Fahrzeug auf Beklagtenseite; lukrativer Streifschaden, der meist wesentlich kostengünstiger in Privat-/Niedrigpreiswerkstätten oder in Eigenregie repariert werden kann; Kollision auf einem Parkplatz, wo wegen geringer Geschwindigkeiten Blechschäden - ohne besonderes Risiko für Personenschäden - dosiert beigebracht werden können.

  4.  Wenn der vermeintliche Unfallverursacher als Zeuge zum Unfallhergang bereits vom Gericht ausführlich gehört worden ist und danach ein überzeugendes Sachverständigengutachten eingeholt wurde, dass - im Widerspruch zur Zeugenaussage - keine entsprechende technische Kompatibilität des Schadenshergangs festgestellt hat, ist in der Regel eine erneute Zeugenvernehmung nicht mehr erforderlich. Ein Gehörsverstoß liegt nicht vor. Der behauptete Unfallhergang wäre nämlich nur mit einer an das Sachverständigengutachten entsprechend angepassten Zeugenaussage plausibel erklärbar. Solche Bekundungen wären aber wenig überzeugend und wegen Widerspruchs zur vorherigen Aussage auch unglaubhaft.


Siehe auch
Unfallmanipulationen - Unfallbetrug - Berliner Modell - vorsätzliche Herbeiführung des Versicherungsfalls
und
Indizienbeweisführung und Unfallbetrug

Gründe:


I.

Der Kläger beansprucht von der Beklagten Schadenersatz in Höhe von 8.844,63 € aufgrund einer Kollision, die sich am 21.10.2020 auf einem Privatparkplatz des Grundstücks ... in W1 ereignet haben soll. Der Kläger hat vorgetragen, dass die Zeugin S1 (vormals ...) mit ihrem bei der Beklagten versicherten Pkw Renault Megane (Kennzeichen: ...) beim Ausparken gegen sein Fahrzeug (Mercedes-Benz E-Klasse, amtl. Kennzeichen: ...) gekommen und an der linken Fahrerseite seines Fahrzeuges entlang geschrammt sei. Der Schaden setze sich zusammen aus den geschätzten Reparaturkosten in Höhe von 7.672,99 € netto, Gutachterkosten in Höhe von 1.146,64 € brutto sowie einer Kostenpauschale von 25,00 €.

Der Kläger hat beantragt,

  1.  die Beklagte zu verurteilen, an die X Bank AG fiktive Reparaturkosten in Höhe von netto 7.672,99 € sowie an den Kläger Gutachterkosten in Höhe von brutto 1.146,64 € und eine Unkostenpauschale in Höhe von 25,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.12.2020 zu zahlen, sowie

  2.  die Beklagte zu verurteilen, an die Y Rechtsschutzversicherung AG vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 787,76 € zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

   die Klage abzuweisen.

Sie hat behauptet, dass es sich um einen manipulierten Unfall gehandelt habe. Die Angaben der Zeugin S1 zum Unfallhergang seien nicht plausibel. Außerdem seien die Schäden an den unfallbeteiligten Fahrzeugen nicht kompatibel und würden insbesondere auch nicht zu dem in der Schadensanzeige vom 13.11.2020 geschilderten Unfallhergang passen (vgl. Anlage B 1, Bl. 20-23 GA).

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens sowie durch Vernehmung der Zeugin S1.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 15.09.2022 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Dem Kläger sei der Beweis eines Verkehrsunfalles im Rechtssinne nicht gelungen. Der Sachverständige Dipl.-Ing. H1 habe die Schäden an den unfallbeteiligten Fahrzeugen sowie die Kollisionsstellung anhand der vorhandenen Lichtbilder ermittelt und ausgewertet. Er sei zu dem Ergebnis gelangt, dass das Schadensbild hier praktisch unvereinbar sei mit dem von der Zeugin S1 geschilderten Unfallhergang. Zweifel an der Objektivität und der fachlichen Kompetenz des Sachverständigen seien nicht ersichtlich. Eine Fortsetzung der Beweisaufnahme durch erneute Vernehmung der Zeugin S1 und ihres Ehemannes Mx S1 sei nicht angezeigt. Beide Zeugen seien - trotz Festsetzung eines Ordnungsgeldes - zum neuen Termin am 18.08.2022 (Bl. 183 GA) nicht erschienen. Hinsichtlich des Zeugen S1 sei noch nicht einmal vorgetragen, dass er das streitgegenständliche Unfallgeschehen überhaupt gesehen hat.




Dagegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er hält die Feststellungen des Sachverständigen H1 für unzureichend. Es sei grundsätzlich möglich, dass die Beschädigungen an beiden Fahrzeugen durch ein wie auch immer gelagertes Fahrverhalten der Zeugin S1 entstanden sein könnten. Zum Beweis beruft sich der Kläger auf die Einholung eines Obergutachtens. Ferner beantragt der Kläger, die Zeugen Sx und Mx S1 zum Unfallhergang zu hören. Die Zeugin S1 habe sich zum Unfallzeitpunkt in Eile und in einem hektischen Zustand befunden, weil sie schnellstmöglich mit ihrem Fahrzeug zu dem Pferdeanhänger habe fahren wollen, um den Kläger, bei dem es sich um einen Kaufinteressenten gehandelt habe, nicht unnötig warten zu lassen. Hierdurch sei es vermutlich auch zu erklären, weshalb sie nach der ersten Wahrnehmung der Kollision nicht sofort ihr Fahrzeug angehalten habe. Der Zeuge S1 habe die Kollision akustisch wahrgenommen und sei daraufhin sofort zum Unfallort geeilt. Die Nichtanhörung der Eheleute S1 stelle einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör im Sinne von Art. 103 GG dar.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und

  1.  die Beklagte zu verurteilen, an die X Bank AG fiktive Reparaturkosten in Höhe von netto 7.672,99 € und an den Kläger Gutachterkosten in Höhe von brutto 1.146,64 € sowie eine Unfallkostenpauschale in Höhe von 25,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.12.2022 zu zahlen und

  2.  an die Y Rechtsschutzversicherung AG die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 787,76 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

   die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens wird auf den Inhalt der eingereichten Schriftsätze Bezug genommen. Der Senat hat den Kläger bereits mit einstimmigen Beschluss vom 18.1.2023 darauf hingewiesen, dass seine Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat.




II.

Die Berufung gegen das Urteil des Landgerichts Itzehoe vom 15.09.2022, Aktenzeichen 4 O 3/21, ist gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil nach einstimmiger Auffassung des Senats das Rechtsmittel offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schadenersatz gem. §§ 7 Abs. 1, 17 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG bzw. §§ 823 Abs. 1 und Abs. 2, 249 ff. BGB zu.

Der Senat hat die Parteien bereits mit Beschluss vom 18.1.2023 auf Folgendes hingewiesen:

Die Gesamtschau aller Umstände lässt auch zur Überzeugung des Senats nur den Schluss zu, dass es sich bei dem Vorfall vom 21.10.2020 auf dem Privatparkplatz in W1 um ein manipuliertes Geschehen handelt. Grundsätzlich trägt der Schädiger nach dem Maßstab des § 286 ZPO die Darlegungs- und Beweislast, dass der vermeintlich Geschädigte in die Beschädigung seines Fahrzeuges eingewilligt hat. Eine Überzeugungsbildung setzt jedoch nicht immer eine mathematisch lückenlose Gewissheit voraus, sondern es genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGH, Urteil vom 01.10.2019, VI ZR 164/18, NJW 2020, 1072-1074). Die ungewöhnliche Häufung von Beweisanzeichen für eine Manipulation kann der unmittelbaren Überzeugungsbildung des Tatrichters dienen. Beweisanzeichen können sich z.B. ergeben aus dem Unfallhergang, der Art der Schäden, der Art der beteiligten Fahrzeuge, dem Anlass der Fahrt, fehlender Kompatibilität, den persönlichen Beziehungen oder wirtschaftlichen Verhältnissen (OLG Schleswig, Beschluss vom 04.01.2021, 7 U 150/20, Juris, Rn. 16 m.w.N.). Ausschlaggebend ist dabei eine Gesamtwürdigung, bei der aus einer Indizienkette auf die planmäßige Vorbereitung und Herbeiführung des vermeintlichen Unfalls geschlossen werden kann. Selbst wenn es für jede einzelne verdächtige Feststellung bei separater Betrachtung eine unverfängliche Erklärung geben mag, kann deren durch Zufall nicht mehr lebensnah erklärbare Häufung die Schlussfolgerung auf ein gemeinsames betrügerisches Vorgehen zu Lasten des gegnerischen Haftpflichtversicherers begründen (LG Dortmund, Urteil vom 02.03.2020, 21 O 348/17, Juris, Rn. 46 m.w.N.).

Unter Berücksichtigung der vorstehenden Grundsätze ist der Senat - wie das Landgericht - davon überzeugt, dass hier gewichtige Indizien für die Annahme eines manipulierten Unfallgeschehens vorliegen, die den Einwand der fehlenden Rechtswidrigkeit des Tuns beweisen. Die Gesamtschau aller Umstände lässt bei lebensnaher Betrachtung keine vernünftigen Zweifel daran, dass es sich hier um ein manipuliertes Geschehen handelt.


Maßgeblich ist dabei der Umstand, dass nach dem Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing. H1 vom 14.12.2021 mit den mündlichen Ergänzungen gemäß Protokoll vom 09.06.2022 keine kompatiblen Beschädigungen an den unfallbeteiligten Fahrzeugen vorliegen. Der Sachverständige hat bereits in seinem schriftlichen Gutachten vom 14.12.2021 ausgeführt, dass sich das Schadensbild am Klägerfahrzeug nicht mit dem von der Zeugin S1 beschriebenen rückwärtigen Ausparkvorgang in Einklang bringen lässt. Gerade bei einem - wie von der Zeugin S1 geschildert- nicht dosierten und somit übermäßigen Lenkeinschlag nach links hätte es unmittelbar zu einer schrägen Ausrichtung zwischen den Fahrzeugen kommen müssen, denen sich die Spurenlage über die gesamte Radhauskante bis hinter die Vorderachse am Renault der Zeugin nicht mehr zuordnen ließ. Im Termin am 09.06.2022 (Bl. 144 R. d.A.) hat der Sachverständige ergänzend darauf hingewiesen, dass die Unfallschilderung der Zeugin S1 nur dann mit dem festgestellten Streifschaden vereinbar gewesen wäre, wenn sie mit einem Seitenabstand von maximal 10-12 cm neben dem klägerischen Fahrzeug geparkt hätte. Dann wäre jedoch ein Ein- und Aussteigen mit Öffnen der Türen nicht mehr möglich gewesen. Neben dem engen Parkabstand mit einem engen Anstoßwinkel von 5 ° hätte außerdem ein Zurücksetzen mit mehrmaligen starken Lenk- und Gegenlenkbewegungen stattfinden müssen, um das Schadensbild zu erklären.

Die Bekundungen der Zeugin S1 sowie die Erklärungen gemäß ihrer Schadensanzeige vom 13.11.2020 (Anlage B 1) sind mit den Feststellungen des Sachverständigen H1 nicht vereinbar. Von mehrmaligen „starken Lenk- und Gegenlenkbewegungen“ hat die Zeugin nichts berichtet. Sie hat lediglich erklärt, dass sie trotz verspüren eines Widerstandes und hören eines „Knartschens“ weiter zurückgesetzt habe. Es könne sein - so die Zeugin -, dass ihr das Lenkrad durch die Hände gerutscht sei. Den Parkabstand zwischen ihrem Fahrzeug und dem klägerischen Fahrzeug würde sie „auf eine Stuhlbreite schätzen“. Ein Stuhl ist jedoch immer breiter als lediglich 10-12 cm. Der von dem Sachverständigenbüro Schlüter mit Gutachten vom 03.11.2020 (Anlage K 2) festgestellte Schaden an der nahezu kompletten linken Seite des Pkw Mercedes (leichte Deformationen und flächige Kratzer am linken Kotflügel im Bereich hinter dem Radausschnitt mit flächig ausgeprägter Kontaktspur nach hinten verlaufend über die linke Tür bis hin zur linken Seitenwand mit scharfkantigem Eindruck im hinteren Bereich der Tür und Dellen in unterschiedlicher Intensität auf der linken Seitenwand; Kratzer auf beiden linksseitigen Leichtmetallfelgen über den Speichen; Fehlstellung der Achsgeometrie an der Vorderachse) ist nach alledem mit dem behaupteten Unfallhergang nicht vereinbar.

Die Ausführungen des Sachverständigen H1 sind plausibel und gut nachvollziehbar sowie durch entsprechende Fotos und Vermessungen belegt. Der Sachverständige H1 ist dem Senat als langjährig erfahrener und besonders fachkundiger Kfz-Gutachter bekannt. Die Voraussetzung für die Einholung eines entsprechenden Obergutachtens liegen nach § 412 ZPO nicht vor.

Die Bekundungen der Zeugin S1 zum Unfallhergang widersprechen den Feststellungen und Schlussfolgerungen des gerichtlichen Sachverständigen. Das Schadensbild am klägerischen Fahrzeug ist mit dem von der Zeugin S1 geschilderten Unfallhergang nicht vereinbar. Dies gilt auch vor dem Hintergrund des ergänzenden Vortrags, dass die Zeugin S1 zum Unfallzeitpunkt sich „in Eile und einem hektischen Zustand befunden“ habe. Die Zeugin S1 hat insbesondere den Abstand zwischen den parkenden Fahrzeugen (Stuhlbreite) anders geschildert und auch keine mehrfachen starken Lenk- und Gegenlenkbewegungen berichtet. Die Angaben der Zeugin sind deshalb - vor dem Hintergrund der nachvollziehbaren Feststellungen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen - weder plausibel noch glaubhaft.




Schließlich sprechen auch weitere Umstände für eine Manipulation. Bei dem Klägerfahrzeug handelt es sich um ein Fahrzeug der Oberklasse (Mercedes-Benz E 250 CGI BlueEfficiency, 150 kW, Diamantweiß-metallic) und bei dem Beklagtenfahrzeug (Renault Megane, 86.000 km) um ein bei der RCI Banque S.A. (= 100%ige Tochter des Automobilherstellers Renault) fremdfinanziertes bzw. geleastes Fahrzeug. Solche Fahrzeuge sind in der Regel vollkaskoversichert. Das Schadensbild - überwiegend Streifschäden - ist ebenfalls ein typisches Indiz für eine Unfallmanipulation. Eine derartige Konstellation ist nämlich bei manipulierten Unfällen häufig anzutreffen, weil bei hochwertigen Fahrzeugen hohe Reparaturkosten anfallen, während auf Schädigerseite nur sehr geringe finanzielle Einbußen drohen. Außerdem können solche Streifschäden meist wesentlich kostengünstiger in Privat-/ Niedrigpreiswerkstätten oder in Eigenregie repariert werden, als dies im Gutachten unter Annahme einer Reparatur in einer Fachwerkstatt kalkuliert wird (hier: Stundenlöhne einer Daimler-Benz Vertragswerkstatt zwischen 129,00 € und 146,00 €/h). So können letztlich bei fiktiver Abrechnung auf Gutachtenbasis hohe Gewinne „erwirtschaftet“ werden.

Schließlich ist auch die Unfallkonstellation auf Parkplätzen bei gestellten Unfällen häufig anzutreffen. Bei einer solchen Konstellation sind Personenschäden nicht zu erwarten. Außerdem können aufgrund der geringen Geschwindigkeiten Schäden dosiert beigebracht werden, sodass sich das Risiko für die Beteiligten deutlich minimiert (OLG Schleswig, Beschluss vom 23.10.2018, 7 U 18/18, Juris, Rn. 9).

Die Beweiswürdigung des Landgerichts ist nach alledem gemäß § 286 ZPO nicht zu beanstanden. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung berechtigt das Gericht, die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung zu bewerten, wobei der Richter lediglich an die Denk- und Naturgesetze sowie sonstigen Erfahrungsgesetze gebunden ist (Zöller-Greger, ZPO, 34. Aufl., § 286, Rn. 13). In Folge der Neuregelung in § 529 ZPO steht die Wiederholung der Beweisaufnahme außerdem nicht mehr im reinen Ermessen des Gerichts. Sie ist im Sinne eines gebundenen Ermessens vielmehr nur dann zulässig, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen begründen und eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand mehr haben werden, sich also deren Unrichtigkeit herausstellt. Solche konkreten Anhaltspunkte werden mit der Berufung jedoch nicht vorgetragen. Vielmehr setzt die Berufung ihre eigene Beweiswürdigung lediglich anstelle derjenigen des Gerichts.

Eine nochmalige Vernehmung der Zeugin S1 nach Vorlage des technischen Gutachtens des Sachverständigen H1 war nicht erforderlich. Die Zeugin war bereits am 12.08.2021 (Bl. 51-52 GA) ausführlich zum Hergang der Kollision gehört worden. Eine erneute Anhörung der Zeugin mit ggf. an das Sachverständigengutachten angepassten Vortrag zum Unfallhergang wäre unglaubhaft und unplausibel. Im Übrigen hat die Zeugin am 12.08.2021 selbst ausgeführt, dass sie sich an Details der Kollision nicht mehr erinnern könne. Erfahrungsgemäß wird die Erinnerung mit zunehmendem Zeitablauf nicht besser.


Hinsichtlich des Zeugen Mx S1 ist nicht substantiiert vorgetragen, zu welchen beweiserheblichen Tatsachen der Zeuge gehört werden soll. Seine Ehefrau, die Zeugin S1, hat im Termin am 12.08.2021 lediglich angegeben, dass sich ihr Ehemann zwar auf dem Hof befunden habe, sie könne aber nicht sagen, ob er auch den Kollisionshergang mit angesehen habe. Er sei lediglich nach der Kollision angekommen und habe gefragt, ob alles gut sei (vgl. Bl. 51 R GA). Wenn der Zeuge - wie mit der Berufung vorgetragen - die Kollision nur akustisch wahrgenommen haben will, erschließt sich nicht, welche erhellenden Angaben der Zeuge zum tatsächlichen Unfallhergang machen soll. Eine Gehörsverletzung durch unterlassene Zeugenvernehmung liegt nicht vor.

Die ergänzenden Ausführungen des Klägers aus dem Schriftsatz vom 9.2.2023 rechtfertigen keine andere Entscheidung.

,Wenn der Kläger sein Fahrzeug tatsächlich mit nur geringem Abstand von 10-12 cm neben das Auto der Zeugin S1 abgestellt hätte, hätte er auf der Fahrerseite bereits beim Aussteigen massive Schwierigkeiten haben müssen. Alternativ trägt der Kläger nunmehr vor, dass es auch „denkbar sei“, dass das Fahrzeug der Zeugin S1 erst am Unfallort abgestellt worden sei, nachdem er sein Fahrzeug dort abgestellt hatte. Eine ausdrückliche Behauptung stellt der Kläger insoweit jedoch gerade nicht auf, obwohl er es doch eigentlich selbst wissen müsste. Außerdem gibt es für eine solche Spekulation überhaupt keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil - die Zeugin S1 hat bei Ihrer Anhörung am 12.8.2021 ausdrücklich bekundet, dass der Kläger sie am 21.10.2020 auf ihrem Grundstück ... in W1 - wo sie auch wohne - besucht habe. Mit keinem Wort hat die Zeugin erwähnt, dass sie oder ihr Fahrzeug erst später hinzugekommen sei.

Die Zeugin S1 ist selbst KfZ-Mechatronikerin von Beruf. Insoweit ist davon auszugehen, dass sie im Umgang mit Fahrzeugen nicht gänzlich unerfahren ist. Im Rahmen ihrer ausführlichen Anhörung vom 12.8.2021 hat sie erklärt, dass sie „sehr zügig und trotz Widerstandes rückwärts gefahren sei“ (Bl. 51 R GA). Die Zeugin hat weder von einem mangelnden Sicherheitsabstand zwischen den parkenden Fahrzeugen noch von mehrfachen starken Lenk- und Gegenlenkbewegungen beim Rückwärtsfahren berichtet.

Das Schadensbild am Fahrzeug des Klägers passt entsprechend den v.g. Feststellungen des Sachverständigen H1 nicht zu einem normalen Ausparkvorgang und kann jedenfalls „nicht so“ - wie vom Kläger und der Zeugin S1 vorgetragen - entstanden sein. Dies geht zu Lasten des darlegungs- und beweispflichtigen Klägers.



Eine erneute Vernehmung der Zeugin S1 ist im Hinblick auf ihre schriftliche Unfallschilderung vom 13.11.2020 gegenüber der Beklagten (Anl. B1) und ihrer ausführlichen gerichtlichen Anhörung vom 12.8.2021 nicht erforderlich. Der behauptete Unfallhergang wäre nur mit einer an das Sachverständigengutachten entsprechend angepassten Aussage der Zeugin ggf. plausibel erklärbar. Solche Bekundungen wären aber wenig überzeugend und wegen Widerspruchs zur vorherigen Aussage auch unglaubhaft. Bei dem Zeugen Mx S1 handelt es sich um kein taugliches Beweismittel zum Unfallhergang, weil er das Geschehen nur akustisch wahrgenommen haben kann.

Nach alledem ist die Berufung offensichtlich unbegründet.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Feststellung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des angefochtenen Urteils erfolgte gemäß §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

- nach oben -



Datenschutz    Impressum